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Eurozone
Die Europäische Zentralbank und die Nullzinspolitik

Seit über fünf Jahren lebt der Euroraum mit extrem niedrigen, teilweise sogar negativen Zinsen. Die Europäische Zentralbank (EZB) sendet bisher keine Zeichen eines Kurswechsels.

„Die Niedrigzinsphase stellt die Grundprinzipien des Wirtschaftens auf den Kopf“, konstatierte der Finanz- und Heimatminister Albert Füracker Anfang März in Berlin (Pressemitteilung Nr. 042/20). Füracker ist besorgt wegen der Auswirkungen des außergewöhnlich langanhaltenden Zinstiefs auf die Wirtschaft und die Haushalte in Deutschland und anderen Ländern der Eurozone.

Das erleuchtete EZB-Gebäude am Fluss in Frankfurt. Ein großes Eurozeichen an der Glasfassade.

Für Bankguthaben werden kaum noch Zinsen gezahlt. Für Sparer stellt sich die Frage: wohin mit meinem Geld?

Franz Haberhauer; ©HSS; IStock

Verlierer und Gewinner der EZB-Geldpolitik

Auch wenn es nicht die Aufgabe der EZB ist, Sparer glücklich zu machen, muss festgehalten werden, dass diese zu den Verlierern dieser Politik gehören, weil für Bankeinlagen kaum noch Zinsen gezahlt werden. Betroffen sind ebenso Versicherte, die in eine, eigentlich kapitalbildende, Renten- und Lebensversicherung oder betriebliche Altersvorsorge einzahlen. Zusätzlich sind Versicherte oft von Beitragserhöhungen betroffen, womit Versicherungsunternehmen versuchen, ihre sinkenden Renditen auszugleichen. Banken müssen derzeit sogar Strafzinsen zahlen, für das Geld, welches nicht in Umlauf gebracht wird, sondern als Reserve „über Nacht“ auf ihrem Konto bei der EZB liegt. In der Regel geben auch sie diese Belastung bereits an Privatkunden weiter.

Auf der anderen Seite gibt es Profiteure der Niedrigzinspolitik und zwar die Kreditnehmer, also Verbraucher und Unternehmer, die sich Geld leihen. Auch die Haushaltskassen der Mitgliedsländer werden unterm Strich entlastet. Dieser Effekt wird jedoch in Italien, Portugal und Griechenland davon getrübt, dass hier im gleichen Zuge die Staatsverschuldung lange Zeit stark zugenommen hat. Um Finanzlöcher zu überbrücken, leihen sich auch Staaten Geld; sie tun dies über die Ausgabe von Staatsanleihen. Negative Einlagenzinsen haben Staatsanleihen attraktiver gemacht und somit zur Verschuldung der Länder beigetragen.

Info:

Zentralbanken sind Institutionen, die für die Geld- und Währungspolitik sowie die Funktionsfähigkeit des Geldwesens in einem Land oder Währungsraum zuständig sind. Im Falle der EU, ist die Europäische Zentralbank (EZB) die Notenbank aller Teilnehmerländer der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Ihre Kernaufgabe ist es, dafür zu sorgen, das allgemeine Preisniveau und den Geldwert möglichst stabil zu halten. Für den EZB-Rat bedeutet dies unter anderem, die Inflationsrate auf mittlere Sicht unter, aber nahe 2 % zu halten. Um ihre Aufgaben besser ausüben zu können, ist die EZB unabhängig von politischen Weisungen.

Frau Denove am Rednerpult, erklärend.

„Eiszeit in der Zinswelt: Man könnte eigentlich – angepasst an die Jahreszeit – sagen: Fastenzeit in der Zinswelt. Denn in weiten Bereich der Finanzwelt herrscht schon länger Diät und es gibt nur magere Erträge“, sagte Annette Denove bei ihrer Eröffnungsrede.

Henning Schacht; ©HSS

Inflation bleibt deutlich unter der Zielmarke

Trotz des Zugangs zu günstigem Geld durch niedrige Zinsen bleibt die Inflationsrate im Euroraum niedrig. Bisherige Bemühungen der EZB, die angestrebte Rate von nahe 2,0% zu erreichen, sind fehlgeschlagen. Das liegt daran, dass Kreditvergaben zum Nullzins im europäischen Durchschnitt kaum zu einer Erhöhung der Investitionen durch Unternehmen, des Konsums und damit der Preise führen. Die schleppende Investitionsbereitschaft und Konsumnachfrage in der Euro-Zone hat unterschiedliche Ursachen, die je nach Mitgliedsland differenziert betrachtet werden müssen. Als Grundproblem lässt sich aber feststellen, dass niedrige Inflationsraten den Schuldenabbau erschweren. Denn wenn das Geld mehr wert ist, steigt die Höhe der Schulden.

Finanzkrise als Auslöser für EZB-Zinspolitik

Die Niedrigzinssituation im Euroraum ist eine Folge der expansiven Geldpolitik der EZB seit Ende 2008. Dies war eine notwendige Reaktion auf die weltweite Finanzkrise. Durch die Absenkung des Leitzinses und Anleihekäufen, die Kreditinstituten und Staaten Zugang zu günstigem Geld verschafften, konnten die Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise eingedämmt werden. Obwohl sich inzwischen fast alle Länder des Euroraums wieder wirtschaftlich erholt haben, ist jedoch keine Trendwende erkennbar. Viele Ökonomen, Politiker und EU-BürgerInnen beklagen dies. Da die EZB ihr Inflationsziel jedoch bisher nicht erreicht hat, hält sie ihre expansive Geldpolitik für legitim. Ökonomen vertreten unterschiedliche Meinungen zum Kurs der EZB, was vor allem daran liegt, dass sie die niedrigen Zinsen auf unterschiedliche Hauptursachen zurückführen. Die einen machen die lockere Geldpolitik der EZB für die Niedrigzinsen verantwortlich. Manche sehen in den Maßnahmen sogar eine Kompetenzüberschreitung der EZB, die vor allem heute nicht mehr gerechtfertigt ist. Andere ExpertInnen wiederum weisen auf den schon seit den 1980er Jahren bestehenden Trend fallender Zinsen hin und machen vor allem strukturelle Faktoren für niedrige Zinsen und damit das Leid der Sparer verantwortlich. Immer wieder wird in dem Kontext die makroökonomische Stabilisierung durch angebots- und nachfrageseitige Maßnahmen („two-handed-approach“), Finanzmarktregulierung und Konsolidierung der Staatshaushalte gefordert. Die neue Vertreterin Deutschlands bei der EZB, Isabel Schnabel sagte: „Wenn man wirklich will, dass die Zinsen steigen, dann ist nicht nur die EZB gefragt. Vor allem in Deutschland geht es um staatliche Strukturpolitik.“ (Michael Rasch: „Sie will den Deutschen die EZB erklären“, Neue Zürcher Zeitung, 21.02.2020, S. 12). Schnabel hält wachstumsfördernde Reformen, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung, für notwendig.

Füracker am Rednerpult. Erklärend.

„Es gibt diejenigen, die sagen, wir haben bereits seit den 1980er Jahren eine Phase der Abkühlung, einen Rückgang des Zinsniveaus in allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften und das wäre auch aus verschiedenen Gründen gut erklärbar. Aber wir hatten in den letzten Jahren schon einen außergewöhnlichen Temperatursturz, die Zinsen im Euroraum sind auf ungeahnten Tiefständen.“ (Albert Füracker)

Henning Schacht; ©HSS

Wenig Spielraum für die EZB

Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte. Eines steht aber fest: Die EZB hat ihr Pulver größtenteils verschossen. Sollte es nochmal zu einer Wirtschaftskrise kommen, wäre ihr Handlungsspielraum stark beschränkt. Im Gegensatz zur EZB hat die Notenbank der Vereinigten Staaten, das Federal Reserve System (Fed), zusätzlich den Auftrag, für eine hohe Beschäftigung und langfristig moderate Zinsen zu sorgen. Letzteres gibt der Fed mehr Spielraum durch eine Zinssenkung auf Krisen zu reagieren, so erst Anfang März geschehen: Die Fed hat überraschenderweise ihren Leitzins aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus um einen halben Prozentpunkt gesenkt.

Die Folgen der Corona-Epidemie auf die Wirtschaft und mögliche Maßnahmen seitens der EZB werden sicher auch Thema bei der im Januar dieses Jahres angekündigten Überprüfung der geldpolitischen Strategie der EZB sein. Die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, reagierte damit auf den wachsenden Druck von Banken und Politikern. Auf dem Internetauftritt der EZB heißt es dazu: „Der EZB-Rat wird im Zuge einer Bestandsaufnahme prüfen, wie die Erfüllung des im Vertrag verankerten Mandats der EZB über die Jahre hinweg durch die geldpolitische Strategie unterstützt wurde und ob Strategieelemente angepasst werden müssen.“ Einen wichtigen Teil der Analyse, bei der alle Interessenträger eingebunden werden sollen, stellt das Dialogformat „Die EZB hört zu“ dar: In allen Euro-Staaten werden Veranstaltungen stattfinden, zu denen VertreterInnen der Zivilgesellschaft, von Verbänden, Gewerkschaften, Kirchen, Studentinnen und Studenten und viele mehr angehört werden und zum Mitdiskutieren eingeladen sind. Auftakt der Reihe ist am 26. März 2020 in Brüssel mit Lagarde selbst sowie mit EZB-Chefökonom Philip Lane.

Autorin: Paulina Conrad