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Entführung eines Asylbewerbers
Auswirkungen auf die deutsch-vietnamesischen Beziehungen

Die Beziehungen zwischen Vietnam und Deutschland gelten trotz der unterschiedlichen politischen Systeme als sehr gut, viele würden sogar sagen hervorragend.

Die Liste der gemeinsamen wirtschaftlichen, kulturellen und entwicklungspolitischen Projekte ist lang.

Zwischen beiden Ländern wurde sogar auf höchster Ebene im Jahr 2011 eine „Strategische Partnerschaft“ vereinbart. (1) Selbst Missstände, wie die Missachtung von Menschenrechten, werden in einem gemeinsamen Rechtsstaatsdialog diskutiert. (2) Diese guten Beziehungen wurden über Nacht durch die Entführung eines Asylbewerbers in Berlin-Tiergarten aufs Spiel gesetzt.

 

Auch Prag war ein Schauplatz der Entführung

Auch Prag war ein Schauplatz der Entführung

Vorgeschichte der Entführung

Die Geschichte erinnert an die finstersten Zeiten des Kalten Krieges: Der Geschäftsmann Trinh Xuan Thanh ist in seiner Heimat in Ungnade gefallen, flüchtet und beantragt politisches Asyl in Deutschland. Wie deutsche Strafermittler mittlerweile zweifelsfrei rekonstruierten, wurde Thanh Ende Juli 2017 in Berlin-Tiergarten auf offener Straße von drei bewaffneten Männern des vietnamesischen Geheimdienstes in ein Fahrzeug gezerrt, später nach Prag verschleppt und dann als Krankentransport getarnt in seine alte Heimat gebracht. Wenige Tage später entschuldigte sich Thanh im vietnamesischen Staatsfernsehen für seine Straftaten, zeigte Reue und akzeptierte jede Form der Bestrafung.

Für die deutschen Behörden war Thanh bis zu seiner Entführung wohl ein ganz normaler Asylbewerber. Vietnamesen stellen oft Asylanträge: Allein im Jahr 2016 haben 4.438 Vietnamesen einen Asylantrag gestellt. (3) Selbst in Zeiten der Flüchtlingskrise ist das eine erstaunlich hohe Zahl. Dabei geht es dem Antragsteller oft nicht um den Schutz vor politischer Verfolgung, sondern meist darum, möglichst lange in Deutschland zu bleiben. Eine systematische Verfolgung liegt in den meisten Fällen nicht vor. Dafür spricht, dass nur 8% der Asylanträge angenommen werden.

In Vietnam war Thanh ein Musterschüler der Elite. Er machte schnell Karriere in der Kommunistischen Partei und erweist sich außerdem noch als tauglicher Geschäftsmann. Er schaffte es sogar bis in das mächtige Zentralkomitee der Partei, wurde Abgeordneter im Parlament und bekam die lukrative Geschäftsführung einer Tochtergesellschaft der staatlichen Ölgesellschaft. Er profitierte vom System, lebte im Luxus. Das ist alles andere als ungewöhnlich in seiner Gesellschaft, aber es ist kein Grund, Asyl vor politischer Verfolgung zu beantragen.

Der 51-jährige Thanh ist den vietnamesischen Behörden ausgesprochen wichtig. Seit Jahren herrscht ein innerparteilicher Machtkampf zwischen dem Parteichef und dem Premierminister Vietnams. Nachdem der Parteichef Nguyen Phu Trong diesen Kampf gewonnen hatte, führt er jetzt einen gnadenlosen Feldzug gegen seine ehemaligen Gegner. Diesem ist auch Thanh zum Opfer gefallen. Das typische Anklagemuster ist dabei Korruption im Amt. Seit letztem Jahr wurde er mit internationalem Haftbefehl gesucht. Das Pikante: Am Rande des G20-Gipfels in Hamburg hatte die vietnamesische Delegation noch um Auslieferung gebeten. Die deutsche Seite hatte mit Hinweis auf das laufende Asylverfahren diese vorerst abgelehnt, aber die generelle Prüfung des Falles angeboten.

Wie werden sich die Beziehungen zwischen Vietnam und Deutschland entwickeln?

Wie werden sich die Beziehungen zwischen Vietnam und Deutschland entwickeln?

Weitere Entwicklung

Die Beweise, dass ein Asylbewerber von einem ausländischen Geheimdienst in Berlin entführt worden sei, sind erdrückend. Dies ist seit dem Fall des eisernen Vorhangs ein wohl einzigartiger Vorfall.
Als erste Reaktion wurde der Vertreter des Nachrichtendienstes an der vietnamesischen Botschaft ausgewiesen. Mittlerweile ermittelt der Generalbundesanwalt wegen Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) und Verdachts auf geheimdienstliche Agententätigkeit (99 StGB). (4) Die Bundesregierung behält sich deshalb weitere politische, wirtschaftliche und entwicklungspolitische Konsequenzen vor. (5) Wie diese aussehen könnten, zeigt die Reaktion der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), welche die Unterzeichnung eines bereits ausgehandelten Kreditvertrags über 150 Millionen Euro kurzfristig absagte.
Die vietnamesische Regierung hält weiter an ihrer Version fest, dass sich Thanh freiwillig gestellt habe. Innenpolitisch ist für sie der Fall äußerst wichtig. Er soll zeigen, dass die Kommunistische Partei mit aller Härte gegen unmoralisches Verhalten, etwa Korruption, vorgeht. Die in den staatlich kontrollierten Medien verbreitete Argumentation ist folglich auch eine ganz andere: Thanh sei ein Krimineller, er sei Vietnamese und werde deshalb zu Recht einer Strafe in seinem Heimatland zugeführt.
Es ist daher auch unwahrscheinlich, dass die vietnamesische Seite Thanh nach Deutschland zurückkehren lassen wird. Nach diesem Vorfall muss auch das Asylverfahren neu betrachtet werden. Menschenraub, ein drohender Schauprozess und eine Anklage, die auch mit der Todestrafe enden könnte, machen eine Asylgewährung nun deutlich wahrscheinlicher.
Für die deutsche Seite hingegen wird alles andere als eine Rückführung nur schwer zu akzeptieren sein. Es handelt sich in diesem Fall auch um eine Verletzung der Souveränität Deutschlands. Asylbewerber stehen zusätzlich unter besonderem Schutz. Asyl ist ein vom Grundgesetz besonders geschütztes Recht. Ob eine Strafverfolgung in Vietnam zu Recht oder zu Unrecht erfolgt, spielt deshalb bei der Bewertung des Falles keine Rolle. Warum Vietnam dennoch die im Grunde sehr guten bilateralen Beziehungen zu Deutschland riskiert, hat vor allem damit zu tun, dass die Reaktion unterschätzt wurde.

Geschäftsmann Trinh Xuan Thanh beantragte politisches Asyl in Deutschland

Geschäftsmann Trinh Xuan Thanh beantragte politisches Asyl in Deutschland

Handlungsoptionen

Dass bisher keine stärkeren Sanktionen erlassen wurden, hat vor allem mit dem pragmatischen bilateralen Verhältnis zwischen den beiden Staaten zu tun. Der vietnamesischen Seite wurde deshalb erst einmal die Chance eingeräumt, sich zu den Vorfällen zu äußern. Von dieser Reaktion wird auch das weitere Vorgehen Deutschlands abhängen. Da es keinen Präzedenzfall gibt, ist nur schwer abzuschätzen, wie mögliche Sanktionen aussehen könnten.
Üblicherweise wird in solchen Konfliktsituationen über die vorübergehende Einstellung der Entwicklungszusammenarbeit diskutiert. Aber selbst diese harte Sanktion würde die Vietnamesen wohl kaum zum Einlenken bewegen.
Viel schwerer würde Vietnam eine Blockierung des Freihandelsabkommens mit der EU treffen, das zum 01. Januar 2018 in Kraft treten soll. Bereits im Vorfeld hatten Nichtregierungsorganisationen wegen Missachtung der Menschenrechte Bedenken geäußert. Diese dürften sich nach diesem Vorfall bestätigt sehen.

In dieser schwierigen Situation kommt den deutschen Politischen Stiftungen, wie der Hanns-Seidel-Stiftung, eine wichtige Rolle zu. Sie können dazu beitragen, unterschiedliche Standpunkte und Perspektiven klar zu machen und zu vermitteln, vor allem dann, wenn ein diplomatischer Kompromiss noch oder noch nicht möglich ist.