Austausch Bayern und China
Ländliche Räume - zunehmend im Fokus der chinesischen Staatsregierung
Irgendwann im Sommer 2010 hat China die Marke überschritten: Über die Hälfte der Bevölkerung lebte nun nicht mehr auf dem Land, sondern in der Stadt. Seitdem ist der Anteil auf knapp 60% gestiegen1. Rund um den Globus ziehen Menschen vom Land in die Stadt. Doch in China wird die Urbanisierung generalstabsmäßig betrieben. So sollen die Menschen gezielt in „Giga-Citys“ angesiedelt werden.
Ideen für strukturschwache ländliche Räume gesucht - Experten aus China informieren sich im direkten Austausch vor Ort
Chinesischer Think Tank unterwegs in Bayern
Vor allem das Heer der über 280 Millionen ländlichen Wanderarbeiter2 soll sich in den neuen Ballungszentren sesshaft werden. Für die ländlichen Räume selbst fehlte bislang eine Zukunftsperspektive. Das soll sich nun ändern. „Landwirtschaft, ländliche Räume und unsere Landbevölkerung sind von grundlegender Wichtigkeit für China, weil sie die Stabilität unseres Landes und den Wohlstand unseres Volkes direkt betreffen“, sagte jüngst Staatspräsident Jinping in seiner Rede vor dem 19. Nationalkongress der Kommunistischen Partei in Peking. „Diese Herausforderungen anzugehen muss einen zentralen Platz in unserer Agenda einnehmen. Die Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume muss Priorität haben.3“
Chinesischer Think Tank unterwegs in Bayern
Ganz in diesem Sinne besuchte im November eine Delegation der Hochschule des Zentralkommitees der Kommunistischen Partei Chinas (ZPH) Bayern, um sich über Strategien zur Förderung strukturschwacher Räume auszutauschen. Die ZPH ist gleichsam der Think Tank der chinesischen Staatsregierung. Zusammen mit dem Amt für Ländliche Entwicklung Oberfranken organisierte die HSS-Repräsentanz Shandong ein Fachprogamm, das verschiedene Projektbeispiele vorstellte und Gelegenheit zum Austausch mit Lokalpolitikern bot. In Arzberg berichtete beispielsweise Bürgermeister Göcking, was sie untenehmen, um den Gebäudeleerstand und die Industriebrachen nach dem Niedergang der Porzellanindustrie wiederzubeleben. „Gemeinsam kann man mehr erreichen als alleine.“ Dafür steht das „Wirtschaftsband A9“, ein Zusammenschluss von 18 Gemeinden in der Fränkischen Schweiz, das der Bürgermeister von Pottenstein vorstellte. Er erläuterte der Delegation, wie sie nun gemeinsam die Attraktivität der Region für Bewohner, Wirtschaft und Gäste steigern wollen, welche Vorteile Sie von den bereits realisierten Projekten haben und welche Ziele noch auf der Agenda stehen. Die Nachfragen belegten das große Interesse an diesem Konzept: Wie funktioniert ein Zweckverband? Welche Fördermittel gibt es? Welchen Einfluss haben die Städte auf die Wahl der Investoren? Auch die Thema Dorferneuerung, Landwirtschaft und Umwelt wurde auf der Informationsfahrt durch Bayern direkt vor Ort diskutiert. Was den Besuchern aus China dabei auffiel: Warum ist der Bach so klar? Warum liegt nirgendwo Müll? Fragen, die einen guten Einstieg zum regen Informationsaustausch über die bei uns üblichen Eingriffsregelungen und Renaturierungsmaßnahmen oder den Betrieb von kommunalen Kläranlagen bieten.
Prof. Dr. Winrich Voß: Stadt-Land-Partnerschaften eingehen
"Gleichwertige Lebensbedingungen"
Prof. Dr. Winrich Voß, Experte für Bodenordnung und Immobilienmanagement an der Leibniz Universität in Hannover, informierte die chinesischen Wissenschaftler über das Leitbild gleichwertiger Arbeits- und Lebensbedingungen in der deutschen Raumordnug, das über die Raumbeobachtung auch evaluiert wird. Dazu werden verschiedene Kenngrößen der Demographie, Ökonomie, des Arbeitsmarktes, zu Wohlstand, Einkommen, Infrastruktur und Wohnungsmarkt erhoben. Der Vergleich, so Voß, offenbare die strukturschwächere Räume. Diese benötigten besondere Unterstützung, etwa in den Bereichen Mobilität, Bildung, medizinische Versorgung und Schaffung neuer Arbeitsplätze. Vor allem aber gelte es seiner Meinung nach auf regionaler Ebene eine Stadt-Land-Partnerschaft einzugehen, die eine solidarische, ausbalancierte Entwicklung anstrebt.
Die für die Landwirtschaft verfügbaren Flächen werden auch in China knapp - und sie werden oft nicht effektiv genutzt. Dies will die Staatsregierung ändern.
Herausforderungen annehmen
Welchen Herausforderungen sich im Bereich der Bodenordnung und im Immobilienmanagement China stellen muss, erläuterte Prof. Dr. Zhang Zhengfeng vond er Renmin Universität in Peking. Angesichts des rasanten Wirtschaftswachstums in China gebe es neben der flächenhaften Ausbreitung von Megastädten wie Shanghai auch allgemein das Phänomen der Zersiedelung. Der Rückgang landwirtschaftlich nutzbarer und ökologisch wertvoller Flächen werde zunehmend als Problem anerkannt. Der schlechte Zustand von Infrastrukturen bei gleichzeitiger Überalterung der Gesellschaft und Abwanderung vor allem der arbeitsfähigen Generation in die Städte führe zu einer weiteren Aushöhlung der ländlichen Räume.
Prof. Dr. Zhengfeng Zhang strebt eine umfassendere und effzientere Bodenordnung an
Gegenstrategien
Zhang nannte als Schlussfolgerung vier Gegenstrategien:
Intensivere (=effektivere) Landnutzung
Modernisierung der Landwirtschaft
Erhaltung von Flächen für Natur und Umwelt
Ländliche Entwicklung
Vor allem müsse es in Zukunft darum gehen, in umfassenderen Einheiten zu planen, d.h. über Stadtgrenzen hinweg und in einem multifunktionalen Ansatz, bei dem Poduktionsflächen auch ökologische Funktionen und Erholungsfunktionen erfüllen.
Enormes Potenzial - Dialog wird fortgesetzt
Die Flurbereinigung in China durchläuft nun entsprechende Anpassungsschritte. In der neuen Ära soll es dann weniger um einzelne Projekten oder die reine Vermehrung von Landwirtschaftsflächen und Bauland gehen, sondern vielmehr um die umfassende Betrachtung einer ganze Region und die qualitative Aufwertung der vorhandenen Flächen und Infrastrukturen.
Die Erfahrungen der HSS-Projektarbeit vor Ort zeigen, dass Flurbereinigung in diesem Sinne in China ein enormes Potential aufweist. Prof. Dr. Holger Magel, Emeritus of Excellence der TU München, und Landschaftsarchitekt Karl Spindler beraten seit vielen Jahren im Auftrag der HSS entsprechende Kooperationsprojekte, darunter Modellvorhaben in der Dorferneuerung und Flurneuordnung, der Landschaftsbewertung oder der Bürgerbeteiligung. Sie freuen sich über die aktuelle Entwicklung. Magel: „Der ländliche Raum genießt in China nun allerhöchste politische Priorität. Auch China strebt höhere Lebensqualität und Gleichwertigkeit an“. Der Dialog der HSS zur Entwicklung ländlicher Räume wird 2018 fortgesetzt.
Hier können Sie eine Kurzzusammenfassung des Akademischen Dialogs lesen -<link file:51842 _blank download>"Aiming Better Quality of Life in Rural Areas" (pdf, englisch).
Mehr Informationen zu unserer Arbeit in China
Die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) war die erste deutsche politische Stiftung, die nach der Öffnung des Landes in China vertreten war. Seitdem wurden vor allem auf dem Gebiet der ländlichen Entwicklung Kooperationsprojekte auf den Weg gebracht. Ziel dabei ist die nachhaltige Förderung der ländlichen Räume und damit die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bevölkerung.
Lesen Sie mehr in unserem Factsheet
Quellen
1 Statista.com - https://de.statista.com/statistik/daten/studie/166163/umfrage/urbanisierung-in-china/
2 Statista.com - https://de.statista.com/statistik/daten/studie/234492/umfrage/anzahl-der-wanderarbeiter-in-china/
3 The Telegraph - http://www.telegraph.co.uk/news/world/china-watch/politics/chinas-global-vision/
Silke Franke
Leiterin