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Erstes Sicherheitsforum 2017 in Lwiw
Die Ukraine und die europäische Sicherheitsarchitektur

Autor: Benjamin Bobbe

Das Erste Lwiwer Sicherheitsforum war die Auftaktveranstaltung für ein Expertenforum. Hochrangige Vertreter aus Europa und Nordamerika trafen sich vom 29. November bis 01. Dezember 2017 in Lwiw (Lemberg), um sich über Fragen der europäischen Sicherheitsarchitektur nach 2014 und die aktuelle politische Situation in der Ukraine auszutauschen.

Angeregt diskutieren Konferenzteilnehmer aus Weißrussland und der Ukraine

Angeregt diskutieren Konferenzteilnehmer aus Weißrussland und der Ukraine

Lwiw Security Forum

Der hohe Anspruch an diese Fachtagung wurde durch die beeindruckende Zahl an Teilnehmern und die hochwertigen Rede- und Diskussionsbeiträge bekräftigt.
Unterstützt wurde die Veranstaltung von der Hanns-Seidel-Stiftung, der Stiftung Wiedergeburt, der Katholischen Universität Lwiw und dem Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadowyi, sowie weiteren Förderern.

Bemerkenswert war, in welcher analytischen Tiefe Teilnehmer aus Weißrussland, der Republik Moldau, Georgien und selbst der Krim die eigene jüngere Geschichte verarbeitet und dargestellt hatten.
In einem offenen und kollegialen Austausch kam auch die ukrainische Eigenverantwortung zur Sprache. Dazu gehören beispielsweise weitere Reformbemühungen des Landes, allen voran die Korruptionsbekämpfung. Die Bürde der inneren und äußeren Sicherheit des Landes liegt trotz aller Unterstützung von europäischen Nachbarn und transatlantischen Partnern zuerst bei der Ukraine selbst.

In vier Podiumsdiskussionen diskutierten Experten aus Militär, Medien und Zivilgesellschaft unter verschiedenen Blickwinkeln folgende Themen:

  • War der Krieg in der Ostukraine im heutigen Europa unvermeidlich?

  • Der Krieg muss ernstgenommen werden!

  • Was kann unternommen werden, um den Aggressor nicht weiter zu stärken?

  • Souveränität und Verantwortung

Politikwissenschaftler Prof. Dr. Stephan Bierling analysiert wie Ukraine und Russische Föderation in Deutschland wahrgenommen werden

Politikwissenschaftler Prof. Dr. Stephan Bierling beschreibt wie Ukraine und Russische Föderation in Deutschland wahrgenommen werden

Lwiw Security Forum

Hauptthesen des Forums

Prof. Dr. Stephan Bierling, Fachbereich Internationale Politik und Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg, bot einen umfassenden Einblick in die gesellschaftspolitische Ambivalenz, mit der das Thema „Ukraine versus Russische Föderation“ in Deutschland aktuell behandelt wird.
Der rational allgemein akzeptierten Tatsache, dass die Russische Föderation mit der Okkupation der Krim internationales Recht und die bestehende Europäische Sicherheitsarchitektur eklatant verletzt habe, stünden handfeste wirtschaftliche Interessen entgegen, mehr aber noch sozio-psychologische Faktoren. Diese setzten eher unreflektiert und emotional die Russische Föderation bis heute mit der ehemaligen Sowjetunion gleich. Das führe zu widersprüchlichen Emotionen, von Schuldgefühlen über die 27 Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg bis zur Dankbarkeit für die „Erlaubnis“ zur Deutschen Wiedervereinigung und zur „Gorbimania“ der 90er Jahre. Auch aktuelle Entwicklungen, wie eine wachsende Distanz gegenüber dem gesellschafts- und kulturpolitischen Vorbild USA, förderten in Negation der transatlantischen Verbundenheit amorphe prorussische Tendenzen am linken wie auch am rechten Rand der Gesellschaft.

Generalleutnant Ben Hodges erläutert die US-amerikanische Perspektive

Generalleutnant Ben Hodges erläutert die US-amerikanische Perspektive

Lwiw Security Forum

Generalleutnant Ben Hodges, Oberster Kommandeur der U.S. Armee in Europa, unterstrich, dass auch die amerikanische Unterstützung der Ukraine an Konditionen gebunden sei, etwa Fortsetzung der Reformen, Ende der Korruption vor allem im Militärbereich sowie zivile und parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte. Problematisch sei, so General Hodges, die nicht eindeutig geklärte Rechtslage im Donbas- Konflikt. Im Gegensatz zum Krieg in Afghanistan etwa sei der Status der Kampfhandlungen, des Territoriums und das Mandat der kämpfenden Truppe nicht eindeutig geklärt. Das sei nicht nur aus militärischer Sicht, sondern vor allem aus rechtsstaatlichen Überlegungen kritisch zu hinterfragen.

Die stellv. Parlamentspräsidentin der Ukraine, Oksana Syroid, griff dieses Thema auf und appellierte eindringlich, rechtliche Klarheit im Umgang mit den Kampfeinsätzen im Osten des Landes zu schaffen.

Wie aktuell dieses Thema ist, wurde durch eine unschöne Fußnote der Veranstaltung bekräftigt:
Auf einer Karte, auf der die Stellung der Truppen der Russischen Föderation in Transnistrien, Abchasien, der Krim und dem Donbas veranschaulicht werden sollte, waren die Gebiete der selbstproklamierten Donezker und Lugansker Volksrepublik nicht wie üblich als „sogenannte“ bezeichnet und in Parenthese gesetzt. Der Gouverneur des Gebietes Lemberg, Oleg Synjutka, sah darin einen Angriff auf die nationale Einheit der Ukraine und kündigte an, beim Sicherheitsdienst der Ukraine Ermittlungen gegen die Organisatoren und Teilnehmer der Konferenz einleiten zu wollen.

Die Meinung der Bevölkerung

Im weiteren Verlauf wurde eine soziologische Studie vorgestellt, um die Öffentliche Meinung der ukrainischen Bevölkerung über die Krim und im Osten des Landes aufzuzeigen.

Diese Studie war auch deshalb aufschlussreich, weil zahlreiche Themen in der öffentlichen Diskussion offensichtlich nicht ausreichend behandelt werden. Bei der Frage nach einer Einschätzung der Vorgänge auf der Krim beispielsweise gab es zwei Kategorien:

  • Die Okkupation der Krim war ein russischer Angriff auf die Ukraine (26% Zustimmung)

  • Die Bevölkerung der Krim wollte den Anschluss an die Russische Föderation (20% Zustimmung).

Damit blieben sie die Antwort schuldig, wie in der Ukraine die Wertung der Vorgänge vom Sommer 2014 aussieht. Zwischen den beiden Extremen haben sich mehr als 50% der Befragten offensichtlich keine Meinung gebildet.

Dr. Ralf Roloff fordert eine kritische Sichtung der vorhandenen Konzepte für Sicherheit

Dr. Ralf Roloff fordert eine kritische Sichtung der vorhandenen Konzepte für Sicherheit

Lwiw Security Forum

Die Rolle Europas

In Hinblick auf das Gesamtthema der Veranstaltung, der Frage nach einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur, erläuterte Dr. Ralf Roloff vom George C. Marshall Center, dass eine kritische Analyse der bisherigen Sicherheitskonzepte vorausgehen müsse. Diese wären offensichtlich nicht ausreichend gewesen, um die Okkupation der Krim und den Krieg im Donbas zu verhindern. Bislang sei auch in westlichen Sicherheitskreisen nur wenig Bereitschaft zu erkennen, unvoreingenommen die Gründe dieses Versagens und die Konsequenzen für eine neue Sicherheitsarchitektur zu analysieren.
Die Russische Föderation habe spätestens 2014 einseitig eine neue Sicherheitsordnung im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion (ohne Baltische Staaten) eingeführt, die in Konkurrenz zur Europäischen Sicherheitsordnung stehe und auf die nun Europa und NATO reagieren müssten. Eine neue Europäische Sicherheitsarchitektur müsse über den Einzelfall Ukraine hinausgehen, aber systemisch auch diese „Detailfrage“ beantworten und Lösungen aufzeigen können.

Mit dem Sicherheitsforum in Lwiw soll die Möglichkeit eines „safe and rational space to discuss uncomfortable truths“ gegeben werden, wie es Mary O‘Hagan, Senior Country Director NDI Ukraine, formulierte. Die Sicherheitspolitik der Ukraine formiert sich gerade. Daher ist der Input von anderer Seite und der kritische Dialog unter Partnern besonders wichtig.

Mitteleuropa, Osteuropa, Russland
N.N.
Leitung
Ukraine
Benjamin Bobbe
Projektleitung
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