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Vertreter der parlamentarischen Opposition zu Gast in Brüssel
Die Ukraine im Fokus der EU

Autor: Benjamin Bobbe
, Dietrich John

Die Europäische Union (EU) pflegt im Rahmen der Östlichen Nachbarschaftspolitik die Beziehungen zu sechs östlichen Nachbarstaaten. Die EU begleitet beispielsweise den Reformprozess in der Ukraine, um in der Region politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Stabilität zu unterstützen. Auch die Hanns-Seidel-Stiftung fördert seit über 25 Jahren den Demokratieprozess in dem Land.

Herr Ferber am Rednerpult. Stützt sich selbstsicher auf. Die Schultern gerade, entschlossen.

Markus Ferber, MdEP, betonte die Aufmerksamkeit, die der Ukraine im politischen Brüssel zukommt.

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„Im politischen Brüssel kommt der Ukraine große Bedeutung zu“, unterstrich Markus Ferber. Es habe bereits viele Erfolge und Fortschritte hinsichtlich der bis dato von Kiew durchgeführten Reformen gegeben: „Seit der Unabhängigkeit haben sich in der Ukraine positive Veränderungen gezeigt, die insbesondere nach dem Maidan 2014 noch an Dynamik gewonnen haben“, so der stellvertretende Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung. Gleichzeitig könne der aktuelle Konflikt in der Ukraine keinesfalls schlicht als „eingefrorener Konflikt" bezeichnet werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen militärischen Auseinandersetzung im Osten des Landes sei es besonders wichtig, die langjährigen Beziehungen und die uneingeschränkte europäische und deutsche Unterstützung für die demokratische Entwicklung des Landes fortzusetzen.

Die ukrainische Unabhängigkeit, ihre territoriale Unverletzlichkeit und Souveränität seien Kernelemente des europäischen Wertekanons, betonte der polnische Abgeordnete im Europäischen Parlament, Prof. Dariusz Rosati. „Die EU kann Unterstützung im Reformprozess leisten, aber es muss die Ukraine selbst sein, die Reformen anstößt und umsetzt.“ Gerade im Bereich der Korruptionsbekämpfung entstehe in letzter Zeit jedoch der Eindruck, dass Regierung und Parlament hier eher bremsten, als die Entwicklung voranzutreiben. Dies sei nicht nur ein Problem für die politische Unterstützung durch die EU, sondern auch ein verheerendes Signal an Unternehmen, welche Direktinvestitionen in der Ukraine beabsichtigten, so der Europaabgeordnete.

In einer öffentlichen Veranstaltung am 24. April 2018 in Brüssel diskutierten Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) sowie Vertreter der parlamentarischen Opposition im ukrainischen Parlament über die momentane Situation in der Ukraine. Herr Markus Ferber, MdEP und stellvertretender Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS), informierte unter anderem über die Arbeit der HSS vor Ort. Die weiteren Sprecher, Prof. Dariusz Rosati, MdEP und zwei Delegationsteilnehmer, Frau Oksana Syroid, stellvertretende Parlamentspräsidentin in der Ukraine und Oleh Berezyuk, Vorsitzende der Fraktion „Samopomich“ im ukrainischen Parlament, debattierten über die aktuellen (sicherheits-)politischen Entwicklungen in dem Land.

Vier Menschen auf einem Podium auf Stühlen. Der Herr ganz links spricht gerade in ein Handmikrofon.

Prof. Dariusz Rosati, MdEP, lobte den Reformprozess der Ukraine, wies jedoch gleichzeitig mit Nachdruck darauf hin, dass nicht die Frage nach einer ukrainischen EU-Mitgliedschaft im Fokus stehen müsse, sondern die nachhaltige wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklung im EU-Nachbarland. (v.l.n.r. Dariuzs Rosati, Amanda Paul, Senior Policy Analyst, European Policy Centre (EPC), Oksana Syroid und Oleh Berezyuk)

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Eine unbequeme Partei

Ohne Direktinvestitionen und die Kräfte des freien europäischen Marktes könne die ukrainische Wirtschaft nicht flächendeckend die Innovationsfähigkeit und Leistungsfähigkeit erreichen, die Voraussetzung für den Fortschritt des Landes seien.

Auf dieses Ziel arbeitet auch die ukrainische Oppositionspartei „Samopomich“ hin. Die ukrainischen Teilnehmer Oksana Syroid und Oleh Berezyuk unterstrichen, dass „Samopomich“ eine unbequeme Partei sei – denn ihr Anliegen sei es, sich keinesfalls mit dem wirtschaftlichen System der Oligarchen abzufinden. Gleiches gelte für die Kriegsökonomie im Osten des Landes und den Einfluss der Russischen Föderation im Parlament. „Wir werden diese Phänomene weiter aufzeigen und anprangern“, stellte Berezyuk heraus.  

Zwei weitere Themen wurden besonders hitzig diskutiert: einerseits die heftigen Reaktionen Ungarns hinsichtlich der Reform des ukrainischen Bildungsgesetzes, dem zufolge künftig auch nationale Minderheiten (wie zum Beispiel die ungarische) Unterricht in der ukrainischen Sprache erhalten sollen. Ungarn fasst dies als eine unzulässige Einschränkung europäischer Minderheitenrechte auf; sowie andererseits die Frage nach dem Gaspipeline-Projekt „Nord Stream II“.

Wieder vier Personen auf der Bühne. Jetzt spricht die Dame drei von links.

Nach ihrem Eröffnungsvortrag nahm Oksana Syroid an der Podiumsdiskussion teil und schilderte ihre Sicht auf die vielen Konfliktbereiche zwischen Russland und der Ukraine.

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Keine gewöhnliche Investition

In Bezug auf das Energieprojekt sprechen manche Beobachter von einer politischen Stimmungsänderung: Bis vor kurzem stieß die Ukraine mit ihrer Ansicht, dass das Projekt unter anderem vom Kreml für politische Absichten genutzt werden solle, anstatt ein einfaches Investitionsgeschäft zur Lieferung von russischem Gas nach Europa darzustellen, auch in Berlin auf wenig Verständnis. Spätestens mit der Entscheidung des Schiedsgerichtes in Stockholm, das den russischen Gasriesen Gazprom Anfang des Jahres zur Zahlung von einer Ausfallentschädigung in Milliardenhöhe an die Ukraine auf Grund vertraglich vereinbarter, aber nicht stattgefundener und daher auch nicht bezahlter Gasdurchleitungen verurteilte, wächst das Verständnis für die Sorgen der Ukraine mit diesem Projekt, dessen Umsetzung die Bedeutung der Ukraine als Gastransitland und die wirtschaftliche Situation des Landes insgesamt schwächen würde. „Samopomich“ sieht eine Strategie vor, die das ukrainische Pipelinesystem für europäische Investoren öffnet. Modernes Management und sinnhafte Investitionen in das bestehende Röhrensystem könnten, so Berezyuk, „Nord Stream II“ überflüssig machen.  

Nach heutigem Stand ist zu erwarten, dass sich die Diskussionen innerhalb der Ukraine und auch auf bilateraler Ebene mit der EU fortsetzen werden, um über die politischen Reformfortschritte sowie das Energieprojekt „Nord Stream II“ zu beraten.

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter