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Die Prioritäten der EU
Was jetzt wichtig ist

Autor: Angela Ostlender

Zum Auftakt nach der Sommerpause sprach der stellvertretende Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung und CSU-Wirtschaftsexperte im Europäischen Parlament, Markus Ferber, in Brüssel über Perspektiven und Prioritäten für eine zukunftsfähige EU.

Die Europäische Kommission präsentierte zu Beginn ihrer Amtszeit im Jahre 2014 zehn politische Leitlinien. Sie galten unter anderem der Förderung von Beschäftigung, Wachstum, Investitionen und einem sozialeren Europa, außerdem der Vollendung des Binnenmarktes, einer vertieften und faireren Wirtschafts- und Währungsunion, sowie einer stärkeren Gewichtung Europas auf dem internationalen Parkett.

Ferber erklärend vor dem Mokrophon auf Podium.

Markus Ferber (MdEP) warnt vor Korruption und Einmischung fremder Mächte in demokratische Wahlen.

HSS

Veränderungen verlangen nach neuen Prioritäten

Externe und interne Veränderungen machen nun eine neue Prioritätensetzung notwendig, wie Ferber betont. Zu den aktuellen externen Brennpunkten zählt Ferber die veränderten Beziehungen zu den USA, die seit der Wahl von Donald Trump nicht mehr uneingeschränkt als Partner zur Verfügung stünden sowie das gespannte Verhältnis mit den EU-Nachbarstaaten Russland und Türkei. Korruption und die Einmischung fremder Mächte in demokratische Wahlen seien ebenso relevante Themen.

Ferber betonte jedoch auch die Chance, dass sich Europa als Reaktion auf neue Bedrohungen wieder stärker seines eigenen Wertes bewusst werden und enger zusammenrücken könne. Die EU bleibe inmitten der wachsenden geopolitischen Volatilität eine wichtige beständige und stabile Größe.

 

Europaflagge weht vor wolkenfreiem Himmel

Migrations- und Sicherheitspolitik: hier müssen, so Ferber, Kompetenzen europaweit gebündelt und die Zusammenarbeit unter den Mitgliedsstaaten erhöht werden.

Pixal2013; CC0; Pixabay

Umsetzen und Vertiefen statt Erneuern

Ferber wünscht sich die stärkere Bündelung von Kompetenzen und eine bessere Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten in Bereichen, in denen die gemeinsame Politik einen Mehrwert darstellt, wie Migrationspolitik und der Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus.  Auch sei es an der Zeit, die bestehenden Verträge so effizient und vollständig wie möglich umzusetzen. Vor allem das Schengener Abkommen müsse wieder vollständig in Kraft gesetzt und die Implementierung eines europäischen Ein- und Ausreiseregisters (EES) nach amerikanischem Vorbild vorangetrieben werden. In der aktuellen Lage könne auch ein Umdenken bei der Bevölkerung beobachtet werden. Europäische Initiativen erhielten wieder mehr Zustimmung, allen voran die Stärkung der Europäischen Sicherheitspolitik. Initiativen wie „Pulse of Europe“ zeigten ebenso, dass sich die Menschen wieder stärker für das Projekt Europa sensibilisierten.

 

Markus Ferber vor Mikrofon. Anzug, Krawatte. Fotowand der Hanns-Seidel-Stiftung im Hintergrund.

"Vermeintlich positive Situation und Stimmung in Großbritannien im Angesicht eines harten Brexit-Kurses ist trügerisch." (Markus Ferber, MdEP)

HSS

Innereuropäische Herausforderungen

Zu den großen Themen, die die EU nun zu bewältigen hat, gehört auch der „Brexit“. Mit Großbritannien wird nicht nur ein starker Partner, sondern auch der größte europäische Finanzplatz die EU verlassen. „Die Vielzahl der Konsequenzen des britischen EU-Austritts wird nach und nach erst sichtbar“, so Ferber. Dies gelte sowohl für die EU als auch für die Briten selbst, die nun erkennen müssten, dass die EU ihnen viele gute Dienste geleistet hat. Die vermeintlich positive Situation und Stimmung in Großbritannien unter dem Eindruck des „harten“ Brexit-Kurses“ sei trügerisch, denn noch seien die Briten ja volles EU-Mitglied und nutzten weiterhin die europäischen Privilegien. Polen stelle die EU ebenfalls vor neue Herausforderungen. Sogar die Frage nach Sanktionen durch die Anwendung von Artikel 7 des EU-Vertrags stünde im Raum. Dieser Artikel regelt im Falle einer Verletzung von Grundwerten der Europäischen Union durch einen Mitgliedstaat die Möglichkeiten einer Suspendierung der Mitgliedschaft. Es müsse jedoch abgewogen werden, welche Wirkung erzielt werden soll und welche Kräfte hierdurch letztendlich erstarken könnten.

Ferner könnten auch mögliche vorgezogene Neuwahlen in Italien sowie die schleppende Regierungsbildung in den Niederlanden Anlass zur Sorge geben. Bei den Maßnahmen zur Regulierung der Flüchtlingszahlen sei die EU mit der deutsch-französischen Initiative, die Ende August auf dem Pariser Gipfel beschlossen worden war, auf einem guten Weg. Kern des Beschlusses: bereits in afrikanischen Transitländern zu überprüfen, wer ein Recht auf Asyl hat, um die Zuwanderung wieder in geregelte Bahnen zu lenken. Ferber zeigte sich optimistisch, dass sich letztendlich alle Mitgliedstaaten gleichermaßen an einem solidarischen Verteilungssystem beteiligen werden, sobald dieses kontrolliert und organisiert abliefe.

Maschendrahtzaun

Schengener Abkommen wieder in Kraft setzen und Ausreiseregister nach Amerikanischem Vorbild

Free Photos; CC0; Pixabay

Keine Sonderbehandlung von EURO-Staaten

Der Euro ist eines der stärksten Symbole der Europäischen Union und hat viel zum Wohlstand in Europa beigetragen. Als erster stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Währung im Europäischen Parlament widersprach Ferber jedoch aktuellen Überlegungen zur Schaffung zusätzlicher Instanzen, wie ein EURO-Parlament oder ein europäisches Finanzministerium, wie es von einigen Mitgliedstaaten gefordert wird.

„Nur eine verstärkte Zusammenarbeit kann die Lösung sein. Es gibt keine Zeit zu verlieren“, sagte er. „Die Möglichkeiten, die die bestehenden europäischen Verträge bieten, müssen voll genutzt werden.“  Deutschland gehe es gut, dies sei jedoch nicht in allen EU-Mitgliedstaaten der Fall. Deutschland und Frankreich müssten sich nach der Bundestagswahl daher stärker aufeinander zubewegen. Zu erwarten seien Initiativen zur Vertiefung der Finanzunion und eine schrittweise Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (EMS) in einen Europäischen Währungsfonds.

Fazit

Nach den vergangenen krisengeschüttelten Jahren navigiert die EU nun in ruhigerem Fahrwasser. Um den zahlreichen Herausforderungen entgegenzutreten, wurden unter viel Druck neue Einrichtungen geschaffen, Zuständigkeitsbereiche erweitert und neue Prioritäten gesetzt. Es wurden Probleme angegangen, die auf der Tagesordnung jahrelang keine Berücksichtigung fanden. Nun muss der Versuchung widerstanden werden, in diesem Rhythmus weiterzufahren. Die EU benötigt eine Phase der inneren Stärkung und Konsolidierung, um auf der Basis der bestehenden Verträge effizienter und leistungsfähiger zu werden. Zahlreiche EU-Richtlinien wurden immer noch nicht in nationales Recht umgesetzt, auch in Deutschland. Hier gilt es anzusetzen, denn eine funktionierende EU ist auf funktionierende Mitgliedstaaten angewiesen.

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter