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Wenn Mediziner Fehler machen

Im Jahr 2013 starben 893.825 Menschen im Krankenhaus. Auf den ersten Blick hört sich die Zahl erschreckend hoch an – 859.692 davon erlagen jedoch einem natürlichen Tod. Doch aus welchem Grund endete das Leben der restlichen 34.000? Diese und viele weitere Fragen diskutierten Stipendiaten vom 2. bis 4. Oktober 2015 auf dem Fachforum Medizin in Kloster Banz.

Roland Kaiser, Geschäftsführer der Landesärztekammer Hessen a.D

Roland Kaiser, Geschäftsführer der Landesärztekammer Hessen a.D

Isabel Küfer

Fehler sind menschlich – in der Medizin können sie jedoch fatale Folgen haben

Wenn Ärzte Fehler machen, kann dies schlimmstenfalls zum Tod führen. Damit es erst gar nicht so weit kommt, befassen sich viele Berufsgruppen mit dem heiklen Thema. Dr. Roland Kaiser, ehemaliger Geschäftsführer der Landesärztekammer Hessen, erläuterte, dass ein Behandlungsfehler eigentlich gar nicht um die „falsche Behandlung“ gehe, sondern einen Zwischenfall definiere, bei dem etwas falsch gemacht werde. Sozusagen, wenn der Experte seiner Tätigkeit nicht richtig nachgegangen sei. Doch auch ein Sturz im Krankenhaus fällt in den Bereich der Fehler.

Friedhelm Damm, Vorsitzender Richter am Landgericht Kassel a.D.

Friedhelm Damm, Vorsitzender Richter am Landgericht Kassel a.D.

Isabel Küfer

Für einen gestürzten Patienten kann der Arzt erst einmal nichts. Nur selten führt es zu schwerwiegenden Konsequenzen, wie etwa einer Anklage. Bei einem durchtrennten Harnleiter während einer gynäkologischen Operation ist der Sachverhalt komplizierter. Kommt es zur Anklage, stellt sich der Jurist die Frage, ob der Fehler vermeidbar gewesen wäre. Friedhelm Damm, Vorsitzender Richter am Landgericht Kassel a.D., vertrat während seiner Karriere schon mehrere Ärzte, wenn es zu unerwünschten Ereignissen bei Operationen kam. „Die meisten Fehler passieren laut Statistiken in der Chirurgie. Das liegt jedoch daran, dass die Handlungen besser nachweisbar sind.“, so der Jurist.

Michael Bohnert, Rechtsmediziner

Michael Bohnert, Rechtsmediziner

Isabel Küfer

Dokumentationspflicht – die solide Basis für die Juristen

Ohne Kausalität, also einen Grund, gibt es auch keine Anklage. Im Fallbeispiel wollte der Arzt den Harnleiter nicht durchtrennen. Der Patient erlitt dadurch einen Schaden, den er vor Gericht einklagt. Daraufhin prüft der Jurist, ob der Vorfall auch unter anderen Umständen passiert wäre. „Hier kommt die Dokumentationspflicht ins Spiel: Alles, was der Chirurg gegen die Durchtrennung des Harnleiters hätte tun können, muss dokumentiert sein“, so der Jurist Damm.

In den wenigsten Fällen begeht ein Arzt einen Fehler mit Vorsatz. Die meisten sind fahrlässig, einige grob fahrlässig. Stirbt ein Patient im Krankenhaus und die Todesursache ist unklar, findet eine Obduktion statt. Dabei sei die ärztliche Einschätzung der Todesursache „das Nadelöhr“, so der Rechtsmediziner Prof. Michael Bohnert. Kreuzt der Mediziner auf dem Todesschein das Feld „natürlicher Tod“ an, wird der Patient normal beerdigt. Eine Obduktion bleibt aus.

Klinikseelsorger Gerold Neudert

Klinikseelsorger Gerold Neudert

Isabel Küfer

Bereits in der Kindheit lernen wir, mit Fehlern umzugehen. Wie Menschen generell mit Fehlern und Schuld umgehen, ist eine andere Frage. Gerold Neudert, der seit 35 Jahren in der Klinikseelsorge tätig ist, veranschaulichte den Fachforumsteilnehmern eine Theorie dazu. Der Grundstein für unser Verhalten werde bereits in der Kindheit gelegt. Kinder machen Fehler. Die Crux daran ist jedoch, wie die Eltern oder Bezugspersonen damit umgehen. Die einen erklären ihrem Zögling, was er falsch gemacht hat und sehen den Fehler als Verbesserungschance. Irrtümer sind für sie keine Schande; das Kind wird sie auch im späteren Leben zugeben. Sehen die Eltern ihren Nachwuchs als Versager, prägen es Schuldgefühle. Im Beruf wird diese Person seltener Fehler zugeben – aus Angst, negative Konsequenzen davon zu tragen.

Die „Fehlerkultur“, also der Umgang mit unerwünschten Ereignissen, änderte sich auch in der Klinik. Heute gibt es Ethikkomitees, die Mediziner bei schwierigen Situationen beraten. Für Konflikte im Team sind Supervisionen da – Gespräche, die eine Fachperson moderiert und damit ein angenehmes Gesprächsklima schafft.

Michael Schmidt, der ehemalige Leiter des Klinischen Ethikkomitees am Universitätsklinikum in Würzburg

Michael Schmidt, der ehemalige Leiter des Klinischen Ethikkomitees am Universitätsklinikum in Würzburg

Isabel Küfer

CIRS – damit es gar nicht erst zu Fehlern kommt

Damit Fehler erst gar nicht passieren, existieren Präventionsprogramme wie CIRS. Die Abkürzung steht für Critical Incident Reporting System und ist ein Meldesystem für kritische Ereignisse. Wo Menschen arbeiten sind unsichere Situationen normal. CIRS lässt sich mit aufeinanderliegenden Schweizer Käsescheiben einfach erklären. Kommt es zu einem Fehler, der ein Loch im Käse durchdringt, fängt ein Sicherheitssystem (z. B. hohes Fachwissen des Arztes oder ein technisches Instrument) der nächsten Scheibe den Fehler ab. „Erst wenn sich alle Löcher auf einem Fleck befinden, also alle Sicherheitssysteme fehlschlagen, kommt es zu einem Fehler“, erläutert Prof. Michael Schmidt, der ehemalige Leiter des Klinischen Ethikkomitees am Universitätsklinikum in Würzburg. Mit CIRS können die Mitarbeiter des Klinikums jeden Missstand sofort melden. Langfristig verringert sich dadurch nicht nur die Fehleranzahl. Auch die Fehlerkultur verbessert sich.

Menschliche Medizin braucht Zeit

Am Ende des Fachforums waren sich alle Referenten einig. Egal wie schnell sich die Verhältnisse in der Klinik ändern und wie viele Fehler die Technik vermeiden kann: „Menschliche Medizin braucht Zeit“. 

Kathrin Steinbeißer, Master in Public Health, LMU

Universitätsförderung MINT und Medizin
Isabel Küfer, M.A.
Leiterin
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