Print logo

Klartext zum Brexit
Sind wir ohne die Briten noch sicher?

Jetzt ist es Fakt: Am 29. März hat England seinen Scheidungsantrag der EU übergeben. Neben mindestens zweijährigen Verhandlungen über den Austritt zählen zu den vielen weiteren, erheblichen Konsequenzen vor allem die Auswirkungen auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von EU und NATO. Und genau diese hat die Hanns-Seidel-Stiftung in einer Expertenveranstaltung am 28. März beleuchtet. Teilnehmer waren unter anderen Matthew Rhodes vom George C. Marshall Center in Garmisch-Partenkirchen und Steven Blockmans vom Brüssler Zentrum für Europäische Politische Studien. Trotz „Chatham House Rule“, welche die Anonymität der Redebeiträge gewährleistet, konnte die HSS beide für ein Interview gewinnen.

succo; CC0; pixabay

Meier-Walser: "[...] helfen, die historische Dimension des Brexit zu verstehen."

Meier-Walser: "[...] helfen, die historische Dimension des Brexit zu verstehen."

Wenn eine Veranstaltung der Hanns-Seidel-Stiftung unter die „Chatham House Rule“ fällt, geht es um brisante Themen. Die Regel gewährleistet die Anonymität der Diskussionsbeiträge der Teilnehmer an den hochkarätig besetzten Diskussionsrunden. Nachdem HSS-Experte und Leiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen, Prof. Dr. Meier-Walser, das zentrale Thema vorgestellt hatte, nämlich die Implikationen des Brexit auf die gemeinsame Sicherheits-und Verteidigungspolitik der EU (CSDP – „common security and defence policy“) wurde im Münchner HSS-Konferenzzentrum Klartext gesprochen. Wie würde das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU die europäische Sicherheitspolitk beeinflussen?

"wenn der Brexit zur Integration genutzt wird, könnte er zur Chance für mehr Integration werden"

"wenn der Brexit zur Integration genutzt wird, könnte er zur Chance für mehr Integration werden"

„Don´t let a good crisis go to waste“

Schnell kristallisierten sich in der kontrovers geführten Diskussion zwischen den Expertenpanels und dem Plenum zwei Ansichten heraus: die Fraktion der Optimisten verwies besonders auf die Chancen europäischer Krisen. Man dürfe eine gute Krise auf keinen Fall verkommen lassen! Wenn der Brexit richtig genutzt würde und zu einer vertieften Integration der verbleibenden Mitgliedsstaaten bei der gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik führte, könnte die EU sogar von ihm profitieren. Außerdem sei der Verlust beispielsweise britischer Geheimdienstinformationen zu verschmerzen, sollte es wirklich zu einer weitreichenden Trennung des Austausches sicherheitsrelevanter Informationen kommen. Denn die Kooperation der europäischen Geheimdienste befinde sich ohnehin auf  niedrigem Niveau und laufe in der Praxis hauptsächlich bilateral zwischen den jeweiligen Nationen ab. Automatischer Datenaustausch sei eines der Integrationsfelder, auf denen der Brexit Kontinentaleuropa durchaus Auftrieb geben könnte. Die Optimisten schätzen außerdem den Zusammenhalt der EU als stabiler ein, als es den Anschein habe. „Sogar nach einem möglichen ‚Frexit‘ sehe ich nicht, dass die EU auseinander fällt oder die Sicherheitskooperation mit Großbritannien größeren Schaden nimmt“. Dieses Statement sorgte für ungläubiges Gemurmel im Plenum. Jetzt hatten die Pessimisten das Wort.

Historische Erfahrung zeigt: Staaten handeln mitnichten immer rational.

Historische Erfahrung zeigt: Staaten handeln mitnichten immer rational.

Public Domain Photographie; CC0; Pixabay

„Nur weil etwas rational und richtig ist, muss es noch lange nicht geschehen“

Auch innerhalb Kontinentaleuropas gebe es wenig Willen zu weiterreichender Integration, wie man mit Blick auf die „Visegrád“-Staaten sehen könne. Ein Brexit könnte diese Tendenzen weiter vertiefen. Der Hoffnung, dass die konfuse Situation in Großbritannien und das immer wieder drohende Auseinanderbrechen des vereinigten Königreiches, als eine Art Negativbeispiel, andere widerständige europäische Staaten von unilateralen Schritten abhalten könnte, erteilten einige Diskutanten klare Absagen. Staaten handelten mitnichten immer rational und orientiert an objektiven Interessen. Das zeige die historische Erfahrung. Außerdem bestehe die Gefahr eines nachhaltig vergifteten Verhältnisses zu Großbritannien, sollten die Austrittsverhandlungen von Seiten der EU besonders hart geführt werden. Darüber hinaus gehe ein wichtiger Partner verloren, was den Einfluss Europas in der Welt erheblich schmälern könnte. Auch wenn das Britische Commonwealth „lediglich ein politisches Artefakt“ ist, so sei es doch eine wertvolle Marke und Türöffner für diplomatische Bemühungen weltweit. Das politische Gewicht Großbritanniens sei nicht zu unterschätzen. Auch in den Vereinten Nationen verlöre Europa an Boden, denn als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates verliebe nur noch Frankreich als Sprecher für europäische Interessen.

Ohne die Briten steht Europa in Sachen Geheimdiestinformationen recht verlassen da.

Ohne die Briten steht Europa in Sachen Geheimdiestinformationen recht verlassen da.

Fünf Punkte die uns schmerzen werden

Einen verlässlichen, wenn auch historisch schwierigen Partner wie die Briten zu verlieren, sei ein schwerer Schlag für das Staatenbündnis, dessen Auswirkungen noch gar nicht abzusehen seien. Fünf Punkte standen dabei im Vordergrund der Diskussion:

  1. Der Sicherheitsverlust: Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit könnte von Großbritannien in den Austrittsverhandlungen mit der EU als Faustpfand genutzt werden. Man könne nicht erwarten, dass die Briten auf einen ihrer Trümpfe aus purer Freundlichkeit verzichteten.

  2. Krisenmanagement wird leiden: Die Verträge von Maastricht oder Lissabon wären ohne den Einfluss der Briten wohl nie zustande gekommen. Auch die militärische Durchsetzungsfähigkeit europäischer Interessen nähme Schaden.

  3. Das Commonwealth gehe verloren.Damit würden entscheidende Kontakte und diplomatische Möglichkeiten eingeschränkt.

  4. Europa stünde ohne geheimdienstlichen Austausch mit den Briten recht verloren da und sei nur auf den guten Willen der Briten angewiesen. Ein mit dem israelischen Geheimdienst „Mossad“ vertrauter Diskussionsteilnehmer gab zu bedenken, dass von allen europäischen Geheimdiensten lediglich der britische GCHQ international ernst genommen würde.

  5. Die Machtbalance innerhalb Europas würde sich verschieben hin zu der zentralen Achse Deutschland-Frankreich. Wie belastbar dieses Fundament ohne den ausgleichenden Einfluss Großbritanniens für die Weiterentwicklung der EU wäre, sei zumindest zu hinterfragen.

Geballter Sachverstand: Experte für politische Integration, Emil Kirchner, Tagungsleiterin Andrea Rotter, US-Sicherheitsexperte Matthew Rhodes und Sophia Besch vom Londoner Think Tank "CER"

Geballter Sachverstand: Experte für politische Integration, Emil Kirchner, Tagungsleiterin Andrea Rotter, US-Sicherheitsexperte Matthew Rhodes und Sophia Besch vom Londoner Think Tank "CER"

Der Schweif des Kometen

Bei der Frage, wie die britische Situation nach der Loslösung von der EU aussehen könnte, herrschte weitgehend Konsens: Die britische Hoffnung, dem besonderen Verhältnis zu den Vereinigten Staaten wieder seine alte Bedeutung zu geben, sei zweifelhaft. Zum einen sei die viel beschworene transatlantische Brücke (UK-USA) weitgehend eine Einbahnstraße. Konkreter Mehrwert durch etwa eigene militärische Unterstützung amerikanischer Einsätze sei für das Vereinigte Königreich nicht zu erwarten. Die Schwäche der britischen Schlagkraft habe sich bereits im Libyeneinsatz gezeigt, als der europäisch geführten NATO-Allianz nach nur wenigen Wochen die Bomben ausgingen und Amerika aushelfen musste. Eigentlich hatte die US-Regierung gehofft, sich nicht direkt beteiligen zu müssen.. Auch dadurch habe das britisch-amerikanische Verhältnis Schaden genommen. Großbritannien wurde nicht mehr als der 100%-ig verlässliche Partner wahrgenommen, der es vorher einmal gewesen war. Präsident Obama monierte öffentlich, Großbritannien habe mit vielen Ablenkungen zu kämpfen. Damit meinte er die virulenten Bestrebungen Schottlands, aus dem Königreich auszutreten und den sich bereits ankündigenden Brexit. Der amtierende Verteidigungsminister James Mattis nannte Großbritannien gar „the tail end of the comet“, also den „Schweif des Kometen“. Er zweifelt öffentlich an der Stärke des britischen Militärs.

"The outcome seems quite gloomy"

"The outcome seems quite gloomy"

unsplash; CC0; pixabay

Not so splendid Isolation

Unter Präsident Donald Trump stehen die Beziehungen der beiden Länder nicht unbedingt unter dem Zeichen engerer Kooperation. Das habe sich nach dem Besuch Theresa Mays in Washington gezeigt, als Trump die Briten beschuldigt hatte, ihn mittels eines ihrer Geheimdienste  und auf Anweisung Obamas abgehört zu haben (eine Anschuldigung, für die er bis zum heutigen Tag jegliche Beweise schuldig bleibt und der von den Briten  als „Nonsense“ zurückgewiesen wurde). Sein später von einem Bundesgericht kassierten Einreisestopp für sieben islamisch geprägte Länder wurde zudem genau nach Mays Besuch unterschrieben, so dass die britische Premierministerin bei ihrer Heimkehr nicht die neu begründete Freundschaft zwischen dem United Kingdom und den USA verkünden konnte, sondern Fragen zum behaupteten Abhören  und dem Einreisebann beantworten musste. Es sieht also so aus, als könnte sich Großbritannien nach seinem Ausscheiden aus der EU ziemlich verlassen vor den Küsten Europas wiederfinden. Einer der „Pessimisten“ beschloss die Diskussion mit der Zusammenfassung: „The outcome seems quite gloomy“, also: die ganze Sache könnte auch schlecht ausgehen.

 

Autor: Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser, HSS

Steven Blockmans; Center for European Policy Studies

HSS: Mr. Blockmans, will there be any security and defence implications for the EU, because of Brexit? Is hard security  not the NATOs field of responsibility?

In general, I think, cooperation in security matters within the European Union is in a state of infancy still. Lost of structures and documents have been drawn up. The most recent example would be the creation of an EU operational headquarters. An older example concerns the European “battle groups” which are on stand-by but have never been used. There have of course been civilian missions and military operations dispatched to the neighbourhood and Africa, but they have usually been quite small in size, quite limited in scope of mandate and duration. Just think at the Darfur-crisis in Chad. It took many months to get the proper helicopters for a dusty environment, because none of the European partners wanted to provide those. Eventually Russia did!


So security and defence cooperation is a field that needs improvement, especially after the Brexit?

Hard security is an underdeveloped area of European integration with a potential for growth. Traditionally, cooperation in this area - for instance the sharing of intelligence - has been very limited and happened on a bilateral or trilateral basis between the states, largely by-passing the EU institutions. Britain is one of the formidable powers among the EU member states. As security and defence cooperation is growing in the EU, there will be a future need for practical arrangements between the EU and the United Kingdom. 

How do you assess the influence the United States have had until now upon the EU and the European “Common Security and Defence Policy” trough their special partner, Great Britain?

From the early days of this millennium (when the UK was seen as the poodle of the US) until  now (where it is perceived at the tail end of the American comet), the indirect influence of the US on the CSDP has diminished. But there is still a positive way of looking at it this: Britain, which already spends 2% of its GDP on defence, is a positive example from the US point of view, a catalyst for the transactional approach that the Trump-led administration takes to US security provision for European allies. On the other hand we have the possibility of that unholy alliance of a Trump white house, which creates a mess in the administration and shifts power away from the US state department towards the ministry of defence, with an increasingly dis-United Kingdom and a messy government which seems unable to handle the big Brexit file. Counter-intuitively, this could also have a positive effect on continental Europe, which is going though a decisive election year. The negative outcomes of protest voting in the US and the UK could help responsible political parties and movements in EU member states to steal the thunder of dangerous demagogues.

Is it even in US interest to have a strong, united Europe?

It is in US interest to see that the EU is able to hold up its own pants and stabilise its neighbourhood. That is a dear strategic interest for the US, especially as it is pivoting towards Asia and the Pacific. At least then Washington can rely on the Europeans doing their bit in terms of international security. A strong European pillar in NATO is in the interest of the US as well. As an aside, it is in the interest of individual EU member states to beef up the CSDP, so as not to be dependent on increasingly unpredictable NATO allies. A case in point is Turkey under Erdogan, which is increasingly autocratic and is aligning itself with Russia - for instance by flagging that it might purchase Russian S400 missile defence systems. A European Defence Union should be able to protect its own strategic interests, especially in the neighbourhood.

Welchen Einfluss wird der Brexit auf die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU haben? 

Andrea Rotter, HSS: Auf dem Papier verliert die EU mit Großbritannien zunächst einen ihrer wichtigsten Akteure im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, allein schon aufgrund Großbritanniens wertvoller militärischer Kapazitäten sowie personeller und finanzieller Ressourcen: So ist Großbritannien das europäische Land mit dem größten Verteidigungshaushalt (für das Jahr 2017 rund £45.6 Mrd., also umgerechnet etwa €52,5 Mrd.) und verfügt zusammen mit Frankreich über den fähigsten Militärapparat. Natürlich muss man dies in Relation zu den tatsächlichen Beiträgen zur GSVP setzen, wo sich dieses Kräfteverhältnis nicht unbedingt widerspiegelt. Dennoch schwächt der Austritt Großbritanniens die Rolle und Möglichkeiten der EU, nach innen und außen als ernstzunehmender Sicherheitsakteur aufzutreten.  

Könnte der Brexit auch positive Folgen für die europäische GSVP haben? 

Andrea Rotter, HSS: Viele Beobachter vertreten die These, dass durch Großbritanniens Austritt aus der EU das größte Hindernis für eine tiefere Integration in diesem Bereich verschwindet und somit eine bessere institutionalisierte Zusammenarbeit erreicht werden kann. Denn in der Tat hat sich Großbritannien in der Vergangenheit oftmals Initiativen dieser Art entgegengestellt. Die deutsch-französische Initiative zur Erneuerung der GSVP und tieferen Kooperation der EU-Mitgliedstaaten, die im September 2016 vorgestellt wurde, kann als Indiz für derartige Bestrebungen gesehen werden. Jedoch bleibt abzuwarten, ob künftig wirklich ein Konsens unter den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten gefunden werden kann. Zudem wird eine Fortentwicklung der GSVP auch davon abhängen, wie sich die innereuropäische Balance nach dem Brexit entwickelt, ob und wie Frankreich, Deutschland und andere Länder ein derartiges Ziel verfolgen können und letztendlich auch wollen.  

Welche Rolle wird Großbritannien nach dem Brexit in der europäischen Sicherheitsarchitektur einnehmen?  

Andrea Rotter, HSS: Ich denke, dass Großbritannien weiterhin einen Beitrag zur europäischen Sicherheit leisten wird. Zum einen bleibt Großbritannien weiterhin Verbündeter in der NATO, zum anderen stehen wir nach wie vor vor den gleichen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Eine fortgeführte Kooperation zwischen Großbritannien und der EU, z. B. im Bereich der Terrorismusbekämpfung, ist also im Interesse aller Beteiligten. Wie die konkrete und operative Ausgestaltung dieser Zusammenarbeit aussehen wird, hängt allerdings davon ab, wie die Brexit-Verhandlungen verlaufen und zu welchem Ergebnis sie kommen werden.  

Kann sich der Brexit auch auf die NATO und die transatlantische Sicherheitskooperation auswirken? 

Andrea Rotter, HSS: Ich denke durchaus, dass der Brexit negative Folgen für die Zusammenarbeit innerhalb der NATO haben kann, wenngleich nicht unbedingt auf den ersten Blick ersichtlich, da Großbritannien ja weiterhin Mitglied der NATO bleibt. Manch Beobachter erwartet sogar ein größeres NATO-Engagement Großbritanniens, da es seine Kapazitäten nun nicht mehr „aufteilen“ muss. Allerdings hängt dies sehr davon ab, inwiefern Großbritanniens verfügbare Mittel für ein größeres Engagement unter den wirtschaftlichen Folgen des Brexits leiden werden. Auch der Verlauf der Brexit-Verhandlungen kann negative Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der europäischen NATO-Mitgliedstaaten haben. Ähnlich wie im Fall einer schmutzigen Scheidung könnten sich schwierige Brexit-Verhandlungen ebenso auf das Zusammenspiel der europäischen Mitglieder innerhalb der NATO auswirken. Außerdem ist davon auszugehen, dass Großbritannien und die EU-Staaten in den kommenden zwei Jahren sehr auf sich selbst und ihre inneren Konflikte fokussiert sein werden, anstatt gemeinsam auf die Stärkung des europäischen Pfeilers innerhalb der NATO – wie vehement von den USA gefordert – hinzuwirken. Der Zusammenhalt und Erfolg der transatlantischen sicherheitspolitischen Kooperation könnten erneut vermehrt von Amerikas Engagement abhängen. Unter Präsident Trump ist es allerdings fraglich, inwieweit die USA dazu bereit sind.

George C. Marshall European Center for Security Studies

Welchen Einfluss auf die NATO könnte das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU bewirken?

Das kommt darauf an. Wie immer. Auf jeden Fall wird es das Engagement Großbritanniens nicht schmälern. Die UK wird wahrscheinlich seinen Einsatz für die Allianz noch erhöhen. Zum Beispiel haben wir ja nur wenige Wochen nach dem britischen Referendum gesehen, dass Großbritannien zugesagt hat, der NATO ein Bataillon für den Einsatz im Baltikum zur Verfügung zu stellen, um Russland abzuschrecken. Zusätzlich wird Großbritannien mit einer Kompanie Soldaten das US-Bataillon in Polen verstärken und wird außerdem die Führung der „Very High Readiness Joint Task Force“ der NATO übernehmen. Das ist ein sehr hochranginge Einheit innerhalb der Struktur der NATO, eine schnelle Eingreiftruppe in Brigadenstärke, die während des letzten NATO-Gipfels 2014 in Wales ins Leben gerufen wurde. Man kann also sagen, dass es keine oder nur geringfügige Auswirkungen auf die NATO hätte, wenn Großbritannien aus der EU ausscheidet. Im Gegenteil wird Großbritannien eher versuchen sein Profil innerhalb des Bündnisses zu schärfen, um so sein Ausscheiden aus der EU zu kompensieren. Auf der anderen Seite gibt es die Sorge, dass Großbritannien eine längere Zeit hauptsächlich mit den langwierigen Verhandlungen mit den ehemaligen EU-Partnern beschäftigt sein wird.

Wie wird sich der Brexit auf die globale Stellung der EU auswirken?

Ich denke, das Gesamtgewicht der EU in der Welt wird geschmälert werden, wenn es nur noch etwas über 400 Millionen Menschen repräsentiert und nicht mehr eine gute halbe Milliarde. Die Wirtschaft und das Militär Großbritanniens macht in etwa ein Viertel der gesamten EU aus und es wird Auswirkungen auf die innere Machtbalance der EU geben. Diese Faktoren werden die gravierendsten Auswirkungen haben.

Sind die beunruhigend undiplomatischen Forderungen Donald Trumps an die Europäer, 2% ihres BSP für Verteidigung auszugeben, gerechtfertigt?

Präsident Trump und seine Administration sprechen den Punkt der Lastenverteilung sehr direkt an. Dies ist allerdings eine Forderung die alle US-Regierungen erhoben haben, seit der Gründung der NATO in den 1940er Jahren. Auch unter Obama wurden diese Forderungen sehr betont erhoben. US-Verteidigungsminister Robert Gates hat 2011 im NATO-Hauptquartier eine viel beachtete Rede gehalten, in der er auf die Ungleichgewichte in den Verteidigungsausgaben hingewiesen hat und davor warnte, dass diese innenpolitisch in den USA nicht länger vertretbar sein. Barack Obama selbst hat im Frühling des letzten Jahres dem Magazin „Atlantic Monthly“ ein Interview gegeben, in dem er sich über das „Schwarzfahren“ der Europäer beklagte. Die Amerikanischen Forderungen sind also erst einmal nichts Neues. Neu sind vielleicht die Ausdrucksweise und die Andeutungen, dass amerikanische Sicherheitsgarantien irgendwie mit dem Erreichen der 2% Marke verbunden sein könnten, nicht aber die zugrunde liegende US-amerikanische Unzufriedenheit mit dem Status quo. Daher glaube ich, es ist heute wichtiger denn je, gerade in Bezug auf die amerikanische Innenpolitik, dass Europa sich mehr um seine eigene Sicherheit kümmert. Auch der amtierende Verteidigungsminister James Maddis hat ja hier in München auf der MSC gesagt, dass es politisch keinen Sinn mache, wenn die Amerikaner das Gefühl hätten, sie sorgten sich mehr um die Sicherheit der Europäer, als die Europäer selber.

Nun zu dem „besonderen“ Verhältnis der Briten zu den Vereinigten Staaten. Können sich die Briten nach dem Brexit darauf verlassen?

Dieses besondere Verhältnis war für das Funktionieren der NATO seit ihrer Gründung sehr bedeutened. Ich denke aber, dass es weiterhin diese herausragende Stellung und Funktion haben wird. Ich erwarte nach dem Brexit durchaus Bemühungen, diese Beziehung wieder zu beleben. Für die langfristige Zukunft der NATO aber wird eine breitere Basis als allein diese bilaterale Verbindung gebraucht.

 

 

Leiterin Akademie für Politik und Zeitgeschehen

Prof. Dr. Diane Robers
Außen- und Sicherheitspolitik
Andrea Rotter, M.A.
Leiterin