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Trumps zweites Impeachment
Verurteilung und Freispruch

Trumps zweiter Impeachment-Prozess wegen Aufrufs zum Umsturz endete schnell und wie erwartet: Politischer Freispruch. Es fand sich keine 2/3 Mehrheit zur Verurteilung, deswegen ist das Verfahren gescheitert. Doch 57 Senatoren, darunter auch sieben Republikaner, sprachen Trump schuldig, genauso wie zuvor schon die Mehrheit im Abgeordneten-Haus.

Die öffentliche Meinung ist gespalten, 56% wollen Trump verurteilt sehen, 44% freigesprochen. Die Zahlen unter Republikanern sind dagegen eindeutig, sie lauten 10% für und 85% gegen das Impeachment. Die GOP tut sich schwer, sich von Trump zu lösen. Zu mächtig ist die MAGA-Bewegung. Trumps Zustimmungswerte in der Gesamtbevölkerung sinken zwar auf niedrige 34%, doch 81% der Republikaner denken positiv über Trump. In diesem Segment der Bevölkerung blühen auch Verschwörungstheorien.

Nye, vor einer USA-Flagge, lächelt in die Kamera

Glenn Nye, Präsident des Center for the Study of the Presidency and Congress (CSPC) in Washington, D.C.

United States Congress; ©0; www.nye.house.gov

Über die Hälfte der Republikaner glaubt nach wie vor an die Lüge vom Wahlbetrug und fast ein Drittel hält den Sturm auf das Kapitol am sechsten Januar für eine Provokation der Linken. Mitch McConnell, Fraktionschef der Republikaner im Senat, ging eine Gratwanderung. Er lehnte eine Verurteilung Trumps ab, da er einen Senatsprozess gegen einen ehemaligen Präsidenten für nicht zulässig halte. Juristisch stuft er die Aktionen Trumps am sechsten Januar für sehr wohl ahndenswert ein. 

Um den Impeachment-Prozess gegen Donald Trump zu verstehen, muss man strukturelle Entwicklungen in der amerikanischen Politik kennen. Es geht um politische Kultur und Polarisierung, um Führungsqualitäten der politischen Elite und um parteiübergreifende Kooperation, um Partei- und Staatsinteressen, in letzter Konsequenz um Gut und Böse in der Politik.

Glenn Nye, Präsident des Center for the Study of the Presidency and Congress (CSPC) in Washington, D.C., analysiert exklusiv für die Hanns-Seidel-Stiftung das jetzt zu Ende gegangene zweite Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump. Nye war US-Diplomat, von 2009 bis 2011 demokratischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus und ist seit 2017 CSPC-Präsident. CSPC ist ein überparteilicher Think Tank in Washington, D.C. Es bildet politische Führungskräfte aus und leistet mit seinen 25 Mitarbeitern Politikberatung zu den großen Themen amerikanischer Innen- und Außenpolitik. Es wurde 1965 von Präsident Dwight D. Eisenhower gegründet.

HSS: Herr Nye, lassen Sie uns einen Blick auf die Geschichte und die verfassungsrechtlichen Wurzeln des Impeachment werfen. Was ist der historische Kontext, was wollten die Gründungsväter Amerikas, ist Impeachment ein politisches oder ein juristisches Verfahren und darf der Kongress einen ehemaligen Präsidenten anklagen?

Glenn Nye: Impeachment ist ein seltenes Instrument in der US-Politik, auch wenn es jetzt gebräuchlicher wird. Lagen zwischen dem ersten und zweiten Impeachment-Verfahren noch 100 Jahre, so zwischen dem zweiten und dritten Prozess 20 Jahre und jetzt zwischen dem dritten und vierten noch ein Jahr. Mit dem Impeachment wollten die Gründungsväter der US-Verfassung dem Kongress ein Mittel in die Hand geben, um zwei Ziele zu erreichen: Erstens sollte man einen Präsidenten des Amtes entheben können, der dem Land Schaden zufügt. Zweitens, Verantwortlichkeit im Amt des Präsidenten gewährleisten. Unsere Gründungsväter etablierten ein System der Gewaltenteilung, von checks and balances, das den Kongress dem Präsidenten gleichstellt. Im Mittel des Impeachment kommt dies zum Ausdruck. Ein Impeachment-Verfahren beinhaltet politische und juristische Aspekte. Letztlich handelt es sich aber um einen politischen Prozess. Der formale Ablauf, dass das Abgeordnetenhaus die Impeachment-Artikel gegen einen Präsidenten formuliert und der Senat den Prozess führt, gipfelt schlußendlich in der Frage, welche Grenzen der Kongress einem Präsidenten setzen will. Die öffentliche Meinung sieht es als einen Prozess gegen die Handlungen einer individuellen Person. Die Einschätzungen sind stark von der Popularität des jeweiligen Präsidenten geprägt. Zum zweiten Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump ist die öffentliche Meinung sehr gespalten. Folglich ist auch die Abstimmung im Senat sehr gespalten. Im Ergebnis schaffte man es nicht, den Präsidenten zu verurteilen. In anderen Worten, Donald Trump wurde für nicht schuldig im Sinne der Anklage befunden. Das hat Bedeutung. Der Senat hat also geurteilt, dass Donald Trumps Handlungen, die in den Ereignissen vom sechsten Januar resultierten, keine Verbrechen sind. Aber man kann auch die andere Perspektive einnehmen. Eine Mehrheit aus beiden Parteien, insgesamt 57 Senatoren, halten fest, dass es ein Verbrechen war.

Welche Perspektive sich geschichtlich durchsetzt, hängt vom subjektiven Maßstab ab. Ich glaube, es setzt sich die mehrheitliche Verurteilung der Handlungen Trumps durch. Das Ergebnis des Impeachment-Verfahrens ist für mich daher historisch. Den wichtigsten Aspekt sehe ich darin, dass auch die Frage des Wahlbetrugs aufgebracht wurde, also ob die Wahlen gestohlen worden waren. Das ist in meinen Augen fast noch wichtiger als die konkreten Handlungen Trumps am 6. Januar, die ja mit der von Trump verbreiteten Legende von Wahlbetrug und Wahlfälschung zusammenhängen. Wenn man eine gesunde Demokratie in Amerika will, muss man der Lüge vom Wahlbetrug entschieden entgegentreten. Ansonsten tritt ein dramatischer Langzeiteffekt ein, der Politik und Gesellschaft lähmt und uns daran hindert, in eine neue Ära aufzubrechen.

HSS: Angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der polarisierten Stimmung im Senat war ein Verfehlen der zwei Drittel-Mehrheit zu erwarten gewesen. War das Impeachment-Verfahren den Aufwand wert? War es mehr als ein symbolischer Akt oder doch eher eine politische Zirkusveranstaltung?

Es lohnt sich, die Maßstäbe an das Verhalten eines Präsidenten zu definieren. Außerdem werden dem amerikanischen Volk Fakten und Wahrheiten zu einem wichtigen Ereignis vermittelt. Der Senat hat dazu mehrheitlich entschieden, auch wenn er unterhalb der zwei Drittel-Schwelle blieb. Aber er hat ein starkes Signal an künftige Präsidenten gesendet, was ein nicht hinzunehmendes Verhalten ist. Das Impeachment-Verfahren hat seinen Wert gezeigt.   

HSS: Was bleibt vom Verfahren: Der Freispruch, der Trumps Ansehen unter seinen Anhängern steigen lässt, oder die Verurteilung durch eine Senatsmehrheit, die Trump zur Rechenschaft ziehen will?

Es ist ein Zeichen derjenigen, die den Präsidenten für verantwortlich halten. Es gibt Amerikaner, und nicht zu wenige, die dieses Zeichen nicht sehen wollen. Sie glauben nicht, dass der Präsident etwas Falsches oder Verbrecherisches tun kann und sie denken, dass der Impeachment-Prozess rein parteipolitisch motiviert ist. Sie lernen nichts aus dem Prozess oder von den Senatoren. Was bedeutet das jetzt für Donald Trump als Akteur der amerikanischern Politik? Wird er stärker oder schwächer? Aus meiner Sicht verringert sich die Chance, dass Donald Trump wieder erfolgreich als Präsidentschaftskandidat antreten kann. Zu viele unabhängige Wähler und liberale Amerikaner sind von Trump verschreckt.
Andererseits hat Trump viele Unterstützer, die seine Politikart und was er sagt und tut, gut finden. Donald Trump wird eine entscheidende Rolle bei parteiinternen Vorwahlen der Republikaner für Senatoren, Haus-Abgeordnete und Gouverneure spielen. Um den Einfluss Trumps zu begreifen, muss man das amerikanische politische System kennen. Wie kann jemand, der nur auf eine Wählerminderheit von 20-30% anziehend wirkt, ein so entscheidender Faktor bei der Wahl von Senatoren oder Abgeordneten sein? Das hängt mit unserem Wahl- und Vorwahlsysten zusammen. Jeder Bundesstaat legt sein eigenes Wahlverfahren fest, auch für Ämter der Bundesebene. Faktisch gibt es in Amerika nur zwei politische Parteien, sie hindern andere Parteien erfolgreich am Aufbrechen des Duopols. Das Wahlsystem sieht in fast allen Bundesstaaten Vorwahlen vor, die zwar vom Steuerzahler bezahlt, aber von den Parteien durchgeführt und kontrolliert werden. Die Wahlbeteiligung in Vorwahlen ist meist gering. Wer daran teilnimmt, gehört zu den radikaleren Teilen der Wähler. Und darin überlappen sich zwei verwandte, längerfristige und miteinander zusammenhängende Krisen der amerikanischen Politik, ohne die man Donald Trump, seinen Wahlsieg 2016 und sein Verhalten nach der Wahlniederlage 2020 nicht verstehen kann. Die eine Krise liegt darin, dass wir durch unser politisches System die politischen Ränder auf beiden Seiten stärken. Wir haben nur zwei Parteien, aber unser Wahlsystem verleiht extremen Kräften mehr Einfluss, als ihnen zahlenmäßig zustände. Mit extrem meine ich nicht diejenigen, die sich besonders eifrig für Politik und Themen engagieren. Das wäre ja begrüßenswert. Als extrem gelten Leute, die Politik als Existenzkampf begreifen, in dem die eine Seite recht hat und die andere Seite das Land zerstört, wenn sie an die Macht kommt. Wir müssen die Dominanz extremer Kräfte dringend in den Griff kriegen.

Die andere Krise ist das tief sitzende Misstrauen gegen das Regierungssystem. Aus der Überzeugung, „das System ist gescheitert, Washington ist dysfunktional“ speist sich die populistische Welle. Daran mag etwas Wahres sein, aber es erlaubt populistischen Politikern, politische Verantwortung von sich zu weisen, wenn sie im Amt sind. Das trifft nicht nur auf Donald Trump zu, aber Donald Trump hat es auf die Spitze getrieben und auf eine neue, präsidentielle Ebene gehoben. Die Frage „Bleibt Donald Trump in der Politik?“ ist für mich nachrangig. Wichtiger ist, ob die doppelte Krise anhält, die Macht der politischen Ränder und die Vertrauenskrise in die politischen Institutionen. Wenn ja, werden sich unsere Probleme wiederholen. Wenn wir die Krisen meistern, wird sich amerikanische Politik wieder in vernünftigeren Bahnen bewegen. Sind wir auf dem richtigen oder falschen Weg? Ich sehe gewisse Silberstreifen am Horizont. Einige Bundesstaaten brachten Änderungen am Wahlsystem auf den Weg, die die politische Mitte stärken. Aber es geht langsam voran und wir sind in einer gefährlichen Lage. Joe Biden als Präsident und Mitch McConnell als Fraktionschef der Republikaner im Senat sind Politiker mit höchstem Respekt vor Institutionen. Für den Augenblick kann sich die Lage auf der obersten politischen Ebene beruhigen, aber das ist wohl nur vorübergehend. Wir können uns kein politisches System leisten, das von einem, zwei oder drei Politikern mit Verantwortungsbewusstsein abhängt. Wir müssen vielmehr eine Grundlage schaffen, die die breite Mitte der amerikanischen Öffentlichkeit stärkt. Diese breite Mitte muss Teil des politischen Entscheidungsprozesses sein. Auf diesem Weg sind wir noch nicht vorangekommen.

HSS: Das Impeachment-Verfahren offenbarte, dass unter Republikanern die Loyalität zur Partei und die Nähe zu Trump über politisches Gewissen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dominieren. Was sagt uns dies über die politische Kultur Amerikas und über die Führungsqualitäten der politischen Elite?

Parteiloyalität ist ja nicht notwendigerweise schlecht. Parteien machen Sinn, Menschen organisieren sich in Parteien anhand ihrer politischen Überzeugungen und Parteien sorgen dafür, dass politische Mehrheitsentscheidungen zustande kommen. Das Problem entsteht, wenn eine Partei und ihre Inhalte von radikalen Gruppen kontrolliert werden. Wenn die extremen Kräfte überhand nehmen, entfernt sich eine Partei von dem Anspruch, gute Politik im Interesse des Landes zu machen, zum Beispiel fristgerecht einen Haushalt aufzustellen, nationale Sicherheit ernst zu nehmen oder parteiübergreifende Kompromisse einzugehen, wenn es das Regierungshandeln erforderlich macht. Wenn gute Politik der Anreiz des politischen Handelns ist, gehen Parteiloyalität und Patriotismus Hand in Hand. Wenn man aber immer nur einen Kulturkampf ficht und kompromissunfähig ist, obwohl die Verfassung Zusammenarbeit anmahnt, dann wird man immer im Dilemma steckenbleiben zwischen Parteibindung einerseits und staatspolitischer Verantwortung andererseits. Wir haben leider kein System, das es Kongressabgeordneten erlaubt, das Richtige für das Land zu tun, für ihre politischen Ideale zu kämpfen und wiedergewählt zu werden. Das politische System zwingt Politiker ständig dazu, sich mit den extremen Kräften in ihrer Partei zu verbünden. Einer der früheren Botschafter Deutschlands, Klaus Scharioth, hat mit dem verständigen Blick von außen wiederholt auf diese Gefahr der immanenten Radikalisierung hingewiesen. Wir bei CSPC legen unser Hauptaugenmerk auf dieses Problem. Wir haben diese politische Gefahr noch nicht gebannt, aber wir haben sie fester im Blick. Wenn es uns gelingt, das Wahlsystem so zu reformieren, dass die politische Mitte gestärkt wird, können wir optimistisch auf die Zukunft der amerikanischen Demokratie schauen. Wenn uns dies nicht gelingt, bleibt Anlass zu großer Sorge.

HSS: Die Trump-Präsidentschaft hat die Schwächen des politischen Systems Amerikas bloßgelegt und die Reformnotwendigkeit gezeigt. Wir wünschen der Biden-Harris-Administration viel Erfolg bei der Überwindung der politischen Spaltung des Landes, und zollen Ihnen, Herr Glenn Nye, höchsten Respekt für Ihren Einsatz für parteiübergreifende Zusammenarbeit.

Ich werde an diesem Ziel festhalten. Wir stehen heute an einem entscheidenden Moment für die Demokratie weltweit, nicht nur in Amerika, auch in Deutschland und in anderen Ländern. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung als Bürger, dass wir auf dem richtigen Weg bleiben.

Das Interview führte: Christian Forstner, HSS, Washington

Leiter Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog

Dr. Wolf Krug