Reform der Währungsunion
€uropa vor neuer (In-)Stabilität?
International überschlagen sich die Ereignisse: Während Angela Merkel in europäischer Mission nach Washington reist und in Südkorea Friedensgespräche hoffen lassen, bereitet sich die Türkei auf eilig vorgezogene Neuwahlen vor. Bei so viel politischem Trubel kann leicht in den Hintergrund treten, dass die EU ihre strukturellen Probleme seit der Finanz- und Schuldenkrise von 2008 noch nicht überwunden hat. Was sind die Projekte, die Europa Stabilität bringen könnten?
„Vorsorge für die nächste Krise ist wichtig“, Dr. Peter Witterauf, HSS-Generalsekretär.
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Zu früh für Entwarnung
Dr. Peter Witterauf betonte die Vielschichtigkeit und Komplexität der Problemlagen innerhalb der Währungsunion, beginnend mit der globalen Banken- und Finanzkrise vor über einem Jahrzehnt. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit eines umfassenden Reformpakets, denn „für Entwarnung ist es zu früh“, so Witterauf.
Bezugnehmend auf Klaus Regling (Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, dem „European Stability Mechanism“), der Anfang April von dem „Risiko politischer Untätigkeit“ sprach, warnte er davor, die Reform zu verschieben. Es gelte Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um im besten Fall künftige Krisen zu vermeiden. Das Thema sei eine wichtige Aufgabe der Bundesregierung, so Witterauf weiter. Er zitierte aus dem deutschen Koalitionsvertrag, dessen erstes Kapitel den Titel „Ein neuer Aufbruch für Europa“ trägt. Was steht drin?
(v.l.n.r): Dr. Thomas Gstädtner, Aufsichtsratsvorsitzender European Banking Institute, Alexander Radwan MdB, Kai Wynands, Kabinettschef des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission. Begrüßung und Moderation übernahm Dr. Peter Witterauf, Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung.
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Initiative der Kommission als Auftakt einer Debatte
In seiner Einführung skizzierte Dr. Gstädtner die Ursachen der Banken- und der anschließenden Staatsschuldenkrise sowie bisherige Maßnahmen zur Vertiefung und Stabilisierung der Währungsunion. Es wurde deutlich, dass die volkswirtschaftliche Heterogenität der Euroländer nach wie vor sehr groß ist. Im Krisenfall könne sich dies abermals als problematisch erweisen. Auch die vier Hauptinitiativen der EU-Kommission wurden an dieser Stelle kurz erläutert: (1) Umwandlung des ESM in einen Europäischen Währungsfonds (EWF), (2) erweitertes EU-Budget als Stabilisierungsfonds (3) Schaffung eines europäischen Wirtschafts- und Finanzministers und (4) Integration des Fiskalpakts (SGP) in den Rechtsrahmen der Europäischen Union.
Wynands stellte sich hinter den Vorschlag seiner Behörde, den ESM in einen europäischen Währungsfonds zu überführen. Gleichfalls war ihm wichtig zu betonen, dass die Initiative vor allem als Vorschlag zu verstehen sei und dass dies nicht zu Lasten der parlamentarischen Kontrolle gehen würde. Mittels breiter Debatten wolle man mittelfristig zu einem konsensbasierten Maßnahmenpaket kommen, der Zeitraum von 2019 bis 2025 gilt hier als Rahmen. Insgesamt beziehen sich die Debatten aus seiner Sicht zu häufig auf einzelne Aufhänger, aus denen versucht werde politisches Kapital zu schlagen.
Verantwortung für unpopuläre Maßnahmen werden gerne an Brüssel abgeschoben. (links: Alexander Radwan, MdB)
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Die gesamte Diskussion nehme leider häufig nur plakative und vermeintlich polemische Punkte in den Fokus. Die Notwendigkeit zur Ergreifung von Maßnahmen in derzeit wirtschaftlich relativ stabilen Zeiten zur Krisenprävention werde hierbei aus den Augen verloren.
In seiner Replik konnte Radwan, MdB, einzelnen Punkten der Kommission durchaus Positives abgewinnen, allerdings verwies er mit Blick auf die Vergangenheit am Beispiel Griechenland auf ein strukturelles Problem: „Man hatte sich ein Regelwerk gegeben, aber das wurde politisch interpretiert.“ Ein dickes Fragezeichen setzte er ausdrücklich hinter das Gesamtpaket der Kommissionvorschläge, da notwendige wirtschaftliche Voraussetzungen einzelner Länder zu häufig politischen Erwägungen zum Opfer fallen. Mit Blick auf den neuen sozialdemokratischen Finanzminister Olaf Scholz, machte er die Hoffnung deutlich, dass das Amt in Tradition seines Vorgängers Wolfgang Schäuble weitergeführt werde.
Wie kann die Wirtschafts- und Währungsunion gestärkt werden, ohne den Zusammenhalt in der EU zu gefährden?
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Einhaltung der Regeln das A und O
Ein Schlagwort beherrschte die Podiumsdiskussion: „Regeleinhaltung“. Wynands sagte, dass „es einfacher ist gegenüber Unternehmen Regeln anzuwenden als gegenüber Staaten. Regeln finden alle gut, außer sie sind davon betroffen.“ Auch wenn die Anwesenden in einigen Punkten qua Funktion schon andere Auffassungen vertraten, war man sich an dieser Stelle einig: Wenn die auferlegten finanz- und wirtschaftspolitischen Vorgaben durch die Länder der Währungsunion nicht eingehalten werden, zum Beispiel in Bezug auf Haushaltsdefizite, oder Regelverstöße von anderen Mitgliedsländer hingenommen werden, dürfe man sich nicht über die daraus resultierenden Folgen wundern.
Radwan, MdB, verwies auf ein generelles Problem der im Prinzip sinnvollen Vorgaben der europäischen Kommission. Diese würden regelmäßig bei nationalen Wahlen von den handelnden Politikern „zur Abstimmung“ gestellt werden, die somit die Verantwortung für unpopuläre Maßnahmen auf Brüssel schieben können. Das Votum der Bürger konterkariere somit Vorgaben, die ohne politischen Hebel der Kommission keine Wirkung entfalten.
Dr. Gstädtner brachte dabei die Möglichkeit einer unabhängigen Kontrollinstanz zur Einhaltung von Regeln ins Spiel. Obwohl die Kapitalmärkte während der Krise völlig versagt hätten, könnten sie zukünftig gewisse Funktionen in dieser Hinsicht einnehmen. Für die Währungsunion sei es allerdings unabdingbar, dass einzelne Mitgliedsländer insolvent gehen können, ohne dass die ganze Gemeinschaft ins Wanken gerät. Eine Reorganisation von Staatsschulden dürfe nicht zwangsläufig einen Ausschluss vom Euro zur Folge haben, auch wenn die No-Bailout-Klausel unbedingt Bestand haben müsse.
Autor: Maximilian Strobel
Dr. Alexander Wolf
Leiter