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Desinformationskampagnen in Zeiten von Corona
Kampf um die Deutungshoheit

Weltweit stellt COVID-19 nationale Gesundheits- und Wirtschaftssysteme vor schwere Herausforderungen. Mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung lebt derzeit unter Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, „Social Distancing“ und Isolation gelten als effektivste Mittel, um die Verbreitung des Virus zu langsamen. Informationsnachfrage und -angebot sind enorm groß – ein Umstand, den sich nun verschiedene Akteure zum Nutzen machen, um gezielt Desinformationen zu verbreiten.

  • Informationsflut – Warnung vor einer „Infodemic“
  • Antiwestliche Desinformationen auf dem Vormarsch
  • Die Corona-Krise wird zu einem Kampf um internationale Deutungshoheit

Kreml-nahe Akteure führen eine umfassende Desinformationskampagne aus, um die Corona-Krise zu verschärfen – diese Warnung geht aus einem jüngsten Bericht der Europäischen Union (EU) hervor. Die sog. East StratCom Task Force, die 2015 innerhalb des Europäischen Auswärtigen Dienstes der EU geschaffen wurde, um russische Desinformationskampagnen besser adressieren zu können, dokumentiert seit dem 22. Januar 2020 mehr als 150 Fälle von Desinformationen auf ihrer frei zugänglichen Datenbank EUvsDisinfo. Russland dementiert sämtliche Vorwürfe. Neben vermeintlich pro-russischen Kanälen geraten jedoch auch andere internationale Akteure wie China zunehmend in Verdacht von Behörden und ExpertInnen, die allgemeine Verunsicherung zu nutzen und gezielt falsche Informationen zu verbreiten. In einem Brief fordern nun EU-Parlamentsabgeordnete die EU-Kommission fraktionsübergreifend auf, gegen die Desinformationskampagnen vorzugehen.

Viele Hände mit Smartphones

Objektive, gesicherte Informationen sind besonders in Krisenzeiten wichtig. Aber wie erkenne ich, ob eine Quelle verlässlich ist?

ViewApart; ©HSS; IStock

Informationsflut – Warnung vor einer „Infodemic“

Dass in Krisenzeiten Informationsnachfrage und -angebot groß sind, ist nicht sonderlich überraschend. Die Menschen sind verunsichert und möchten dieser Unsicherheit mit möglichst umfassenden, aktuellen Informationen begegnen. Allerdings ist die Informationsmenge im digitalen Zeitalter nahezu unendlich, vermeintlich wichtige und hilfreiche Informationen werden in sozialen Netzwerken und über Messenger-Dienste wie WhatsApp geteilt, ohne unbedingt auf ihren Wahrheitsgehalt geprüfet zu werden. Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) spricht in diesem Kontext bereits von einer „Infodemic“, also einem Überfluss an Informationen, die nicht immer richtig sind und es den Menschen erschweren, verlässliche Informationen zu finden. Zu der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krise kommt also eine Gefährdung im Informationsraum durch Gerüchte, Mythen und Verschwörungstheorien rund um COVID-19 hinzu. Deutsche Sicherheitsbehörden wie das Bundeskriminalamt oder der Verfassungsschutz beobachten mit Sorge die fortschreitende Verbreitung von falschen Informationen, die zu diesem Zeitpunkt Leben gefährden können. PolitikerInnen in Deutschland und anderen Staaten ziehen daher in Erwägung, das Verbreiten von sog. „Fake News“, also Falschnachrichten, unter Strafe zu stellen und so die Flut an falschen Informationen einzudämmen. Auch die Anbieter sozialer Medien wie Facebook, Instagram und Twitter, die in der Vergangenheit eine eher zurückhaltende Position im Kampf gegen Falschinformationen an den Tag gelegt haben, treten nun deutlich resoluter auf und löschen irreführende Informationen in Absprache mit ExpertInnen und Gesundheitsorganisationen.

Info:

Für Europa gerieten Desinformationskampagnen als Mittel hybrider Kriegsführung 2014 im Rahmen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland und des seither andauernden bewaffneten Konflikts im Osten der Ukraine verstärkt in den Fokus, später auch im Zuge der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016. Allerdings sind Desinformationskampagnen keinesfalls eine Erfindung des 21. Jahrhunderts, sondern werden schon sehr lange als bewährtes Mittel in Konflikten eingesetzt, um die Geschlossenheit des Konfliktgegners zu unterminieren. Heutzutage findet die Auseinandersetzung im Informationsraum allerdings unter anderen Vorzeichen statt – digitale Desinformationskampagnen auf die inzwischen viele internationale Akteure zurückgreifen: Durch den technologischen Fortschritt und die Veränderungen in der Medienlandschaft werden Desinformationen heutzutage schnell verbreitet und können in kürzester Zeit große Reichweite bekommen. Die Urheber können oft anonym agieren, ohne dass ihnen große Kosten entstehen. Mittels sogenannter „Social Bots“ können Desinformationen in sozialen Medien generiert und verbreitet werden. Selbst Interaktionen mit anderen Nutzern sind möglich, so dass der Eindruck von Authentizität entsteht. Zudem können Desinformationskampagnen zielgerichteter platziert werden. Durch sog. „Microtargeting“ werden Daten von Nutzern sozialer Netzwerke ausgewertet, um Zielgruppen von Desinformationskampagnen zu identifizieren und „passgenau“ zu adressieren.

Klima der Verunsicherung und Informationsinflation nutzen internationale Akteure, um gezielte Desinformationskampagnen durchzuführen. Die EU definiert Desinformationen als „falsche, ungenaue oder irreführende Informationen, die erfunden, präsentiert und verbreitet werden, um Gewinne zu erzielen oder bewusst öffentlichen Schaden anzurichten“. Desinformationen beschränken sich also nicht nur auf falsche Darstellungen, sondern umfassen das willentliche Streuen von unbegründeten Gerüchten oder Hinzufügen von unwahren Details. Gezielte Desinformationen sind Teil einer übergeordneten Strategie und zielen in der Regel darauf ab, gesellschaftliches Vertrauen in staatliche Institutionen zu untergraben und soziale Spannungen in einem Land zu verschärfen. Sie setzen oftmals gezielt an nationalen Konfliktlinien (z.B. zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen) an. Das bewusste Streuen von falschen und irreführenden Informationen dient also einem bestimmten Zweck und unterscheidet sich daher von fahrlässig geteilten ungeprüften Informationen.

Antiwestliche Desinformationen auf dem Vormarsch

Jede Art von Falschinformation stellt ein potentielles Sicherheitsrisiko dar, wenn sie in großer Zahl verbreitet wird. Die von der EU eingesetzte Expertengruppe der East StratCom Task Force fokussiert sich in ihrer Arbeit hauptsächlich auf Desinformationen, die von russischen, staatlich getragenen Medien wie Sputnik News oder Russia Today verbreitet werden oder von anderen Kanälen, die unter Verdacht stehen, dem Kreml nahezustehen. Die bislang erfassten Desinformationen im Zuge der Corona-Krise umfassen unter anderem:

  • „Das Corona-Virus an sich ist eine Falschmeldung, es existiert nicht bzw. sein Bedrohungspotential wird bewusst großgeredet“
  •  „Das Corona-Virus ist eine von Menschenhand entwickelte biologische Waffe“
  • „Das Corona-Virus hat seinen Ursprung nicht im chinesischen Wuhan, sondern in von den USA betriebenen Bio-Laboren“
  • „Der Ausbruch der Pandemie wurde durch Migranten verursacht, die das Virus innerhalb der EU verbreiten“
  • „Das Corona-Virus steht in Verbindung mit dem Ausbau von 5G“
  •  „Die NATO verbreitete das Corona-Virus durch die US-amerikanische Militärübung DEFENDER Europe 2020 in Europa“

Themen wie Migration oder die verstärkte NATO-Präsenz in Polen und im Baltikum, die bereits in zuvor durchgeführten Desinformationskampagnen Anwendung fanden, werden auch in der gegenwärtigen Corona-Krise aufgenommen. Das gemeinsame Narrativ ist durch einen antiwestlichen Grundton gekennzeichnet, der sich hauptsächlich gegen die EU, die NATO, die USA oder westliche Eliten richtet. Allerdings sind laut Experten die Desinformationen zum Teil auch bewusst widersprüchlich angelegt, um Verwirrung zu stiften. Außerdem ist zu beobachten, dass die Desinformationen dem jeweiligen Zielpublikum angepasst werden. So konnte man in den letzten Wochen beobachten, dass gerade Italien und Spanien, also die Länder, die besonders stark von der Corona-Pandemie betroffen sind, Ziel von Desinformationen geworden sind. In den jeweiligen Landessprachen und auf unterschiedlichen Kanälen wurden falsche oder bewusst irreführende Informationen mit apokalyptischen Szenarien gestreut, die darauf abzielten, Panik innerhalb der Bevölkerung zu schüren. Betrachtet man die hohen Verbreitungszahlen, dann ist die Gefahr nicht zu unterschätzen. Allerdings gehen derartige Desinformationskampagnen nicht allein von Russland aus. Auch die Aktivitäten der Volksrepublik China geraten im Kontext der Corona-Krise vermehrt in den Fokus von ExpertInnen wie des German Marshall Funds in Washington D.C. Dort attestierte das Global Engagement Center (GEC) des US-amerikanischen State Departments der Volkrepublik eine zunehmend aggressivere Desinformationsstrategie, die sich vor allem gegen die USA richtet und vom vergangenen Vorgehen unterscheidet. Zudem scheinen sich Akteure aus Russland, China und anderen Staaten gegenseitig zu verstärken, indem Falschmeldungen vom jeweils anderen Medium aufgegriffen und geteilt werden.

Die Corona-Krise wird zu einem Kampf um internationale Deutungshoheit

Internationale Konflikte werden in der Corona-Krise nicht einfach ausgesetzt. Die Pandemie entwickelt sich zunehmend zu einem Kampf um die Deutungshoheit, der unter den Vorzeichen der Großmachtrivalität zwischen den USA, China und Russland ausgetragen wird. „Wer trägt die Schuld am Ausbruch der Pandemie?“, „Wessen Staat hat am besten auf die Krise reagiert?“ oder „Welche Staatsideologie findet die besten Antworten in Notsituationen?“ sind Fragen, die jeder Akteur versucht, zu seinen Gunsten zu beantworten. Aus diesem Grund sprechen Präsident Trump und Mitglieder seiner Administration immer wieder von einem „chinesischen Virus“ oder „Wuhan-Virus“.  Für sie ist es wichtig festzuhalten, dass der Ursprung der Pandemie in China liegt, auch wenn das Beharren auf dieser Sichtweise eine gemeinsame Erklärung der G7-Partner ins Leere laufen ließ. Russland, China oder der Iran reagieren darauf mit vermeintlichen Belegen, dass das Virus in Wahrheit aus US-amerikanischer Hand stammt, um die Hegemonie der USA zu stärken. In diesem Kampf um die Deutungshoheit geht es also nicht nur darum, die eigene Position gegenüber der eigenen Bevölkerung zu stärken, sondern auch konkurrierende Staaten zu diskreditieren. Betrachtet man die Geschichte, ist dieses klassische Bedienen von Feindbildern in Krisenzeiten nicht neu. Allerdings ist es auch nicht zielführend, um diese globale Krise in den Griff zu bekommen. 

Vor dem Hintergrund der Desinformationskampagnen sind alle gefordert, Nachrichten und Informationen noch gewissenhafter auf Wahrheitsgehalt und Richtigkeit zu überprüfen:

Was der Staat tun kann:

  • Krisenmanagement ganzheitlich denken: Krisen- und Risikokommunikation sowie der Kontakt zur Bevölkerung sind wichtige Bestandteile der Strategie für den Umgang mit COVID-19, vor allem vor dem Hintergrund diverser Desinformationskampagnen. Für den Erfolg der Kommunikationsstrategie bedarf es an ausreichend qualifiziertem Personal, um die Bevölkerung zu informieren und der Verbreitung von Desinformationen entgegenzuwirken.
  • Kontinuierliche Transparenz: Die zuständigen EntscheidungsträgerInnen und Behörden müssen die Bevölkerung daher regelmäßig, schnell und transparent über neue Entwicklungen in Kenntnis setzen und notwendige Maßnahmen erklären. Erfolge sollten ebenso klar kommuniziert werden. Dies stärkt das Vertrauen in die staatlichen Strukturen und trägt maßgeblich zur Resilienzbildung der Bevölkerung gegenüber Desinformationskampagnen bei.
  • Falschinformationen entlarven und private Anbieter weiterhin in die Pflicht nehmen: Die Bevölkerung muss mit Blick auf gezielte Desinformationskampagnen sensibilisiert werden. Falschinformationen müssen schnell aufgedeckt und deren Verbreitung unterbunden werden. Da die Verbreitung meist über soziale Medien und Messenger-Dienste erfolgt, müssen die Anbieter dieser Dienste weiterhin in die Pflicht genommen werden, falsche Inhalte zu löschen.

Was jeder Einzelne bzw. jede Einzelne tun kann:

  • Prüfen Sie die Herkunft und Richtigkeit der Information: Teilen Sie keine Informationen, wenn Sie sich nicht sicher über deren Ursprung und Richtigkeit sind. Überprüfen Sie die Quelle der Information und vergleichen Sie sie mit den Positionen der offiziellen Behörden der Bundesregierung, der Gesundheitsämter oder der Weltgesundheitsorganisation. Handelt es sich um eine seriöse Quelle? Wer steht hinter der Information? Ist die Informationsquelle bereits in der Vergangenheit durch falsche Informationen aufgefallen? Berichten auch andere Nachrichtenportale über diese Information?
  • Betrachten Sie den Kern der Information kritisch: Was ist die Kernaussage des Artikels? Worum geht es? Gibt die Quelle konkrete Belege für ihre Behauptungen an oder werden nur Behauptungen in den Raum gestellt?
  • Hinterfragen Sie die Intention der Quelle: Welchen Zweck verfolgt der Autor/die Autorin mit diesem Artikel oder dieser Information? Ist die Information sachlich formuliert? Will sie mich aufklären? Ist ihr Ton alarmistisch? Soll Panik verbreitet werden?
  • Hinterfragen Sie kritisch Ihre eigenen Anschauungen und Meinungen: Wir neigen erwiesenermaßen dazu, Informationen herauszufiltern und eher jenen zu glauben, die unseren eigenen Annahmen entsprechen. Dies wird durch Algorithmen in sozialen Medien verstärkt und sog. „Filterblasen“ und „Echokammern“ entstehen. Hierdurch erreichen uns Informationen nur noch vorgefiltert oder werden erst gar nicht zugänglich gemacht. Prüfen Sie, ob und wie andere seriöse Quellen darüber berichten.
  • Melden Sie falsche Inhalte: Viele Anbieter sozialer Medien und Messenger-Dienste haben inzwischen Meldefunktionen eingerichtet. Sollten Sie auf vermeintlich falsche Informationen im Internet stoßen, können Sie die betreffenden Inhalte melden. Die Anbieter prüfen diese auf ihre Richtigkeit und können sie gegebenenfalls löschen.
  • Hinterfragen Sie den Mehrwert von Informationen, ehe Sie sie teilen: Welchen Mehrwert hat diese Information? Liefern Sie selbst durch das Teilen dieser Information einen konstruktiven Beitrag für Ihre MitbürgerInnen oder vergrößern Sie nur die Flut an irreführenden Informationen?
Außen- und Sicherheitspolitik
Andrea Rotter, M.A.
Leiterin