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Rechtspopulisten geschlagen
Regierungschef Rutte gewinnt Parlamentswahlen in den Niederlanden

„Fest der Demokratie“ statt „Nexit“: Der niederländische Regierungschef Mark Rutte und seine liberal-konservative „Volkspartij voor Vrijheid en Democratie“ (VVD) haben die Parlamentswahlen in den Niederlanden trotz geringer Einbußen deutlich gewonnen. Die „Partij voor de Vrijheid“ (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wildersʼ, der im Wahlkampf eine „Ent-Islamisierung“ und einen „Nexit“ (Austritt der Niederlande aus der EU) propagiert hatte, liegt trotz Zugewinnen klar hinter der VVD. (Noch zu Jahresbeginn hatte die rechtspopulistische PVV in den Meinungsumfragen an der Spitze gelegen).

Niederländische Flagge weht im Wind

Thomas Reiner; HSS

Ungeachtet des Erfolges der Regierungspartei von Ministerpräsident Rutte kann die bisherige Koalition aus VVD und Sozialdemokraten („Partij van de Arbeid“ - PvdA) nicht fortgeführt werden, zumal die Arbeiterpartei regelrecht abstürzte. Zu den großen Gewinnern der Wahlen zählen die niederländischen Grünen („GroenLinks“), die die Zahl ihrer Sitze im Vergleich zu den Wahlen von 2012 vervierfachen konnten.

Was die Regierungsbildung in Den Haag anbetrifft, so gilt eine dritte Amtszeit für Mark Rutte, der noch am Wahlabend von einem „Fest für die Demokratie“ sprach, als höchst wahrscheinlich. Da die Niederlande keine der deutschen 5-Prozent-Hürde vergleichbare Sperrklausel kennen und viele der 28 Bewerber-Parteien in die 150 Sitze umfassende „Zweite Kammer der General-Staaten“ einziehen, sind schwierige und langwierige Koalitionsgespräche zu erwarten, die sich über Wochen oder sogar Monate hinziehen können. Als Ausgang ist mit einer Regierung von etwa vier oder fünf Koalitionspartnern zu rechnen. Auszuschließen ist, dass Wilders mitregieren kann, zumal eine Koalition mit den Rechtspopulisten von fast allen anderen Parteien bereits im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen worden war.

Weshalb sich die Niederländer für Rutte entschieden haben

Zu den Gründen dafür, dass in der direkten Auseinandersetzung zwischen Rutte und seinem Herausforderer Wilders der Regierungschef klar gewann und die Mehrheit der wahlberechtigten Niederländer (bei einer außergewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von über 80 Prozent) Nein zu einer „falschen Form von Populismus“ (Zitat Rutte) sagten, zählen neben den persönlichen Sympathiewerten und insgesamt sehr guten Wirtschaftsdaten als Bilanz der Regierungsarbeit eine Reihe anderer Faktoren:

  • Weigerung zur Koalition mit Wildersʼ Partei

    Dass Wildersʼ Partei, die wie erwähnt noch zu Jahresbeginn in den Meinungsumfragen geführt hatte, bis zum Wahltag sukzessive abrutschte und beim Urnengang am 15. März schließlich sogar hinter die Regierungspartei VVD zurückfiel, hängt vermutlich zumindest auch mit der offen bekundeten Weigerung fast aller anderen Parteien zusammen, gegebenenfalls mit Wildersʼ Rechtspopulisten zu koalieren. Wer möchte schon seine Stimme einer Partei geben, die nach den Wahlen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht in der Regierung vertreten sein wird?

  • Fehlender Kontakt Wildersʼ zum Volk

    Geert Wilders versteht sich als Nachfolger des Rechtspopulisten Pim Fortuyn, der eine eigene, nach ihm benannte Partei („Lijst Pim Fortuyn“ – Liste Pim Fortuyn – LPF) gegründet hatte und kurz vor den Parlamentswahlen im Mai 2006 von einem radikalen Umweltaktivisten ermordet worden war. Die LPF hatte bei diesen Wahlen auf Anhieb rund 17 Prozent der Stimmen erringen können. Ein grundsätzliches Problem von Wilders, der unter anderem die Schließung von Moscheen und ein Verbot des Koran in den Niederlanden fordert, ist, dass er anders als seinerzeit Pim Fortuyn als „Populist“ nahezu keinen Kontakt mit dem niederländischen Volk hat.

    Sein Bruder Paul sagte dem „Spiegel“, dass (Geert) Wilders „sozial isoliert und entfremdet vom Alltag der Menschen“ sei. Der 53-jährige, der bereits im Jahre 2004 Morddrohungen islamistischer Extremisten erhielt, lebt mit seiner Frau seit über 12 Jahren stark abgeschirmt und bewacht an ständig wechselnden geheimen Orten und ist in der Öffentlichkeit, wenn überhaupt, nur mit einem halben Dutzend Leibwächtern unterwegs. Im Parlamentswahlkampf beschränkte er sich nahezu ausschließlich auf Twitter-Botschaften, statt öffentliche Auftritte und Diskussionsveranstaltungen zu bestreiten.

  • Ruttes Überlegenheit im Hinblick auf die Krise mit der Türkei

    Am Abend des 11. März, vier Tage vor den Parlamentswahlen, traten Ministerpräsident Rutte und PVV-Chef Wilders zum (einzigen) Fernsehduell gegeneinander an, das fast vollständig von der Zuspitzung der Krise mit der Türkei überschattet wurde. (In der Sache ging es um die Frage, ob türkische Regierungsmitglieder in den Niederlanden in öffentlichen Auftritten Wahlkampf für das von Präsident Erdogan angestrengte Verfassungsreferendum machen dürfen.)

    In der Einschätzung nahezu aller professionellen Beobachter schnitt Regierungschef Rutte weitaus besser ab, zumal er kompromisslos erklärte, sich dem Druck Ankaras nicht zu beugen, gleichzeitig aber staatstragend die Fassung behielt. (Rutte hatte wenige Tage zuvor dem türkischen Außenminister Mevlut Çavuşoğlu die Einreise verweigert und die türkische Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya mit Exekutivgewalt daran gehindert, ins türkische Konsulat in Rotterdam zu gelangen.) Gegenüber dem souverän agierenden Premier Rutte wirkte Wilders, der zuvor über Twitter gefordert hatte, den türkischen Botschafter und seinen gesamten Stab auszuweisen, als wolle er die Krise durch weitere Eskalation für seine islamfeindlichen Ziele instrumentalisieren.

  • Regierung hat Handlungsfähigkeit in der Krise mit Ankara bewiesen

    Wenige Tage vor den Wahlen waren noch rund 40 Prozent der wahlberechtigten Niederländer unschlüssig, wem sie ihre Stimme geben würden. Vor diesem Hintergrund erhielt die Zuspitzung der Krise mit Ankara zusätzliche Signifikanz für den Wahlausgang. Krisensituationen sind traditionell „Stunden der Exekutive“, in denen die mediale Aufmerksamkeit noch mehr als sonst auf die Regierung gerichtet ist, deren Mitglieder Handlungsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft demonstrieren können. In diesem Sinne attackierte Mark Rutte seinen Herausforderer Wilders auch in dem bereits erwähnten Fernsehduell mit den Worten: „Das ist der Unterschied: vom Sofa aus twittern oder zu regieren.“ Obwohl es noch keine belastbaren Daten dazu gibt, kann davon ausgegangen werden, dass mit Blick auf den Wahlausgang Rutte von der Zuspitzung der Krise mit Ankara mehr profitierte als Wilders.

Was das Wahlergebnis für die Parteienlandschaft in Europa bedeutet

Europapolitisch und mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in Frankreich im April/Mai 2017 respektive die Bundestagswahlen in Deutschland im September 2017 geht von dem Sieg Mark Ruttes und seiner VVD in den Niederlanden das Signal aus, dass liberal-konservative Politik in der Wählergunst einen hohen Stellenwert genießt, eine undifferenzierte pauschale EU-Kritik keine Bestätigung findet und aggressivem Rechtspopulismus deutliche Grenzen gesetzt sind. Mark Rutte hatte unter Bezug auf die späteren Wahlen in Frankreich und Deutschland den Urnengang in den Niederlanden bewusst als „Viertelfinale“ bezeichnet – ein Viertelfinale, das er erfreulicherweise deutlich für sich entscheiden konnte

Lesen Sie auch den Artikel von Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser in der Mittelbayerischen Zeitung vom 22. März 2017:

Leiterin Akademie für Politik und Zeitgeschehen

Prof. Dr. Diane Robers