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Vor den Europawahlen
Italien im Umbruch

Autor: Dr. Thomas Leeb

Im Vorfeld der Europawahlen haben Beobachter die politische Situation in Italien besonders im Blick. Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass die rechtspopulistische Lega mit ihrem Vorsitzenden Matteo Salvini stark zulegt und nach CDU/CSU die zweitgrößte nationale Delegation ins Europäischen Parlament entsendet. Die anderen italienischen Parteien wirken indes wie gelähmt; und doch können sich politische Stimmungen schnell ändern.

Seit den Europawahlen 2014 hat sich in der politischen Landschaft Italiens einiges verändert. Hatte die Demokratische Partei  vor fünf Jahren noch über 40% der Stimmen erhalten und mit 31 Abgeordnete sogar mehr Vertreter als die deutsche SPD in die S&D-Fraktion im Europaparlament entsenden können, käme sie aktuellen Umfragen zufolge auf nur noch etwa 17%. Auch Silvio Berlusconis Forza Italia, die bereits 2014 von 35% auf 17% abgestürzt war, würde sich mit mageren 7% erneut mehr als halbieren. Ähnliches droht der populistische Fünf-Sterne-Bewegung, die bisher 14 Abgeordnete in Brüssel stellt. Nur die rechtspopulistische „Lega“ befindet sich mit Umfragewerten um die 35% auf einem Höhenflug.

Salvini steht auf einer Bühne, umgeben von lauschenden Menschen und spricht offenbar von sich selbst überzeugt in ein Mikro.

Matteo Salvini auf einer Kundgebung der Lega in Bergamo.

Fabio Visconti; HSS; Wikimedia Commons

Politische Beobachter stimmen darin überein, dass der selbstbewusste Berlusconi es versäumt hat, einen in der Bevölkerung anerkannten Nachfolger aufzubauen. Den Medienunternehmer und ehemalige Ministerpräsident umgibt bis heute eine Aura, die es Politikern in seinem Umfeld unmöglich macht, ein selbständiges Profil aufzubauen. Zu seinen Zöglingen zählen zwar Spitzenfunktionäre wie der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, doch ihr Schicksal hängt am politischen Gewicht ihres Förderers. Dieser etablierte zudem innerhalb von Forza Italia nie tragfähige Strukturen. Parteitage und regionale Verbände gibt es bis heute nicht. Alle Fäden laufen bei einer Person zusammen, dem charismatischen Berlusconi.

Die Lega

Diese Bedingungen gelten für Matteo Salvini als Vorsitzenden der rechtspopulistischen Lega nicht. Der 45-jährige italienische Innenminister, der als geschickter Taktiker und Opportunist gilt, gehörte zu keinem Zeitpunkt zu Berlusconis Dunstkreis und hat sich unabhängig von ihm entwickelt. Heute ist er der populärste Politiker des Landes. Bei den Parlamentswahlen 2018 katapultierten die Wähler die Lega von vier auf über 17 Prozent. Und heute, ein Jahr später, liegt die Partei in Umfragen bei um die 35%. Salvinis reißerischer Stil nützt ihm, ebenso seine sehr restriktive Migrationspolitik. Auf die Europäische Union hat er sich eingeschossen. Während früher die Lega, damals noch unter der Bezeichnung „Lega Nord“, den Süden Italiens , angeblicher Hort der Bummelei und des Müßiggangs, als Feinbild nutzte, zieht Salvini heute gegen Brüssel ins Feld. So entwickelte er die Partei 2018 von einer regionalen Kraft zu einem wichtigen Faktor in ganz Italien.

Der alte Präsident gibt der jungen Abgeordneten die Hand über einen Schreibtisch hinweg.

Die ehemalige Ministerin für Verwaltungsreformen und -vereinfachung, Marianna Madia, bei ihrer Vereidigung 2014 mit Matteo Renzi (Partito Democratico) beim damaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano.

Presidenza_della_Repubblica; HSS

Die scharfe Agitation auf nationaler und europäischer Ebene prägt das Bild der Lega im Ausland. Zu den Lega-Politikern, die ihre Sympathie für eine nationalistische Politik bekunden, gehört der amtierende italienische Minister für Familie und Behinderte, Lorenzo Fontana. Er sagte, dass Wladimir Putins Russlands ein Bezugspunkt für solche sei, „die an ein nationalistisches Gesellschaftsmodell glauben“. Fontana gehörte von 2009 bis 2018 dem Europäischen Parlament an, wo die Lega mit dem rechtsextremen „Front National“ aus Frankreich in einer Fraktion zusammenarbeitet.

Andererseits gibt es auf regionaler Ebene, das heißt insbesondere im wirtschaftsstarken Norden Italiens, zahlreiche Lega-Politiker, die seit Jahren erfolgreiche Politik machen, aber über wenig Auslandskontakte verfügen. Sie pflegen, wie die Italiener im Allgemeinen, traditionell eine EU-freundliche Haltung, denn in modernen Industriestandorten schätzt man die Vorteile des gemeinsamen Marktes. Erfolgreiche norditalienische Unternehmen verkaufen innovative Produkte insbesondere ins benachbarte EU-Ausland.

Regionale Politiker aus Norditalien haben stets vor Augen, dass Frankreich die Spitzenposition bei den Investitionen in Italien einnimmt und Deutschland beim Handel. Sie verzichten auf eine nationalistisch-italienische Rhetorik und schießen keine Giftpfeile gegen die europäische Einigung. Man kann deshalb die Frage stellen, wie lange norditalienische Lega-Vertreter ihren Vorsitzenden Salvini akzeptieren werden. Allerdings feiert die Lega mit ihm als Vorsitzenden momentan einen Erfolg nach dem anderen, sowohl auf regionaler als auch, und das ist ein neues Phänomen seit 2018, auf nationaler Ebene. Das ist die Realität. 

Der Plenarsaal des EU-Parlaments in Straßburg. Ein riesiger Raum, kreisrund mit hoher Decke und sternförmig auf einen nach hinten versetzten Mittelpunkt zulaufende Gänge zwischen dichten Tischreihen, die alle kreisförmig angeordnet sind.

Nach Deutschland und Frankreich stellt Italien die meisten Abgeordneten im EU-Parlament. Nach dem Brexit wären es 76 Mandate.

DAVID-ILIFF; CC-BY-SA_3.0; Wikimedia Commons

Fünf Sterne und Demokratische Partei

Die politische Stimmung kann sich in Italien schnell ändern. Wer heute noch den Zuspruch der Wähler erntet, könnte sich morgen schon deren Abneigung zuziehen. Diese Erfahrung macht gerade die gegen alles Etablierte und alle Etablierten wetternde Fünf-Sterne-Bewegung, die auf nationaler Ebene seit 2018 in einer Koalition mit der rechtspopulistischen Lega regiert. Kürzlich wählten die Menschen auf Sardinien ihr Regionalparlament. Die „Fünf Sterne“ stürzten in beispielloser Weise ab: Während bei den nationalen Parlamentswahlen im März 2018 auf Sardinien noch 42,5% für die Populisten gestimmt hatten, waren es nun – nach gerade mal einem Jahr – nur noch neun Prozent.

Unklar bleibt die Entwicklung der Demokratischen Partei, die in ihren Reihen Vertreter des linken bis zum wirtschaftsliberalen Spektrum vereinigt. In Umfragen liegt sie derzeit bei 17% und würde mit diesem Ergebnis bei den Europawahlen mehr als die Hälfte ihrer Mandate im Vergleich zu 2014 verlieren. Hoffnung schöpft sie dennoch aus den Resultaten aktueller regionaler Wahlen, wo sie besser abschnitt, als Kommentatoren ihr zugetraut hatten. Zudem hat die Partei seit dem 3. März mit Nicola Zingaretti einen neuen Vorsitzenden, was ihr neuen Schwung verleihen könnte. Für Zingaretti, einen Ex-Kommunisten, votierten zwischen 65 und 70 Prozent der Teilnehmer einer Abstimmung, welche die Partei auch für Nichtmitglieder gegen eine Gebühr von zwei Euro geöffnet hatte. Zingaretti möchte die Demokratische Partei nach links rücken. Ob dies dazu führt, dass eher wirtschaftsliberale orientierte Repräsentanten der Partido Democratico den Rücken kehren, muss sich zeigen.

Auswirkungen auf das EU-Parlament

Wie Italien wählt, hat für die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments große Relevanz. Nach Deutschland und Frankreich stellt das Land die drittgrößte nationale Gruppe. Bisher gibt es 73 italienische EU-Abgeordnete, nach dem Brexit werden es 76 sein. Wenn sich die gegenwärtigen Umfragen im Wahlergebnis bestätigen, dann würde die Lega im Europaparlament nach CDU/CSU die zweitgrößte Delegation stellen.

Gleichzeitig würde der italienische Einfluss in den beiden größten Fraktionen deutlich schrumpfen: zum einen das Gewicht Forza Italias innerhalb der EVP-Fraktion, zum anderen die Machtposition der Demokratische Partei in den Reihen der S&D-Fraktion. Schließen diese beiden Fraktionen wie bisher eine Koalition, bliebe die Mehrheit der italienischen EU-Parlamentarier, das heißt aus dem drittgrößten EU-Mitgliedsland überhaupt, außen vor. Die Lega könnte daraus dem Schluss ziehen, die Rhetorik gegen Brüssel sogar noch zu verschärfen. Wahrscheinlich würde Berlusconi sein Werben um Salvini gleichzeitig verstärken (auf regionaler Ebene schließen Forza Italia und die Lega bereits heute erfolgreich Bündnisse), um die Lega im EU-Parlament einzubinden, damit Italien dort mit starker Stimme auftritt. Dafür allerdings müsste Salvini seine europapolitischen Positionen mäßigen, was aus heutiger Sicht fraglich ist.

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter