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Peking
Deutsch-Chinesischer Dialog zur Rechtsstaatlichkeit

Rechtsstaatlichkeit ist ein aktuelles Thema in China. Zum ersten Mal seit Gründung der Volksrepublik China wurde es im Oktober 2014 in einem Plenum der Kommunistischen Partei erörtert.

 

Jiang Xiaochuan referiert über Aufgaben und Fragestellungen der Justizreform in China

Jiang Xiaochuan referiert über Aufgaben und Fragestellungen der Justizreform in China

Im Rahmen ihrer Projektarbeit organisierte die Hanns-Seidel-Stiftung gemeinsam mit der Hochschule des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (Zentrale Parteihochschule, ZPH) am 17. April 2015 den akademischen Dialog „Die Entwicklung des Rechtssystems und rechtsstaatliches Verwaltungshandeln in China und Deutschland“ in Peking, mit mehr als 60 Teilnehmern aus Wissenschaft und Forschung.

In verschiedenen Beiträgen wurden die bisherige Praxis der Rechtsstaatlichkeit beschrieben und Reformansätze vorgestellt. Zentrale Punkte des chinesischen Programms erläuterte Wang Yaqin, Assistenzprofessorin von der Abteilung für Politik und Recht der Zentralen Parteihochschule. Sie wies darauf hin, dass ein verbindlicher institutioneller Rahmen für das Regierungshandeln ausgearbeitet werden müsse. Verwaltungsverfahren sollen, auch mit Blick auf die öffentliche Meinung, optimiert und die Rechenschaftspflicht der Beamten verstärkt werden. All diese Bemühungen würden nur dann erfolgreich sein, so Wang, wenn sie von den Beamten mitgetragen werden. Auf den beiden Säulen, einer soliden rechtlichen Basis und den Staatsdienern, die sich ihrer Verantwortung bewusst seien, ruhten die Erwartungen.

Eröffnung der Tagung mit Wang Yaqin (ZPH), Zhang Xiaoling (ZPH), Alexander Birle (HSS), Zhuo Zeyuan (ZPH) und Stephan Kersten

Eröffnung der Tagung mit Wang Yaqin (ZPH), Zhang Xiaoling (ZPH), Alexander Birle (HSS), Zhuo Zeyuan (ZPH) und Stephan Kersten

Über die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit als Garant rechtsstaatlicher Verwaltung. referierte Stephan Kersten, Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Die Grundlagen des Verwaltungsrechts und die Strukturen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland seien Voraussetzungen für das Funktionieren eines demokratischen Rechtsstaats. Verwaltungsgerichte müssen, so Kersten, Konflikte zwischen Bürger und Staat lösen. Am Beispiel der dritten Start- und Landebahn des Münchener Flughafens erklärte Kersten, wie Rechtsschutz effektiv funktioniere.

In der anschließenden Diskussion interessierten sich die Teilnehmer für den Auftrag und die Arbeitsweisen der deutschen Verwaltungsgerichte, die Unterschiede zwischen Europa und den USA oder für die Zuständigkeiten bei Normenkontrollen in Deutschland und China.

Außerdem wurde die Reformagenda der chinesischen Regierung kritisch hinterfragt. Dies bezog sich vor allem darauf, wie der Rechtsrahmen gestaltet werde oder auf die künftige Rolle der Kommunistischen Partei Chinas im sozialistischen Rechtsstaat.

Die Justizreform in China thematisierte Professor Jiang Xiaochuan, ebenfalls Mitarbeiter der Abteilung für Politik und Recht der Zentralen Parteihochschule. Er ging der Frage nach, auf welchen Grundlagen die Reformen aufbauten. Seit mehr als hundert Jahren sei das chinesische Rechtssystem unablässig massiven Veränderungen unterworfen und bestehe heute zu großen Teilen aus Versatzstücken mit europäischen Einflüssen. Zum Aufbau eines kohärenten Justizsystems bedürfe es eines Fundaments, das in der chinesischen Rechtsgeschichte und Kultur wurzele.
Ein weiteres Problem bestehe nach Jiang darin, dass die Reformpläne selbst oft rechtliche Grundsätze missachteten, indem im Streben nach Innovationen und schnellen Erfolgen Zuständigkeiten übergangen und Verfahren angewendet würden, die bestehende Gesetze brächen.

Marco Haase bei seinem Vortrag

Marco Haase bei seinem Vortrag

Über die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für die Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland referierte Professor Dr. Marco Haase, stellvertretender Direktor des Chinesisch-Deutschen Instituts für Rechtswissenschaft der China Universität für Politik- und Rechtswissenschaft (CUPL). Nach Vorbemerkungen zur Gewaltenteilung, dem Aufbau der Gerichte und der besonderen Rolle des Bundesverfassungsgerichts ging Haase auf die Maßnahmen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Richter ein. Eine einheitliche Ausbildung und Methodik, weitgehend übereinstimmende Wertvorstellungen, eine angemessene Bezahlung, ein ausgeprägtes Berufsethos und eine differenzierte Rechtswissenschaft tragen nach Haase entscheidend dazu bei, dass die Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland als gesichert gelten kann.

Anschließend wurde diskutiert, wie die Unabhängigkeit der Justiz in China gestärkt werden könne. Auch die von Jiang geforderte Orientierung der Justizreform an chinesischen Gegebenheiten, die rechtswissenschaftliche Ausbildung in China sowie die Arbeitsbedingungen von Richtern in Deutschland und China wurden kontrovers erörtert.
Professor Dr. Zhang Xiaoling, stellvertretende Leiterin der Abteilung für Politik und Recht der Zentralen Parteihochschule, resümierte, dass die Weiterentwicklung des chinesischen Rechtssystems große Anstrengungen erfordern und einschneidende Veränderungen für alle Chinesen mit sich bringen werde.

Eine intensive Auseinandersetzung mit den deutschen Erfahrungen könne maßgeblich dazu beitragen, bis zum Jahr 2020 einen funktionsfähigen sozialistischen Rechtsstaat aufzubauen, der Gerechtigkeit für die Bevölkerung, die friedliche Beilegung von Konflikten und den Schutz der Menschenrechte möglich mache.

Nordost- und Zentralasien
Veronika Eichinger
Leiterin