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Politischer Kommertar
Amerika zwischen Polarisierung und Stabilisierung

Autor: Christian Forstner

Amerikas Politik schwankt zwischen Polarisierung und Stabilisierung. Über allen Akteuren sitzt ein politisch unerfahrener Präsident, dessen Kurs schwer einzuschätzen bleibt. Es dominiert die Innenpolitik, Amerika wird in den nächsten Jahren mit sich selbst beschäftigt sein. Die parteipolitischen Koordinaten verschieben sich, die Schnittmenge mit den Demokraten wird größer.

Die Entlassung des FBI-Direktors James Comey war erwartet worden, die Beziehungen zwischen Donald Trump und der Geheimdienst-Community waren angespannt. Der Präsident behauptet, dass er und seine Vertrauten im Wahlkampf abgehört wurden. Anfang des Jahres wurde ein von einem britischen Spion verfasstes und Trump kompromittierendes Dossier bekannt, das der Washingtoner Szene aus US-Geheimdienstkreisen zugespielt wurde. Trump hätte also Anlässe finden können, um die Geheimdienstspitze auszutauschen. Doch bei der Entscheidung vom 9. Mai überraschte und irritierte der Zeitpunkt und vor allem die Begründung.

Entlassung des FBI-Chefs james Comey wirft Fragen auf.

Entlassung des FBI-Chefs james Comey wirft Fragen auf.

Federal Bureau of Investigation; CC0; Wiki Commons

Nichts Genaues weiß man nicht

Es mutete zunächst wie ein Treppenwitz der jüngeren US-Geschichte an, wenn James Comey wegen der Email-Affäre um Hillary Clinton seinen Hut nehmen musste, wie die anfänglichen Stellungnahmen verlauteten. Denn gerade die Wiederaufnahme der FBI-Untersuchungen im Wahlkampfendspurt brach Clinton das Genick. Schließlich gab Donald Trump in einem Interview später zu erkennen, dass die laufenden FBI-Ermittlungen zu seinen Russland-Kontakten und zu möglichen Absprachen im Wahlkampf Auslöser der Absetzung von James Comey waren. Hinter dieser verwirrenden Öffentlichkeitsarbeit der neuen Administration offenbart sich eine gewisse Planlosigkeit der Regierungspolitik. Die Gesundheitsreform ging erst im zweiten Anlauf durch das Repräsentantenhaus, die Eckpunkte der Steuerreform sind sehr vage, die Aussetzung der Visum-Erteilung für Bürger aus einigen islamisch geprägten Ländern war handwerklich schlecht umgesetzt und wurde erst mal gerichtlich gestoppt, die NATO ist mal obsolet, mal wichtig. Wird das Nordamerikanische Freihandelsabkommen gekündigt oder neuverhandelt? In vielen Fragen gilt: Nichts Genaues weiß man nicht.

Der Veteran und ehemaliger General James Mattis gilt als hoch qualifiziert und professionell. Der US-Senat bestätigte seine Nominierung mit nur einer Gegenstimme.

Der Veteran und ehemaliger General James Mattis gilt als hoch qualifiziert und professionell. Der US-Senat bestätigte seine Nominierung mit nur einer Gegenstimme.

Air Force Tech. Sgt. Brigitte N. Brantley; CC0; Wiki Commons

McMaster und Mattis stabilisieren die Lage außenpolitisch

Die Unsicherheit über die künftige US-Politik ist in Washington greifbar. Immerhin hat sich außen- und sicherheitspolitisch unter Verteidigungsminister James Mattis und Sicherheitsberater H.R. McMaster die Lage stabilisiert. Die Tonlage gegenüber NATO und Europa hat sich entschärft, ein Wirtschafts- und Handelskrieg mit China scheint vom Tisch, und in der Russland-Politik zeigt das Weiße Haus Dialogbereitschaft mit dem Kreml in den Brennpunkten der internationalen Politik, ohne sich der Illusion einer neuen Entspannungspolitik hinzugeben und ohne Russlands aggressive Außenpolitik zu beschönigen. Auch die Benennung von Mark Green, Vorsitzender des International Republican Institute, tief verwurzelt im republikanischen Establishment und eng vertraut mit John McCain, zum mutmaßlich neuen Chef der Entwicklungsagentur USAID stützt die These, dass in Washington nicht alles anders wird. Doch trotz einiger Signale der Kontinuität und der Kooperationsbereitschaft bleibt der Kurs des Präsidenten unberechenbar. Hinter vorgehaltener Hand sprechen internationale Führungskräfte vom US-Präsidenten als geopolitischem Risiko. In der Handelspolitik haben sich die republikanischen Senatoren John McCain und Ben Sasse offen gegen protektionistische Tendenzen ausgesprochen und ihre Vorbehalte gegen den nominierten US-Handelsminister Robert Lighthizer deutlich gemacht.

Der respektierte konservative Richter Neil Gorsuch konnte erst nach einer umstrittenen Gesetzesänderung vom Senat bestätigt werden.

Der respektierte konservative Richter Neil Gorsuch konnte erst nach einer umstrittenen Gesetzesänderung vom Senat bestätigt werden.

Supreme Court; CC0; Wiki Commons

Heterogene Trump-Wähler

Die US-Administration legt den Schwerpunkt der nächsten Jahre auf die Innenpolitik. Es geht um Jobs, um Wirtschaftswachstum, um Industrieansiedlung und um innere Sicherheit. Das Augenmerk gilt der Abwehr von Terroranschlägen und der Bekämpfung der ansteigenden Drogenkriminalität. Das ist der Wählerauftrag. Außenpolitik steht nicht auf der Agenda. Für eine globale Führungsrolle fehlen der neuen Administration Wille und Kraft, der Kongress ist um Schadensbegrenzung gegenüber den US-Verbündeten bemüht, Washingtons politische Elite wird unter Donald Trump mit sich selbst beschäftigt sein. Amerikas internationales Engagement ist ein Nebenprodukt, um militärische Stärke zu zeigen, rote Linien durchzusetzen  und Respekt vor der Supermacht einzufordern. Der Trump-Wähler, gemeinhin als Angry White Man dechiffriert, ist ein heterogenes Phänomen. Die Motivation, Trump zu wählen, speist sich aus unterschiedlichen Motiven: Die einen wollten einen neuen konservativen Verfassungsrichter und haben ihn mit Neil Gorsuch auch schon bekommen; weitere Richter könnten folgen. Andere unterstützen die massiven Steuerkürzungen, für die Trump plädiert. Manche fühlen sich von der De-regulierungsrhetorik und dem Ideal eines schlanken Staates angesprochen. Nicht wenige verfallen dem Anti-Eliten-Reflex, wie ihn Trump eindrucksvoll in seiner Inaugurationsrede bediente. Viele, gerade im Mittleren Westen, fürchten einen Job-Verlust und haben Statusangst. Für einige ist die Beherrschung der Migration das wichtigste Thema, sie sorgen sich vor Überfremdung. Etliche kritisieren die institutionelle Blockade zwischen den Parteien und Institutionen, der Trump seine Deal-Maker-Fähigkeiten entgegensetzt. Die Protektionismus- und Nationalismus-Töne wirken für globalisierungsskeptische Industriearbeiter attraktiver als das demokratische Weltbild eines liberalen Interventionismus. So heterogen der Trump-Wähler auch ist, eines ist ihm gemein: An Außenpolitik hat er kein Interesse und er denkt, dass er die Zeche zahlt für das US-Engagement in der Welt. Die Washingtoner Hysterie um Kontakte von Trump-Vertrauten zu Russen interessiert jenseits des Beltway nicht. Und die meisten Amerikaner in der Provinz hätten wohl auch Mühe, das größte Land der Welt auf der Landkarte zu finden.   Außen- und europapolitisch wird der Senat in den Jahren an Einfluss gewinnen. Dort sieht man sich als stabilisierendes Korrektiv zum Präsidenten, dort werden internationale Verträge ratifiziert, dort muss sich die Führungsspitze der Administration strengen Hearings unterziehen, dort werden Amerikas Gesamtinteressen artikuliert und dort ist man zur parteiübergreifenden Zusammenarbeit gezwungen. Denn für die großen politischen Fragen ist die Zustimmung von 60 Senatoren erforderlich, über die die Republikaner mit derzeit 52 Senatoren nicht verfügen.

Polarisierung im Repräsentantenhaus

Die polarisierte innenpolitische Stimmung wird im Repräsentantenhaus sichtbar. Die Republikaner verfügen formal über eine Mehrheit. Faktisch sind die Republikaner in sich jedoch eine Koalition aus dem konservativ-liberalen Lager um den Parlamentspräsidenten Paul Ryan, der die Steuerreform pusht, aus einer sozial- und wirtschaftsliberalen Gruppe (sogenannte Dienstags-Gruppe) und aus den erzkonservativ-populistischen Abgeordneten der Freiheits-Fraktion (Freedom Caucus, Nachfolgebewegung der Tea Party), die für ein starkes US-Militär, weniger Staat und konsequente Haushaltssanierung eintreten.

Der inhaltliche Richtungsstreit bei den Demokraten ist abgeflaut. Die während der Präsidentschaftswahl aufgetretenen Flügelkämpfe zwischen dem linken, protektionistischen und nationalpopulistischen Flügel um Bernie Sanders und dem internationalistischen wirtschaftsnahen Teil um Hillary Clinton sind jetzt überlagert von den internen Spannungen zwischen der Washingtoner Parteielite und neuen Kräften aus den Regionen. Die Moderation dieses Prozesses hat der neue Parteivorsitzende Tom Perez zu seinem Hauptanliegen erklärt. Für Geschlossenheit im demokratischen Lager sorgt die einstimmige Ablehnung des Präsidenten, dem man Legitimität, Befähigung und Klugheit abspricht. Die konsequente Ablehnung der überparteilichen Zusammenarbeit im Repräsentantenhaus ist die Zuspitzung einer bereits lange zu beobachtenden Entwicklung: Die politische Polarisierung im Kongress hat zugenommen, innerparteiliche Scharfmacher gewinnen an Einfluss, institutionell ist das Repräsentantenhaus fragmentiert. Die meisten Wahlkreise sind fest in der Hand einer Partei, die Konkurrenz um den Abgeordnetensitz kommt aus der eigenen Partei, nicht vom politischen Gegner. Um innerparteilich auf sich aufmerksam zu machen, werden die Losungen radikaler und die Tonlage schriller.  Die Medien heizen die Lage an (überall laufen die Fernseher mit breaking news und Donald Trump als Schlagzeilenmacher) und sorgen für permanente Wahlkampfstimmung. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Im Sommer sind bereits die ersten Primaries für die Mid-Term Elections 2018 angesetzt. Die Polarisierung in der amerikanischen Politik und Gesellschaft nimmt zu. Beide Parteien konsolidieren ihre Stammwählerschaft und odrienteren sich nicht mehr an möglichen Wechselwählern. Die Trump-Wähler halten ihrem Präsidenten die Stange, 93% der Trump-Wähler würden ihn heute erneut wählen. In roten Wahlkreisen (rot ist die Parteifarbe der Republikaner) ist Trump ein Zugpferd. Er bringt Wählerstimmen und sichert Wahlsiege.

Diese Gemengelage aus einem populistischen Präsidenten mit erratischen Positionen stürzt viele Republikaner in Loyalitätskonflikte, sie drucksen herum, wenn sie nach ihrer Haltung zum Präsidenten gefragt werden, sie zögern zwar mit öffentlicher Kritik, Jubelstimmung herrscht aber auch nicht.  Innenpolitisch ist bei vielen Projekten der Kongress am Zug. Trotz hoher politischer Fragmentierung und Polarisierung insbesondere im Repräsentantenhaus hat der Kongress zuletzt eine gewisse Handlungsfähigkeit bewiesen. Haushaltsmittel wurden für den Zeitraum bis September bewilligt, um eine Schließung der Regierung zu vermeiden. Die Gesundheitsreform, deren Auswirkungen noch kaum einzuschätzen sind, wurde im zweiten Anlauf auf den Weg gebracht. Zumindest in ideologischer Hinsicht akzeptieren die Republikaner inzwischen, dass der Staat eine Rolle und eine Verantwortung in der Gesundheitspolitik hat. Die Zielsetzung, für geringere Kosten, mehr Qualität und mehr Versicherte zu sorgen, bleibt aber schwer umzusetzen in einer Gesellschaft, die den Solidargedanken über die Community-Ebene hinaus nur wenig verinnerlicht hat. Zu den nächsten großen Projekten im Kongress zählt die nur in groben Umrissen vorgestellte Steuerreform. Es soll zu Steuersenkungen für Unternehmen und Privatpersonen kommen, die Schenkungssteuer soll wegfallen und eine Gewinnrückführungsamnestie gewährt werden. Die Steuerreform wird nicht gegengerechnet, sondern die prognostizierten Steuerausfälle von mehreren Billionen US-Dollar sollen sich mittelfristig über das steigende Wirtschaftswachstum und die neu geschaffenen Arbeitsplätze ausgleichen. Diese Rechnung hat viele Unwägbarkeiten, so dass der Widerstand der fiskalischen Hardliner unter den Republikanern, vor allem im Freedem Caucus, sehr groß ist.

Verschiebungen im politischen Koordinatensystem

Durch den Wahlsieg von Donald Trump hat sich das politische Koordinatensystem verschoben. Trump vertritt in vielen Politikfeldern Positionen, die nicht dem traditionellen republikanischen Denken entsprechen. Im internationalen parteipolitischen Dialog mit der Republikanischen Partei tun sich daher Risse auf. Europas Christdemokraten wie die CDU und CSU stehen zur europäischen Integration, bedauern den EU-Austritt Großbritanniens, setzen auf offene Märkte, bekämpfen den Klimawandel, stärken multilaterale governance-Strukturen, denken in Soft Power, unterstützen nachhaltige Entwicklung, bekennen sich zu einer liberalen Demokratie und festigen die Soziale Marktwirtschaft. In all diesen Fragen ist die Schnittmenge zwischen den Mitte-Rechts-Parteien in Europa und den Demokraten in Amerika größer als zwischen EVP und Republikanern.

Beredtes Beispiel für das unübersichtliche politische Koordinatensystem ist die Brexit-Positionierung: Donald Trump sympathisiert offen mit dem Brexit-Lager und drückte Marine Le Pen die Daumen. Bezeichnend auch die Lage im US-Repräsentantenhaus: Während die Demokraten Brexit ablehnen und damit europäisch denken, sind die Republikaner durch die Bank Brexit-Befürworter. Theresa May sprach auf der republikanischen Fraktionsklausur im Januar und schwor die Republikaner auf eine Europa-kritische Linie ein. Die pro-europäischen Kräfte hatten diesem Schulterschluss nichts entgegengesetzt. Dem parteipolitischen Dialog zu Grundsatzfragen der Politik muss daher in den nächsten Jahren besonderes Gewicht zukommen.

Turbulenz und Kontinuität

Die Gemeinsamkeiten in den transatlantischen Beziehungen werden in den nächsten Jahren einer Belastungsprobe ausgesetzt sein. Deutschland muss sich darauf einstellen, beständig auf den hohen Exportüberschuss und die geringen Verteidigungsausgaben angesprochen zu werden. Zugleich genießt man aber Respekt für den Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt und für die funktionierende duale Ausbildung. Vereinfacht formuliert lautet die US-Aufforderung an Deutschland: Spend More / Gebt mehr aus, sowohl im Inland als auch im Ausland! Die deutsche Diplomatie betont bewusst, dass die Washington-Reise der Bundeskanzlerin im März erfolgreich und freundschaftlich verlief. Doch es fällt auf, dass die Chemie mit Theresa May besser war und dass Trump eine irritierende Nähe zu Putin offenbart, dem er große Führungsqualitäten bescheinigt, während er zu Angela Merkel auf Distanz geht. Auch die Eigenheit Donald Trumps, Institutionen wie die Justiz und Medien zu attackieren sowie sich über Normen der politischen Korrektheit und des zivilisierten Umgangs mit politischen Gegnern hinwegzusetzen, ist der moralischen Autorität des US-Präsidenten nicht zuträglich.

Die Strahlkraft der USA als Führungsmacht der freien westlichen Welt bröckelt. Amerikas Partner und Freunde müssen lernen, Verantwortung selbst zu übernehmen und Kooperationsmöglichkeiten mit den USA zu erkennen, wo die innenpolitische Rhetorik von höchster Stelle im Weißen Haus bisweilen nahelegt, dass es sie nicht gibt. Bislang sind die Turbulenzen an der politischen Oberfläche größer als die tatsächlichen Politikveränderungen auf den unteren Ebenen.