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Wladimir Putin: 25 Jahre an der Macht
Putins Machtspiele

Autorin/Autor: Hanns-Seidel-Stiftung Zentrale München

Putin steht seit 25 Jahren an der Spitze Russlands. Von vielen wird er negativ als rücksichtsloser Kriegsherr wahrgenommen. Im Inland hingegen erhält er für seine aggressive Politik viel Zustimmung.

 

Schaltzentrale der Macht: Wladimir Putin nimmt per Videokonferenz an einer Sitzung des Russischen Präsidialrats für Kultur und Kunst teil.

Schaltzentrale der Macht: Wladimir Putin nimmt per Videokonferenz an einer Sitzung des Russischen Präsidialrats für Kultur und Kunst teil.

© ITAR-TASS/Imago

Der russische Präsident Wladimir Putin gilt vielen als rücksichtsloser Kriegsherr, der den Angriffskrieg gegen die Ukraine erst begonnen und dann brutal fortgeführt hat und der seine Herrschaft innerhalb Russlands mit eiserner Hand und immer stärkerer Repression absichert. Zugleich sind die Zustimmungswerte zu Putins Politik in Russland so hoch wie selten zuvor. Laut den jüngsten Umfragedaten des unabhängigen und in Russland als „ausländischer Agent“ eingestuften Meinungsforschungsinstituts „Lewada-Zentrum“ vom Februar 2025 befürworten 88 % der befragten Russinnen und Russen die Tätigkeit Wladimir Putins als russischer Präsident. War das immer so? Wie hat sich seit Putins erster Wahl vor 25 Jahren die Rolle und die Wahrnehmung des russischen Präsidenten innerhalb und außerhalb Russlands entwickelt?

Als Boris Jelzin am 31. Dezember 1999 sein Amt als Präsident der Russischen Föderation niederlegte, übernahm der damalige Ministerpräsident Wladimir Putin gemäß der russischen Verfassung – zunächst bis zur Wahl von Jelzins Nachfolger – dessen Amtsgeschäfte. Bei den darauffolgenden Wahlen am 26. März 2000 wurde Putin als Präsident der Russischen Föderation vom Volk bestätigt. Viermal wurde er seitdem wiedergewählt. Seine Präsidentschaft war nur unterbrochen zwischen 2008 und 2012, als Dmitri Medwedew ihm vorübergehend nachfolgte, weil Putin gemäß der – später geänderten – russischen Verfassung nicht für drei Amtszeiten hintereinander zum Präsidenten gewählt werden konnte. Die Dauer einer Amtsperiode des russischen Präsidenten wurde 2010 von vier auf sechs Jahre verlängert. Ein Ende der Ära Putin ist nicht in Sicht.

Erste Amtsjahre: durchwachsene Bilanz

Viele Russinnen und Russen halten Wladimir Putin noch heute zugute, dass er das Land aus dem Chaos der neunziger Jahre herausgeführt habe. Der radikale Umbruch von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft per „Schocktherapie“ (Privatisierungen und Preisliberalisierung) hatte zusammen mit externen Faktoren zur Zahlungsunfähigkeit Russlands im Jahr 1998 geführt. Die wirtschaftliche Erholung des Landes während der ersten Jahre von Putins Präsidentschaft war durch einen starken Anstieg der Ölpreise im Jahr 1999 begünstigt. Gleichwohl verbinden viele Russinnen und Russen mit den ersten Amtszeiten Wladimir Putins eine deutliche Erhöhung ihres Lebensstandards.

Bereits während seiner ersten Amtszeit als Präsident schwankten die Zustimmungswerte zu Putin laut Lewada-Zentrum zwischen 61 % und 86 %. Interessant ist, dass schon immer ein überraschend deutlicher Zusammenhang erkennbar gewesen ist zwischen der Zustimmung zu Putins politischem Handeln im eigenen Land und den innen- und außenpolitischen Meilensteinen und besonderen Ereignissen, die Putins Herrschaft prägten. So stieg die Zustimmung zu seiner Politik in den Monaten nach Putins Rede im Bundestag am 25. September 2001 stark an – ein klares Indiz dafür, dass diese Rede mit eher versöhnlichem Tenor beim eigenen Volk damals gut ankam. Als nach dem Geiseldrama von Beslan im September 2004, bei dem nach offiziellen Angaben mehr als 330 Geiseln in einer Schule starben, die Direktwahl der Gouverneure russischer Regionen durch das russische Volk abgeschafft wurde, sank die Zustimmung zum Handeln des Präsidenten deutlich. Nach offizieller Lesart sollte der Zentralstaat angesichts terroristischer Bedrohungen gestärkt werden.

In beiden Fällen fielen die Reaktionen im Ausland ähnlich aus wie die in Russland: Putins Rede im Deutschen Bundestag, die er fast vollständig in deutscher Sprache hielt, kam auch in Deutschland bei vielen Kommentatoren gut an und wurde von den Abgeordneten mit stehenden Ovationen bedacht. Die vorübergehende Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in Russland drei Jahre später wiederum wurde auch im westlichen Ausland kritisiert und dort als Schwächung der Demokratie gewertet, da Präsident Putin dadurch Kandidaten für Gouverneursposten vorschlagen konnte, die dann vom jeweiligen Regionalparlament nur noch bestätigt werden mussten. Schon bald wurde klar, dass dadurch in vielen Fällen die bereits bestehenden Machtstrukturen in den Regionen gestärkt und nicht etwa bessere und effektivere Gouverneure eingesetzt wurden.

Der Telegram-Account des Kremls

Der Telegram-Account des Kremls

© Hanno Bode/Imago

Zunehmend unterschiedliche Wahrnehmung im In- und Ausland

Doch spätestens in Putins zweiter Amtszeit als Präsident zeigte sich, dass seine Handlungen und Entscheidungen im In- und Ausland zunehmend unterschiedlich  wahrgenommen wurden. So stieg die Zustimmung zu Putin im eigenen Land in den Monaten nach seiner vielzitierten, konfrontativen Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 erheblich an, bei der er unter anderem die NATO-Osterweiterung und die auf die USA ausgerichtete „unipolare Weltordnung“ scharf kritisierte. Offensichtlich hatte der russische Präsident mit der dezidierten Definition nationaler Interessen Russlands auf internationaler Bühne einen Nerv bei vielen seiner Landsleute getroffen. Im Westen hingegen wurde die Rede mit ihren Vorwürfen gegen die NATO, die nach Putins Auffassung russische Sicherheitsinteressen missachtet habe, teils mit Überraschung, teils mit großer Bestürzung aufgenommen. 

Viele Beobachter betrachten diese Rede heute als Ausgangspunkt für einen neuen Kalten Krieg und als Beginn des Versuchs, an imperiale Größe und das Erbe der Sowjetunion anzuknüpfen: Putin machte klar, dass er die Interessen Russlands, so wie er sie versteht, verteidigen würde. Damit war die Entscheidung verbunden, Partnerschaft und Zusammenarbeit aufzugeben und eine konfrontativere Haltung gegenüber dem Westen einzunehmen – gegenüber der NATO, den Vereinigten Staaten, aber auch gegenüber den Partnern in der Europäischen Union und Dritten. 

Was dies konkret bedeutete, hatte sich bereits während des brutal geführten Zweiten Tschetschenienkriegs gezeigt, als dessen Ergebnis Tschetschenien wieder in die Russische Föderation eingegliedert wurde, und zeigte sich später erneut bei der Annexion der Krim und der Besetzung von Teilen des Donbas durch Russland im Jahr 2014. Zuvor aber drangen im August 2008 russische Truppen in südossetisches und völkerrechtlich zu Georgien gehörendes Gebiet ein, um auf Seiten von Militärverbänden aus Südossetien gegen georgische Truppen zu kämpfen. Dadurch wurde die georgische Armee zurückgedrängt und Südossetien der Kontrolle der georgischen Zentralregierung entzogen. Ende August 2008 erkannte Russland dann die Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien an, die sich seitdem als von Georgien unabhängige Republiken verstehen. Als Reaktion hierauf stiegen die Zustimmungswerte zu Putin zwischen Juli und September 2008 laut Lewada-Zentrum um acht Prozentpunkte an. Auch die Unterstützung der russischen Bevölkerung für das Eingreifen Russlands in Südossetien ist also ein deutlicher Hinweis darauf, dass Putins Politik von der Mehrheit des russischen Volkes zunehmend unterschiedlich beurteilt wird als von westlichen Beobachtern.

Proteste als Albtraum der Staatsmacht

Ein einschneidendes Ereignis kurz vor der Wiederwahl Putins als Staatspräsident im Jahr 2012 waren die Proteste nach den russischen Parlamentswahlen im Dezember 2011. Die Demonstranten warfen den Regierenden Wahlfälschung vor, verlangten Neuwahlen und forderten sowohl Ministerpräsident Putin als auch Präsident Medwedew zum Rücktritt auf. Im Dezember 2011 sanken die Zustimmungswerte für Putins Politik als Ministerpräsident, die sich im Vormonat bereits auf vergleichsweise niedrigem Niveau befunden hatten, gemäß den Zahlen des Lewada-Zentrums auf 63 %. Diese Proteste werden von vielen Beobachtern als Auslöser eines immer härteren Vorgehens Putins gegen Kremlkritiker in den darauffolgenden Jahren angesehen.

Ebenfalls großen Einfluss auf Präsident Putin und seine Entscheidungsfindung hatte zwei Jahre später der Euromaidan 2013/14 in der Ukraine. Diese Proteste führten zu Flucht und Absetzung des damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Und sie führten dem russischen Präsidenten vor Augen, was eine demokratische Revolution bewirken kann. Es war offensichtlich, dass ähnliche Entwicklungen in Russland seine Herrschaft hätten gefährden können. Diese Erkenntnis bestärkte ihn darin, im eigenen Land mehr und mehr auf Repression zu setzen. In der Endphase des Euromaidan begann Russland dann, die ukrainische Halbinsel Krim zu annektieren und die Ostukraine mittels einer verdeckten Invasion auch mit regulären russischen Truppen zu destabilisieren. Dieses aggressive Vorgehen hatte laut Lewada-Zentrum einen sprunghaften Anstieg der Zustimmungswerte zu Putins Politik um 25 Prozentpunkte zwischen November 2013 und Juni 2014 zur Folge - offensichtlich goutierten viele Russinnen und Russen sein aus ihrer Sicht entschiedenes Handeln. 

Das Erbe der Sowjetunion

Strategisch ist die Ukraine für Putin von größter Wichtigkeit und alles deutet darauf hin, dass er davon überzeugt ist, dass Russland ohne die Kontrolle über das Land nicht die Großmacht und das Imperium sein kann, dessen Wiederherstellung er als geboten sieht. Am 25. April 2005 hatte Putin den Zerfall der Sowjetunion in seiner Rede vor den Mitgliedern der Föderationsversammlung als „die größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Der russische Staatschef ließ damit seiner Sehnsucht nach dem untergegangenen kommunistischen Imperium freien Lauf. Eine Meinung, die in Russland auch mehr als 30 Jahre nach diesem historischen Ereignis nicht nur weit verbreitet ist, sondern vom russischen Staat aktiv gefördert wird. 

Die Glorifizierung der Sowjetunion und das Verschweigen der systematischen Verbrechen und Menschrechtsverletzungen sind unter Putin im Zeitverlauf zur russischen Staatspolitik und Teil einer Rückbesinnung auf anti-liberale, autoritäre, imperiale und orthodoxe Traditionen geworden, die als identitätsstiftendes Gegenmodell zur westlichen Demokratie und liberalen Gesellschaftsmodellen dienen. Der Staat übernimmt dabei die Rolle des obersten Geschichtslehrers, der Mythen und Narrative verbreitet und faktenbasierte Wahrheitsfindung bekämpft und unter Strafe stellt. In diesem Sinne ist der heutige “Putinismus” auch das Ergebnis einer nicht erfolgten Aufarbeitung der Vergangenheit Russlands.

Frieden als Chance oder Bedrohung?

Am 24. Februar 2022 begann schließlich die groß angelegte russische Invasion der Ukraine, was das Ende der jahrzehntelang bestehenden europäischen Sicherheitsarchitektur bedeutete. Da die Zustimmung zu Putin in hohem Maße vom Ausgang des Krieges gegen die Ukraine abhängt, ist dessen weiterer Verlauf entscheidend für ihn. Seine Zustimmungswerte schnellten im Februar 2022 ähnlich steil in die Höhe wie zu Beginn des Kriegs im Donbas im Jahr 2014 und haben sich seitdem auf hohem Niveau stabilisiert. 

Viele Russinnen und Russen sehen es als ihre moralische Pflicht an, sich zumindest nach außen hin patriotisch zu geben und den Krieg zu unterstützen. Verhaltensregeln und Sprachregelungen werden eingehalten, um Probleme mit den Behörden zu vermeiden. Die grundsätzliche Unterstützung des Krieges durch eine breite Mehrheit der russischen Bevölkerung trägt also zur Stabilisierung der Stellung des Präsidenten und ganz allgemein des autoritären Systems in Russland bei. Hier kommen kulturelle Faktoren zum Tragen: Die Menschen in Russland haben verinnerlicht, dass der Stärkere das Recht auf seiner Seite hat – und damit die „Wahrheit“. Kein Mitleid mit dem Schwächeren. Ob ausgehend vom allmächtigen Staat oder in den Haushalten, in den Gefängnissen und Waisenhäusern, in der Armee – gewaltförmige Beziehungen dominieren das russische Leben. Wer Schwäche zeigt, muss befürchten, sich bald einem Stärkeren gegenüberzusehen, der ihm seinen Willen aufzwängt und jede Lüge zur Wahrheit stilisiert. Zugleich spürt die urbane Bevölkerung nur wenig vom menschlichen Leidensdruck des Kriegs, kommen die Freiwilligen des Krieges doch zum Großteil aus den entfernten ärmeren Regionen und gehören überproportional ethnischen Minderheiten an. 

Daher interessiert sich in Russland eigentlich schon lange niemand mehr für die vielen Plakate, die für den Kriegseinsatz werben. Russland könnte den Krieg in der Ukraine von einem auf den anderen Tag beenden. Viele Russinnen und Russen wünschen sich Frieden – nur eben zu russischen Bedingungen. Sie erwarten von ihrem Präsidenten, dass Russland am Ende als Sieger dasteht – sonst droht seinen Zustimmungswerten der freie Fall. 

Insofern würde es dem Ansehen des russischen Präsidenten massiv schaden, wenn Russland einem Friedensschluss zustimmen würde, ohne die erklärten Kriegsziele eines Austauschs der ukrainischen Staatsführung („Entnazifizierung“) und einer „Demilitarisierung“ der Ukraine erreicht zu haben. Darüber hinaus bestünde für den Kreml das Risiko, dass eine Beendigung des Krieges schwerwiegende politische, soziale und wirtschaftliche Herausforderungen in Russland offenlegen würde, die bisher verdrängt wurden. Durch die Umstellung auf Kriegswirtschaft wird die Inflation schon jetzt angeheizt. Eine mögliche Stagflation, also wirtschaftliche Stagnation bei gleichzeitiger Inflation, könnte bestehende gesellschaftliche Spannungen noch verstärken. 

Putin erntet somit, was er gesät hat und dürfte sich daher nur dann auf einen Waffenstillstand einlassen, wenn er sich im eigenen Land als Sieger darstellen kann. Ob Putin an einem dauerhaften Frieden angesichts der aktuellen Gemengelage im Inneren Russlands und der Situation auf den Schlachtfeldern in der Ukraine überhaupt ein Interesse haben kann, darf bezweifelt werden. 

Die hybride Kriegsführung gegen westlich orientierte Staaten und die EU ist Ausdruck der modernen Entgrenzung des neuen Kalten Krieges und der Entschlossenheit Putins, jegliche Schwäche für sich zu nutzen, um Bruchstellen in der NATO und den Mitgliedstaaten zu vergrößern. Mehr denn je wird es die Aufgabe Europas sein, sich durch Stärke Gehör zu verschaffen. Veränderungen in Russland und eine Zeit nach Putin kann es erst geben, wenn dessen expansionistischer Politik und den Kriegen in der Ukraine und die hybride Kriegsführung gegen Europa von den Regierungen und Gesellschaften Einhalt geboten werden: durch Entschlussfreude und Stärke in Gestalt von Anpassung und Resilienz.

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