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Regionalwahlen in den Niederlanden
Rechts wählen, links regieren

Die Vier-Parteien-Regierung der Niederlande erlitt bei einem wichtigen Stimmungstest eine Niederlage. Bei den Provinzwahlen im März stärkten die Wähler die oppositionellen Grünen und das europaskeptische und nationalkonservative „Forum für Demokratie“, das zum ersten Mal antrat und auf Anhieb das beste Ergebnis aller Parteien erzielte. Aber obwohl rechtspopulistische Parteien aus der Wahl gestärkt hervorgehen, wird die Politik nach links rücken.

Die Wahlen in den zwölf niederländischen Provinzen haben Auswirkungen auf die nationale Politik, denn alle regionalen Mandatsträger wählen Ende Mai die Abgeordneten der 1. Kammer. Dieses Gremium muss wichtigen Gesetzen auf nationaler Ebene zustimmen. Nun verlor dort die Regierungskoalition, die sich aus vier weltanschaulich unterschiedlichen Parteien zusammensetzt, ihre Mehrheit.

Info:

Bei einer ohnehin zersplitterten Zusammensetzung der 1. Kammer besetzt das rechtspopulistische „Form für Demokratie“ (FvD) um den 36-jährigen Thierry Baudet zukünftig 13 von 75 Mandaten bei einem Wahlergebnis von 14,4%. Die rechtsliberale VVD von Regierungschef Mark Rutte verliert einen Sitz und entsendet zukünftig zwölf Vertreter (13,9%). Zwei der weiteren drei Regierungsparteien verzeichneten schmerzliche Einbußen: Die Christdemokraten (CDA) rutschen von bisher zwölf auf nunmehr neun Mandate ab (11,0%), die linksliberale D66 von zehn auf sechs. Im Gegenzug legen die oppositionellen Grünen von vier auf neun Sitze zu (10,7%). Die PVV des Rechtspopulisten Gert Wilders verfügt nur noch über vier statt wie bisher über neun Abgeordnete in der 1. Kammer (6,9%). Die vierte Regierungspartei, die ChristenUnie, legte von drei auf vier Sitze zu. Die oppositionelle „Sozialistische Partei“ büßt von bis dato neun Abgeordneten fünf ein, das heißt mehr als die Hälfte. Die Wahlbeteiligung stieg von knapp 48 Prozent auf 56 Prozent.

Obwohl die beiden Rechtspopulisten Thierry Baudet und Gert Wilders zusammen 17 der 75 Mandate erringen konnte, hat dieses Wählerverhalten für politischen Entscheidungen in der Praxis voraussichtlich wenig inhaltliche Konsequenzen. Der Regierungskoalition fehlen in der 1. Kammer zur Mehrheit jetzt sieben Sitze, und es ist wahrscheinlich, dass Regierungschef Mark Rutte auf die Grünen oder die sozialdemokratische „Partei von der Arbeit“ (PVdA), die nun über sieben Sitze statt bisher acht verfügt, zugehen wird. Obwohl die Wähler rechtspopulistische Kräfte gestärkt haben, dürfte die Politik in den Niederlanden also stärker nach links rücken.

Dies könnte allerdings zur Folge haben, dass Kräfte am rechten Rand weiter zulegen, insbesondere das „Forum für Demokratie“. Dessen Vorsitzender Thierry Baudet gibt sich als Lebemann, vermeidet inhaltliche Debatten und punktet bei der Bevölkerung mit Tiraden gegen die etablierten politischen Parteien. Mit seiner Protest-Rhetorik spricht er bereitere Kreise an als Gert Wilders. Dieser präsentiert sich bis heute im Wesentlichen als Anti-Islam-Politiker im Stile eines Wutbürgers. Anscheinend kommt dieses forsche Auftreten bei der Bevölkerung inzwischen weniger gut an. Im Gegensatz dazu provoziert Baudet, der Abgeordneter der 2. Kammer ist, auf eine entspannte Weise und mit einem Schuss Wortwitz.

Keine Bewegung von unten

Während Wilders bis heute eine Ein-Mann-Partei führt, steht Baudet an der Spitze des „Forums für Demokratie“ mit annähernd 25.000 Mitgliedern, die wohlgemerkt alle einen Beitrag entrichten. Damit hat diese Partei mehr Mitglieder als die VVD von Premierminister Mark Rutte. Nur die CDA ist mit 45.000 Mitglieder noch größer.

Mit Blick auf die Provinzwahlen fällt auf, dass das FvD trotz dieser hohen Mitgliederzahl die Listen in den zwölf Regionen teilweise mit denselben Kandidaten besetzte. In den Niederlanden ist dies im Gegensatz zu Deutschland möglich, da das passive Wahlrecht nicht an den Wohnort gebunden ist. Der Grund könnte darin bestehen, dass Baudet nur solche Personen akzeptierte, denen er persönlich vertraut. Jedenfalls hatten er und ein sehr enger Beraterkreis in der Vergangenheit um die 2.000 Lebensläufe von Parteimitgliedern geprüft. Dieses Vorgehen zeigt, dass es sich nicht um eine Bewegung „von unten“ handelt. Bekannt ist zudem Baudets autoritärer Führungsstil. Abweichende Meinungen unterbindet er, innerparteiliche Kritiker ruft er konsequent zur Ordnung. Eine Parteiarbeit findet in eingeschränkter Form statt, ohne Parteitage mit inhaltlichen Debatten. Vereinzelt haben Mitglieder die erst 2015 gegründete Partei bereits wieder verlassen. Im Wahlkampf organisierte er eine Tour durch die Theater des Landes und versuchte, sich damit einen intellektuellen Anstrich zu geben. Bei seinen Auftritten drehte sich stets alles um seine Reden; Diskussionen oder Fragen aus dem Publikum waren nicht zugelassen. Trotzdem gelang es ihm, die Säle zu füllen, was Politikern anderer Parteien sehr schwer fiel.

Baudets politische Äußerungen lassen aufhorchen. Er sieht Europa als Zivilisation am Abgrund. Am Wahlabend beschwor er zunächst den Untergang, bevor er dann die Hoffnungen für die Zukunft auf ein „borelaes“ (nordisches) Europa stützte. Seine Rundumschläge richten sich gegen alle etablierten politischen Kräfte – und das, obwohl sich Baudet selbst elitär gibt, seine Vorliebe für klassische Musik unterstreicht und seine Antrittsrede im niederländischen Parlament auf Latein begann. Mit diesem „Gesamtpaket“ gelang es ihm, ganz unterschiedliche Bevölkerungsschichten anzusprechen, das heißt sowohl universitäre Kreise als auch die Arbeiterschaft. Thematisch wendet sich Baudet insbesondere gegen die Europäische Union, die er hasst, und gegen die niederländische Klima- und Migrationspolitik.

Wer etwas ändern will, wählt Baudet

Sicherlich müssen sich die etablierten Parteien der Frage stellen, ob Baudet die Stimmung richtig eingeschätzt hat. Eventuell fehlen einem bemerkenswerten Teil der Bevölkerung sichtbare Unterschiede zwischen etablierten Parteien sowohl der Regierung als auch der Opposition. Diese Menschen haben die Schlussfolgerung gezogen: „Wer die Politik ändern möchte, muss Baudet wählen.“ Ihm spielte die weltanschaulich sehr diverse Vier-Parteien-Regierung in die Hände, welche die Konturen ihrer Mitglieder zwangsläufig verwässert. Dass Ministerpräsident Mark Rutte mit persönlichem Verhandlungsgeschick die politische Stabilität bis dato erfolgreich sichert, honorierten die Wähler nicht. Zudem deutet das Wahlergebnis darauf hin, dass zahlreiche Wähler mit der Arbeit der Opposition unzufrieden sind: Die Sozialistische Partei, die fundamentale Kritik am Kapitalismus äußert, verlor mehr als die Hälfte ihrer Sitze (statt wie bisher neun nur noch vier), das heißt sie konnte das Protestpotential nicht mehr binden. Es ist möglich, dass die Wähler diese Partei bei den wesentlichen Themen als zu unkritisch gegenüber der Regierung empfanden. Für sie stand eher der Protest im Mittelpunkt, auch oder gerade gegen die Klimapolitik, die unmittelbar vor dem Wahltag intensiv im Parlament diskutiert worden war. Verfolgt die Regierung auf diesem Feld noch ambitioniertere Ziele und ohne Rücksicht auf soziale Aspekte, könnte dies das Protestpotential weiter vergrößern. Damit dies nicht passiert, müssen etablierte Kräfte die Kritik der Bevölkerung aufgreifen.

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter