Print logo

Krisenkommunikation in Zeiten neuer Medien:
Wem können wir noch vertrauen?

Autor: Angela Ostlender

Etablierte Medien und staatliche Institutionen stehen unter Druck: Demonstranten skandieren „Lügenpresse“, in Online-Foren kursieren Verschwörungstheorien und Falschmeldungen verbreiten sich im Internet wie ein Lauffeuer. In Momenten der Krise, in denen sich die Ereignisse überschlagen, ist eine sachliche, von Fakten getragene Kommunikation deshalb immer schwerer zu bewerkstelligen. Dabei sind gerade in solchen Lagen seriöse Quellen notwendig, damit gefährliche Situationen nicht eskalieren.

Wie soll eine gelungene Krisenkommunikation in einer polarisierten und schnelllebigen Welt aussehen? Wie lassen sich aus diffusen Informationen die richtigen Schlüsse ziehen? Wie kann man die Öffentlichkeit möglichst vollständig informieren, ohne Spekulationen und Gerüchte zu befeuern?

Münchner Olympiazentrum

Nach dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum kommunizierte da Gloria Martins als Polizeisprecher besonnen und klar. Das half, eine Massenpanik zu verhindern.

Kay_R; CC0; Pixabay

Schnörkellos, direkt und ehrlich

Die Schießerei im Münchener Olympia-Einkaufzentrum (OEZ) im Juli 2016 machte ihn bundesweit bekannt: Als Sprecher des Polizeipräsidiums München gelang es Marcus da Gloria Martins mit viel Besonnenheit und klarer Kommunikation, Massenpanik zu verhindern und Spekulationen vorzubeugen. In Brüssel sprach der ausgebildete Fachmann für Krisenkommunikation über seine Erfahrungen und Einschätzungen. In einer kürzlich durchgeführten Forsa-Umfrage hätten 85% der Befragten die Arbeit der deutschen Polizei als „sehr vertrauensvoll“ eingestuft, so der Polizeivertreter, die Schere zwischen objektiver Sicherheit und subjektivem Sicherheitsgefühl gehe jedoch kontinuierlich auseinander. „Warum glauben Menschen, dass Sie eine handlungsfähige, demokratische und stabile Polizei haben, aber befürchten gleichzeitig, dass sie quasi schon tot sind, sobald sie das Haus verlassen?“, fragte der Münchener Polizeibeamte. Er sah in der richtigen Einordnung und verständlichen Vermittlung von Informationen die größte Herausforderung der Medien. „In der heutigen Zeit verlieren sogar die traditionellen Medien zunehmend ihre Fähigkeit, Publikum zu binden. Was soll da schon eine Behörde machen?“, so da Gloria Martins. Unsere innere Verletzbarkeit, besonders im Hinblick auf Terroranschläge, sei extrem gestiegen. Als professioneller Krisenkommunikator müsse man sich daher bereits im Vorfeld mental auf seine Aufgabe vorbereiten und eine Haltung finden. „Um dem Ordnungsbild der Bevölkerung zu entsprechen haben wir gelernt, dass wir schneller werden und die Sprache der Bevölkerung sprechen müssen, das heißt: schnörkellos, direkt und ehrlich.“

Info:

Gemeinsam mit der Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union und dem Europabüro der Konrad-Adenauer-Stiftung organisierte das Europa-Büro Brüssel der Hanns-Seidel-Stiftung im Rahmen der Konferenzreihe FORUM INNERE SICHERHEIT (FIS) am 21. November 2018 in Brüssel eine Podiumsdiskussion zum Thema: „Krisenkommunikation in Zeiten neuer Medien: Wem können wir noch vertrauen?

Sprecher waren Barbara Schretter, Leiterin der Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union, der Sprecher des Polizeipräsidiums München, Marcus da Gloria Martins, Ralph Sina, Leiter des NDR/WDR-Studios in Brüssel, Jivka Petkova, Multimedia-Chefredakteurin der Europäischen Kommission, Prof. Dr. Stephan G. Humer, Internetsoziologe an der Hochschule Fresenius und Dr. Markus Ehm, Leiter des Europa-Büros Brüssel der HSS.  

Ein Bildschirm auf dem "Fake News" steht.

Die Europäische Auswärtige Dienst kämpft mit der "East StratCom Task Force" gegen gezielte Falschmeldungen im Internet. Auch die Website "EUvsDisinfo.eu" dient diesem Zweck.

Pixel2013; CC0; Pixabay

Die EU und ihr Image - Kommunikation in der Dauerkrise

Es scheint, als durchlebe die Europäische Union seit vielen Jahren eine Dauerkrise: Banken- und Finanzkrise, Staatsverschuldung Griechenlands, Migration und der Brexit. Auch hier ist gute Krisenkommunikation von entscheidender Bedeutung, um dem Bürger die komplexen Vorgänge verständlich zu machen. Dies gilt jetzt besonders im Hinblick auf die Europawahlen im Mai 2019. Die Europäische Kommission leidet schon lange unter einem schlechten Image, während der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) mit bewussten Falschinformationsattacken konfrontiert ist. Die beiden Institutionen reagieren daher mit unterschiedlichen Strategien. Während der EAD versucht, mit Hilfe der Mitgliedstaaten und einer eigens eingerichteten „East StratCom Task Force“ sowie der Webseite „EU vs Disinfo“ Falschmeldungen gezielt entgegenzusteuern, setzt die Kommission auf eine bessere Kommunikation mit den europäischen Bürgern. Ein Sieben-Punkte-Plan soll dabei helfen, schneller zu reagieren, eine verständlichere und „entbrüsselisierte“ Sprache zu gebrauchen, ausschließlich überprüfte und vertrauenswürdige Informationen weiterzugeben sowie möglichst viele Akteure aktiv einzubinden. Eine konkrete Maßnahme, die jedoch nicht ausreiche, wie Jivka Petkova, Multimedia-Chefredakteurin der Europäischen Kommission einräumte, sei die Erstellung von übersichtlichen Themenblättern, wie beispielsweise zum Europäischen Semester oder anderen europapolitischen Bereichen.

ausgewühlte Szenen auf einer Demonstration in Hamburg. Polizei, Gewusel, Rauch hängt in der Luft.

"[...] wir müssen schneller werden und die Sprache der Bevölkerung sprechen müssen, das heißt: schnörkellos, direkt und ehrlich." (da Gloria Martins)

Tama66; CC0; Pixabay

Mehr Professionalisierung des Einzelnen in der Kommunikation

Hilfestellung für die „Suche nach Orientierung im digitalen Raum“ gab Prof. Dr. Stephan G. Humer. „Wir befinden uns in einer Zeit, die sich durch eine extreme Vermengung von sehr rationalen und sehr emotionalen Verhaltensweisen auszeichnet – und sie hat, historisch gesehen, gerade erst begonnen. Es stellt sich daher die Frage, „wie die Sinnsuche in einem Spannungsfeld zwischen Ratio und Emotio funktioniert“, so der Gründer des ersten Arbeitsbereichs Internetsoziologie in Deutschland.

Der Mensch müsse nun selbst die Verantwortung für die Einschätzung und Einstufung von Richtigkeit und Relevanz von Information und Wissen übernehmen. „Wir müssen Abschied nehmen von traditionellen Institutionen, wie Journalisten und Medien, die dies in der Vergangenheit für uns erledigt haben.“ Nur eine hochgradige Professionalisierung des Einzelnen – vor allem auch im Privaten, werde es uns in Zukunft ermöglichen, mit Krisensituationen souverän umzugehen. Alle Krisen hätten gemeinsam, dass ein jeder individuell einen Umgang damit finden müsse. „Wir müssen individuell wissen, wer sind wir, was wir wollen und wohin die Reise geht“, so Humer, „das ist Arbeit! Wir wären heute schon viel weiter, wenn große Teile der Gesellschaft endlich akzeptieren würden, dass dies kein vorübergehendes Phänomen ist.“ Diese „Arbeit“ werde jedoch oft noch verweigert, was auch die hohe Zahl an Forderungen zur Reglementierung von sozialen Medien belege. Aktuelle Fragen, wie man mit Facebook, Twitter und anderen sozialen Medien umgehen sollte, könnten bald schon wieder obsolet sein, denn in keinem anderen Bereich gebe es so viel positive wie auch negative Dynamik. Der Erfolg der Digitalisierung hängt letztlich von kulturellen Fragen und nicht von rechtlichen oder technischen Aspekten ab. „Wir machen die Digitalisierung. Es gelingt jedoch nur, wenn wir endlich alle Verantwortung übernehmen und extrem professionell werden“, plädierte der Wissenschaftler aus Hohenheim.

Ralph Sina moderierte nicht nur, sondern gab auch Einblicke in seine Journalistenpraxis. Journalisten stünden heutzutage kontinuierlich vor der Frage: „Wann und welche Art von Information thematisieren wir? Welche Information kommt in die Schlagzeile?“ Wie kann es da gelingen, glaubwürdig, zurückhaltend und trotzdem schnell zu sein, fragte der Leiter des NDR/WDR-Studios Brüssel in die Runde.  Besonders folgenschwer sei der Zeitfaktor, da oftmals nicht genügend Zeit zur gründlichen Recherche verbleibe, Gerüchte jedoch blitzschnell in den Umlauf gelangten. Abschließend stellte Sina fest, dass sowohl die punktuellen, als auch langfristige Krisen, wie sie die EU derzeit durchlebt, Medien und Bürger aus unterschiedlichen Gründen vor große Herausforderungen stellten.

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter
Europäischer Dialog
Angela Ostlender
Programm Managerin