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Schwere Krise
Marokkos stiller Abschied vom Maghreb

Der schwere verbale Angriff auf marokkanische Unternehmen durch den algerischen Außenminister Messahel ist nur ein weiteres i-Tüpfelchen der seit Jahrzehnten schwelenden Krise zwischen Marokko und Algerien. Marokkos besonnene Reaktion auf den Seitenhieb des mächtigen Nachbarn ist einmal mehr Beleg für das Vertrauen in seine Afrikapolitik und strategische Vision. Nach der Rückkehr in die Afrikanische Union und dem bevorstehenden Beitritt in die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) ist die Union des Arabischen Maghreb für die stabile Monarchie im Westen der arabischen Welt nur noch ein Kapitel für die Geschichtsbücher.

Ein belebter Platz in der marokkanischen Hauptstadt Rabat

Konsequent und erfolgreich geht Marokko gegen Geldwäsche und Drogenhandel vor

Dr. Jochen Lobah

Entschlossen gegen Kriminalität

Die Reaktion Marokkos auf die jüngste Verunglimpfung führender marokkanischer Unternehmen, darunter die Banque Populaire und die Fluggesellschaft Royal Air Maroc, durch Algeriens Chefdiplomaten Abelkader Messahel fiel entschieden, aber nach diplomatischen Maßgaben aus.

Auf die Anschuldigungen, Marokkos Banken und seine Fluggesellschaft expandierten nach Afrika, um ihre Umsätze durch Geldwäsche aus dem Drogenhandel weiter zu steigern, reagierte man in Rabat: Der Geschäftsträger der algerischen Botschaft wurde einbestellt und der marokkanische Botschafter aus Algier zurückberufen. Darüber hinaus verwies man auf die Tatsache, dass gerade marokkanische Banken international exemplarisch und erfolgreich unter Federführung der zentralen Notenbank gegen Terrorfinanzierung und kriminelle Machenschaften vorgingen. So gehöre das Land zu den wenigen Ländern im Mittelmeerraum, das seit dem Jahr 2011 keinen Terror mehr erfahren musste. Ebenso handle die marokkanische Fluggesellschaft Royal Air Maroc entsprechend der strengen Vorgaben und Kriterien der Internationalen Luftverkehrsvereinigung IATA.

Indes dürfte die neuerliche Verbalattacke Algeriens noch andere Ursachen haben als die Verunglimpfung marokkanischer Wirtschaftsakteure.

Ausschnitt des Atlasgebirges im Dämmerlicht

In Jahrhunderten sind die Verbindungen Marokkos mit der Sub-Sahara-Region gewachsen

HSS

Engagierte Afrikainitiative

Nach der Rückkehr Marokkos in die Afrikanische Union zu Beginn des Jahres steht das Land kurz vor dem Eintritt in die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, der noch vor Jahresende vollzogen werden soll. Marokko wird sich dort wohl an der Seite Nigerias schnell als ökonomische Führungsmacht etablieren. Zudem zieht die engagierte und erfolgreiche Afrikadiplomatie Marokkos eine empfindliche Schwächung des südafrikanischen und algerischen Lobbyismus zugunsten der Demokratischen Arabischen Republik Sahara nach sich, die Gebietsansprüche gegenüber dem Königreich geltend macht.
Marokko hat wiederholt und unmissverständlich betont, dass seine territoriale Integrität unter keinen Umständen verhandelbar sei.
Die ungelöste West-Sahara-Frage war zweifellos einer der zentralen Beweggründe für Marokkos Afrikaoffensive, die von Beginn an Chefsache des Monarchen Mohammed VI. war.
Da Algerien seine Mitgliedschaft in der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft schon länger aufgekündigt hat und sich Tunesien ebenfalls anschickt, zeitnah der Gemeinschaft beizutreten, riskiert das ressourcenreiche Algerien mittelfristig eine wirtschaftliche und politische Isolation, nicht nur im regionalen, sondern auch im gesamtafrikanischen Kontext.

Im Hinblick auf seine Afrikainitiative profitiert das Königreich außerdem von den gewachsenen Verbindungen in die Sub-Sahara-Region, die historisch betrachtet seit mehr als eintausend Jahren im Einflussbereich marokkanischer Dynastien lag. So ist auch heute König Mohammed VI. als Amir al mu‘minin, als Oberhaupt der Gläubigen, über die Landesgrenzen hinaus eine zentrale und einigende Persönlichkeit des sunnitischen Islam in den muslimisch geprägten Ländern Westafrikas. Er ist zudem Garant für religiöse Toleranz und steht als institutionelles Bollwerk gegen islamistische Versuchungen jeglicher Art.

Marokkanisches Haus mit Tür und Fenster

Sonnenenergie wird effizient genutzt

Dr. Jochen Lobah

Innovative Umweltpolitik

Das lange und freundschaftliche Vieraugengespräch zwischen dem marokkanischen König und dem neuen UN-Sonderbeauftragten für die West-Sahara, des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler, dürfte ungeachtet des Inhalts das Ressentiment der politischen Eliten in Algier weiter genährt haben. Insgesamt steht man in Marokko der, wie es dort heißt, „positiven Neutralität“ des Afrikakenners Köhler aufgeschlossen gegenüber.

Das Nachbarland Algerien betrachtet dagegen mit Argwohn, wie Marokko den landwirtschaftlichen Sektor umfassend modernisiert und vor allem als innovative Führungsnation in der globalen Klimapolitik von sich reden macht. Im kritischen Raster des Climate Performance Index von German Watch rangiert das Land unter den Top-Ten-Nationen.

Eine eigens zu diesem Zweck geschaffene Institution, die Marokkanische Agentur für nachhaltige Energie (MASEN), ist damit beauftragt, die offizielle Vision 2030 des Landes umzusetzen. Bis dahin sollen 50 Prozent des wachsenden Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.
Die Einweihung des größten Solarenergiekraftwerks der Welt, Noor 1 im Süden des Landes, zeugt von Entschlossenheit und dem politischen Willen der marokkanischen Ruling elite um König Mohammed VI. Weitere Kraftwerke ähnlicher Größenordnung stehen kurz vor der Fertigstellung. Auch die Deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ist mit 800 Millionen Euro an diesem Vorhaben beteiligt.

Marokko möchte durch die Vision 2030 seine internationale Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen und sich in erster Linie von der Abhängigkeit konventioneller Rohstoffe emanzipieren. Durch die gute Sicherheitslage und moderne Infrastruktur wächst der Tourismus am Atlantik und in Marrakesch kräftig weiter. Bereits im Frühjahr 2018 wird der Hochgeschwindigkeitszug TGV die neuen, teils unterirdischen Bahnhöfe von Tanger, Rabat und Casablanca im Stundenrhythmus miteinander verbinden.

Nachbarschaftliche Beziehungen

Dagegen sind die Beziehungen Marokkos zu seinen nordafrikanischen Nachbarn mit Ausnahme Tunesiens von einem enormen Vertrauensverlust gekennzeichnet. Verantwortlich dafür ist vor allem die mangelnde Berechenbarkeit arabischer Nachbarstaaten wie Algerien, Libyen und Mauretanien.
Strategisch bedeutend bleibt die enge Partnerschaft zu den Staaten des Golfkooperationsrates, insbesondere zu Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Es bleibt auch aus europäischer Sicht die schmerzhafte Erkenntnis, dass die Idee eines vereinten arabischen Maghreb, als Partner Europas südlich des Mittelmeers, mit dem Beitritt Marokkos und Tunesiens in die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft und dem Stillstand der Beziehungen zwischen den beiden Großmächten der Region gescheitert ist.

Naher Osten, Nordafrika
Claudia Fackler
Leiterin