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Steuerung und Begrenzung irregulärer Migration
Humanität und Ordnung

Autor: Dr. Susanne Schmid

Die Zahl der Asylanträge und der unerlaubten Einreisen nach Deutschland und in die EU ist 2023 wieder stark gestiegen. Länder und Kommunen kommen bei der Unterbringung und der Integration an ihre Leistungsgrenzen. Das politische und gesellschaftliche Klima ist angespannt. Wie lässt sich irreguläre Migration nach Deutschland und Europa wirksamer steuern und begrenzen? Wie kann dabei die notwendige Balance von Humanität und Ordnung gewahrt werden?

Das Thema „Migration, Flucht und Asyl“ steht auch mit Blick auf die Europawahlen weit oben auf der politischen Agenda. Die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 hat die Notwendigkeit einer kohärenten und umfassenden Migrations- und Asylpolitik – sowohl innerhalb der EU als auch gegenüber Drittstaaten – deutlich gemacht. Die Hanns-Seidel-Stiftung und das Bayerische Innenministerium widmeten diesem Themenkomplex daher am 29. April eine Podiumsdiskussion unter der Überschrift „Für Humanität und Ordnung – Mit neuen Impulsen irreguläre Migration zum Schutz vor Überforderung steuern und begrenzen“.

Oliver Jörg, Generalsekretär der HSS, stellte in seiner Begrüßungsrede die Schlüsselfrage: „Wie kann eine gemeinsame europäische Asyl- und Migrationspolitik implementiert werden, die der außen- und entwicklungspolitischen Dimension des Themas ebenso gerecht wird wie sie einen Ausgleich zwischen Zuwanderungsdruck und Zuwanderungsbedarf findet?“ Er führte weiter aus: „Um sich diesem vielschichtigen Themenkomplex stellen zu können, ist ein multiperspektivischer, interdisziplinärer und offener Diskurs unabdingbar. Gefragt sind hierbei fundierte Analysen und eine Politik mit Augenmaß.“

„Wie kann eine gemeinsame europäische Asyl- und Migrationspolitik implementiert werden, die der außen- und entwicklungspolitischen Dimension des Themas ebenso gerecht wird wie einen Ausgleich zwischen Zuwanderungsdruck und Zuwanderungsbedarf findet?“ (Oliver Jörg, Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung)

Herrmann am Rednerpult, sprechend.

„Wir müssen handeln – und das können wir auch. Ein effektiverer Grenzschutz, Zurückweisungen an den Binnengrenzen, Asylverfahren in Drittstaaten und eine Reform des Asylrechts erscheinen erfolgversprechend“, so Herrmann.

J. Dancs; HSS

Bessere Begrenzung irregulärer Migration

Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann, MdL, forderte in seinem Impulsvortrag: „Wir brauchen eine bessere Begrenzung der irregulären Migration – anderenfalls gefährden wir unsere Innere Sicherheit." Neben der Fortsetzung effektiver Grenzkontrollen müssten laut Herrmann auch Zurückweisungen an der deutschen Grenze im Falle eines Asylgesuchs möglich sein. Er verwies darauf, dass 2022 rund zwei Drittel der Asylbewerber nach Deutschland kamen, ohne vorher in einem anderen europäischen Land registriert und geprüft worden zu sein, oft ohne Ausweispapiere. „Das ist ein massiver Verstoß gegen geltendes europäisches Recht und auch eine ernsthafte Bedrohung unserer Sicherheit“, sagte Herrmann. „Die Bundesregierung darf deshalb Zurückweisungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der Inneren Sicherheit nicht länger ausschließen – auch nicht im Fall von Asylersuchen.“

EU-Mitgliedstaaten wie Italien und Griechenland hintertrieben durch fehlende Registrierung oder gar offen erklärte Überstellungsstopps die zentralen Vereinbarungen des gemeinsamen europäischen Asylsystems – zu Lasten Deutschlands. Herrmann: „Selbst im Erstaufnahmeland registrierte Flüchtlinge, die nach Deutschland weitergereist sind, werden oft nicht mehr zurückgenommen, obwohl es das Dublin-Abkommen vorschreibt. Wie lange kann Deutschland das aktuell noch akzeptieren?“

Die irreguläre Migration wirke sich auch negativ auf unsere Kriminalitätslage aus. „Die gestiegenen Kriminalitätszahlen belegen es und die Stimmen aus den Kommunen, die uns sagen, sie seien am Limit, halten es fest – wir brauchen eine Begrenzung der irregulären Migration.“

Herrmann verlangte darüber hinaus eine Diskussion über das Konzept des sogenannten subsidiären Schutzes, der vor allem Bürgerkriegsflüchtlingen gewährt wird. „In einer Zeit, in der bewaffnete Auseinandersetzungen in vielen Teilen der Welt leider an der Tagesordnung sind, müssen die Fragen gestellt werden: Gewährt Deutschland weiterhin bei internationalen Krisen individuell und unbegrenzt Schutz? Oder wird künftig zusammen mit der Weltgemeinschaft und den EU-Mitgliedstaaten mit festen Aufnahmezusagen Schutz gewährt?“

Die genannten Personen vor einer Fotowand der Hanns-Seidel-Stiftung nebeneinander, in die Kamera blickend.

(v.l.n.r.) Oliver Jörg, Victoria Rietig, Stefan Löwl, Mechthilde Wittmann, MdB, Staatsminister Joachim Herrmann, MdL, Dr. Stefan Meining, Thomas Prieto Peral, Dr. Hans-Eckhard Sommer.

J. Dancs; HSS

Herrmann nannte in seiner Rede eine Reihe weiterer Maßnahmen zur Migrationssteuerung wie die Beschleunigung von Asylverfahren, die Einstufung weiterer sicherer Herkunftsstaaten oder auch die Reduktion finanzieller Anreize: „Wir zahlen einem Asylbewerber, der rechtskräftig abgelehnt worden ist, bis zu dem Tag, an dem er das Land tatsächlich verlässt, immer noch Sozialleistungen auf einem Niveau wie in keinem anderen europäischen Land. Das ist gegenüber den Steuerzahlern in unserem Land kaum vertretbar.“

Die Bundesregierung forderte der Bayerische Innenminister auf, jetzt schnellstmöglich die zentralen Weichen für einen echten Kurswechsel in der Asylpolitik zu stellen. In Berlin verschließe man noch immer lieber die Augen vor dem Ausmaß der Krise. Herrmann abschließend: „Wir müssen handeln – und das können wir auch. Ein effektiverer Grenzschutz, Zurückweisungen an den Binnengrenzen, Asylverfahren in Drittstaaten und eine Reform des Asylrechts erscheinen erfolgversprechend. Wir können uns vor den Herausforderungen nicht wegducken – auch wenn es unbequem ist.“

Humanität und Ordnung

Der Tagungstitel lautete „Humanität und Ordnung – Mit neuen Impulsen irreguläre Migration zum Schutz vor Überforderung steuern und begrenzen“. – „Was aber bedeutet Humanität in diesem Kontext?“, so die Frage des BR-Moderators, Dr. Stefan Meining. Die Expertenrunde kam zu folgendem Fazit: Deutschland erfüllt seine humanitären Verpflichtungen, es steht zum Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte und zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention. Das christliche Menschenbild gebietet die Unterstützung für Menschen in Not. Verfolgten zu helfen und ihnen Schutz zu gewähren, ist eine Frage der humanitären Verantwortung, der Mitmenschlichkeit und der Nächstenliebe. Dass Deutschland ein weltoffenes und solidarisches Land ist, zeigt die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. Ferner zählt Deutschland zu den führenden Aufnahmeländern von Schutzsuchenden weltweit. Seit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges wurden über eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Ende 2023 lebten in Deutschland über drei Millionen Geflüchtete. 2023 wurden in Deutschland über 350.000 Asylanträge gestellt. Die Gesamtschutzquote (Anteil positiver Asylentscheidungen) für alle Herkunftsländer lag im Jahr 2023 bei fast 52%. Deutschland gewährt Asylsuchenden Sozialleistungen auf einem Niveau wie in keinem anderen europäischen Land. Der Bayerische Innenminister resümierte vor diesem Hintergrund: „Humanität wird in Deutschland meist als selbstverständlich vorausgesetzt.“

Info:

Am 29. April 2024 organisierte die Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in Kooperation mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Für Humanität und Ordnung – Mit neuen Impulsen irreguläre Migration zum Schutz vor Überforderung steuern und begrenzen“.

Die Podiumsgäste waren:

  • Joachim Herrmann, MdL, Bayerischer Staatsminister des Innern, für Sport und Integration
  • Stefan Löwl, Landrat des Landkreises Dachau
  • Thomas Prieto Peral, Regionalbischof im Kirchenkreis München und Oberbayern
  • Victoria Rietig, Leiterin des Migrationsprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)
  • Dr. Hans-Eckhard Sommer, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

Moderiert wurde die Fachtagung von:

  • Dr. Stefan Meining, Bayerischen Rundfunk, Leiter ARD-Politikmagazin Report München
Die genannten Personen sitzen auf einem Podium auf Stühlen nebeneinander.

Die Podiumsgäste waren (v.l.n.r.): Landrat Stefan Löwl, DGAP-Expertin Victoria Rietig, Staatsminister Joachim Herrmann, MdL, BR-Moderator Dr. Stefan Meining, Regionalbischof Thomas Prieto Peral sowie BAMF-Präsident Dr. Hans-Eckhard Sommer.

J. Dancs; HSS

Die Anschlussfrage des Moderators, warum es neben der Humanität noch der Ordnung bedürfe, wurde vom Podium wie folgt beantwortet: Humanität kann nur gewährleistet werden, solange Kommunen nicht überfordert werden und die Akzeptanz in der Bevölkerung aufrechterhalten bleibt. Dies ist mit Blick auf die anhaltend hohen Asylantragszahlen nur noch schwer zu gewährleistet. Ferner braucht Zuwanderung klare Regeln und konsequente Maßnahmen: Wer ohne anerkannten Asyl- oder Fluchtgrund nach Deutschland kommt, muss das Land verlassen. Nur so können die tatsächlich Schutzberechtigten angemessen aufgenommen und integriert werden. Zur Wahrung der Humanität und zum Schutz vor Überforderung braucht es Ordnung.

Die Podiumsdiskussion offenbarte jedoch auch die unterschiedliche Gewichtung von Humanität und Ordnung im Asylkontext. So lag der Fokus von Thomas Prieto Peral, Regionalbischof im Kirchenkreis München und Oberbayern vorrangig auf dem Aspekt der Humanität, also auf dem Schicksal der Geflüchteten: „Wie können die Menschen, um die es geht, am besten Schutz bekommen?“. Der Schutz beginnt jedoch nicht erst im Aufnahmeland, sondern bereits im Heimatland. Mit Blick auf die Lage in den Herkunftsländern waren Prieto Perals zentrale Punkte: effektive und nachhaltige Fluchtursachenbekämpfung sowie das entwicklungspolitische Leitmotiv der „Hilfe zur Selbsthilfe“.

Aufnahme und Integration von Geflüchteten

Der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Dr. Hans-Eckhard Sommer, stellte fest, dass die Zahl der Asylgesuche aktuell im Vergleich zum Vorjahreszeitraum etwas geringer sei. Die Zahlen befänden sich jedoch weiterhin auf außergewöhnlich hohem Niveau. Das aktuelle Geschehen wäre eine „Verschnaufpause“. Seine Behörde sei personell für 200.000 Asylanträge pro Jahr aufgestellt und habe noch anhängige Verfahren abzuarbeiten. Im Frühherbst erwarte er wieder hohe Asylzahlen. Weiter führte er aus, dass aktuell 50 Prozent der Asylbewerber aus Syrien oder Afghanistan kommen, die Hauptfluchtroute verlaufe über den Balkan. Sommer hielt sich mit Prognosen künftiger Asylzahlen zurück, weil Fluchtbewegungen nicht vorhersehbar seien.

Stefan Löwl, Landrat des Landkreises Dachau, sieht aktuell keine Entspannung, sondern immer noch ein massives Abschiebe- und Integrationsproblem. Seine 17 Gemeinden sehen sich mit vielen parallelen Herausforderungen konfrontiert. Stetig kommen neue Geflüchtete an, die es mit Wohnraum zu versorgen gilt, gleichzeitig leben noch Asylbewerber aus den Jahren 2015/2016 in den Unterkünften (sogenannte Fehlbelegungen). Löwl führte aus, dass die Unterbringung zwar noch gelingt, aber Spracherwerb, Sozial- und Arbeitsmarktintegration schwer möglich sind. Einerseits aufgrund des Wegfalls von ehrenamtlichen Unterstützern, aber auch wegen Fehlbelegungen: „Integration im Container geht nicht“, so der Landrat. Zwar könne der Landkreis Dachau Integrationserfolge vorweisen, aber bei zu großem Zuzug gelänge Integration nicht mehr. Löwl unterstrich die handlungsleitenden Motive „Humanität und Ordnung“ sowie „Fördern und Fordern“.

Staatsminister Joachim Herrmann betonte: „Die Menschen, die auf Dauer bei uns bleiben, wollen wir bestmöglich integrieren.“ Er verwies darauf, dass Bayern im Deutschlandvergleich die niedrigste Arbeitslosenquote sowohl von ausländischen Männern als auch von ausländischen Frauen hat. Bei den Einbürgerungen konnte Bayern 2023 einen Rekord von 36.000 Personen vermelden.

Frau Rietig spricht engqagiert.

Mit Blick auf den europäischen Migrations- und Asylpakt gab Victoria Rietig, Leiterin des Migrationsprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zu bedenken, dass die Reformen voraussichtlich erst in zwei Jahren Wirkung zeigen werden.

J. Dancs; HSS

Zur Umsetzung des europäischen Migrations- und Asylpakts

Migrationsfragen sind ein zentraler Aspekt in den außenpolitischen Beziehungen der EU zu Drittstaaten, was sich in verstärkten Partnerschaften mit Herkunfts- und Transitstaaten manifestiert. Diese beinhalten sowohl die Bekämpfung illegaler Migration wie auch die Nutzung der positiven Effekte legaler Migration, die Verknüpfung von Migrations- und Entwicklungspolitik und die Stärkung des dortigen Flüchtlingsschutzes. Die Zustimmung des Europäischen Parlaments zum neuen Migrations- und Asylpakt am 10. April wurde von den Podiumsgästen als ein wichtiger erster Schritt zur effektiveren Steuerung und Begrenzung irregulärer Migration gewertet. Der Europäische Rat muss das Gesetzespaket im Mai noch förmlich billigen, danach treten die neuen Vorschriften in Kraft.

Victoria Rietig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) wies darauf hin, dass die Reformen voraussichtlich erst in zwei Jahren Wirkung zeigen werden, weil die Mitgliedsstaaten zur Überführung der Verordnungen in nationales Recht bis Mai 2026 Zeit hätten.

Mit Blick auf die praktische Umsetzung und Effektivität von Asylverfahren in sicheren Drittstaaten gibt es noch viele offene Fragen. Auch werden in der deutschen Debatte sehr unterschiedliche Ansätze diskutiert: zum einen das britische Ruanda-Modell, zum anderen das im November 2023 geschlossene Abkommen zwischen Italien und Albanien. Der Expertenrunde schien das Italien-Albanien-Abkommen für Deutschland ein juristisch gangbarerer Weg zu sein. Es sieht vor, dass Menschen, die auf hoher See aufgegriffen werden, nach Albanien anstatt nach Italien gebracht werden. Die Asylverfahren werden in Albanien nach italienischem Recht und durch italienische Behörden durchgeführt. Rietig gab jedoch zu bedenken, dass nicht nur anerkannte Asylbewerber nach Italien überstellt werden, sondern auch abgelehnte Asylsuchende, die nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können. Die Schwierigkeiten, die es bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber gibt, blieben somit bestehen. Generell äußerten sich die Podiumsgäste gegenüber der sogenannten Drittstaatenlösung skeptisch. Großen Effekt erwartet Rietig nicht, denn sie kenne kein Beispiel, wo das im großen Stil funktioniert hätte – auch nicht in Australien. Herrmann kündigte an, in einigen Monaten nach Albanien zu reisen, um sich persönlich ein Bild von der Umsetzung des Italien-Albanien-Abkommens zu machen.

Die Podiumsdiskussion hat gezeigt, dass es beim Thema Flucht und Asyl keine einfachen Lösungen gibt. Dennoch ist jetzt die Zeit, die richtigen Weichen zu stellen: „In einer Epoche gleichzeitiger, tiefgreifender Umbrüche und Krisen braucht es politischen Weitblick und Mut zur unbequemen Wahrheit. Nur wer die Zeichen der Zeit erkennt, kann die Zukunft zum Wohl der Menschen gestalten“, so Oliver Jörg, der Generalsekretär der HSS.

Wie lassen sich Humanität und Ordnung in Balance bringen?

©HSS

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