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Wahlen in der Tschechischen Republik
Wird Premierminister Andrej Babiš abgelöst?

Die ANO-Partei des amtierenden Premierministers Andrej Babiš wurde bei den Parlamentswahlen nur zweistärkste Kraft. Dass Babiš sein Amt abgeben muss, ist wahrscheinlich. Es könnte eine pro-europäische neue Regierung geben. Das hätte Auswirkungen auf das Verhältnis zu Deutschland, aber auch auf die Dynamik innerhalb der EU.

Bei den Parlamentswahlen in Tschechien setzte sich überraschend das bürgerlich-konservative Wahlbündnis „SPOLU“ nach absoluten Stimmen an die Spitze. SPOLU verwies die ANO-Partei des amtierenden Premierminister Andrej Babiš auf den zweiten Platz. Damit dürfte Tschechien bald über eine ausdrücklich pro-europäische Regierung unter Petr Fiala verfügen. Auch die Beziehungen zu Deutschland und Bayern werden noch mehr Raum einnehmen. 

Eine Karte der Tschechische Republik

Obwohl Staatspräsident Miloš Zeman angekündigt hat, der stärksten Einzelpartei den Auftrag zur Regierungsbildung zu geben, fehlen Premier Babiš und seiner ANO-Partei willige Koalitionspartner.

PeterHermesFurian; ©HSS; IStock

SPOLU möchte mit dem Wahlbündnis „STAN“/Piraten eine Koalition bilden. Noch am Wahlabend unterzeichneten beide Seiten eine Absichtserklärung. Eine solche Allianz käme auf 108 von insgesamt 200 Sitzen im Parlament. SPOLU konnte seine Mandate von 42 auf 71 (bei 27,7%) steigern, STAN/Piraten von 28 auf 37. Gleichzeitig büßte ANO sechs Sitze ein und kommt nun auf 72 Mandate. Erstmals in der Geschichte Tschechiens scheiterten die Sozialdemokraten und die Kommunisten an der 5%-Hürde. Die rechtsradikale „SPD“ büßte ebenfalls an Zuspruch ein und kommt auf 9,5%.

Damit fehlen dem amtierenden Premierminister Babiš sogar für eine Minderheitsregierung zwei mögliche Koalitionspartner, nämlich die Sozialdemokraten und die Kommunisten. Sein Regierungsauftrag dürfte dem Ende entgegengehen, auch wenn Beobachter mit einer langen Regierungsbildung rechnen. Dies liegt insbesondere an der aktiven Rolle des Staatspräsidenten, welche dieser dabei laut der Verfassung einnimmt. Miloš Zeman, der amtierende Staatspräsident, stellte bereits im Wahlkampf in Aussicht, dass er Wahlbündnisse nicht anerkennen und den Spitzenkandidaten der stärksten (Einzel-)Partei mit der Regierungsbildung beauftragen würde. Und dies wäre wiederum  der amtierende Premierminister Babiš als ANO-Vorsitzender. Allerdings fehlen diesem nun sogar die Perspektiven für die Neu-Auflage einer Minderheitsregierung. Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass am Sonntag den 10. Oktober, am Tag nach der Wahl, Zeman ins Krankenhaus auf die Intensivstation eingeliefert wurde. Damit steht der Prozess der Regierungsbildung erst einmal still.

Trotzdem dürfte es aus heutiger Sicht nur eine Frage der Zeit sein, bis der SPOLU-Spitzenkandidat das Amt des Premierministers übernimmt. Petr Fiala, ehemaliger Bildungsminister, dürfte die Regierungsgeschäfte mit Sachlichkeit und Umsicht lenken. In seiner Zeit als Rektor der Masaryk-Universität in Brünn, der zweitgrößten Stadt des Landes, entwickelte er die Hochschule zu einem Magnet für Studenten aus Mitteleuropa. Dieser Umstand dürfte SPOLU gerade in den großen Städten Rückenwind verliehen haben. In Prag stimmten über 40% für das bürgerlich-konservative Wahlbündnis.

Was heißt das für Deutschland und die EU?

Für Deutschland bedeutet der Erfolg von SPOLU ebenso gute Neuigkeiten. Als einzige politische Kraft unterstrich SPOLU in seinem Wahlprogramm die herausragende Bedeutung der Beziehungen zu seinem größten Nachbarland und möchte diese sogar weiter vertiefen. Meinungsunterschiede könnten sich in der EU-Migrationspolitik ergeben. Die Bevölkerung in Tschechien bewertet Zuwanderung aus Staaten außerdem des europäischen Kontinents grundsätzlich skeptisch. Gleichwohl sehen SPOLU und STAN/Piraten ihr Land eindeutig in der EU und im westlichen Militärbündnis verankert. Unter einem Ministerpräsidenten Petr Fiala wird die Tschechische Republik alles daransetzen, den Vorsitz im EU-Ministerrat im 2. Halbjahr 2022 gut zu absolvieren.

Autor: Dr. Markus Ehm, HSS, Prag

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Tschechien
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