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Präsidentschaftswahlen in Rumänien
Kandidat der extremen Rechten auf der Siegerstraße?

Autorin/Autor: Benjamin Bobbe

Das Land, das politisch und seit der COVID-Pandemie auch wirtschaftlich angeschlagen ist, droht, sich politisch von Europa abzuwenden.

Der proeuropäische unabhängige Präsidentschaftskandidat und Bürgermeister von Bukarest, Nicusor Dan (links), bei einer Live-Wahldebatte mit dem Präsidentschaftskandidaten und Anführer der rechtsextremen Allianz für die Union der Rumänen (AUR), George Simion.

Der proeuropäische unabhängige Präsidentschaftskandidat und Bürgermeister von Bukarest, Nicusor Dan (links), bei einer Live-Wahldebatte mit dem Präsidentschaftskandidaten und Anführer der rechtsextremen Allianz für die Union der Rumänen (AUR), George Simion.

© IMAGO / NurPhoto

Die erste Runde der rumänischen Präsidentschaftswahlen vom 4. Mai 2025 stellt eine bedeutsame Zäsur in der schwierigen innenpolitischen Entwicklung Rumäniens dar. Mit rund 41 Prozent der Stimmen vereinte der EU-kritische Politiker George Simion, der dem extrem rechten Lager angehört, fast doppelt so viele Stimmen auf sich wie der zweitplatzierte liberale Kandidat, Nicuṣor Dan. Dieser ist der amtierende Bürgermeister von Bukarest und trat als unabhängiger Kandidat an. Beide treffen nunmehr am 18. Mai in einer Stichwahl aufeinander. Umfragen sehen beide Kopf an Kopf mit tendenziell leicht besseren Werten für Simion (52 vs. 48 Prozent).

Das Ergebnis des ersten Wahlgangs zeigt einerseits die gesellschaftliche Polarisierung und das Misstrauen vieler Bürgerinnen und Bürger gegenüber den demokratischen Institutionen Rumäniens – wie auch gegenüber den traditionellen Parteipolitikern. Andererseits ist eine tiefe Verunsicherung innerhalb der politischen Eliten zu beobachten, die angesichts der rechtspopulistischen Herausforderungen sprichwörtlich wie das Kaninchen vor der Schlange wirken und keine inhaltlichen Antworten finden.

Es handelte sich um die ersten regulären Wahlen nach der umstrittenen Annullierung des vorherigen Urnengangs im November 2024 und dem nachfolgenden Wahlausschluss des siegreichen Kandidaten Călin Georgescu durch das Verfassungsgericht. Ihm wurden manipulative Onlinekampagnen, intransparente Wahlkampffinanzierung und algorithmisch gesteuerte Desinformation mit Unterstützung aus Russland angelastet, ihm daher die fehlende Bereitschaft zur Einhaltung demokratischer Wahlverfahren attestiert und somit quasi die Kandidateneignung abgesprochen. 

Simion hat angekündigt, Georgescu im Falle seines Wahlsiegs zu seinem Premierminister machen zu wollen. Beide haben ideologisch und politisch sehr große Schnittmengen. 

Rumänien am Boden: Negativrekorde bei Wirtschaft und Finanzen

Für populistische Antworten auf die komplexen Probleme des Landes ist der Nährboden längst bereitet. Rumänien führt im negativen Sinne viele EU-Statistiken an: Die höchste Inflation, das höchste Leistungsbilanzdefizit im Außenhandel, der höchste relative Anstieg der Verschuldung und das größte Haushaltsdefizit. Die Ursache hierfür sind völlig aus dem Ruder gelaufene öffentliche Ausgaben. Das Land hat es nach der COVID-Pandemie nicht geschafft, seine expansive Ausgabenpolitik zurückzufahren und die fortschreitende Staatsverschuldung einzudämmen. Rumänien lebt seit Jahren über seine Verhältnisse. 

Staatsausgaben und Inflation haben zu einer Ausgabenspirale geführt, die ganz wesentlich von der Regierung selbst befördert wird. Die Gehälter im öffentlichen Sektor sowie Renten und Transferzahlungen wurden immer wieder – insbesondere vor Wahlen – massiv erhöht, sodass sie im Durchschnitt höher sind als in der Privatwirtschaft. Die öffentlichen Ausgaben steigen inzwischen etwa doppelt so schnell wie die Steuereinnahmen. Die große Koalition aus Sozialdemokraten (PSD) und der konservativen Nationalliberalen Partei (PNL) – zwei eigentlich antagonistische Parteien – trägt hierfür einen Großteil der Verantwortung. Zusammengehalten wird sie durch den gemeinsamen Willen zur Macht, innere „Zwänge“ zu einer großzügigen Verteilungspolitik und den Mangel an alternativen Koalitionspartnern. Zugleich sind es genau dieser Klientelismus und die Korruption, deren die Wähler überdrüssig sind – und weshalb sie nach Alternativen suchen. 

Vertrauenskrise und geopolitische Polarisierung

Die Wahlkampfphase war stark geprägt von geopolitischen Spannungsfeldern, insbesondere von der Frage nach Rumäniens außenpolitischer Ausrichtung zwischen Westbindung und einer nationalistisch orientierten Politik. Die Rolle Rumäniens in der NATO, seine Mitgliedschaft in der Europäischen Union sowie die Haltung gegenüber Russland waren die zentralen Themen. Bemerkenswert ist, dass keiner der führenden Kandidaten ein konsistentes, öffentlich kommuniziertes Wahlprogramm vorlegen konnte – ein Umstand, der die inhaltliche Leere und die Dominanz identitäts- und wertebasierter Wahlentscheidungen noch verstärkte.

George Simion, der als Kandidat der rechtsextremen Partei AUR (Die Allianz für die Vereinigung der Rumänen) antritt, spricht sich in klarer Abgrenzung zu den etablierten Parteien und Gegenkandidat Dan gegen eine vertiefte Integration Rumäniens in die Europäische Union aus. Die AUR vertritt nationalistische und rechtspopulistische Positionen und ist seit diesem Jahr zweitstärkste Partei im Parlament. Sie setzt sich für die Vereinigung der Republik Moldau mit Rumänien ein und propagiert ein fundamentalistisches, christlich-orthodoxes Werte- und Gesellschaftsmodell.

In seinen öffentlichen Auftritten betont er wiederholt die Notwendigkeit, nationale Souveränität gegenüber supranationalen Institutionen zu stärken, und kritisiert die EU als bürokratisch und fremdbestimmt. Hinsichtlich der NATO-Mitgliedschaft äußerte sich Simion ambivalent: Er erkennt zwar die strategische Bedeutung der Allianz an, stellt jedoch den Umfang und die Tiefe der militärischen Kooperation zunehmend infrage. 

Simions außenpolitische Linie gegenüber Russland zielt auf eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen ab, während er sich kritisch zu militärischer und politischer Unterstützung der Ukraine äußert. Er propagiert ein Großrumänien in den Grenzen von 1940, was Gebietsansprüche gegenüber der Ukraine und der Republik Moldau impliziert. Die Regierungen beider Nachbarländer haben daher gegen Simion ein Einreiseverbot verhängt – ein Umstand, der die Dimension der außenpolitischen Problematik der Personalie dieser radikalen Kandidatur illustriert. 

Mobilisierung der Diaspora

Ein zentraler Einflussfaktor bei diesem ersten Wahlgang war erneut die rumänische Diaspora, deren Mobilisierung deutlich zugenommen hat. Mit rund 970.000 abgegebenen Stimmen aus dem Ausland – im Vergleich zu 792.000 bei der Wahl 2024 – spielte sie eine entscheidende Rolle für das Gesamtergebnis.

Besonders George Simion konnte in Ländern mit großen rumänischen Gemeinschaften erhebliche Zugewinne verzeichnen und sich mit seinen nationalistischen Tönen als erster Ansprechpartner für viele Auslandsrumänen etablieren, von denen viele mit Nostalgie nach Rumänien blicken.

Laut den offiziellen Angaben der Ständigen Wahlbehörde (AEP) betrug die Wahlbeteiligung 53,21 %, womit sie nur minimal über dem Wert der ersten Runde im Jahr 2024 (52,56 %) lag. Insgesamt wurden 9.571.740 gültige Stimmen abgegeben, wobei 5.767.376 Stimmen aus städtischen Regionen und 3.804.364 aus ländlichen Gebieten stammten. Darüber hinaus nutzten 86.034 Personen die Möglichkeit mobiler Wahlurnen.

  1. George Simion (AUR): 40,96 % (ca. 3,86 Mio. Stimmen)
  2. Nicușor Dan (unabhängig, unterstützt von pro-europäischen Kräften): 20,99 % (ca. 1,97 Mio. Stimmen)
  3. Crin Antonescu (unterstützt von PSD, PNL, UDMR): 20,07 %
  4. Victor Ponta (unabhängig): 13,05 %
  5. Elena Lasconi (USR, kandidierte ohne Unterstützung ihrer Partei) 2,7 %
  • George Simion konnte gegenüber der Präsidentschaftswahl im November 2024 einen deutlichen Stimmenzuwachs von rund 500.000 Stimmen verbuchen, was seine strategisch erfolgreiche Mobilisierungskampagne unterstreicht.
  • Die Kandidatur von Victor Ponta, ehemaliger Premierminister, entzog Crin Antonescu entscheidende Stimmen, was letztlich dessen Einzug in die Stichwahl verhinderte.
  • Nicușor Dan erzielte gegenüber der Überraschungszweiten des annullierten ersten Wahlgangs, Elena Lasconi, ein Plus von über 200.000 Stimmen und etablierte sich klar als pro-europäische Alternative im urbanen Raum. Lasconi brach ohne die Unterstützung ihrer Partei USR ein und erzielte nach 19 Prozent nur noch 2,7 Prozent.
  • In der rumänischen Diaspora konnte Simion klare Mehrheiten erzielen, etwa in Italien (126.000 vs. 25.000 für Dan), Spanien (86.000 vs. 16.000), Deutschland (117.000 vs. 27.000), Großbritannien (über 80.000 vs. 35.000) und Frankreich (32.000 vs. 13.000). Auch in Russland und Weißrussland war Simion erfolgreich.
  • Ein Gegenbeispiel stellt die Republik Moldau dar, in der Nicușor Dan mit deutlichem Vorsprung bei den Wahlberechtigen (zumeist Doppelstaatlern) gewinnen konnte – ein Indikator für seine Attraktivität bei integrationsorientierten und europafreundlichen Wählerschichten.
  • Die Wahlergebnisse spiegeln eine zunehmende Fragmentierung der politischen Mitte wider, in der weder das etablierte Parteienbündnis aus PSD, PNL und UDMR noch deren Spitzenvertreter als glaubwürdige Gegenkraft zum populistischen Lager wahrgenommen wurden.
  • In ländlich geprägten Regionen sowie strukturschwachen Gebieten zeigte sich erneut eine vergleichsweise geringe Wahlbeteiligung, was auf ein anhaltendes Mobilisierungsdefizit traditioneller Parteien hindeutet.
  • Simions Erfolg basiert maßgeblich auf einer digital gestützten Mobilisierungsstrategie, die insbesondere junge Wählerinnen und Wähler über soziale Netzwerke erreichte und aktivierte.

Weichenstellung für Rumäniens Zukunft mit europapolitischer Bedeutung

Die Konstellation der Stichwahl zwischen George Simion und Nicușor Dan steht exemplarisch für eine grundlegende politische Richtungsentscheidung: Auf der einen Seite steht ein nationalistisch-konservatives Lager, das stark auf Souveränitätsrhetorik und identitätspolitische Themen setzt; auf der anderen Seite ein Kandidat mit liberal-demokratischem, proeuropäischem Profil, der von Teilen der Zivilgesellschaft, urbanen Mittelschichten und international orientierten Wählergruppen unterstützt wird.

Simion dürfte sein gesamtes Wählerpotenzial weitestgehend im ersten Wahlgang abgerufen haben. Daher sind keine großen Zuwächse mehr zu erwarten – aber auch keine Verluste. Jüngste Umfragen zeigen: Selbst ungeschickte Äußerungen und unverhohlene verbale Gewaltandrohungen gegenüber moderaten Bevölkerungsteilen haben die eigenen Wähler nicht verschrecken können. 

Gänzlich anders ist die Situation bei seinem Gegenkandidaten Dan: Er verfügt über ein großes Wählerpotenzial und versucht, sich als Sammelbecken pro-demokratischer und europafreundlicher Kräfte zu positionieren, um so die Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, die in der ersten Runde Crin Antonescu, Victor Ponta oder Elena Lasconi unterstützt haben. Gelingt es ihm, ein glaubwürdiges Bündnis über parteipolitische Grenzen hinweg zu schmieden und sowohl liberale als auch gemäßigt konservative Gruppen anzusprechen, könnte er sich trotz des Rückstands aus der ersten Runde als ernstzunehmender Herausforderer behaupten. Zentrale Erfolgsfaktoren werden dabei sein, urbane Wählerschichten stärker zu mobilisieren und junge, europäisch orientierte Bürgerinnen und Bürger zur Stimmabgabe zu bewegen. In aktuellen Umfragen zeigt sich eine sehr starke und steigende Zustimmung zur EU (75 Prozent), zur NATO (80 Prozent) und einer Fortführung der Unterstützung der Ukraine (65 Prozent).

Sorgen vor einem Wahlsieg von Simion sind berechtigt: Es hätte weitreichende Folgen für Rumäniens außen- und innenpolitische Ausrichtung und für die Handlungsfähigkeit der EU. Es droht ein Einreihen Rumäniens in die Phalanx des prorussischen und EU-kritischen Lagers von Orban und Fico in Ungarn und der Slowakei.

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