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Covid-19 in Vietnam
Situation, Reaktionen und Konsequenzen

Das Jahr 2020 sollte ein bedeutsames und wegweisendes Jahr für Vietnam werden – ein weiterer Meilenstein in seiner beeindruckenden Entwicklung. Doch seit Jahresbeginn hat sich vieles verändert. Nun gilt es auch in Vietnam, die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen.

  • Das Krisenmanagement der vietnamesischen Regierung
  • Akzeptanz in der Bevölkerung
  • Innenpolitische Implikationen
  • Corona-Diplomatie auf der internationalen Bühne
  • Verlorenes Jahr oder Gelegenheit?

Seit Anfang des Jahres hält das Virus Covid-19, das im Dezember 2019 in China auftauchte, die ganze Welt in Atem. Vietnam reagierte rasch. Ein Grund hierfür liegt sicherlich auch in früheren Erfahrungen mit ähnlichen Pandemien, wie beispielsweise SARS im Jahr 2002/03. Als erstes Land in der Region schloss Vietnam die Grenze nach China, trotz der sehr engen wirtschaftlichen Verflechtung der beiden Nachbarländer. Die Regierung veranlasste bereits Ende Januar die Schließung sämtlicher Schulen und Universitäten. Anfang März wurde die Visafreiheit für einige europäische Länder ausgesetzt, seit Mitte März müssen sich Einreisende in eine 14-tägige Quarantäne begeben und Ende März wurde der Flugverkehr bis auf wenige Ausnahmen eingestellt. Seit dem 01. April bestehen in Vietnam Ausgangsbeschränkungen, nicht-essentielle Geschäfte und Unternehmen sind geschlossen, die Bevölkerung wurde dazu angehalten, nur dann das Haus zu verlassen, wenn es absolut notwendig ist. Anfangs erschienen diese Maßnahmen drastisch –gemessen an den relativ geringeren Infektionszahlen. Vietnam setzte bereits im Februar Kommunen unter Quarantäne, obwohl es zu diesem Zeitpunkt lediglich 16 bestätigte Fälle im Land gab. Kontaktpersonen Infizierter wurden nachverfolgt und ebenfalls unter Quarantäne gestellt. Ansteckungsketten wurden auf diese Weise weitgehend unterbrochen. Aktuell (Stand Mitte April) weist Vietnam circa 265 Fälle auf – die Hälfte davon ist bereits wieder genesen, bisher gibt es keine Todesfälle.

 Das Ho Chi Minh-Mausoleum während der Ausgangssperre

Das Ho Chi Minh-Mausoleum während der Ausgangssperre

© Michael Siegner

Das Krisenmanagement der vietnamesischen Regierung

Das Weltwirtschaftsforum, die internationalen Medien sowie Forscher aus aller Welt haben dem Land schon Respekt gezollt und Vietnam als Lehrbeispiel für andere Schwellenländer bezeichnet. Wie ist das bisher erfolgreiche Krisenmanagement zu erklären? Ein Grund liegt sicherlich darin, dass Vietnam umgehend mit vehementen Maßnahmen reagiert hat. Dies geschah zu einem Zeitpunkt und in einem Ausmaß, wie es in einem pluralistischen und demokratischen Staat kaum möglich gewesen und unverhältnismäßig erschienen wäre. Machbar ist eine solche Vorgehensweise durch die Durchsetzungskraft der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) und die Rolle der Regierung im Einparteiensystem. Hierbei spielen beispielsweise die Überwachung und die Kontrolle der Bevölkerung eine fundamentale Rolle. Über eine App, die seit Mitte März auf dem Markt ist, wird der Gesundheitszustand der Benutzer gespeichert, zusätzlich mussten alle Menschen mit einem Formular ihren aktuellen Gesundheitszustand sowie vergangene Reiseaktivitäten an das Gesundheitsministerium übermitteln. Darüber hinaus gilt: Wer Krankheitssymptome wissentlich vertuscht, riskiert eine Geld- oder sogar Haftstrafe. Genauso konsequent wird die Verbreitung von Fake-News verfolgt. Einigen Facebook-Nutzern, die fälschlicherweise über Todesfälle durch Covid-19 gepostet hatten, drohen bis zu sieben Jahre Gefängnis.

Ein weiterer elementarer Bestandteil der Eindämmungsstrategie der Regierung ist ein enormes Quarantäne-Programm in Verbindung mit konsequenten Virustests. Mehr als 75.000 Menschen befinden sich momentan in Quarantänezentren und mehr als 121.000 Tests wurden bisher durchgeführt. Dies lässt auch die sehr niedrige Anzahl von Infektionen in einem realistischen Licht erscheinen, insbesondere im regionalen Vergleich: die Philippinen beispielsweise führten zum gleichen Zeitpunkt lediglich 45.000 Tests durch und weisen dabei mehr als 5.400 Fälle auf. Die drastischen Maßnahmen erleichtern effektives Krisenmanagement zur Eingrenzung einer Pandemie – allerdings hat es die Eingrenzung persönlicher Rechte zur Folge. Elementare Freiheits- und Versammlungsrechte sowie Meinungsfreiheit wurden – noch mehr als ohnehin schon – eingeschränkt. Zudem hat sich im Zuge des Kampfs gegen Fake-News die Kontrolle und Zensur von Social Media als einziger Informationsquelle, die keiner direkten staatlichen Kontrolle unterliegt, verstärkt.

Akzeptanz in der Bevölkerung

Dennoch scheint in der Bevölkerung die Überwachung per App und durch den Sicherheitsapparat als notwendig wahrgenommen zu werden. Derzeit genießen Partei und Regierung durch ihren sicheren Umgang mit der Corona-Krise großes Vertrauen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass 62% der vietnamesischen Befragten zufrieden sind mit dem Krisenmanagement der Regierung im Kontext von Covid-19. Regimekritische Stimmen, wie beispielsweise von Bloggern oder Dissidenten, sind in der aktuellen Krise nahezu verstummt oder werden von der Informationsflut im Kontext von Covid-19 übertönt. Es gibt Berichte, wonach die KPV in der aktuellen Krisenzeit den größten Zuspruch in der Bevölkerung seit dem Ende des Vietnamkriegs erfährt. Wie in der Kriegszeit werden Vertreter des Sicherheitsapparats wieder als „Soldatenonkel“ bezeichnet. Dieser Zuspruch zeigt sich nicht zuletzt in der Bereitschaft der Bevölkerung, persönliche Freiheiten kollektiven Wertvorstellungen unterzuordnen. Die Mehrheit der Bevölkerung stellt persönliche Daten über den eigenen Gesundheitsstatus per App zur Verfügung und ermöglicht hierdurch erst die effektive Kontrolle von Infektionsketten.

Diese Bereitschaft wurde nicht zuletzt durch eine überraschend große Transparenz und einer relativ offenen Kommunikationsstrategie vonseiten der Regierung gefördert. Die KPV scheint aus den Fehlern ihres großen Nachbarn China gelernt zu haben. Medien berichteten von Anfang an offen über die Krankheit und deren Verlauf. Zweimal täglich werden die Zahlen der Infizierten bekannt gegeben und auch über Ausbruchszentren wie beispielsweise im Bach Mai Krankenhaus in Hanoi wurde berichtet. Ein vom Gesundheitsministerium gesponserter Song zu Hygiene und Händewaschen zur Eindämmung von Covid-19 fand weltweite Beachtung. Flankiert wird diese Kommunikationsstrategie mit kriegsähnlicher Rhetorik. Der Leiter der eigens ins Leben gerufenen Abteilung für die Eindämmung der Covid-19-Pandemie wird in den Medien als nationaler Held gefeiert. Mit Verweis auf die berühmte Tet-Offensive im Vietnamkrieg rief Premierminister Nguyen Xuan Phuc eine „Frühjahrsoffensive“ gegen das Virus aus. Positive Berichte über Quarantänezentren und die generell erfolgreiche Bekämpfung des Virus stärken bewusst Nationalstolz und Zusammengehörigkeitsgefühl.

Wo sonst einheimische und ausländische Touristen spazieren gehen, herrscht ungewohnte Stille am Hoan Kiem See im Zentrum von Hanoi

Wo sonst einheimische und ausländische Touristen spazieren gehen, herrscht ungewohnte Stille am Hoan Kiem See im Zentrum von Hanoi

© Michael Siegner

Innenpolitische Implikationen

Dieses öffentlichkeitswirksame Krisenmanagement wird über 2020 hinaus innenpolitische Auswirkungen entfalten. Mit Blick auf den Parteikongress und die Wahlen zur Nationalversammlung zu Beginn des kommenden Jahres 2021 wird die Krise auch die innerparteilichen Machstrukturen beeinflussen. 2021 werden einige Schlüsselpositionen neu besetzt. Dies gilt insbesondere für die Position des Generalsekretärs der KPV sowie die des Staatspräsidenten. Beide Ämter werden seit 2018 in Personalunion von Nguyen Phu Trong besetzt, was eine Anomalie im traditionell kollektiven Führungsstil der Partei darstellt. Während Nguyen Phu Trong seit längerer Zeit öffentlich kaum in Erscheinung tritt, bringen sich im Zuge der Corona-Krise einige andere hochrangige Vertreter des Politbüros schon für 2021 in Position.

Auch wird die Pandemie nicht ohne Konsequenzen für das innenpolitische Institutionengefüge sowie die Frage der politischen Legitimation bleiben. Seit der wirtschaftlichen Öffnung des Landes stellen die erfolgreiche Armutsminderung und das Wirtschaftswachstum die hauptsächliche Legitimationsquelle der KPV dar. Ein effektives Krisenmanagement im Zusammenhang des Ausbruchs von Covid-19 und eine rasche wirtschaftliche Erholung sind deshalb für die Regierung mittel- und langfristig elementar, um Regimekritik vorzubeugen. Der Umgang der Regierung in früheren Krisensituationen, wie beispielsweise bei Umweltskandalen, war in der Bevölkerung teilweise auf vehemente Kritik gestoßen. In diesem Zusammenhang fand in den letzten Jahren eine moderate Stärkung der Nationalversammlung im politischen System statt. Mitglieder der Nationalversammlung forderten von verantwortlichen Ministern Erklärungen zu solchen Skandalen. Auf diese Weise nahm die Nationalversammlung Vietnams ihre Kontrollfunktion gegenüber der Regierung verstärkt wahr und agierte zunehmend unabhängiger. Der breite Zuspruch der Bevölkerung für das Krisenmanagement der Regierung und die Einschränkungen durch die Pandemie könnte wiederum eine Abschwächung dieses Trends zur Folge haben. Das Plenum der Nationalversammlung tritt planmäßig nur zweimal im Jahr zusammen. Durch die Krise wird 2020 die erste Parlamentssitzung überdies lediglich virtuell per Videokonferenz stattfinden, was eine parlamentarische Kontrolle zusätzlich erschwert.

Zur Zeit der Corona-Epidemie ist dieser Platz vor der Oper in Hanoi völlig ruhig, während sonst hier ein unübersichtliches Meer von Mopeds zu sehen und hören ist

Zur Zeit der Corona-Epidemie ist dieser Platz vor der Oper in Hanoi völlig ruhig, während sonst hier ein unübersichtliches Meer von Mopeds zu sehen und hören ist

© Michael Siegner

Corona-Diplomatie auf der internationalen Bühne

Auf internationaler Ebene erfährt die vietnamesische Regierung Lob für ihren Umgang mit dem Virus. Das Pandemiemanagement der Regierung präsentiert Vietnam als krisenfesten und souverän agierenden Partner, der nicht nur die Lage im eigenen Land unter Kontrolle hat, sondern sogar eine verantwortungsvolle und unterstützende Rolle in der internationalen Zusammenarbeit einnimmt. Im Zuge der Krise stellte Vietnam Tausende Masken und Schutzkleidung für andere Länder zur Verfügung, unter anderem für Deutschland, England und die USA. US-Präsident Trump dankte Vietnam per Twitter für die Bereitstellung von 450.000 medizinischen Schutzanzügen. Auch Vietnams Nachbarländer Kambodscha und Laos, die seit einigen Jahren verstärkt chinesischem Einfluss unterliegen, erhielten signifikante Unterstützung aus Vietnam für die Bekämpfung der Pandemie. Dadurch fordert Vietnam nicht zuletzt die Dominanz Chinas in der aktuellen „Corona-Diplomatie“ heraus und stärkt zugleich die eigene internationale und regionale Position. Vietnam hält in diesem Jahr den Vorsitz des ASEAN-Staatenbunds (Association of Southeast Asian Nations) und richtet in dieser Funktion auch den ASEAN Gipfel aus. Obwohl der Gipfel tentativ von April auf Juni verschoben wurde, kommt Vietnam auf ASEAN-Ebene in der Pandemie eine Führungsrolle zu. Premierminister Nguyen Xuan Phuc organisierte kürzlich ein virtuelles Gipfeltreffen mit den führenden Politikern aus dem ASEAN-Raum und bezeichnete die Solidarität unter den ASEAN-Staaten als „Leuchtturm in dunklen Stunden“. In diplomatischen Kreisen ist bereits das Gerücht im Umlauf, dass Vietnams ASEAN-Vorsitz angesichts der Pandemie über 2020 hinaus verlängert werden könnte, was beispielslos wäre. Durch das in der Krise gestiegene außenpolitische Gewicht wird Vietnam auch zukünftig besser in der Lage sein, eigene außenpolitische Prioritäten, wie multilaterale Lösungen für den Konflikt mit China im Südchinesischen Meer oder das Wassermanagement im Mekong, auf die regionale und internationale Agenda zu bringen.

Die Stärkung multilateraler Beziehungen dürfte auch für die wirtschaftliche Wiederbelebung Vietnams nach der Krise von Bedeutung sein. Ein Schlüssel hierfür liegt unter anderem in einer engen Zusammenarbeit mit der Europäischen Union im Rahmen des noch zu ratifizierenden EU-Vietnam Free Trade Agreements (EVFTA). Mit dem für das dritte Quartal 2020 geplante Inkrafttreten des Freihandelsabkommens fallen langfristig Zollschranken zwischen der EU und Vietnam, das bedeutet wiederum große Chancen für die vietnamesische Wirtschaft. Vietnam erhält Zutritt zu einem potenziellen Markt von über 500 Millionen Europäern und erhofft sich dadurch zurecht einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen exportorientierten Nationen. Mittelfristig wird Vietnam auch zugutekommen, dass die Wirtschaft des Landes im regionalen Vergleich bisher noch nicht in eine krisenbedingte Rezession abgedriftet ist. Durch die Krise sprechen überdies vermehrt US-amerikanische, japanische und auch europäische Politiker immer offener über die Notwendigkeit, die Abhängigkeit von chinesischen Fabriken zu reduzieren. Dies gilt nicht nur für den Import von medizinischer Ausrüstung, sondern für eine generelle Diversifikation der Produktion. Vietnams Wirtschaft könnte bei dieser Entwicklung einer der größten Profiteure sein.

Verlorenes Jahr oder Gelegenheit?

Das Jahr 2020 hätte aus verschiedenen innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Gründen für Vietnam ein entscheidendes Jahr werden sollen. Am 01. Januar 2020 übernahm Vietnam nicht nur den Vorsitz von ASEAN, sondern ist seit diesem Jahr auch nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Dadurch übernimmt Vietnam im Jahr 2020 eine wichtige Doppelrolle als Bindeglied zwischen ASEAN und der UN. Eine Rolle, die die Position innerhalb der Region stärkt und gleichzeitig Beiträge zu nationalen und globalen Prozessen leisten kann. Die Ratifizierung des EVFTA ist ein weiterer großer Schritt für Vietnams Teilhabe an der globalisierten Wirtschaft. Besonders vor dem Hintergrund der 2021 anstehenden Wahlen zur vietnamesischen Nationalversammlung und des geplanten Parteikongresses, stellt das Jahr 2020 für die Regierung der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) eine wichtige Gelegenheit dar, um sich innen- und außenpolitisch als verantwortungsvolles und international anerkanntes Land zu präsentieren.

Die Corona-Krise hat viele Planungen und Anstrengungen in den Hintergrund rücken lassen. Auch wenn einige Analysten bereits von einem „verlorenen Jahr“ für Vietnam sprechen, konnte sich das Land in den ersten vier Monaten des Jahres dennoch als krisenfester und verantwortungsbewusster globaler Partner beweisen. Das rigorose aber vergleichsweise effektive Krisenmanagement hat es der KPV-geführten Regierung zumindest kurzfristig erlaubt, die innenpolitische Akzeptanz zu steigern. Auch bietet die Pandemie Vietnam einige längerfristige wirtschaftliche und außenpolitische Chancen, deren Verwirklichung jedoch maßgeblich von den weiteren Entwicklungen im Kontext der Corona-Krise abhängen werden.

Autoren: Michael Siegner und Magdalena Knödler

Süd-/Südostasien
Stefan Burkhardt
Leiter
Vietnam
Michael Siegner
Projektleitung