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Argentinien
Linksruck bei den Präsidentschaftswahlen

Autor: Prof. Dr. Klaus Georg Binder

Dem Mitte-links-Politiker Alberto Fernández (Frente de Todos) gelang es, sich im ersten Wahlgang um das Präsidentenamt klar gegen den wirtschaftsliberalen Amtsinhaber Mauricio Macri (Juntos por el Cambio) durchzusetzen. Einer der Gründe für den Wahlausgang ist die schwere Wirtschaftskrise, unter welcher Argentinien zu leiden hat. Ex-Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner wird als Vizepräsidentin an die Spitze des Staates zurückkehren.

Der Gewinner der Präsidentschaftswahlen heißt Alberto Fernández (Frente de Todos). Der Mitte-links-Politiker erhielt im ersten Wahlgang 48,10 Prozent, der wirtschaftsliberale Amtsinhaber Mauricio Macri (Juntos por el Cambio) 40,38 Prozent der Stimmen. Fernández konnte sich in 18 von 24 Provinzen durchsetzen. Nur in der Autonomen Stadt Buenos Aires (Ciudad Autónoma de Buenos Aires) sowie in den Provinzen Córdoba, Entre Ríos, Mendoza, San Luis und Santa Fe entschieden sich die Wähler mehrheitlich für Macri. Der Sieg von Fernández bedeutet gleichzeitig die Rückkehr der direkten Vorgängerin Macris, Cristina Fernández de Kirchner, als Vizepräsidentin in die Regierung. Die Amtsübergabe soll am 10. Dezember 2019 erfolgen.

Etwas mehr als 80 Prozent der Wahlberechtigten gingen zu den Urnen, eine Steigerung um mehr als vier Prozentpunkte gegenüber den Vorwahlen vom 11. August. Für die registrierten Wähler zwischen 18 und 70 Jahren bestand Wahlpflicht. Für ältere Personen sowie Wähler zwischen 16 und 18 Jahren existierte diese nicht.

Das rosafarbige Regierungsgebäude von Argentinien im Hintergrund mit uniformierter Garde auf einer Straße

Argentinien hat sich entschieden. Es kehrt der bisherigen Politik den Rücken und wendet sich wieder dem Kirchnerismus zu. Das Land leidet unter einer schweren Wirtschaftskrise und stetig steigender Armut

HSS Argentinien

Gründe für den Wahlausgang

Die wirtschaftliche und soziale Lage Argentiniens hat sich unter Macri verschlechtert. Macri versprach bei seinem Amtsantritt, mit neoliberalen Reformen die Armut zu lindern und die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Beides gelang ihm nicht.

Die Inflationsrate belief sich im September 2019 im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 53,5 Prozent. Seit August 2019 hat der argentinische Peso über 30 Prozent an Wert verloren. Am Ende des zweiten Quartals des Jahres 2019 verzeichnete Argentinien eine Brutto-Auslandsverschuldung in Höhe von 283.567 Mio. USD (Stock de deuda externa bruta a final del período a valor nominal residual), 22.091 Mio. USD mehr als am Ende des zweiten Quartals des Vorjahres.

Jeder dritte Argentinier lebt mittlerweile unter der Armutsgrenze. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 lag der Anteil der armen Bevölkerung bei 35,4 Prozent. Gegenüber dem zweiten Halbjahr 2018 (32,0 Prozent), dem ersten Halbjahr 2018 (27,3 Prozent) und dem zweiten Halbjahr 2017 (25,7 Prozent) muss ein deutlicher Anstieg der Armut konstatiert werden. Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf wird sich im Jahr 2019 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiter fortsetzen (2017: 14.591,86 USD; 2018: 11.652,57 USD). Die Arbeitslosenquote belief sich im zweiten Quartal des Jahres 2019 auf 10,6 Prozent und fiel mithin um einen Prozentpunkt höher aus als im zweiten Quartal des Vorjahres (9,6 Prozent).

Der deutliche Sieg des Oppositionsbündnisses Frente de Todos von Alberto Fernández und Cristina Fernández de Kirchner ist weitgehend auf diese negativen Entwicklungen zurückzuführen. Wenn die Regierung Macri kein derartiges Desaster angerichtet hätte, dann wäre es für den Peronismus nicht so einfach gewesen, an die Macht zurückzukehren. Einer von Peróns berühmtesten Sätze lautet: „Es ist nicht so, dass wir so gut wären – sondern die anderen sind schlechter als wir.“

Mit der Ernennung von Fernández zum Präsidentschaftskandidaten gelang Kirchner, der langjährigen Bewohnerin des Präsidentensitzes in Buenos Aires, zunächst als Ehefrau von Präsident Nestor Kirchner (2003-2007) und danach als Präsidentin (2007-2015), ein intelligenter Schachzug. Ganz Argentinien hatte erwartet, dass sie selbst wieder für das höchste Amt im Staat kandidieren werde. Indem sie Fernández, mit dem sie sich im Jahr 2008 überworfen hatte, den Vortritt ließ, überraschte sie alle.

Die wegen Korruptionsermittlungen umstrittene Politikerin hatte aufgrund ungewisser Erfolgsaussichten auf eine eigene Präsidentschaftskandidatur verzichtet. Die Ernennung von Fernández zum Präsidentschaftskandidaten hatte zudem die Wiedervereinigung der bis dato zerstrittenen Peronisten zur Folge. Die linke, Kirchner-freundliche Fraktion versöhnte sich mit dem gemäßigten Lager, für welches Kirchner nicht wählbar war, und schloss somit die Reihen.

Zu den Wahlen

Am 27. Oktober 2019 wurden in Argentinien Präsidentschafts-, Parlaments-, Gouverneurs- und Bürgermeisterwahlen abgehalten. Gewählt wurden der Präsident und der Vizepräsident Argentiniens, die Gouverneure der Provinzen Buenos Aires und Catamarca sowie der Autonomen Stadt Buenos Aires (Ciudad Autónoma de Buenos Aires), 24 von 72 Abgeordneten des Argentinischen Oberhauses (Honorable Senado de la Nación Argentina), 130 von 257 Abgeordneten des Argentinischen Unterhauses (Honorable Cámara de Diputados de la Nación Argentina) sowie die Intendentes (Bürgermeister) der 135 Partidos (Municipios) der Provinz Buenos Aires.

Um sich bei den Präsidentschaftswahlen durchzusetzen, benötigt der Gewinner eine relative Mehrheit von 45% der Stimmen oder eine relative Mehrheit von 40% der Stimmen, sofern der Zweitplatzierte mindestens 10 Prozentpunkte weniger erhält. Erreicht kein Kandidat im ersten Durchgang das notwendige Quorum, folgt eine Stichwahl (Ballotage) zwischen den beiden Erstplatzierten.

Die Vorwahlen

Bereits das Ergebnis der Vorwahlen vom 11. August 2019 bot ein klares Bild von der politischen Stimmung in Argentinien. Mit 49,49 Prozent der Stimmen ging die politische Allianz des Peronisten Alberto Fernández und der ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner (Frente de Todos) als klarer Gewinner aus den Vorwahlen hervor. Das überraschend schlechte Ergebnis der Allianz des amtierenden Präsidenten Mauricio Macri (Juntos por el Cambio), die nur 32,93 Prozent der Stimmen erhielt, spiegelte die Unzufriedenheit der Bürger mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage des Landes wider.

Nach Bekanntgabe der Ergebnisse der Vorwahlen verlor der argentinische Peso innerhalb kürzester Zeit drastisch an Wert. Musste man am vorhergehenden Freitag 45 argentinische Pesos für einen USD entrichten, waren es am darauffolgenden Montag bereits 57 Pesos. Neben dem Wertverlust der Landeswährung machte sich das Ergebnis der Vorwahlen auch auf den Aktienmärkten bemerkbar: Merval, der führende Aktienindex in Argentinien, stürzte um ca. 30 Prozent ab. Dies wiederum führte dazu, dass das Länderrisiko Argentiniens von 872 Punkten zum Ende der Woche auf 1.946 Punkte anstieg. Solche Werte hatte Argentinien zuletzt im Jahr 2009 in Folge der weltweiten Finanzkrise aufgewiesen. Im internationalen Vergleich liegt das Land nun nur einen Platz hinter Venezuela und gilt somit als derzeit zweitrisikoreichster Markt der Welt.

Macri wollte nach den Vorwahlen über die Mobilisierung seiner Wählerschaft im ersten Wahlgang um das Präsidentenamt einen zweiten Wahlgang (Ballotage) erzwingen. Tatsächlich schnitt er jetzt gegenüber den Vorwahlen um sage und schreibe 7,45 Prozentpunkte besser ab. Da sich sein Kontrahent Fernández lediglich um 1,39 Prozentpunkte verschlechterte, reichte es nicht.

Ein Wahllokal  mit einigen Personen in Buenos Aires. Zu sehen sind Wahlkabinen und ein Tisch zur Registrierung

Die Argentinier sind enttäuscht von der Politik des wirtschaftsliberalen Mauricio Macri. Während seiner Präsidentschaft gelang es ihm nicht, die Armut und die Inflation in den Griff zu bekommen

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Wie wird es weitergehen?

Der 60-jährige Anwalt und einstige Rechtsdozent der Universität Buenos Aires Alberto Fernández gilt als gemäßigter Mitte-links-Politiker des moderaten Flügels des Peronismus. Ein detailliertes Wahlprogramm hat er zwar noch nicht vorgestellt. Es existieren jedoch Hinweise, wie er die Krise als Präsident angehen werde.

Fernández hat bereits versöhnliche Signale an die Märkte ausgesandt. Die Neuverhandlung des vom Internationalen Währungsfonds (IWF) gewährten Rettungskredits in Höhe von 57 Milliarden USD ist ihm ein zentrales Anliegen, da er die Erfüllung der Darlehensverpflichtungen unter den gegenwärtigen Bedingungen für schwierig hält. Ihm ist bewusst, dass ein Zahlungsausfall Argentinien teuer zu stehen käme.

Zur Bekämpfung der Inflation schlägt er ein Lohn-Preis-Abkommen zwischen Staat, Gewerkschaften und Unternehmen vor. Die von Macri jüngst wieder eingeführten Devisenbeschränkungen zur Stabilisierung des argentinischen Pesos will er solange bestehen lassen, bis sich die Wirtschaft wieder erholt haben wird. Populismus – wie einst unter Kirchner – ist unter Fernández zumindest kurzfristig nicht zu erwarten, da ihm dafür das Geld fehlt.

Für Brasiliens Regierung ist ausgemacht, dass mit Cristina Fernández de Kirchner auch deren unternehmerfeindliche Politik der Abschottung (Protektionismus) zurückkehren wird. „Wir haben keine Illusion, dass Kirchner 2.0 anders sein wird, als Kirchner 1.0“, sagte Ernesto Araújo, der brasilianische Außenminister. Alberto Fernández will die Ausfuhrzölle abschaffen und den Export ankurbeln. Befürchtungen, die Marktöffnung Argentiniens könnte wieder zurückgedreht werden, sind unbegründet.

Viele Argentinier stellen sich nun die Frage, ob Alberto Fernández tatsächlich regieren wird. Cristina Fernández de Kirchner hat im Wissen um ihre Umstrittenheit Alberto Fernández die Protagonistenrolle im Wahlkampf überlassen. Ob sie ihm diese auch nach dem Wahlsieg zugestehen wird, kann erst mit Sicherheit gesagt werden, wenn im Dezember die neue Regierung die Amtsgeschäfte übernehmen wird. 45 Prozent der Argentinier sind der Meinung, Kirchner benutze Fernández lediglich als Marionette, um im Hintergrund die Fäden zu ziehen.

Gouverneurswahlen

Die amtierende Gouverneurin der Provinz Buenos Aires, María Eugenia Vidal (Juntos por el Cambio), erhielt bei den Gouverneurswahlen lediglich 38,39 Prozent der Stimmen. Axel Kicillof, Kandidat der Opposition (Frente de Todos) und ehemaliger Wirtschaftsminister unter Cristina Fernández de Kirchner, kam hingegen auf 52,29 Prozent der Stimmen.

Die Provinz Catamarca wird künftig von Raúl Jalil (Frente de Todos) regiert werden. Jalil konnte sich bei den Gouverneurswahlen deutlich gegen seinen Kontrahenten Roberto Gómez (Juntos por el Cambio) durchsetzen. Jalil erhielt 60,41 Prozent, Gómez nur 33,47 Prozent der Stimmen.

Neben den schlechten Ergebnissen auf nationaler und provinzieller Ebene konnte die Allianz des amtierenden Präsidenten Macri jedoch auch einen Sieg verzeichnen. Der aktuelle Regierungschef der Autonomen Stadt Buenos Aires, Horacio Rodríguez Larreta (Juntos por el Cambio), wurde in seinem Amt bestätigt. Er kam auf 55,90 Prozent der Stimmen und lag somit gut 20 Prozentpunkte vor dem Kandidaten der Opposition, Matías Lammens (Frente de Todos, 35,07 Prozent der Stimmen).

Zu sehen sind Aushänge mit den Kandidaten der verschiedenen Parteien, die ein Mann in Jeans und blauem Hemd intensiv studiert

Im Dezember wird die neue Regierung unter Alberto Fernández ihre Arbeit aufnehmen. Dann wird sich zeigen, welche Rolle Cristina Fernández de Kirchner wieder in der Politik spielen wird

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Senats-, Unterhaus- und Bürgermeisterwahlen

Die Wahlen zur Cámara de Diputados (Unterhauswahlen) fanden in allen 24 Provinzen, die Wahlen zum Senat dagegen nur in acht Provinzen statt (Ciudad Autónoma de Buenos Aires, Chaco, Entre Ríos, Neuquén, Río Negro, Salta, Santiago del Estero und Tierra del Fuego). Jede Provinz entsendet drei Senatoren, wobei die siegreiche Partei zwei Sitze und die zweitplatzierte Partei einen Sitz erhält.

Bei den Senatswahlen konnte sich Frente de Todos (45,91 Prozent der Stimmen) gegen Juntos por el Cambio (39,30 Prozent der Stimmen) durchsetzen. Gleiches war bei den Unterhauswahlen (Diputados) der Fall (Frente de Todos: 45,11 Prozent der Stimmen; Juntos por el Cambio: 40,44 Prozent der Stimmen).

Bei der Wahl der Intendentes (Bürgermeister) der 135 Partidos (Municipios) der Provinz Buenos Aires zeigte sich ein ähnliches Bild: Auf Frente de Todos entfielen 51,17 Prozent und auf Juntos por el Cambio 38,31 Prozent der Stimmen.

Der Senat (insgesamt 72 Sitze) wird sich ab dem 10. Dezember wie folgt zusammensetzen: Frente de Todos 37 Sitze (bisher 31), Juntos por el Cambio 29 Sitze (bisher 29), Peronismo no Kirchnerismo zwei Sitze (bisher zwei), Tercera Vía einen Sitz (bisher drei) und Andere (Otros) drei Sitze (bisher sieben). Frente de Todos wird folglich die absolute Mehrheit innehaben.

Im 257 Sitze umfassenden Unterhaus werden ab dem 10. Dezember Frente de Todos mit 120 Abgeordneten (bisher 111), Juntos por el Cambio mit 119 Abgeordneten (bisher 109), Peronismo no Kirchnerismo mit fünf Abgeordneten (bisher 10), Tercera Vía mit vier Abgeordneten (bisher sechs), Izquierda mit zwei Abgeordneten (bisher drei) und Andere (Otros) mit sieben Abgeordneten (bisher 18) vertreten sein. Die beiden Wahlbündnisse Frente de Todos und Juntos por el Cambio sind so gut wie gleichauf, kein Wahlbündnis wird über die absolute Mehrheit verfügen. Alberto Fernández wird sich mithin seine Mehrheiten suchen müssen.

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