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Passaus Bischof Stefan Oster im Interview
Der Kern des Christentums

Autorin/Autor: Andreas von Delhaes-Guenther

Die katholische Kirche steht vor den Herausforderungen einer sich rasch verändernden Gesellschaft - massive Kirchenaustritte machen ihr zu schaffen. Der Blick eines modernen Bischofs auf christliche Grundwerte und den Humor der Kirche.

Politicus: Sie sind seit 2014 Bischof, also schon seit 10 Jahren. Der Zusammenhalt nicht nur in unserem Land steht auf wackligen Füßen, die politische Mitte und das ehrenamtliche Engagement schrumpft, der Tonfall ist rauer, gerade auch durch Social Media. Beiden Kirchen laufen die Gläubigen in Scharen weg. Wo sind die christlichen Grundwerte wie Nächstenliebe, Verantwortung und Vergebung hingekommen?

Bischof Stefan Oster: Also ich glaube tatsächlich, dass auch die Entkonfessionalisierung, also der Verlust des religiösen Glaubens und des religiösen Bewusstseins, eine ganz starke Rolle spielt bei den Phänomenen, die Sie aufzählen. Sie kennen das berühmte Wort von Ernst Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche Rechtsstaat lebt von Voraussetzungen, die er selber nicht garantieren kann.“ Wenn der Staat diese Werte und Haltungen aber nicht garantieren kann und dann Institutionen wie unsere, die diese eigentlich hervorbringen, wegbrechen, dann fehlt der gesellschaftliche Zusammenhalt. Und Sie haben es selber gesagt, die digitale Revolution trägt aus meiner Sicht einen erheblichen Teil dazu bei, weil die Algorithmen der neuen Medien auf Klicks gehen, auf Kommerz, auf Emotionalisierung. Dadurch bleibt echte Streitkultur auf der Strecke.

Wenn Open Doors die Lage der am meisten verfolgten Minderheit in der Welt schildert, nämlich der Christen, hört man von den Kirchen eher wenig. Warum?

Wir haben weltweit auch Hilfswerke – Caritas International, Misereor oder Missio und andere. Die schauen auf diese Dinge differenziert und sagen, okay, wir sind nicht die Einzigen, die verfolgt werden. Es werden auch gläubige Muslime verfolgt oder andere religiöse Gruppen. Aber tatsächlich würde ich dem zustimmen, dass wir in der Hinsicht lauter sein könnten und deutlicher.

Vor dem Passauer Dom St. Stephan: Bischof Stefan Oster (M.) mit den politicus-Redakteuren Andreas von Delhaes-Guenther und Susanne Berke.

Irmak Kalac; ©HSS

Sie kritisierten die Eröffnungsfeier bei Olympia in Paris, bei der das letzte Abendmahl Christi aufs Korn genommen wurde, als „Verhöhnung dessen, was Christen das Allerheiligste ist“. Sie sprachen von einer Gesellschaft, „die sich in atemberaubendem Tempo selbst säkularisiert“, die sich „damit von den Wurzeln abschneidet, auf denen sie gewachsen ist“. Inwieweit vertragen sich Christentum und die immer grenzenlosere Freiheit westlicher Gesellschaften?

Ja, ich habe diese Feier in bestimmten Aspekten deutlich kritisiert. Die Szene mit den Dragqueens, auf die ich mich bezogen habe, zeigt als Hauptdarstellerin eine stark übergewichtige, bekennend lesbische Person als „Jesus“ im Kreis ihrer „Jünger“. Sie stellen das letzte Abendmahl Jesu dar und die genannte Person feiert diese Szene auf ihrem eigenen Social Media Kanal als wörtlich „the new gay testament“. Stellen Sie sich einfach vor, jemand hätte Mohammed in dieser Weise dargestellt. Dann hätte vermutlich Paris gebrannt oder hätte es im arabischen Raum Gewalt oder Aufstände gegeben. Es geht hier um das Abendmahl, eine der heiligsten Handlungen der Christenheit, in dem Christus sich selbst und seinen Leib verschenkt, sich selber hingibt, damit wir neu werden, freier werden, mehr werden, heiler und erlöst werden. Es so in dieser Weise darzustellen, banalisiert den Kern des Christentums, unser Menschenbild. Hier ist für mich eine Grenze überschritten worden. Und tatsächlich geschehen solche Grenzüberschreitungen im Blick auf das Menschenbild auch in anderen, sehr wesentlichen Bereichen, wie bei unseren Debatten um Abtreibung, Reproduktionsmedizin, assistiertem Suizid oder der angeblichen freien Wahl des Geschlechts. Hier sind Bereiche, in denen der Kern unseres Menschenbildes bedroht ist – und das sollten wir auch klar sagen.

"Demut bedeutet auch, dass ich über mich lachen kann": Bischof Stefan Oster im Gespräch mit politicus-Redakteur Andreas von Delhaes-Guenther.

Irmak Kalac; ©HSS

Gott hat Humor, schrieben Sie kürzlich. Hat die Kirche auch Humor?

Die Kirche hat immer Humor gehabt. Beispiel Karneval. Wo sind die Karnevals-Hochburgen? In der Regel existiert da ein katholischer Hintergrund. Karneval heißt ja „Fleisch, lebe wohl“. Das heißt, wir verabschieden uns von einer bestimmten Art des Verständnisses von „fleischlichem Genuss“ und treten ein in eine Fastenzeit, eine Zeit der Läuterung. Deswegen wollen wir es vorher noch mal richtig krachen lassen – meint man. Also das ist zwar nicht gleich Evangelium, aber irgendwie gut katholische Tradition.

Und kann die Kirche über sich selbst lachen? 

Ehrlich gesagt, wenn wir es nicht könnten, dann wären wir nicht Kirche. Unser Glaube setzt eigentlich Demut voraus. Und Demut bedeutet auch, dass ich über mich lachen kann und mich nicht so wichtig nehme.

Das heißt, Sie können heute auch über den Film „Leben des Brian“ lachen? 

Ich kann auch über „Leben des Brian“ lachen. Sagen wir mal, na ja. Die Frage ist schon: Wann werden religiöse Gefühle verletzt? Und welche Art von Humor im Blick auf die eigene Religion ist erträglich, welche nicht? Ehrlich gesagt, als Jugendlicher, als ich vom Glauben noch viel weiter weg war, konnte ich darüber tatsächlich noch viel mehr lachen als heute. Aber diese Figur des „Brian“, die fälschlich als Messias verehrt wird, ist auch heute noch witzig. 

"Die Kirche hat Humor": Bischof Stefan Oster produzierte einen "viralen Hit" auf YouTube mit seinem Oster-Witz während des Oster-Gottesdienstes, bei dessen Vortrag er selbst immer wieder lachen musste.

Susanne Schmidt; ©HSS; Bistum Passau

Sie sind auch Sportbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz. Kann der Sport unsere Gesellschaft verbinden?

Ja, natürlich. Wir Menschen erfahren, wer wir sind, unter anderem dadurch, dass wir uns vergleichen. Ich gehe zum Beispiel in die Schule und merke, ich kann das besser und anderes weniger gut als andere. Wenn ich aber meine, meine Identität nur durch Vergleich zu bekommen, dann ist etwas faul, dann werde ich nie zufrieden und nie glücklich. Der Sport ist daher eine Möglichkeit, auf einem guten Weg Vergleich zu üben und damit seine eigenen Fähigkeiten zu trainieren. Vorhin haben wir über das wachsende Phänomen von echter oder vermeintlicher Trans-Identität gesprochen, was vor allem bei jungen Mädchen vorkommt. Sicher gibt es Menschen, denen das ernsthaft Leiden verursacht – und ich will das nicht verharmlosen. Aber es gibt auch gewichtige Stimmen, die sagen, dass auch dieses Phänomen sehr häufig vor allem ein Vergleichsphänomen ist – und dann zum Ansteckungsphänomen wird. Etwas zugespitzt gesagt: In meiner Jugend hat sich ein Mädchen mit drei anderen, die in ihrer Klasse waren, verglichen. Heute sind es eine Milliarde Mädchen auf Instagram, die alle besser ausschauen als du. Dann willst du vielleicht auch anders sein und einen anderen Körper haben. Als Christen haben wir da nun tatsächlich einen wesentlichen Beitrag dazuzulegen: Wenn die tiefste Identität eines gläubigen Menschen ist: Ich bin ein Kind des allmächtigen Vaters, und zwar völlig unabhängig davon, ob ich besser, schöner, größer oder anders bin als die anderen. Dann merken wir plötzlich, was der Glaube eigentlich für einen fundamentalen Wert haben kann – für unser ganzes Leben.

 

Das Interview führten Andreas von Delhaes-Guenther und Susanne Berke

 

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