Gesetzgebung zur Prostitution
Sexarbeit unter Strafe? – Was Deutschland von Schweden lernen könnte
In Deutschland wird gerade ein Sexkaufverbot diskutiert. Vorbild könnte das Nordische Modell aus Schweden sein.
Copyright: Maxppp/Imago
Schweden als Vorreiter: das Nordische Modell im Fokus
Schweden war 1999 das erste Land der Welt, das den Kauf sexueller Dienstleistungen unter Strafe stellte – nicht jedoch deren Verkauf. Damit führte es das so genannte Nordische Modell ein. Kriminalkommissar Simon Häggström, Leiter der Prostitutionseinheit der Stockholmer Polizeibehörde, begegnet täglich jenen, die unsere Gesellschaft oft ausblendet: Prostituierten, Freiern und Zuhältern. In seinem Buch „Auf der Seite der Frauen“ erzählt er ihre Geschichten und beschreibt, wie sich durch das Nordische Modell das Milieu und die Arbeit der Polizei verändert haben.
Gruppenbild mit Polizist: Barbara Becker, MdL, Dr. Christine Nischler-Leibl, Leitern der Abteilung Frauenpolitik, Gleichstellung und Prävention im bayerischen Sozialministerium, Marietta Hageney, Leiterin der Beratungsstelle, SOLWODI Baden-Württemberg e.V., Prof. die ehemalige HSS-Vorsitzende Ursula Männle, Simon Häggström, Autor und Polizeikommissar, Karin Kamleiter HSS-Referentin für Kommunales, Ehrenamt, Rhetorik und Frauen, Silvia Reckermann, Sprecherin der Aktionsgruppe Gleichstellung Bayern (AGGB), Martin Bur, LKA-Chef Bayern und Kerstin Neuhaus, Geschäftsführerin der AGGB (von links).
© HSS
Deutschland vor einem Paradigmenwechsel?
Wie ist die aktuelle Situation in Deutschland – und inwieweit könnte Deutschland vom Nordischen Modell lernen oder es übernehmen? Diese Fragen diskutierte ein Plenum auf Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung.
In Deutschland gibt es unterschiedliche politische Positionen zum Thema Sexkaufverbot nach dem Nordischem Modell. Während CDU/CSU und SPD teils für ein solches Verbot eintreten, insbesondere in Bezug auf die Kriminalisierung der Käufer, lehnen andere Parteien wie die Grünen, FDP und AfD dieses Modell ab. Befürworter argumentieren, dass es den Schutz der Prostituierten verbessern würde, während Gegner befürchten, dass es zu einer Illegalisierung und Stigmatisierung der Prostitution führt und die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter gefährlicher macht.
Seit mehr als 20 Jahren gilt Prostitution in Deutschland nicht mehr als „sittenwidrig", sondern als legale Tätigkeit. Die Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär, MdB, fordert daher einen Paradigmen-Wechsel: ein Verbot von käuflichem Sex. „Die Situation von Prostituierten in Deutschland ist dramatisch", sagte die CSU-Politikerin in einem Interview. Nach ihrer Schätzung gibt es bundesweit aktuell rund 250 000 Prostituierte. Die meisten kämen aus dem Ausland, nur ein Bruchteil sei behördlich angemeldet. „Deutschland hat sich zum Bordell Europas entwickelt", es sei mittlerweile weltweit attraktiv als Land für Sex-Tourismus. Die Politikerin spricht sich für die Einführung des Nordischen Modells aus. Demnach werden Betreiber von Bordellen und Käufer von sexuellen Dienstleistungen bestraft, nicht jedoch die Prostituierten.
Auf dem Podium: Silvia Reckermann, Sprecherin der Aktionsgruppe Gleichstellung Bayern, (AGGB), Kerstin Neuhaus, Geschäftsführerin der AGGB, Marietta Hageney von SOLWODI BW e.V. und Simon Häggström, Autor und Polizeikommissar in Stockholm.
© HSS
Kritik und gesellschaftliche Debatte
Das Modell ist umstritten. Hauptkritikpunkt ist, dass Prostitution nicht verschwindet, sondern in unsichtbare, schwer kontrollierbare Bereiche abgedrängt wird. Damit steigt die Gefahr zusätzlicher Stigmatisierung und Marginalisierung.
Simon Häggström verweist auf die Zahlen: Während in Deutschland etwa 25 % der Männer Prostitution in Anspruch nehmen, sei es in Schweden nur jeder siebte Mann. Entscheidend für den Erfolg des Modells sei jedoch die Kooperation der betroffenen Frauen mit der Polizei – ein Punkt, der laut Martin Bury vom Landeskriminalamt in Deutschland problematisch sei. Nur wenige Prostituierte seien bereit, gegen ihre Freier auszusagen. Wie gelang in Schweden die Umsetzung des Modells? Simon Häggström erklärt: „1999 wurde ein Bußgeld nach Einkommen als Strafe auferlegt. Zögerlich meldeten sich die Prostituierten bei vertrauten Polizisten. Erst nach und nach änderte sich die Haltung der Gesellschaft, es herrscht vorrangig Einigkeit, dass es ein gutes Gesetz ist.“ Im Jahr2022 änderte die Regierung das Strafmaß: Die Minimalstrafe beläuft sich nun auf einen Monat Haft plus Geldstrafe, die Haft wird meist als zweijährige Bewährungsstrafe angenommen. Allerdings löst dies einen Eintrag ins Vorstrafenregister für die kommenden zehn Jahre aus.“
Häggström zieht einen kritischen Vergleich: „Der Unterschied zwischen Deutschland und Schweden ist: Viele junge Männer in Deutschland wachsen mit dem Gedanken auf, dass sie Sex haben und kaufen können wie einen Hamburger.“
Marietta Hageney, Geschäftsführrein bei SOLWODI e.V., pflichtet ihm bei: „Auf dem Straßenstrich kann man schon ab fünf Euro den Dienst nutzen“. AGGB-Sprecherin Silvia Reckermann, richtet den Blick auf die Politik und erinnert an das Grundrecht der Unantastbarkeit der Menschenwürde: „Der Schutz der Menschenwürde ist nicht nur unantastbar, sondern auch unveräußerbar.“ Hageney macht auch darauf aufmerksam, dass im Prostitutionsgewerbe eine Schattenwirtschaft stattfinde. Die Bezahlung erfolge größtenteils in bar, Drogenhandel und Waffenhandel werden mitfinanziert. Um Prostituierten echte Alternativen zu bieten, braucht es finanzierte Ausstiegsprogramme. Ohne diese Hilfen droht vielen Frauen, die ihren Lebensunterhalt durch Prostitution sichern, der soziale Absturz. Der Staat dürfe sie nicht im Stich lassen.
Kriminalkommissar Simon Häggström signiert sein neues Buch im Konferenzzentrum der HSS.
© Karin Kamleiter
Lesen Sie weitere Beiträge zum Thema in unserem Themenportal “Frauen”
Kontakt
Leiterin