HSS: Sehr geehrter Herr Ferber, in der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung wurde gerade diskutiert, was Bildung für uns heute eigentlich bedeutet. Beschäftigt Sie das Thema?
Markus Ferber, MdEP, Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung: Selbstverständlich. Als Politiker, aber gerade auch als Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung hat Bildung für mich höchsten Stellenwert. Wir setzen uns ein für Demokratie, Frieden und Entwicklung – und all das geht Hand in Hand mit dem Thema Bildung. Und: Nur mit Bildung lässt sich Wohlstand vermehren. Dabei sollte man nicht vergessen, dass es neben der schulischen und akademischen auch die berufliche Bildung gibt, die gerade in Deutschland ein absolutes Erfolgsmodell darstellt.
"Wir brauchen Hochschule und Handwerk. In den vergangenen Jahren hat man ein großes Augenmerk auf die universitäre Ausbildung gelegt. [...] Nun auch die Meisterausbildung zu unterstützen ist nur konsequent." (Markus Ferber, MdEP, Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung)
Buff; ©HSS
Welchen Stellenwert hat Bildung in Deutschland und Europa?
In Deutschland ist die Bildungsdebatte einzigartig. In wohl kaum einem anderen Land dieser Welt wird so viel über das Thema Bildung diskutiert wie bei uns. Das ist historisch bedingt und hängt nicht zuletzt mit Wilhelm von Humboldt zusammen, der bis heute die Bildungsdiskussion mitprägt, obwohl er bereits vor über 200 Jahren lebte. Er verfolgte mit seinen Bildungsreformen in Preußen das Ziel, möglichst vielen Menschen umfassende Bildung zu ermöglichen – das, was wir heute als humboldtsches Bildungsideal verstehen. Und natürlich ist Bildung auch ein Thema auf europäischer Ebene – denken Sie nur an den Bologna-Prozess –, wenngleich die allermeisten politischen Entscheidungen in den Nationen (oder wie bei uns in den deutschen Bundesländern) getroffen werden.
Es gibt Themen, die zwar wichtig sind, trotzdem aber von der Politik traditionell nicht prioritär behandelt werden. Das Thema Bildung gehört dazu. Woran liegt das?
Dass das Thema Bildung nicht prioritär behandelt wird, kann ich nicht sehen, schon gar nicht in Bayern. Denken Sie nur daran, wie viel die Bayerische Staatsregierung in den Bildungsstandort Bayern investiert – von der Grundschule, wo Lehrkräfte künftig eine deutlich höhere Besoldung bekommen, bis hin zu 1000 zusätzlichen Professuren, die im Rahmen der High-Tech Agenda geschaffen werden. Bildung und Wissenschaft machen den größten Anteil im Haushalt des Freistaats Bayern aus! Im vergangenen Jahr waren es rund 25 Milliarden Euro.
Bildung vs. AUS-Bildung: Was steht in unserem Bildungssystem aktuell im Vordergrund? Geht es noch darum, die eigene Persönlichkeit ganzheitlich zu bilden, oder wollen wir möglichst schnell gut ausgebildeten Nachwuchs für den Arbeitsmarkt?
Die aktuelle Tendenz, das muss man leider so feststellen, ist ganz klar: Alle sollen studieren und das möglichst schnell. Dass der Freistaat viel Geld in die Hand nimmt, um eine innovative, fundierte und international konkurrenzfähige akademische Bildung zu ermöglichen, ist absolut wichtig und richtig. Gleichzeitig dürfen wir das Thema der beruflichen Bildung aber nicht vergessen. Denn gerade für die bevorstehenden Herausforderungen, wie beispielsweise den Klimawandel und die Abkehr von fossilen Energieträgern, brauchen wir Handwerker, die Solaranlagen installieren können, die Dächer und Fassaden dämmen können. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, zumal man mit einer deutschen Berufsausbildung in vielen Ländern dieser Welt mit Handkuss eingestellt wird. Und: Kein Abschluss ohne Anschluss. Auch mit einer Berufsausbildung steht mir der Weg an eine Universität oder Hochschule weiter offen. Dass neben der guten beruflichen oder akademischen Ausbildung auch eine ganzheitliche Bildung, wie Sie sagen, wichtig ist, ist nicht nur eine allgemeine Forderung. Das ist keine Lappalie, sondern im Artikel 131 der Bayerischen Verfassung verankert. Kurzum: Pestalozzi hatte schon recht mit seiner Forderung nach der Bildung von Kopf, Herz und Hand. Dabei verschieben sich jedoch die Präferenzen, was davon im Vordergrund stehen soll, im Laufe der Jahre immer wieder.
Könnte man darin auch eine Gefahr für unsere Demokratie sehen, wenn unser Bildungssystem keine Staatsbürger mehr im humanistischen Sinne hervorbringt, sondern nur noch Fachleute?
Natürlich ist ein gutes Bildungssystem ein wichtiger Baustein, um eine pluralistische, demokratische Bevölkerung zu stärken. An dieser Erkenntnis hat sich seit der Aufklärung nichts geändert. Nach meinem Dafürhalten gehört Sozialkunde, also die politische Bildung, mit zu unterschätzten Schulfächern. Denn selbst wenn ich sehr fokussiert bin auf meinen Beruf, so habe ich in einer Demokratie auch als Bürger eine gewisse Verantwortung, mich zu informieren. Schließlich ist jeder und jede Einzelne bei Wahlen und Abstimmungen mit der Bestimmung über die Geschicke unseres Landes betraut. Gerade deshalb ist lebenslanges Lernen, auch im politischen Bereich, so wichtig. Nicht zuletzt dafür gibt es die Seminare der Hanns-Seidel-Stiftung.
Unsere Gesellschaft verändert sich: Sie wird vielfältiger, die Lebenswege werden individueller, die Einbindung in die globalisierte Welt stellt neue Fragen. Wie können wir unser Bildungssystem darauf einstellen?
Wie ich schon angemerkt habe, investiert Bayern immense Summen in die Weiterentwicklung von Schulen und Hochschulen. Damit reagiert man auch auf die von Ihnen genannten Veränderungen. Gleichzeitig muss man sich genau überlegen, wie man in einer globalisierten Welt konkurrenzfähig sein kann – und zu welchem Preis. Damit meine ich nicht nur die finanzielle Ausstattung, sondern insbesondere die Frage nach Werten. Welche Werte wollen wir Kindern und jungen Erwachsenen mit auf den Weg geben? Allein durch das Stellen dieser Frage grenzt man sich von einigen Regionen dieser Welt deutlich ab. Ich denke, durch konservatives Handeln im klassischen Sinne, also dem ständigen Hinterfragen der aktuellen Situation, der Bewahrung des Guten und der Anpassung dort, wo sie notwendig erscheint, ist man – auch global betrachtet – auf dem richtigen Weg. Alles infrage zustellen, wie es politisch extreme Parteien oft machen, halte ich dabei nicht für zielführend.
Seit der industriellen Revolution war es immer das Gleiche: Eine technische Neuerung scheint viele Arbeitsplätze zu bedrohen, führt dann aber zu mehr Beschäftigung. Muss sich nun jeder einzelne um seinen Job sorgen?
Nein, diese Perspektive ist mir zu schwarzmalerisch. Der Arbeitsmarkt wird sich deutlich verändern, das ist klar. Manche werden auch umschulen müssen, denn es wird weniger unkreative Jobs geben. Vermutlich werden beispielsweise künftig weniger Menschen mit der Überprüfung von Steuererklärungen zu tun haben; das können Computerprogramme zunehmend besser. Was wir aktuell aber sehen: Menschliches Denken und Fühlen kann – noch – durch nichts ersetzt werden. Die künstliche Intelligenz ist erst am Anfang und kann menschliches Denken noch nicht substituieren. Und denken Sie beispielsweise an die Pflege: Selbst, wenn es bereits Pflegeroboter gibt, so können diese nicht das Menschliche ersetzen, sondern höchstens unterstützen. Und vielleicht ist es auch ganz gut, dass nach wie vor Menschen fühlen und denken, Maschinen aber nicht.
Wirkt sich Chat GPT positiv auf die Bildung aus?
Hier kommt es darauf an, was Sie unter Bildung verstehen. Im schulischen wie universitären Bereich ist man etwas zwiegespalten: Während die einen die Chancen von ChatGPT betonen, warnen andere davor. Es gibt Lehrer und Hochschullehrer, die das Programm gerne bereits jetzt im Unterricht einsetzen würde, weil davon auszugehen ist, dass die Benutzung einer KI in den kommenden Jahren Standard werden wird. Die Frage allerdings, was dann die eigene geistige Leistung darstellt, konnte bislang auch noch keiner beantworten.
Stichwort Meisterausbildung. Sie wird in Bayern seit diesem Jahr kostenlos angeboten. Was bedeutet dieser Schritt?
Das ist ein wichtiger und konsequenter Schritt. Wie ich bereits betont habe, brauchen wir Hochschule und Handwerk. In den vergangenen Jahren hat man ein großes Augenmerk auf die universitäre Ausbildung gelegt, Bayern ist mit seinen Studierendenzahlen an der Spitze. Nun auch die Meisterausbildung zu unterstützen ist nur konsequent. Bayern ist und bleibt damit ein hochattraktiver Standort für Studierende und Auszubildende, für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber.
À propos: Handwerk hat goldenen Boden und Handwerker werden dringend gesucht. Wie kann es gelingen, junge Menschen davon zu überzeugen, ein Handwerk zu erlernen?
Dafür muss zunächst einmal der Knoten in so manchen Köpfen gelöst werden: Ein Studium alleine ist heute noch kein Garant für einen gut bezahlten Job hinterher. Schauen Sie sich nur an, wie viele kleine und mittelständische Betriebe nach Auszubildenden und Mitarbeitern suchen. Die Auftragsbücher sind in vielen Branchen voll und die Löhne steigen stetig, nicht nur im Handwerk. Und – man kann es nicht oft genug betonen – es gilt die Regel: Kein Abschluss ohne Anschluss. Auch mit einem Meisterbrief kann ich studieren, wenn ich Abitur habe sowieso. Man verbaut sich also auch keine Zukunftsperspektive mit einer Ausbildung, ganz im Gegenteil.
Herr Ferber, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Maximilian Witte, Laura Engler, HSS