Print logo

Das Lincoln Project
Friendly Fire aus der eigenen Partei

Im „The Lincoln Project“ formiert sich der republikanische Widerstand gegen Präsident Trump. Seine Kandidatur für eine Wiederwahl kann die Bewegung jedoch nicht verhindern. Was sind die Absichten der Initiative und wie ernst-zunehmend ist sie? Welche Möglichkeiten bieten sich ihr und wie ist sie in der politischen Landschaft einzuordnen?

  • Opportunismus rächt sich
  • Trump verhindern, Trumpismus überwinden
  • Sammelbecken traditioneller Republikaner
  • Ungewisse Zukunft

Die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen in den Vereinigten Staaten, im Vorfeld der am dritten November 2020 stattfindenden US-Wahlen, zeichnen das Bild eines tief zerrissenen Landes in Aufruhr. Die vergangenen dreieinhalb Jahre der Präsidentschaft von Donald Trump haben ein ungekanntes Ausmaß an gesellschaftspolitischen Konflikten aufflammen lassen und eine Reihe von Stresstests für demokratische Institutionen mit sich gebracht. Die Kompetenzen der Exekutive wurden bis auf äußerste ausgereizt, der US-Kongress bei Entscheidungen umgangen und die Trump-Regierung versucht per Dekret „durchzuregieren“. Jenseits der Verfassungsmäßigkeit wurde das Ziel verfolgt, die Sichtweise des Präsidenten sowie das politische Programm der ihn tragenden Partei umzusetzen. Dabei wurde bewusst die Konfrontation anstelle der überparteilichen Zusammenarbeit gesucht. Anstelle des kooperativen Ansatzes von „Checks and Balances“, etablierte sich eine parteipolitisch geprägte Rivalität zwischen den staatlichen Institutionen, die von beiden Seiten auf Blockade ausgerichtet ist. Der Präsident provoziert bewusst diese Auseinandersetzung zwischen den Institutionen, die laut Trump sowie eines Großteils seiner Anhänger überkommen waren, weil sie die USA angeblich schwächen und die eigenen Interessen nicht effektiv genug durchsetzen. Das Resultat ist eine weitere Entfremdung zwischen der Bevölkerung und ihren demokratisch legitimierten Staatsgewalten.

Die marmorne Statue Lincolns im washingtoner "Lincoln Memorial" im Profil aufgenommen. Er sitzt auf einem Sessel, die Hände auf den Armlehnen und blickt würdig.

"In this temple as in the hearts of the people for whom he saved the union the memory of Abraham Lincoln is enshrined forever" - Abraham Lincoln, US-Präsident von 1861 bis 1865, gilt als Gründungsvater der Republikanischen Partei. Die Einheit der USA nach dem Bürgerkrieg über die Abschaffung der Sklaverei wieder hergestellt zu haben, ist Teil seines Vermächtnisses.

FlySnow; HSS; IStock

Opportunismus rächt sich

Auffällig schien über lange Zeit die nahezu geschlossene wie ungebrochenen parlamentarische Unterstützung für Trump durch die Grand Old Party, wie die Republikaner in den USA auch noch genannt werden. Fortlaufend war und ist die Partei mit Wert- und Zielkonflikten, zwischen ihrer eigenen Programmatik und den populistischen, teils stimmungsabhängigen Positionen Trumps, konfrontiert - von der zelebrierten Fraternisierung mit Putin über die Instrumentalisierung staatlicher Organe zu eigenen Zwecken bis dahin, Bündnispartner öffentlich in Frage zu stellen oder die eigene Bündnistreue an Bedingungen zu knüpfen. Lange Zeit nahm man die Verletzung der eigenen Überzeugungen und Prinzipien hin, solange das Weiße Haus die innenpolitische Agenda vorantrieb, Steuern zu senken, Bürokratie abzubauen und konservativer Richter im US-Supreme Court zu platzieren. Dieser Machtopportunismus beginnt inzwischen, sowohl an der programmatischen Substanz als auch an der Parteibasis, zersetzende Spuren zu hinterlassen.

Bereits beim innerparteilichen Nominierungsprozess im Jahr 2015 gab es Widerspruch zum Kandidaten Trump, besonders an seinem emotionalisierenden Stil und seinen inkonsistenten Überzeugungen, die jedoch auf großen Zuspruch in der Bevölkerung trafen. Dieser Widerspruch scheint sich im Vorfeld seiner möglichen Wiederwahl nun in einen wachsenden Widerstand aus den eigenen Reihen zu wandeln. Am fünften November 2019 gründete sich das Political Action Committee (PAC)Rough Riders for America“ in Anlehnung an das erste US-Freiwilligen Kavallerieregiment während des Spanisch-Amerikanischen Krieges unter dem Kommando des späteren republikanischen US-Präsidenten Theodore Roosevelt. Am neunten Dezember desselben Jahres wurde es bei der Federal Election Commission (FEC) in „The Lincoln Project“ (TLP) umbenannt. Damit sollte die eigene Verortung in der Tradition und den Werten des Gründervaters der Republikaner nach außen verdeutlicht werden. Abraham Lincoln ist bis heute als Bewahrer der Union einer der am meisten verehrten US-Präsidenten. Er erneuerte das politische Selbstverständnis der Amerikaner, dass nur eine Regierung aus dem Volk, durch das Volk und für das Volk über freie Menschen herrschen und ihre unveräußerlichen Rechte schützen könne.

Trump verhindern, Trumpismus überwinden

PACs, welche bei der FEC registriert sind, sind gesetzlich dazu verpflichtet nicht mit politischen Parteien oder Kandidaten zusammenzuarbeiten oder abgestimmt zu agieren. Sie sind angehalten selbstständig und unabhängig an der politischen Meinungs- und Willensbildung mitzuwirken. Das Lincoln Project präsentierte sich dazu am 17. Dezember 2019 mit einem Beitrag in der New York Times der breiten Öffentlichkeit. In dem Meinungsartikel „We are Republicans, and we want Trump defeated“ erläuterten die Initiatoren ihre klaren Absichten in Opposition zum amtierenden Präsidenten aus den Reihen der Republikaner. Der Rechtsanwalt George Conway, einer der Initiatoren und Ehemann von Präsidentenberaterin Kellyanne Conway, führte darin aus, dass das TLP von Republikanern gegründet wurde, aber mit keiner Partei zusammenarbeite. Die Initiative sei für alle offen, unabhängig von Parteizugehörigkeit. Gemeinsame Ziele sind unter anderem die Wiederwahl Trumps zu verhindern, seine Anhänger aus Ämtern und Funktionen herauszubekommen als auch „Trumpismus“ als Ideologie zu überwinden. Dezidiert wurde dabei eine Wahlempfehlung für den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden ausgesprochen und angekündigt, in den Wahlkreisen für das Repräsentantenhaus und den Senat Gegenkandidaten zu unterstützen. Sollten sich bei innerparteilichen Aufstellungen Gegenkandidaten zu Anhängern bzw. Unterstützern von Trump nicht durchsetzen, so würde man Kandidaten anderer Parteien aktiv unterstützen.

Bis Ende Juni konnte das TLP fast 19,5 Millionen $ an Spenden akquirieren, die von vielen Einzelspendern eingebracht wurden. Alleine im Bereich der anzeigepflichtigen Beträge über 200,- $ wurden 8.856 Einzelspenden registriert. Wobei es, angesichts eines zu erwartenden Milliarden-Volumens bei den Wahlkampfausgaben beider Parteien, nicht auf den Umfang, sondern den zielgenauen Einsatz der Mittel ankommen wird. Laut OpenSecrets.org floss das gesammelte Kapital in den vergangenen Monaten vor allem in Aktivitäten gegen republikanische Kandidaten (knapp 9,2 Millionen $) sowie für die Unterstützung demokratischer Kandidaten (über 2,1 Millionen $). Während die Unterstützung für Biden bei vergleichsweise bescheidenen 723.198,- $ lag, wurden über 6,6 Millionen $ für Maßnahmen gegen Donald Trump investiert. Kandidaten für umkämpfte Senatssitze wurden in erster Linie in den Bundesstaaten Maine (gegen die republikanische Amtsinhaberin Susan Collins), Alaska (für den unabhängigen Kandidaten Al Gross) sowie in Kentucky (gegen den Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell) ins Visier genommen. Aber auch in North Carolina, Iowa und Arizona sieht das Projekt Chancen, mit seinen Aktivitäten republikanische Kandidaten zu verhindern.

Sammelbecken traditioneller Republikaner

TLP konzentriert sich derzeit auf die Produktion und Ausstrahlung von TV-Werbespots und auf ein breites sowie wachsendes Social Media Angebot. Der Kontrast zu Donald Trumps Anzahl an Follower zeigt jedoch die unterschiedliche Ausgangssituation in den sozialen Medien (Twitter: 85 Millionen bei Trump vs. TLP mit etwas über als 1,8 Millionen Follower | Facebook: 30 Millionen bei Trump vs. TLP mit weniger als 630.000 Abonnenten). Dennoch hat es das TLP geschafft, die Aufmerksamkeit des Präsidenten und einer wachsenden Öffentlichkeit zu bekommen und damit als ernstzunehmender Akteur wahrgenommen zu werden.

The Lincoln Project erfüllt letztendlich mehre Funktionen, die sowohl eine konkrete Zielerreichung für den Wahltag, als auch für die Zeit danach im Blick haben. Das TLP versucht ein Sammelbecken für jene Konservative zu bilden, die sich mit der aktuellen politischen Linie nicht mehr identifizieren. Gerade bürgerlichen und konservativen Wählern, die ein hohes Loyalitätsempfinden gegenüber ihrer Partei und deren Vertretern in den letzten Jahren gezeigt haben, soll eine Rechtfertigungsgrundlage geschaffen werden, sich bei dieser Wahl gegen ihre eigene Partei zu wenden oder zumindest Zuhause zu bleiben. Hinzu kommt, dass man es nicht den Demokraten überlassen möchte Anhänger der Republikaner zur Wahl von Joe Biden oder gar zu einem Parteiwechsel zu bewegen. So kann, bei trennenden politischen Ansichten und Programmen, an gemeinsame Werte wie Anstand und Patriotismus appelliert werden, die die Wähler beider Lager in dieser Situation für das große Ganze zusammenbringen. Ferner soll so ein drohender Substanzverlust an der republikanischen Basis verhindert werden.

Mit der gezielten Abwahl der Republikaner aus der politischen Verantwortung bzw. den staatlichen Machtzentren soll jetzt der Ausgangspunkt für eine grundlegende Erneuerung der Partei geschaffen werden. Bereits nach der Abwahl der Republikaner in 2008, wo sie ebenfalls das Weiße Haus und beide Kammern des US-Kongresses an die Demokraten verloren, sollte ein grundlegender innerparteilicher Prozess der Erneuerung und Rückbesinnung angestoßen werden. Dieser kam aber nie wirklich zustande. Ein Problem war, dass das republikanische Verständnis über die Rolle des Staates oder etwa die Integration ethnischer Minderheiten nicht mehr der Mehrheitsmeinung der US-Bevölkerung entsprach. Demographische Entwicklungen zeigten damals wie heute, dass eine Partei, die sich nahezu ausschließlich auf die Klientel weißer Wähler beschränkt, langfristig nicht mehrheitsfähig sein kann. Bereits für 2016 hatte man diesen Effekt beim Wahlausgang erwartet. Jedoch wurde der Prozess der Erneuerung für viele überraschend ausgesetzt. Im Lichte der Abwanderung sozialdemokratisch orientierter weißer Wähler, von den Demokraten zu den Republikanern bei den Wahlen 2016 und der teilweisen Demobilisierung der Obama-Koalition, verursacht durch eine unbeliebte demokratische Spitzenkandidatin sowie der Identifizierung mit Establishment kritischen Aussagen der republikanischen Kampagne, schien die Dringlichkeit nicht mehr gegeben.

Ungewisse Zukunft

Was würde nach einer möglichen Wiederwahl von Donald Trump mit dem TLP und der Republikanischen Partei passieren? Es wäre damit zu rechnen, dass die Unterstützer des TLP als Verräter aus der Partei geworfen oder weitestgehend isoliert würden. Die Polarisierung innerhalb beider Parteien würde sich weiter verstärken. Bei den Republikanern sähen Trumps Anhänger sich in ihren Positionen und in ihrem Politikstil bestätigt. Während weite Teile der demokratischen Basis die Ausrichtung ihrer Partei hin zur Mitte als gescheitert betrachten könnten, für die Joe Biden und die Parteiführung steht. Damit könnte es bei den Demokraten zu einer programmatischen Verschiebung hin zu progressiv-linken Positionen kommen. Große Teile des bisherigen demokratischen Partei-Establishments sowie der Zentristen würden so an den Rand gedrängt. Ob sich eine kritische Masse aus Anhängern beider Parteien ergeben würde, die sich selbst eher in der politischen Mitte verorten, um daraus das Potenzial für eine neue politische Kraft zu schöpfen, bleibt abzuwarten. Nach bisherigen Beobachtungen sowie den Rahmenbedingungen des Mehrheitswahlrechts, erscheint dieses Szenario unwahrscheinlich.

Autor: Norman Blevins, HSS

Leiter Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog

Dr. Wolf Krug