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Namibia
Parlaments- und Präsidentschaftswahlen

Autor: Dr. Clemens von Doderer

Der amtierende namibische Präsident Hage Geingob bleibt weiterhin im Amt, obwohl er an Zustimmung verloren hat. Ebenfalls Verluste musste die SWAPO-Parte hinnehmen, die keine Zweidrittelmehrheit erhielt. Nun will die Opposition das Wahlergebnis anfechten, sie vermutet Wahlbetrug.

• Die Wahlen
• Die Fishrot-Affäre
• Das Wahlergebnis

Überschattet von erheblichen technischen und logistischen Problemen fanden am Mittwoch, den 27. November 2019, in Namibia die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Dem (vorläufigen) Endergebnis zufolge hat die regierende SWAPO-Partei mit 63 von 104 Parlamentssitzen eine Zweidrittelmehrheit knapp verpasst (65,45 Prozent) und damit erhebliche Verluste eingefahren. Deutliche Gewinne konnte die oppositionelle PDM (Popular Democratic Movement, vormals DTA: 16,65 Prozent) und die LPM (Landless People Movement: 4,75 Prozent) verzeichnen. Auch der SWAPO-Präsidentschaftskandidat und derzeitige namibische Präsident, Dr. Hage Geingob, hat massiv an Zustimmung verloren. Waren es bei den letzten Wahlen in 2014 noch mehr als 92 Prozent, erhielt er nun 56,25 Prozent. Sein stärkster Herausforderer, der unabhängige Kandidat, Panduleni Itula erreichte aus dem Stand 30,16 Prozent. Aufgrund der einfachen Mehrheit bleibt Geingob für weitere fünf Jahre im Amt. Die Opposition stellt das Wahlergebnis in Frage und geht gerichtlich dagegen vor, da sie von Wahlmanipulation und -fälschung ausgeht. Beobachter bezweifeln jedoch Chancen auf einen Erfolg.

Zur Info: Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2014
Die vorherigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Namibia fanden 2014 statt. Damals waren 1,24 Millionen Namibier zur Wahl aufgerufen. Am Wahltag gaben etwa 891.000 (72 Prozent) Ihre Stimme ab. Der Spitzenkandidat der SWAPO (South West Africa People’s Organisation) Partei, Dr.Hage Geingob, gewann die Präsidentschaftswahlen mit annähernd 92 Prozent. 77 der insgesamt 104 Sitze im Parlament gingen ebenfalls an die SWAPO-Partei (85 Prozent). Die nächststärkste Democratic Turnhalle Alliance (DTA) konnte fünf Sitze für sich erlangen (4,8 Prozent). Knapp 5 Prozent der Wähler gaben dem DTA-Spitzenkandidat, McHenry Venaani, ihre Stimme.

In einer kargen namibischen Landschaft stehen viele wartende Menschen neben hellen flachen Gebäuden vor denen einige niedrige Bäume wachsen. Sie wollen zur Wahl gegen und ihre Stimme abgeben.

Nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Namibia bleibt der bisherige Präsident Hage Geingob im Amt. Die Wahlbeteiligung lag bei 60 Prozent

HSS/Namibia

Die Wahlen

Etwa 1,36 Millionen Namibier, die sich für die Wahlen registriert hatten, waren aufgerufen ihre Stimme abzugeben. An landesweit 4.241 Wahlstationen konnten sich die registrierten Namibier zwischen 15 Parteien und 11 Präsidentschaftskandidaten entscheiden.

Während die Wahlkommission drei Tage nach den Wahlen, nur die vorläufigen Wahlergebnisse verkündet hatte, stehen acht Tage nach den Wahlen, die Ergebnisse mehr oder weniger fest. Waren es vor fünf Jahren noch etwa 891.000 Wähler, so gaben nun etwa 820.000 ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung ist von 72 Prozent bei den vorherigen Wahlen auf etwas mehr als 60 Prozent gefallen. Dies ist deswegen bemerkenswert, da es auch nach 21 Uhr, dem offiziellen Zeitpunkt, an dem die Wahllokale hätten geschlossen werden müssen, noch lange Warteschlangen gab. Berichten internationaler und lokaler Wahlbeobachter zufolge mussten die Wähler lange Wartezeiten (teilweise fünf bis sieben Stunden) auch in praller Sonne in Kauf nehmen. Eine Reihe von Wahllokalen war aufgrund des großen Andrangs bis weit nach Mitternacht (vereinzelt sogar bis fünf Uhr morgens) geöffnet.

Bis vor wenigen Monaten rechnete man allgemein damit, dass die seit der Unabhängigkeit (1990) alleinregierende SWAPO auch diese Wahlen mit deutlichem Abstand gewinnen würde. Die Opposition gilt als zersplittert und schwach, so dass der Präsident trotz erheblicher, auch innerparteilicher Kritik mit einem Sieg rechnen konnte.

Kurz vor den Wahlen sahen verschiedene Prognosen ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen dem Präsidenten und Spitzenkandidaten der Regierungspartei, Dr. Hage Geingob, und dem parteiunabhängigen Kandidaten, Dr. Panduleni Itula. Gleichwohl letztgenannter ebenfalls Mitglied der SWAPO-Partei ist, trat er als unabhängiger Kandidat an und wurde damit zur direkten Konkurrenz des Amtsinhabers. Insbesondere bei der Jugend, etwa 60 Prozent der Bevölkerung, galt der Herausforderer als beliebt und als Alternative zum bisherigen Establishment. Darüber hinaus gehört dieser der größten Volksgruppe, den Owambo, an. Diese stellen etwa 50 Prozent der Bevölkerung. Der Präsident gehört zur Gruppe der Damara, zu denen nur sieben Prozent der Bevölkerung gehören.

Die Fishrot-Affäre

Unerwartete Hilfe erhielt die Opposition und der unabhängige Herausforderer durch die Online-Plattform WikiLeaks, die am 12. November damit begann, tausende Dokumente und Korrespondenzen zum sogenannten Fishrot Scandal zu veröffentlichen. Laut den Unterlagen wurden in den vergangenen vier Jahren eine Reihe von hochrangigen namibischen Politikern und Regierungsvertretern von Mitarbeitern der isländischen Firma Samherji, einem der größten Player in Islands Fischindustrie, mit etwa zehn Millionen Euro bestochen. Ziel war es, hochbegehrte Fischfangquoten zu erhalten. Infolge von Medienberichten und des öffentlichen Drucks stellten sowohl der Justizminister, Sakeus „Sacky“ Shanghala, und der Fischereiminister, Bernard Esau, Ihre Ämter umgehend zur Verfügung. Laut der Tageszeitung The Namibian könnte der Skandal insgesamt ein Bestechungsvolumen von etwa 153 Millionen Euro betragen und eine Reihe von weiteren Politikern und Wirtschaftsvertretern ihre Jobs kosten.

Auch die Investigativ-Abteilung des TV-Senders Aljazeera nahm sich dieses Themas an, nutzte die Wikileaks-Dokumente, und machte heimlich Video-Aufnahmen, die belegen, wie Vertreter der namibischen Regierung Bestechungsgelder annehmen, um ausländischen Firmen die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zu ermöglichen. Dieser Bericht wurde jedoch erst nach den Wahlen ausgestrahlt. Wie es heißt, wollte man eine Beeinflussung der Wahlen vermeiden.

 

Aktuelle Rahmenbedingungen
Seit den letzten Wahlen haben sich eine Vielzahl der Rahmendaten für Namibia verschlechtert. Seit mehr als drei Jahren befindet sich Namibia in einer Rezession. Der Staat ist aus Sicht der wichtigsten Ökonomen mehr oder minder pleite. Wichtige und zugleich schmerzhafte Entscheidungen werden von der Regierung vermieden. Wären etwa 35.000 bis 45.000 Staatsangestellte notwendig, um die staatliche Ordnung und Verwaltung sicherzustellen, sind es aktuell mehr als 110.000, die ihr Gehalt vom Staat empfangen. Mehr als 50 Prozent der operativen Ausgaben des Staates sind Personalausgaben. Die Staatsschulden sind um das 1,5-Fache größer als der Staatshaushalt von 2019/20. Gesetzesvorhaben wie das New Equitable Economic Empowerment Framework (NEEEF), das seit mehr als vier Jahren im Gespräch ist oder der Namibia Investment Promotion Act, tragen im erheblichen Maße zur Verunsicherung von in- und ausländischen Investoren bei. Auch deswegen verwundert es nicht, dass die Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit Namibias nahe am Ramschstatus sehen.

Nach einer Reihe von sehr trockenen Jahren gilt die aktuelle Dürre als die schlimmste der letzten 90 Jahre. Während viele kommerzielle Farmen ihren Betrieb einstellen müssen, sind insbesondere im Norden des Landes eine Vielzahl der Menschen in ihrer Existenz bedroht. Etwa 60 Prozent der Bevölkerung hängen direkt oder indirekt von der Subsistenzwirtschaft ab. Mehr als 80 Prozent aller kommerziell erhältlichen Lebensmittel müssen importiert werden.

Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit (über 50 Prozent) sowie die grundlegende Versorgung mit sauberem Trinkwasser, Strom und Wohnraum sowie zunehmende Korruption und Misswirtschaft gelten als zentrale Herausforderungen. Damit einher geht auch die soziale Ungleichheit, d.h. die Schere zwischen arm und reich. Im Jahr 2018 lag der Gini-Koeffizient für Namibia bei 55 Prozent. Aber in den letzten Jahren gibt es auch positive Entwicklungen.

Vor einem flachen Gebäude in Namibia steht eine lange Schlange von wartenden Menschen, die zur Wahl gehen

Namibia befindet sich in einer Rezession und leidet außerdem unter einer heftigen Dürre. Das Land steht vor großen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen

HSS/Namibia

Das Wahlergebnis

Zum zweiten Mal überhaupt in Namibia wurden bei den Wahlen elektronische Wahlmaschinen (EVMs) eingesetzt. Insbesondere bei der Opposition gelten diese als nicht unumstritten, da der Verdacht im Raum steht, dass die aus Indien stammende Technologie mit relativ einfachen Mitteln manipuliert werden könne. Bereits nach den letzten Wahlen forderte die Opposition einen sogenannten paper trail, einen schriftlichen Nachweis über die abgegebenen Stimmen, um so dem Vorwurf eines möglichen Wahlbetruges nachgehen zu können. Anfängliche Zusagen, die elektronischen Wahlmaschinen entsprechend nachzurüsten, wurden von der namibischen Wahlbehörde mit dem Hinweis auf fehlende finanzielle Ressourcen nicht umgesetzt.

Es ist der Arbeit des Institute for Public Policy Research (IPPR), einem der Projektpartner der HSS in Namibia, zu verdanken, dass sich das Wahlergebnis auch mehr als eine Woche nach den Wahlen noch mal verändert hat. Mitarbeiter des IPPR haben im Rahmen des von der HSS finanzierten Namibia Fact Check Programms sich die Ergebnisse in den einzelnen Wahlbezirken angesehen und dabei festgestellt, dass einzelne Ergebnisse falsch in die Datenbank der Wahlkommission übertragen wurden. Itula, der stärkste Herausforderer um das höchste Amt im Land konnte so sein Ergebnis auf über 30 Prozent verbessern. Laut vorläufigem Endergebnis war er noch bei 29,74 Prozent gelegen.

Politische Analysten vor Ort bewerten die Wahlen als Wendepunkt für die demokratische Entwicklung Namibias. In welche Richtung sich das Land entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Das teilweise geringe Vertrauen in die Regierung habe sich aufgrund der aufgedeckten Korruptionsfälle in Misstrauen gewandelt. Eine frühere Ausstrahlung des o.g. TV-Berichts hätte laut Beobachtern das Ergebnis für die regierende SWAPO und ihren Präsidenten noch geringer ausfallen lassen und womöglich zu einer Stichwahl um das Präsidentenamt geführt. Die stark verzögerte Veröffentlichung der Wahlergebnisse habe zudem den Verdacht genährt, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen sei und somit das Misstrauen verstärkt.

Bereits am Tag vor den Wahlen wurde das Militär in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Mit Besorgnis wurde wahrgenommen, dass sich die militärische Führung fünf Tage nach den Wahlen mit einer versteckten Drohung zu Wort gemeldet hatte. In einer Presseerklärung wurde auf teils hitzige Debatten und Gewaltaufrufe in den sozialen Medien hingewiesen. Würde es zu Unruhen kommen, wäre man bereit, diese niederzuschlagen und für Ruhe zu sorgen. Welche Rolle das Militär im weiteren Verlauf spielen wird, bleibt abzuwarten.

Fragen bleiben offen

Auch bleibt die Frage, ob es der Opposition gelingen wird, stichhaltige Beweise zu sammeln, die den Verdacht der Wahlmanipulation erhärten. Welchen Einfluss hätten diese auf das Wahlergebnis? Wie würden Namibias Gerichte damit umgehen? Sind diese unabhängig genug und mit genügend finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet, um den derzeitigen Kampf um die Macht als Schiedsrichter zu entscheiden? Würde die machtgewohnte SWAPO ein entsprechendes Urteil akzeptieren?

Sollte das Wahlergebnis Bestand haben, wie wird die Opposition damit umgehen? Wie wird sich die Debattenkultur im Tintenpalast, dem namibischen Parlament, entwickeln? Wie geht die Regierungspartei mit dem Verlust der Zwei-Drittel-Mehrheit um?

Was passiert mit den unter Korruptionsverdacht stehenden Politikern des Landes? Inzwischen richtet sich der Blick auch auf andere Wirtschaftssektoren (z.B. Bergbau). Werden sie die Härte des Gesetzes erfahren, oder sich mit Hilfe ihres zweifelhaften Reichtums und teurer Anwälte einer Verurteilung entziehen? Sind namibische Gerichte, Polizei und die Anti-Korruptionsbehörde überhaupt in der Lage entsprechenden Verdachtsmomenten adäquat nachzugehen?

Kurz, wird Namibia sich auf den Weg machen, um eine echte Demokratie zu werden, oder das Schicksal so vieler anderer Afrikanischer Länder teilen?

Afrika südlich der Sahara
Klaus Liepert
Leiter
Namibia
Dr. Clemens von Doderer
Projektleitung