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Italiens Kirche und die Wahlen
Kein schwarzer Tag

Die italienische Kirche teilt die Fundamentalkritik an Giorgia Meloni nach ihrem Wahlsieg nicht. Im Vatikan bewertet man das Wahlergebnis differenziert und hofft auf gute Zusammenarbeit mit der neuen Regierung. Immerhin gebe es einige inhaltliche Überschneidungen zwischen dem Programm der Fratelli d'Italia und der italienischen Kirche, schreibt Stefan Kempis, Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan.

 „Wenn die Italiener über ihre Zukunft abstimmen, dann ist das nie ein schwarzer Tag“: So abgeklärt reagiert der Spitzenvertreter der italienischen Katholiken, Bolognas Kardinal Matteo Zuppi, auf die Parlamentswahl vom Sonntag, die die Ära Draghi beendet hat und aller Voraussicht nach eine Koalition rechter Parteien unter Leitung von Giorgia Meloni an die Macht bringt. „Das ist ausgeübte Demokratie.“ Und auf die Frage, wie er sich künftig den Dialog mit der Regierung vorstellt, antwortet der Vorsitzende der Bischofskonferenz mit „Wie immer“.

Für Kardinal Camillo Ruini ist Melonis Wahlsieg nicht Protestwählern zu verdanken. Der Protest drücke sich eher in der Wahlenthaltung aus.

Für Kardinal Camillo Ruini ist Melonis Wahlsieg nicht Protestwählern zu verdanken. Der Protest drücke sich eher in der Wahlenthaltung aus.

Remanz; iStock

„Wir brauchen mehr Ideen und weniger Ideologie“

Zuppi, ein enger Freund des Papstes, tickt eher links-sozial; umso beachtlicher ist es, dass er offen auf die neue Regierungsmehrheit zugeht. Hatte er während des Wahlkampfes noch vor der Versuchung des Nationalismus gewarnt, lässt er sich jetzt, nach dem Urnengang, nur die vage Formel „Wir brauchen mehr Ideen und weniger Ideologie“ entlocken, bedauert die niedrige Wahlbeteiligung und sagt ansonsten: „Ich kenne Giorgia Meloni. Auf sie wartet jetzt eine große Verantwortung: Sie muss der Politik Würde verleihen und unser nationales und europäisches Interesse verteidigen.“

Ganz ähnlich klingt da Zuppis Vorgänger als Chef-Bischof, Kardinal Camillo Ruini, mit 91 Jahren der Grandseigneur der italienischen Kirche und politisch im Vergleich zu Zuppi weiter rechts zu verorten. Er lobt die „Klarheit und Kohärenz“ von Melonis Positionen und will nicht gelten lassen, dass sie ihren Aufstieg Protestwählern zu verdanken habe: „Der Protest drückt sich eher in der Wahlenthaltung aus. In Wirklichkeit haben doch viele Menschen in ihr einen Anführer gesehen!“ Aus Ruinis Sicht hat sich Meloni glaubhaft von ihren postfaschistischen Anfängen distanziert; er traut ihr zu, eine Regierung mit „substanzieller Kontinuität“ zu ihrem Vorgänger Draghi zu führen. Wie Zuppi erhofft er von ihr vor allem Antworten auf drängende soziale Fragen wie Armut oder die abstürzenden Geburtenraten.

Stefan von Kempis ist seit 2019 Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan. Er studierte Geschichte, Theologie und Literaturwissenschaften in Bonn, Paris und Freiburg sowie Arabisch und Islamwissenschaften am Päpstlichen Institut für Arabische und Islamische Studien (PISAI) in Rom und Kairo. Er absolvierte an der Katholischen Journalistenschule ifp in München einen Fernsehkompaktkurs und war anschließend Redakteur bei der TV-Produktionsgesellschaft 6w-film in Münster. Von Kempis ist seit der Gründung von Radio Vatikan 1931 der erste Nichtpriester in der Funktion als Leiter der deutschsprachigen Abteilung.

„Presidenzialismo“

Italiens katholische Kirche stimmt nicht in die Chöre von links oder aus dem Ausland ein, die vor einer Rückkehr des Faschismus in Italien hundert Jahre nach Mussolinis „Marsch auf Rom“ warnen. Sie rechnet fest mit einer guten Arbeitsbeziehung zur nächsten Regierung. In ihrer Haltung zu Melonis Plänen, das italienische System umzubauen und die Rolle der Exekutive zu stärken („presidenzialismo“), wirkt die Kirche unschlüssig; es gebe viele vorstellbare Modelle, äußert Ruini, „nur in Italien haben wir eine praktisch hilflose Exekutive“. Zuppi meint hingegen, der Buchstabe der Verfassung lasse sich durchaus ändern, doch die Vision der Verfassungsväter, die den Text 1948 „unter dem Eindruck der fehlenden Freiheit unter dem Faschismus und der furchtbaren Jahre des Krieges“ verfasst hätten, müsse bewahrt bleiben. Von einer Warnung, dass in den Palazzo Chigi, den römischen Amtssitz des Regierungschefs, jetzt der Geist des „Duce“ wieder einziehen könnte, ist das alles jedenfalls weit entfernt.

Einen „voto cattolico“ gibt es nicht mehr

Längst geht ja auch das Gewicht der Kirche in der Politik zurück, unaufhaltsam seit dem Untergang der „Democrazia Cristiana“ 1994. In den letzten Wahlen haben praktizierende Katholiken ungefähr so abgestimmt wie die Mehrheit ihrer Landsleute: 2018 für die Linkspopulisten der „Fünf Sterne“, 2019 für die Rechtspopulisten der „Lega“, und jetzt eben für die „Fratelli d’Italia“. Zwar hat die katholische Kirche Italiens einen engagierten „linken“ Flügel (wozu etwa die Basisgemeinschaft Sant’Egidio zählt), doch in ihrer Mehrheit sind die Katholiken der Halbinsel eher konservativ – wie die meisten ihrer Landsleute.

Dass jetzt Kammer wie Senat in Rom von einem Rechtsbündnis dominiert werden, gibt Kirchenführern Auftrieb, die in den letzten Jahren mit der Lockerung des Abtreibungsverbots, der Erlaubnis des ärztlich begleiteten Suizids oder der Einführung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften unzufrieden waren. Meloni, die sich als bekennende Christin beschreibt, teilt das traditionelle Bild von Ehe und Familie und spottet gerne über Genderpolitik. Tatsächlich könnten sich in der Frage der Abtreibung alte gesellschaftliche und politische Gräben wieder öffnen (auch wenn ein Kardinal Ruini beteuert, ihm reiche es schon, wenn das bestehende Gesetz konsequent angewendet werde). Ein konservativer Bischof aus Italiens Nordwesten hatte sich vor den Wahlen hinter die Forderung der Meloni-Partei „Brüder Italiens“ gestellt, abgetriebene Föten auf eigenen Friedhofsfeldern zu bestatten.

Vatikan mischt sich nicht (mehr) in italienische Politik ein

Und der Vatikan? Der hat im Franziskus-Pontifikat zwar nicht das Interesse an der italienischen Innenpolitik verloren (dafür sitzen weiterhin zu viele Italiener an den kurialen Schalthebeln), aber dem Interventionismus früherer Zeiten doch weitgehend abgeschworen und das Feld in dieser Hinsicht weitgehend der italienischen Bischofskonferenz überlassen. Zwar gibt es Ausnahmen; ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz („DDL Zan“) blieb letztes Jahr zur allgemeinen Überraschung im Senat stecken – wohl auch deshalb, weil Kurienverantwortliche vor und hinter den Kulissen kräftig Stimmung dagegen gemacht hatten. Premier Draghi sah sich genötigt, im Senat zu betonen, Italien sei „ein säkularer, kein konfessioneller Staat“, weil seine breite Rechts-Mitte-Links-Koalition sonst wohl schon damals zerbrochen wäre. Wie gesagt: eine Ausnahme war das. Franziskus kokettiert gern damit, von der italienischen Politik „nichts zu verstehen“, und hält sich in der Regel aus ihr heraus.

Genugtuung im Vatikan über das Schrumpfen der „Lega“

Bei sozialen Themen allerdings versteht der Papst keinen Spaß, etwa wenn es um die Aufnahme von Einwanderern geht. Mit Genugtuung wird er zur Kenntnis genommen haben, dass die „Lega“ des früheren Innenministers Matteo Salvini, der sich immer wieder als Bollwerk gegen illegale Einwanderung inszeniert, bei den Wahlen abgestürzt ist und dass Salvini, obgleich ein Alliierter Melonis, vielleicht noch nicht einmal ein Ministeramt ergattert. Auch die neue Regierung wird der Papst – ein Nachfahre italienischer Einwanderer in Argentinien – vor allem an ihrem Umgang mit Immigranten messen. Franziskus hat Salvini nie empfangen, auch wenn dieser gerne bei öffentlichen Auftritten einen Rosenkranz schwenkt; es gibt kein gemeinsames Foto der beiden.

Eine Regierungschefin Meloni hingegen wird im Vatikan empfangen werden, soviel ist sicher. Und einiges spricht für eine geräuschlose Zusammenarbeit zwischen vatikanischem Staatssekretariat und Palazzo Chigi. Es gibt ja nicht nur die oben erwähnten Schnittmengen in ethischen Fragen, sondern auch, ja vor allem Gemeinsamkeiten in der für den Vatikan besonders wichtigen Außenpolitik. Meloni bekennt sich zu Europa, sie will keinen Italexit, und sie steht angesichts der russischen Umtriebe in Osteuropa – anders als Salvini – unerschütterlich an der Seite der Ukraine. Hier lässt sich „oltretevere“ („auf der anderen Tiber-Seite“, wie man den Vatikan manchmal bezeichnet) gut anknüpfen.

Kommentiert haben Franziskus oder sein Staatssekretariat das Wahlergebnis allerdings nicht; das ist nicht üblich. Erst zum Amtsantritt einer neuen Regierung in Rom wird es einen Glückwunsch aus dem Vatikan geben.

Autor: Stefan von Kempis, Radio Vatikan

Kontakt

: Dr. Wolf Krug
Leiter
Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog
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