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Vorbild Estland
Musterland der Digitalisierung

Autorin/Autor: Tobias J. Koch

Die Verwaltung im 21. Jahrhundert kann nur digital sein, das zeigt Estland und gibt damit weiterhin die Richtung vor, die in Deutschland wie auch in der Europäischen Union konsequent eingehalten werden muss.

 

Bauarbeiter verlegen Leerrohre für den Glasfaserausbau.

Bauarbeiter verlegen Leerrohre für den Glasfaserausbau.

© Rainer Weisflog/Imago

„Estonia has become a model for how citizens can interact with their government in the 21st century.” 

Barack Obama während einer Pressekonferenz in Tallinn am 3. September 2014

 

Barack Obama zeigte sich im Jahr 2014 begeistert vom damaligen Digitalisierungsstand der öffentlichen Verwaltung in Estland. Seitdem ist viel passiert und die Welt hat gelernt, wie abhängig und auch gleichzeitig angewiesen man auf digitale Infrastruktur ist. Estland zeigt dabei eindrucksvoll, dass Verwaltungsdienstleistungen und Digitalkompetenzen kontinuierlich weiterentwickelt werden müssen. Ohne grundlegende digitalpolitische Agenda, Bildungsoffensiven und moderne Infrastrukturen verlieren Staaten nicht nur Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Möglichkeiten, die komplexen Verhältnisse und Abhängigkeiten in unserer rasanten Welt zu steuern und zum eigenen Vorteil zu nutzen. Das bedeutet, dass unsere heutigen Diskussionen über politische Prioritäten und die Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels per se Diskussionen und Verhandlungsprozesse über den digitalen Wandel sind. 

 

Wie ist Estland in diese Position gelangt?

Estland schuf in den späten 1990er-Jahren klare Fakten. Das Estnische Parlament verabschiedete 1998 die sogenannten „Prinzipien der Estnischen Informationsgesellschaft“ und etablierte somit quasi einen digitalen sozialen Vertrag. Dieser zeigte auf, dass die Volksvertreterinnen und Volksvertreter mit Hilfe von Informationstechnologie Estlands Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstandswachstum beschleunigen wollten. Mit diesen Prinzipien gingen zudem massive IT-Schulungen von Erwerbstätigen im Rahmen der Tigersprung-Initiative und zahlreiche IT-Projekte einher, die die Grundsteine für den digitalen Staat legen sollten.

 

„Estland hat 99 Prozent der öffentlichen Verwaltungsleistungen digitalisiert.“

 

Zu jenen Grundsteinen gehören nach wie vor die estnische digitale Identität wie auch die Interoperabilitätsplattform X-Road. Jene unverhandelbaren Standards lösen in Estland seit über 20 Jahren, kontinuierlich weiterentwickelt, jene Kopfschmerzen, mit denen sich viele andere öffentliche Verwaltungen weltweit plagen: verlässliche und einfache Schnittstellen für die fragmentierten Zuständigkeiten in der öffentlichen Verwaltung. Dank dieses starken Fundaments hat sich Estland sein digitales Haus bauen und 99 Prozent der öffentlichen Verwaltungsleistungen digitalisieren können. Zudem baut auch die Privatwirtschaft auf jene beiden Standards. 

Der sich wandelnde Trend

„Der Schwerpunkt in Estland liegt auf der Bereitstellung von pro-aktiven Verwaltungsleistungen und die Ansprüche auf Leistungen werden quasi automatisch und in möglichst wenigen Interaktionen bearbeitet.“

 

Sowohl in den sozialen Medien als auch in der Entertainment-Industrie ist es üblich, dass Inhalte an die persönlichen Vorlieben angepasst werden. Verwaltungsdienstleistungen sind in der Regel „one-size-fits-all“, doch die kontinuierliche Weiterentwicklung von IT-Systemen und insbesondere der Nutzung von Schnittstellen zum Wiederverwenden von Daten über Behörden- und Zuständigkeitsbegrenzungen hinweg stellt den nächsten kritischen Entwicklungssprung dar. Der Schwerpunkt in Estland liegt seit einigen Jahren auf der Bereitstellung von pro-aktiven Verwaltungsleistungen. Die Ansprüche auf Leistungen werden quasi automatisch und in möglichst wenigen Interaktionen bearbeitet. Hierzu ein Beispiel: Die Geburt eines Kindes ist gleichbedeutend mit einem Anspruch auf Kindergeld beziehungsweise Elternzeitleistungen. In Estland erhält man beides ohne Antrag.

Chip mit der Fahne von Estand: Estland gilt als "digitale Vorzeigenation". Der baltische Staat hat frühzeitig auf digitale Technologien gesetzt und viele innovative Lösungen entwickelt, die weltweit als Best Practices gelten.

Chip mit der Fahne von Estand: Estland gilt als "digitale Vorzeigenation". Der baltische Staat hat frühzeitig auf digitale Technologien gesetzt und viele innovative Lösungen entwickelt, die weltweit als Best Practices gelten.

© Roman/Adobe Stock

Bedarfsgerechte Unterstützungen?

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt und der Einzug der Algorithmisierung sorgt in Estland für eine Diskussion über sogenannte bedarfsgerechte staatliche Unterstützungsleistungen. Anhand der Integration von verschiedenen Datensätzen wäre es grundsätzlich möglich, staatliche Leistungen auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger persönlich zuzuschneiden und anzupassen. Dies könnte, derzeit noch in der Theorie, zur effektiveren Nutzung von Ressourcen führen und den Staat zielgerichteter aktiv werden lassen. Die Knackpunkte liegen hier mit Sicherheit bei den Themen Transparenz, Datenschutz, aber auch dem Verhältnis von Investition und Nutzen. 

Ein solches Vorgehen setzt zudem voraus, dass die Verwaltungsprozesse Ende-zu-Ende und als Ganzes gedacht werden. Berücksichtigt muss aber auch werden, dass die Grenzen zwischen Zuständigkeiten nicht verschwimmen und das Vertrauen in und die Verantwortlichkeit staatlichen Handelns nachhaltig gestaltet sind. Genau zu diesen Fragestellungen müssen Volksvertreter wie auch Bürger digitaler Gesellschaften heute Stellung beziehen, damit das Potenzial von Technologien gerecht und transparent genutzt wird. 

 

Der vorliegende Artikel ist unserem Magazin politicus entnommen, der demnächst erscheint.

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