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Interview mit Dr. Richard Loibl - Museum der Bayerischen Geschichte
Neuer Touristenmagnet für Regensburg

Autor: Dr. Renate Höpfinger

Ein neues Museum wird bald noch mehr Touristen nach Regensburg ziehen. Gleich neben dem berühmten Dom wird gerade das Museum der Bayerischen Geschichte fertiggestellt. Ein Leuchtturmprojekt, das die Bayerische Landesgeschichte ganz ins Zentrum rückt.

In Regensburg steht ein neues lokales Wahrzeichen kurz vor der Vollendung. Das Haus der Bayerischen Geschichte wird die Demokratiegeschichte der letzten zwei Jahrhunderte in Bayern in den Mittelpunkt rücken: 200 Jahre bayerische Verfassung, 100 Jahre Freistaat Bayern, der Weg von der Konstitution 1808 und der Verfassung von 1818 bis zum modernen Verfassungsstaat. Das Museum war 2008 vom Bayerischen Ministerpräsidenten als millionenschweres Leuchtturmprojekt auf den Weg gebracht worden. Wir haben den Gründungsdirektor des Museums, Dr. Richard Loibl, für Sie interviewt.

Loibl, ein freundlich wirkender Mann mit Brille und lichter werdendem Haar vor der Kulisse von Regensburg

Der gebürtige Straubinger studierte in München unter anderem bayerische Landesgeschichte, mittelalterliche und neuere Geschichte sowie Kunstgeschichte. Bis 1990 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bayerische Geschichte in München. 1991 wechselte er an das Oberhausmuseum in Passau, dessen Leitung er 1996 übernahm. Ab 2001 war er als Gründungsdirektor für den Aufbau des staatlichen Textil- und Industriemuseums in Augsburg zuständig. Seit 2007 ist er Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte und in dieser Funktion auch Gründungsdirektor des neuen Museums der Bayerischen Geschichte in Regensburg.

Fred Schöllhorn; Haus der Bayerischen Geschichte

HSS: Herr Loibl, was ist für Sie „Heimat“?

Dr. Richard Loibl: Der Freistaat, weil ich in Bayern ziemlich herumgekommen bin, und hier besonders mein Heimatort Hengersberg samt meiner Schule Niederaltaich, München, wo ich studieren durfte, Passau, wo ich 10 Jahre Museumsdirektor war und immer noch viele Freunde habe, Augsburg, wo ich das Textil- und Industriemuseum aufbaute, Friedberg, wo ich lebe, und ganz neu Regensburg mit „meinem“ neuen Museum.


HSS:
Wie wichtig ist in Ihren Augen kulturelle und geschichtliche Identität?

Für mich persönlich wichtig, weil Beruf und – der Bayer neigt an sich ja nicht zum Pathos – schon ein bisserl auch Berufung. Richtig angewandt und mit einen Schuss Selbstironie gemischt, bei der immer auch Toleranz mitschwimmt, ist Identität ein Lebenselixier, gemeinschaftsstiftend und Rücksicht ausbildend auf Lebenswelt und -umwelt. In Zeiten von Globalisierung, Migration und Wirtschaftsboom darf man diese Identität nicht nur beschwören, sondern muss auch etwas dafür tun. Nur wer seine Lebenswelt kennt und versteht, wird sie wertschätzen. Wenn es gut gemacht wird, hat es mehr mit Heimatkunde als mit Leitkultur zu tun. Das hat sich in höchsten Kreisen noch nicht wirklich herumgesprochen.


HSS: 
Was sind die Höhepunkte in der Geschichte des Freistaates, die Bayern zu dem gemacht haben, was es heute ist?

Um diese Frage zu beantworten, bauen wir grad ein eigenes Museum. In ein paar Sätzen ohne Bilder und Objekte ist das eher schwer zu erklären. Aber ich probier es: Zu Bayern gehören seit etwa 1800 Schwaben und Franken. Der Wille, ohne Zwangsassimilierung miteinander auszukommen, hat uns sehr geprägt. Unter anderem führte er zu unserer freiheitlichen Verfassungstradition. Darauf könnten wir richtig stolz sein, wenn sie uns noch präsent wäre. Ebenfalls wirkt nach, dass unsere bayerische Staatsgründung erfolgreich war, weil als Corporate Identity professionell ausgeführt, und durch Kultur, vor allem unsere Feste und Festkleidung, glanzvoll und nie endend in Szene gesetzt. Daher kommt unser Patriotismus, der in seiner schönsten Erscheinungsform liberal und tolerant und nicht national daherkommt. Es gab und gibt auch weniger schöne. Prägend wurde der gewaltige wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegszeit in Verbindung mit stabilen Regierungen und absoluten Mehrheiten der CSU sowie gescheiten Staatsbeamten. Nicht zu vergessen der Freistaat, der nicht mehr Rechte hat als jedes andere Bundesland, aber sich einfach mehr herausnimmt. Der als Kulturstaat stolz auf seine Schlösser und Museen ist; davon hat er die meisten mindestens in Deutschland. Der die Flüchtlingskrise 2015 bewältigt hat. Der nicht immer schonend mit seinen Ressourcen umgeht und jetzt langsam aufpassen muss, dass ihm das nicht aus den Händen rutscht, was Bayern ausmacht.


HSS: 
Die Bayerische Verfassung gilt uns heute als Paradebeispiel für eine ausgewogene Grundlage eines stabilen Rechtsstaates. Bei ihrer Einführung war sie umstritten. Warum eigentlich? Waren Bayern schon immer besonders auf ihre Freiheit bedacht?

Weniger das bayerische als das deutsche Grundgesetz. Das geht zurück auf die verunglückte deutsche Nationsbildung. Auch wenn Bismarck heute noch gefeiert wird: er legte den Grundstein für ein undemokratisches und militaristisches Reich, das weder den Traditionen des alten Heiligen noch Bayerns selbst entsprach. Bereits 1871 ging die Abstimmung im bayerischen Landtag relativ knapp für den Beitritt in das neue Deutsche Reich aus. Dagegen waren fast geschlossen die Ostbayern, die die Verbindungen zu Österreich und Böhmen nicht kappen wollten. Edmund Jörg prophezeite in der Debatte sehr weitsichtig den Ersten Weltkrieg als Folge der Nationalisierung. Von dort aus führen Traditionslinien in die konservativen Parteien der unmittelbaren Nachkriegszeit – CSU und Bayernpartei. Auch wenn einige Argumente, die gegen die Bundesrepublik vorgebracht wurden, heute eher befremdlich wirken, war die Grundtendenz – das Ringen um eine möglichst freiheitliche Republik – ehrenwert. Von daher kam Bayern bei Demokratisierung, Föderalismus und Subsidiarität des deutschen Staatswesens eine besondere Bedeutung zu und ja: der Bayer erwies sich dabei als besonders freiheitsliebend. Erbe verpflichtet!


HSS: 
Als das Museumsprojekt für bayerische Geschichte aus der Taufe gehoben wurde, bewarben sich sehr viele bayerische Städte als Standort für den Museumsneubau. Regensburg bekam schließlich 2011 den Zuschlag. Was waren die entscheidenden Gründe für Regensburg?

Apropos freiheitlich: Das Museum kam nicht automatisch in die Hauptstadt wie sonst üblich, sondern es fand ein Wettbewerb statt. An dem München dann ein bisserl beleidigt gar nicht teilgenommen hat. Trotzdem ein sehr beachtlicher Vorgang. Gewonnen hat Regensburg, weil es erstens sehr zentral liegt und gleichgut aus allen Landesteilen erreichbar ist. Das durften wir damals nicht so recht betonen, weil in Bayern halt alles zentral liegt. Zweitens stellte Regensburg einen Bauplatz in absoluter 1a-Lage unmittelbar an der Donau, der alten bayerischen Schlagader, 300 Meter Luftlinie vom Dom entfernt. Drittens hat Regensburg eine besondere historische Tradition, bietet Erinnerungsorte nicht nur für die bayerische, sondern auch die deutsche und europäische Geschichte. In Regensburg müssen wir nicht bei Adam und Eva anfangen, sondern können uns auf die letzten 200 Jahre konzentrieren. Für die Geschichte davor, die in unserem Museum Christoph Süß anerzählt, schicken wir die Leute einfach in die Stadt.


HSS:
Das neue Museum möchte ein Museum für alle Menschen sein, die in Bayern ihre Heimat gefunden haben, also gleichermaßen für die Eingeborenen wie für die Zugezogenen. Sie alle sollen ihre persönlichen Geschichten und Erinnerungsstücke einbringen. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen? Wenn die Menschen dem Aufruf folgen und sich mit Geschichten und Exponaten einbringen, dann erwarten sie ja sicherlich auch, dass sie ausgestellt werden. Wo ziehen Sie Grenzen, damit die Sammlung und Ausstellung nicht in ein disparates, willkürliches Sammelsurium ausartet?

Offenbar schwer vorstellbar und doch so leicht: man muss halt mit den Menschen offen reden, die Sammelkriterien und die Präsentationsbedingungen klar vermitteln. Wir haben 2000 Exponate von den Bürgerinnen und Bürgern erhalten und wahrscheinlich ebenso viele abgelehnt. Beleidigt war kaum jemand. Schließlich ist für jeden halbwegs vernünftigen Menschen einsichtig, dass man eine Pickelhaube nicht sammelt, weil sie so schön ist, sondern weil sie eine ganz konkrete Geschichte dokumentiert. Wie im Falle des schon im ersten Kriegsmonat 1914 schwer verwundeten Simon Gammel geschehen, der mittlerweile durch uns berühmt geworden ist.


HSS: 
Auf seiner Website führt das neue Museum als Untertitel „Ein Haus der Zukunft für die Geschichte der Gegenwart“. Die Geschichte der Gegenwart zu dokumentieren, ist klar, aber was hat man sich unter einem „Haus der Zukunft“ vorzustellen?

Neueste Methoden in der Museumsdidaktik – angefangen beim Mediaguide, der Sie nicht nur per Ton, sondern auch per Bild mitten in die erzählte Geschichte holt, bis zur Museums- uns Medienpädagogik: Wir lehren das kritische Recherchieren historischer Inhalte im Netz und das Präsentieren in modernen medialen Formaten. Was bei uns erarbeitet wird, wird nicht weggeschmissen, sondern in die Museumsanwendungen eingepflegt und zugänglich gemacht.


HSS: 
Der Neubau in der Weltkulturerbe-Stadt, die mit dem Donaumarkt einen direkt an die Altstadt angrenzenden Standort bietet, wird hitzig diskutiert. Die einen beschimpfen ihn als hässliche Wellblechhütte, der einer Dunkelkammer gleiche, bezeichnen ihn sogar als ein trauriges Beispiel dafür, wie verantwortungslos hierzulande mit öffentlichem Raum umgegangen werde. Andere schwärmen von der faszinierenden Architektur. Wer hat recht?

Das ist, mit Verlaub, aus veralteter Münchner Perspektive geschildert. In Regensburg hat sich die Stimmung durch unsere große Präsentation im Juni gedreht. Wichtig war, dass dazu die Fassade fertig geworden ist. Vorher sah man sehr lange nur die schwarze Isolierung und da haben viele geglaubt, angeheizt durch bestimmte Medienvertreter, dass das so bleibt. Ein Gebäude kann man sowieso nur beurteilen, wenn sich seine Funktion erschließt. Und dazu muss man halt rein. Form follows content – ist der entscheidende Grundsatz. Die Gelegenheit haben im Juni 30.000 genutzt und die allermeisten waren begeistert. In Regensburg höre ich seitdem fast nur noch, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auf ihr neues Museum freuen. Das wird sich ganz sicher auch noch nach München durchsprechen.


HSS: 
Das Museum war auch deshalb heiß begehrt, weil es als Touristenmagnet viel Aufmerksamkeit verspricht. Viele Regensburger stöhnen schon jetzt wegen des Ansturms der Touristenmassen und des Trubels, der seit 2006, seit Regensburg den Unesco-Weltkulturerbe-Titel erhielt, noch einmal gewaltig angeschwollen ist. Zudem gibt es in Regensburg trotz der Touristenmassen auch die Befürchtung, die Besucher würden künftig nur noch in Ihr Museum strömen und die anderen Museen links liegen lassen. Sind diese Befürchtungen berechtigt? Gibt es Pläne für künftige Kooperationen zwischen den Museen? Lassen sich Besucherströme so lenken oder müssen sich die anderen halt mehr anstrengen und ein attraktives Programm bieten, um ihre Besucher zu halten?

Ich glaube, dass es in Regensburg bald nicht mehr so sehr um Zuwachsraten gehen wird, sondern um die Qualität des Tourismus. Dazu können wir einen Beitrag leisten, schließlich bieten wir ein völlig neues Angebot, was die Dauerausstellung und dann auch die Sonderausstellungen betrifft, die moderne mediale Art der Vermittlung, aber auch die vielfältigen Möglichkeiten für Veranstaltungen. Regensburg wird dadurch zur besonders innovativen Museumsstadt werden. Mittelfristig wird sich das auch auf die Partnermuseen positiv auswirken. Ich verweise auf das Beispiel Augsburg, das ich als Gründungsdirektor des tim gut kenne. Ebenso wie hier können sich auch in Regensburg vielfältige Möglichkeiten zur Zusammenarbeit ergeben. Wir sind dazu bereit. 


HSS:
Dr. Loibl, wir danken Ihnen für das Interview.

Archiv für Christlich-Soziale Politik (ACSP), Politisch-historische Fachbibliothek
Dr. Renate Höpfinger
Leiterin