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Negativzinsen
Wer spart verliert

Deutschland gilt als Land der Sparer - nicht zu unrecht. Zwei Billionen Euro liegen derzeit auf Sparbüchern, Festgeld und Anlagekonten. Und das, obwohl es keine, oder nur minimale Zinsen gibt. Nun aber scheint sich die Welt zu verkehren: Wer seinem Kreditinstitut Geld anvertraut, könnte zur Kasse gebeten werden und zwar in Form von Negativzinsen.

Bislang sind es laut neuester Erhebungen des Finanzportals Biallo nur 30 von insgesamt 1200 befragten Banken und Sparkassen[1], die von ihren Kunden Strafzinsen verlangen. Und das auch nur im höheren Anlagesegment ab 100.000 Euro. Wenn allerdings der Druck auf die Banken selbst größer wird - wenn etwa die Europäische Zentralbank EZB den Einlagenzins weiter senkt – nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass dann auch Sparer mit Guthaben unter 100.000 Euro tatsächlich einen Strafzins zahlen müssten, weil die Banken ihrerseits versuchen müssen, ihr Eigenkapital zu erhalten.  

Mario Dragi hebt belehrend den Zeigefinger

Als Kleinsparer gilt, wer weniger als 100.000 € Vermögen besitzt.

Aichi8Seiran; ©0; Pixabay

Die Bürger stehen am Ende dieser Kette und haben das Gefühl, dafür bestraft zu werden, dass sie „was auf die Seite legen“. Die hohen Sparsummen reflektieren nicht nur eine kulturelle Eigenart der Deutschen, sie kommen auch deshalb zustande, weil die Menschen für das Alter vorsorgen: das ist erwünscht und notwendig. Offenbar können sich die Bürger auch vorstellen, dass die Politik tätig wird, um zumindest die Kleinsparer vor Negativzinsen zu schützen. Bayerns Ministerpräsident Söder will Negativzinsen für Kleinsparer, also diejenigen, die weniger als 100.000 Euro auf dem Sparbuch haben, mittels einer Bundesratsinitiative verbieten lassen. Bundesfinanzminister Scholz findet diese Idee gut und lässt zurzeit prüfen, ob ein Verbot von Negativzinsen eingeräumt werden könnte oder ob das etwa gegen die Eigentumsgarantie in Artikel 14 Grundgesetzt verstößt.  

Die gestrige Entscheidung der EZB für sogenannte Staffelzinsen, das sind Freibeträge, auf die keine Zinsen erhoben werden, ermöglicht den Banken nun besser, auf Negativzinsen zu verzichten. Markus Ferber, MdEP dazu: „Die Staffelzinsen geben Banken einen gewissen Spielraum. Diesen Spielraum sollten sie nutzen, um Kleinsparer vor Negativzinsen zu bewahren.“

Ein Verbot, darin sind sich die Vertreter von Kreditwirtschaft und Wirtschaftsinstituten weitgehend einig, sei systemfremd und würde die Ursache nicht an den Wurzeln packen. Marcel Fratzscher etwa, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sieht weitreichende Folgen und erklärte gegenüber der Passauer Neuen Presse: "Im Extremfall könnte das zur Destabilisierung des deutschen Bankensystems führen." Konkret sähe das so aus: Negativzins bedeutet nicht nur, dass man 100 Euro an die Bank gibt und bei 2 Prozent Strafzins nur noch 98 Euro herausbe-kommt. Es ginge auch umgekehrt: Man nimmt einen Kredit von 100 Euro und zahlt 98 Euro zurück. Quasi risikolos. [Anm.d.Red. Etwa bei Bauzinsen ist dies bereits in der Diskussion gewesen] Bei deutschen Staatsanleihen ist das bereits Realität. Wer Deutschland einen Kredit gibt, indem er Bundesanleihen kauft, muss dafür zahlen.“ Sicherheit geht vor Profit.

Wie kam es überhaupt zu dieser misslichen Lage?

Zentraler Ausgangspunkt der heutigen Situation ist die Finanzkrise 2008. Seither versucht die EZB durch niedrige Zinsen die Wirtschaft, die damals einen starken Einbruch erlitt, wieder nach vorne zu bringen. Wenn sie den Geschäftsbanken günstige Kredite anbietet, können diese die Kredite für Unternehmen und private Haushalte ebenfalls günstig anbieten. Wer einen günstigen Kredit hat, ist geneigt, Geld zu investieren oder für Konsum auszugeben. Geld, das in Investitionen und Konsum fließt, kurbelt die Wirtschaft an. Das Ziel ist Wachstum.

Geld, das auf Sparkonten liegt, steht den Sparern nicht für Konsum zur Verfügung. Je höher die Sparquote, desto mehr Geld haben die Geschäftsbanken, das sie dann bei der EZB lagern.

Da die EZB genau das möglichst vermeiden will - das Geld soll ja investiert bzw. verkonsumiert werden - verlangt sie einen sog. Einlagenzins von den Geschäftsbanken. Der liegt seit heute bei historischen -0,5%. Im Juli 2011 lag er bei +0,75 Prozent. Diese sogenannte „Einlagenfaszilität“ ist ein Instrument der EZB, das bisher allerdings nur bedingt funktioniert hat. Das Volumen der Einlagen hat sich in den letzten vier Jahren fast verzehnfacht und liegt derzeit bei über 600 Milliarden Euro.

Könnte man nicht einfach den Zins erhöhen?

Das ist leider nicht so einfach, vor allem nicht in der jetzigen Situation. Wenn die Wirtschaftsentwicklung sich nicht mehr weiter nach oben entwickelt und dafür gibt es derzeit wenig Anzeichen, ist es wichtig, dass die Zinsen niedrig sind, damit die Unternehmen weiter investieren und die Bürger weiter konsumieren.

Sehr hoch verschuldete Länder, allen voran Italien, würden durch eine Zinserhöhung in massive Schwierigkeiten kommen. Der Euro wäre bedroht, der Spielraum an dieser Stelle ist gering und die Experten sehen daher auf lange Frist keine Änderung in der Zinspolitik der EZB.

Was bleibt dann noch zu tun?

Eine schnelle Lösung, um zumindest keine Strafzinsen bezahlen zu müssen, wäre, das Geld einfach abheben und auf ganz alte Art und Weise unter die Matratze zu legen. Nicht besonders originell, nicht sicher - und nur möglich, solange es noch Bargeld gibt.

Das Bedürfnis nach sicheren Anlagen ist ein Grund, warum die Menschen auch weiterhin in Kauf nehmen werden, dass sie keine Zinsen bekommen, sie sind sogar bereit, Negativzinsen - etwa im Falle der deutschen Staatsanleihen – für eine sichere Anlage in Kauf zu nehmen. 

Ein schrittweiser Abschied vom Sparbuch wird vermutlich unumgänglich sein. Laut Eurostat sind in Deutschland 53% der Bevölkerung Besitzer mindestens einer Immobilie. In Rumänien sind es 97%, in Ungarn 90%, in Spanien 83%, in Griechenland 77%. Nun sind die Preise von Immobilien in weiten Teilen Deutschlands rapide angestiegen, so dass die Investition trotz historisch niedriger Zinsen für den Durchschnittsbürger schwierig ist. Die Investition in Aktien wäre eine Alternative. Mittlerweile besitzt jeder sechste Deutsche Aktien. Das ist positiv zu bewerten, wenngleich das weitgehend Gutverdiener sind.

Die sinnbildliche „Oma und ihr Sparbuch“ wird kaum zu solchen Alternativen greifen, insofern ist ein Schutz für diese Gruppe ein legitimes politisches Anliegen. Insgesamt sind an dieser Stelle auch Staatsfonds-Modelle in Betracht zu ziehen. Sie können auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet sein, etwa auf die Finanzierung des Klimaschutzes, der Bildung oder des öffentlichen Nahverkehrs.  

Das Sparbuch muss damit nicht ersetzt werden, aber in alternativen Modellen zu denken scheint unumgänglich.

Wirtschaft und Finanzen
Dr. Claudia Schlembach
Leiterin