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Erste Deutsch-Tschechische Böhmerwald-Gespräche
Gute Nachbarschaft

Die Pandemie hat in Europa wieder gezeigt, dass es noch Grenzen gibt. Eine besonders irritierende Erfahrung für Menschen aus Grenzregionen, die sich längst daran gewöhnt hatten, frei etwa von Bayern nach Böhmen zu pendeln. Die Hanns-Seidel-Stiftung hat im tschechischen Klatovy zu den ersten "Deutsch-Tschechischen Böhmerwald-Gespräche" geladen, um wieder ins Gespräch zu kommen.

Der Corona-Lockdown und mehrere Monate Grenzschließung haben die bayerisch-tschechische Zusammenarbeit stark beeinflusst. Wie die Erfahrungen in dieser Zeit waren, welche Folgen sich daraus ergeben und mit welchen Erwartungen man auf die nächsten Monate schaut – darüber haben Fachleute aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Gesundheit, Sprache und Tourismus auf Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung in Tschechien diskutiert. Die als Experten-Roundtable konzipierten ersten Deutsch-Tschechischen Böhmerwald-Gespräche fanden dabei symbolisch im tschechischen Klatovy (Klattau) nahe der tschechisch-bayerischen Grenze statt. Moderiert und geleitet wurde die Veranstaltung vom ehemaligen bayerischen CSU-Europaabgeordneten Martin Kastler, heute Repräsentant der Hanns-Seidel-Stiftung für Mitteleuropa mit Sitz in Prag. „Wir wollen als Hanns-Seidel-Stiftung mit diesem Experten-Roundtable in Klattau das persönliche Gespräch und das grenzüberschreitende Miteinander wieder anschieben nach all dem Lockdown und der Grenzschließung. Seit fast 30 Jahren arbeiten wir in Tschechien und gerade jetzt ist es an der Zeit, den regionalen Dialog, auch in COVID-19 Zeiten, in der Nachbarregion von Böhmerwald und Bayerischen Wald noch stärker zu fördern“, so Martin Kastler. Am Rande der Veranstaltung haben wir mit einigen der tschechischen und deutschen Referenten gesprochen.

Mann, Brille, Anzug, lächelt in die Kamera

Dr. Richard Pikner ist Laborleiter im Krankenhaus in Klatovy/Klattau. Politisch ist er für die Partei TOP 09 als Mitglied des Bezirkstags der Region Pilsen aktiv.

Pikner

HSS: Herr Dr. Pikner, Sie arbeiten als Laborleiter im Krankenhaus in Klattau. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit der Corona-Epidemie gemacht?

Dr. Richard Pikner: Ich möchte vor allem meine Erfahrungen aus dem Labor des Klattauer Krankenhauses betonen. Seit dem Frühjahr haben wir dort bei mehr als 1000 Pendlern Covid-19-Tests durchgeführt. Davon war lediglich in vier Fällen der Test positiv, d.h. 0,4%. Das ist eine sehr kleine Zahl und die Pendler stellten also eindeutig kein Risiko bei der Infektionsübertragung dar, weder im Frühjahr noch heute.

HSS: Was die Corona-Situation in ganz Tschechien betrifft, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürzlich getitelt: „Vom Musterschüler zum Sorgenkind“. Wie würden Sie das Vorgehen der Prager Regierung im Kampf gegen die Corona-Pandemie bewerten?

Ich würde es so ausdrücken: Unprofessionalität, Unkoordiniertheit und das Fehlen jedweder Konzeption und Vision. Leider. Als einen Fehler erachte ich die zu schnelle und praktisch vollständige Lockerung aller Maßnahmen über den Sommer. Und jetzt sollten wir uns nicht wundern, dass die Coronavirus-Infektionen wieder zunehmen und sogar viel mehr, als es im Frühjahr war. Als Vorbild sollten wir uns eher andere Länder nehmen, wie zum Beispiel Deutschland, wo auch im Sommer die Maskenpflicht nicht aufgehoben worden ist, die Abstände weiter Pflicht waren und wo weiterhin größere Veranstaltungen eingeschränkt waren. Das ist bei uns in Tschechien abgeschafft worden und nun bleibt uns nichts anderes übrig, als wieder dazu zurückzukehren.

"Der CSU-Politiker Sandro Bauer ist seit 2011 erster Bürgermeister der Stadt Furth im Wald sowie stellvertretender Landrat des Landkreises Cham.

"Der CSU-Politiker Sandro Bauer ist seit 2011 erster Bürgermeister der Stadt Furth im Wald sowie stellvertretender Landrat des Landkreises Cham.

S. Bauer

HSS: Herr Bauer, wie hat sich die Grenzschließung auf eine Grenzstadt wie Furth im Wald und auf einen Grenzlandkreis wie den Landkreis Cham und die dortige Wirtschaft ausgewirkt?

Sandro Bauer: In den Landkreis Cham pendeln über 4500 tschechische Bürgerinnen und Bürger, die bei uns als Arbeitskräfte, als Pendler tätig sind. Sie arbeiten in den verschiedensten Bereichen, in der Pflege, im medizinischen Bereich, im Tourismus- und Gastrobereich, in der Baubranche, im produzierenden Gewerbe, also letztendlich überall. Mit dieser Grenzschließung haben wir natürlich gemerkt, welche Einschnitte das bedeutet. Gott sei Dank ist es dann gelungen, über die verschiedensten Mandatsträger, über die verschiedensten Organisationen auch auf die tschechische Seite Einfluss zu nehmen, dass es zumindest für Berufstätige in den sogenannten systemrelevanten Berufen Lockerungen gab, dass sie wieder die Grenze überschreiten und dort ihrer Tätigkeit nachgehen konnten. Mit allen Entbehrungen. Das alles haben unsere tschechischen Pendler auf sich genommen. Man muss sich vorstellen, wenn ein junger Familienvater, eine Mutter es in Kauf nimmt, für drei Wochen von daheim wegzugehen, um dann wieder für zwei Wochen daheim zu bleiben und dann natürlich nicht dem Beruf nachgehen kann, muss sie dabei natürlich finanzielle Einbußen hinnehmen. Es war also eine ganz schwierige Zeit für unsere Bürgerinnen und Bürger diesseits und jenseits der Grenze, und auch für unsere Unternehmer. Denn jeder Unternehmer braucht Sicherheit, er braucht Planungssicherheit für die Zukunft, wenn er Aufträge annehmen will. Und wenn er diese Aufträge nicht annehmen kann, weil er nicht weiß, ob die Mitarbeiter am nächsten Tag noch kommen dürfen, dann ist diese Unsicherheit ein sehr kritischer Faktor für die Zukunftsplanungen unserer Unternehmen. Und da hoffe ich natürlich in Zukunft, dass wir solche Situationen nicht mehr erleben müssen.

HSS: Haben Sie Bedenken, dass sich diese Ereignisse langfristig negativ auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auswirken könnten?

Auch wenn wir alle dermaßen geschockt davon waren, denke ich nicht, dass es für die Zukunft große Auswirkungen haben wird. Wir sind ja aufeinander angewiesen. Wir können es uns gar nicht mehr leisten, in geschlossenen Grenzen zu denken. Von daher glaube ich nicht, dass es negative Auswirkungen haben wird, weil ja beide Seiten darunter gelitten haben.

Mann mit Bart, ernst blickend

Václav Bernard ist erster Bürgermeister der tschechischen Marktgemeinde Všeruby (Neumark) an der bayerischen Grenze.

B. Vaclav

HSS: Herr Bernard, wie war die Atmosphäre bei Ihnen in der Grenzgemeinde Všeruby (Neumark) zur Zeit der geschlossenen Grenze?

Václav Bernard: Wir waren über diese Entscheidung sehr unglücklich. Schon viele Jahre lang haben wir es eigentlich gar nicht mehr wahrgenommen, dass da irgendeine Grenze existiert. Wir sind so sehr verbunden miteinander und deshalb war das für uns ein absolut schockierender Zustand. Und dabei wurden dann vor allem die Pendler als Schuldige ausgemacht für die Corona-Fälle im Landkreis Domažlice (Taus) und überhaupt in der Grenzregion. Dabei hat sich mit der Zeit gezeigt, dass diese Information überhaupt nicht mit Fakten belegt war. Und die Zahlen, die wir mittlerweile zur Verfügung haben, zeigen das auch ganz deutlich: In der ganzen Tschechischen Republik handelte es sich um insgesamt 22 positive Corona-Fälle bei Pendlern. Trotzdem waren die Pendler in ihrem Alltag mit vielen Einschränkungen konfrontiert: Es war etwa keine Ausnahme, dass einem Pendler der Zutritt zu einem Lebensmittelgeschäft verwehrt worden ist. Mit diesem Status „Pendler“ hatten sogar die Familien dieser Bürger zu kämpfen, die Ehepartner, die Kinder in der Schule und es ist sogar passiert, dass Personen mit dem Status „Pendler“ im Krankenhaus die Behandlung verweigert worden ist.

HSS: Denken Sie, dass diese Krise den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt dauerhaft beschädigen könnte?

Das befürchte ich nicht. Denn so wie wir auf der kommunalen Ebene zwischen den Nachbargemeinden Všeruby und Eschlkam über viele Jahre ein sehr gutes Verhältnis aufgebaut haben, so haben auch viele Pendler mit ihren Arbeitgebern persönliche Beziehungen aufgebaut. Ich denke, dass es da nicht nur um die besseren Verdienstmöglichkeiten geht, sondern es geht da auch um langfristig aufgebaute Beziehungen. Deshalb denke ich nicht, dass sich am Pendeln zum Arbeitsplatz in Deutschland etwas ändern wird.

Frau in der Natur, freundlich lächelnd. Im Hintergrund herbstliches Gebüsch.

Jana Dirriglová ist ehrenamtliche Bürgermeisterin der Gemeinde Loučim (Lautschim). Außerdem ist sie als Projektmanagerin tätig bei der Euroregion Šumava und beim Aktionsbündnis Künisches Gebirge.

Dirriglova

HSS: Frau Dirriglová, wie hat sich die Corona-Krise auf den Tourismus im Böhmerwald ausgewirkt?

Jana Dirriglová: Mit der Euroregion Šumava haben wir im vergangenen Jahr, also vor Corona, eine Umfrage unter den touristischen Akteuren in der Region Südböhmen durchgeführt. Dabei gaben die Befragten an, dass es gut wäre, wenn sich die Touristen besser verteilen würden, wenn sie also nicht nur die bekannten Hauptorte des Böhmerwalds wie zum Beispiel Srní (Rehberg) besuchen würden. Und genau dazu kam es nun durch Corona, im Sommer, nach dem Ende des Lockdowns: Da viele Menschen in Tschechien heuer nicht ins Ausland fahren wollten, gab es in einigen Orten des Böhmerwalds Besucherrekorde, sie waren völlig ausgebucht. Und auch kleinere, vorher weniger bekannte Ziele hatten deshalb heuer mehr Gäste. Dabei gab es sehr viele Tagesgäste und viele Leute, die das erste Mal im Böhmerwald Urlaub gemacht haben. Außerdem ist interessant, dass die Altersgruppe von 25 bis 34 Jahren sowie junge Familien dieses Jahr besonders stark vertreten waren. Wir hoffen, dass sich das auch für die nächsten Jahre positiv auswirkt.

Pongratz lächelnd vor einer Backsteinmauer.

Jaroslava Pongratz arbeitet als Netzwerkmanagerin Bayern-Böhmen für gute Beziehungen zwischen den Nachbarn. Die Wirtschaftsinformatikerin kommt aus der Grenzregion Pilsen und lebt aktuell im Bayerischen Wald.

Pongratz

HSS: Frau Pongratz, Sie sind „Netzwerkmanagerin Bayern - Böhmen“ bei der Europaregion Donau-Moldau. Was kann man sich unter dieser Stellenbezeichnung vorstellen?

Jaroslava Pongratz: Ich bin Netzwerkmanagerin Bayern - Böhmen für deutsche und tschechische Firmen, vor allem für niederbayerische und tschechische Firmen, mit dem Fokus auf die Regionen Südböhmen, Pilsen und Karlsbad, und dabei hauptsächlich für kleine und mittlere Unternehmen. Aber es können sich an mich alle Unternehmen und alle Branchen wenden, wenn sie grenzübergreifend neue Partner, neue Unternehmenskooperationen suchen oder wenn sie Fragen zu Kontakten haben. Ich unterstütze sie auch so, dass ich grenzübergreifende Veranstaltungen organisiere, etwa Bayerisch-Tschechische Unternehmertage und die Unternehmensbörse. Das ist eine kostenfreie Plattform, auf der sie einen Stand haben und sich präsentieren, auf der sie sich mit anderen Unternehmen treffen und vernetzen können.

HSS:Und wie können Sie die Unternehmen nun in Corona-Zeiten bzw. im Frühjahr während der Grenzschließung unterstützen?

Erstens mache ich verschiedene Online-Veranstaltungen. Zum Beispiel bereite ich gerade den ersten Bayerisch-Tschechischen Business-Talk vor und auch während des Corona-Lockdowns habe ich sie bei verschiedensten Themen unterstützt. Viele deutsche Unternehmen in der Grenzregion waren ohne tschechische Mitarbeiter, da musste ich Unternehmen helfen bei der Suche nach Unterkünften, bei verschiedenen Dolmetsch- und Übersetzerleistungen, bei der Anforderung von verschiedenen Dokumenten oder auch bei der Kommunikation mit Ministerien.

Freundlich lächelnder Mann mit gepflegtem kurzem Bart und Brille

Der Politologe Dr. Gerhard Hopp (CSU) vertritt seit 2013 den Stimmkreis Cham im Bayerischen Landtag.

G.Hopp

HSS: Herr Dr. Hopp, Tschechien und Bayern sind enge Wirtschaftspartner innerhalb des europäischen Binnenmarktes. Wie können wir nun gemeinsam aus der Corona-Rezession herauskommen?

Dr. Gerhard Hopp: Tschechien ist mit über 21 Milliarden Euro Außenhandelsvolumen für Bayern der wichtigste Wirtschaftspartner in Mittel- und Osteuropa und der fünftwichtigste Handelspartner weltweit. Umgekehrt ist Deutschland der wichtigste Wirtzschaftspartner Tschechiens und innerhalb Deutschlands ist dabei der Freistaat Bayern das für die tschechische Wirtschaft wichtigste Bundesland. Außerdem sind der bayerische und tschechische Arbeitsmarkt eng verbunden. Zum Beispiel in meinem Wahlkreis, dem Grenzlandkreis Cham, arbeiten über 4500 Pendler aus Tschechien. Die Einschränkungen durch die Grenzschließung heuer im Frühjahr haben in Ostbayern viele Unternehmen in große Personalschwierigkeiten gebracht. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer sowie den tschechischen Wirtschaftskammern bedanken. Sie haben in der Hochzeit der Corona-Krise ganz außerordentliche Arbeit geleistet für unsere Betriebe und Unternehmen.

Aber natürlich hat die Corona-Pandemie und der Lockdown die Wirtschaft in Tschechien und Bayern hart getroffen. Für Tschechien wird für das Gesamtjahr 2020 ein Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 8,2% prognostiziert. In Tschechien gibt es wie in Deutschland massive Direkthilfen für die Unternehmen, auch ein Kurzarbeiterprogramm gibt es. Es wird aber dauerhaft enorme Anstrengungen benötigen, um aus dieser Wirtschaftskrise wieder herauszukommen. Dabei helfen können uns sicherlich Investitionen in Zukunftstechnologien, in Digitalisierung, in Künstliche Intelligenz. Der Technologie Campus Cham ist da ja schon jetzt ein Parade-Beispiel. Dann ein weiterer Ausbau der Tourismus-Destinationen, denn wie wir jetzt ja sehen, ist Urlaub zu Hause – auch einer der Trends während Corona. Da gibt es sowohl im Bayerischen Wald wie auch im Böhmerwald großes Potential. Und natürlich auch Infrastrukturprojekte, wie ein Ausbau der Bahnverbindung München-Prag, können unsere bayerisch-tschechische Zusam­men­­arbeit noch weiter voranbringen. Oder anders gesagt: Halten wir Abstand jetzt während Corona, aber halten wir auch fest zusammen! 

Die Gespräche führte Christoph Mauerer, HSS, Tschechien

Mitteleuropa, Osteuropa, Russland
N.N.
Leitung
Tschechien
Dr. Markus Ehm
Projektleiter
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