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Wehrhafte Demokratie
Gegen Hass und Hetze

Als Hanns-Seidel-Stiftung haben wir den Kompass wehrhafte Demokratie auf den Weg gebracht, um kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, die mit Hass und Hetze im Netz konfrontiert sind, zu unterstützen. Wir haben mit den Menschen gesprochen, die sich vor Ort für unsere Demokratie einsetzen – und dafür immer häufiger angefeindet werden. Und wir haben uns mit den Macherinnen und Machern aus Politik, Justiz und Zivilgesellschaft zusammengesetzt, die unseren kommunalen Mandatsträgern helfen, dem digitalen Hass die Stirn zu bieten.

Hass und Hetze im Netz haben viele Gesichter und können jeden treffen. Das hat uns das Gespräch mit betroffenen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern wieder deutlich vor Augen geführt: Auslöser war beispielsweise eine Stellenanzeige für das örtliche Jobcenter, die das Landratsamt Donau-Ries in den sozialen Medien geschaltet hatte. Ein alltäglicher Vorgang, aber ein Nutzer reagierte ausfallend und forderte, politische Entscheidungsträger in ein „Arbeitslager zu stecken“ und sie dann „wenn sie vor Erschöpfung am Boden liegen, mit einem Genickschuss zu erlösen“.

(v.l.n.r.) Staatsminister Georg Eisenreich, MdL, Susanne Breit-Keßler und Richard Gutjahr

(v.l.n.r.) Staatsminister Georg Eisenreich, MdL, Susanne Breit-Keßler und Richard Gutjahr

©HSS

Nicht nur erfahrene und langjährige Kommunalpolitiker wie der Landrat im Donau-Ries, Stefan Rößle, beklagen eine sprachliche und ethische Verrohung in den sozialen Netzwerken. Auch junge, digitalaffine Mandatsträger können kaum glauben, was sie manchmal lesen müssen. So berichtet die Fürstenfelder CSU-Kreisrätin Thuy Wegmaier, wie ihre Teilnahme an einer Antirassismus-Kampagne dazu führte, dass sie über eine Woche hinweg mit abwertenden und beleidigenden Kommentaren förmlich bombardiert wurde. Sie habe auch viel Unterstützung und Zuspruch erfahren, aber „bei 3.000 teilweise hasserfüllten Kommentaren bekommt man schon Angst“, betont Wegmaier.

Die bayerische Politik reagiert auf die Zunahme von Hass und Hetze im Netz und hat ein Maßnahmenpaket entwickelt, um kommunale Mandatsträger besser zu schützen. Unter anderem wurde in jeder der 22 bayerischen Staatsanwaltschaften ein Sonderdezernat zur Bekämpfung von strafbarem Hass geschaffen. Seit Anfang 2020 gibt es mit Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb zudem auch einen Hate-Speech-Beauftragten der bayerischen Justiz, der die Aktivitäten der Sonderdezernate koordiniert.

Kompass Wehrhafte Demokratie

Wir haben den „Kompass Wehrhafte Demokratie“ – eine umfangreiche Informationsbroschüre in innovativem Design – erarbeitet, gemeinsam mit einem interdisziplinären Expertenteam und unserem Kooperationspartner Reconquista Internet /Hassmelden.de. Er soll Wegweiser und Nothelfer für Kommunikation im Netz sein. Er will über die aktuellen Bedrohungsphänomene aufklären, für präventive Maßnahmen sensibilisieren und konkrete Hilfe vermitteln. Mit dem Kompass wollen wir alle gegen Shitstorms und Online-Anfeindungen wappnen, die im Netz unterwegs sind, seien es Privatpersonen oder solche, die in der Öffentlichkeit stehen und (politische) Verantwortung tragen.

Bestellen oder Download 

„WIR! GEMEINSAM GEGEN HATESPEECH“, heißt unsere neue Online-Themenplattform, die einen interaktiven Assistenten im Umgang mit Verschwörungserzählungen, Hassrede und Fake News bietet.

Gegen Hass und Hetze - Highlights

HSS

Bernreiter steht mit der Broschüre "Kompass wehrhafte Demokratie" in der Hand und lächelt.

Landkreistagspräsident Christian Bernreiter nimmt wahr, dass sich der Debattenton in den letzten Jahren merklich verschärft hat. Das bekommen besonders auch Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker zu spüren.

©HSS

Doch wo endet eigentlich der legitime Meinungsstreit und wo beginnt die Hassrede? Für Georg Eisenreich, bayerischer Staatsminister der Justiz, „endet die Meinungsfreiheit dort, wo das Strafrecht beginnt“.  Der lebendige, manchmal auch scharfe, Meinungsstreit sei in einer Demokratie elementar wichtig, fände seine Grenzen aber in Fällen von übler Nachrede, Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung.

Auch dem Präsidenten des bayerischen Landkreistages und Landrat von Deggendorf, Christian Bernreiter, ist es wichtig, hier zu differenzieren. Ein Kommunalpolitiker brauche sicher manchmal das sprichwörtliche dickere Fell. „Aber persönliche Anfeindungen oder Drohungen gegen diejenigen, die unseren Staat vor Ort vertreten – da ist eine rote Linie überschritten und da müssen wir klare Kante zeigen“, so Bernreiter. Denn wie der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gezeigt habe, sei es vom Wort zur Tat manchmal nur ein kurzer Weg.

Auch für Lea Richter von der Plattform hassmelden sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. „Seit wir im März 2019 online gegangen sind, wurden uns 100.000 Beiträge gemeldet und wir haben 26.000 Anzeigen auf den Weg gebracht“, berichtet sie. Das sei aber nur die Spitze des Eisberges, da viele Nutzer Hasskommentare im Netz nicht (mehr) melden würden. Eine ähnliche Beobachtung hat auch Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt gemacht. Für sie sind es „die Mandatsträgerinnen aller Ebenen, denen im Netz ein besonders virulenter Hass entgegenschlägt“. Vor der bayerischen Kommunalwahl habe sie versucht, Frauen für eine Kandidatur als Gemeinderätin oder Bürgermeisterin zu gewinnen. Angst vor Anfeindungen, potenziell auch gegen die eigene Familie, sei häufig als Ablehnungsgrund genannt worden.

Damit werde auch deutlich, welches Ziel die Verursacher verfolgten: Engagierte Bürgerinnen und Bürger zum Verstummen zu bringen. Vor allem Netzwerke von Rechtsaußen setzten diese Strategie ganz bewusst ein. So berichtet auch Landkreistagspräsident Bernreiter, dass er während des Kommunalwahlkampfes ein konzertiertes Vorgehen AFD-naher Personen in diesem Bereich wahrgenommen habe. Für viele kommunalpolitischen Mandatsträger, vor allem die ehrenamtlich tätigen, stelle sich am Ende dann die Frage, ob man sich wirklich diesen Anfeindungen aussetzen solle oder sein politisches Engagement dann doch lieber zurückfahre. Staatsminister Eisenreich stellt deshalb auch klar: „Wer Hass im Netz konsequent verfolgt, schützt gleichzeitig die Meinungsfreiheit und verhindert, dass die Menschen, die unsere Demokratie vor Ort mit Leben erfüllen, resigniert aufgeben“.

Um die Verfolgung von strafbarem Hass zu erleichtern, fordert der bayerische Justizminister zudem ein höheres Maß an Kooperationspflicht für die sozialen Netzwerke. „Mit der geplanten Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes wollen wir erreichen, dass es im Falle von schweren Straftaten eine Anzeigepflicht seitens der Plattformen gibt“, erläutert er. Auch das Beleidigungsstrafrecht, das im Kern 150 Jahre alt sei, müssen ans digitale Zeitalter angepasst werden.

Das scharfe Schwert des Rechtsstaates sei wichtig, um Hassrede zu bekämpfen, ergänzt die stellvertretende Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung und Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates, Susanne Breit-Keßler. Aber die Justiz alleine könne diese Aufgabe nicht stemmen. “Es liegt auch an uns, dafür zu sorgen, dass das Saatkorn des Hasses auf einen steinigen, unfruchtbaren Boden fällt. Das Internet braucht unsere Gegenrede – und ja, auch unsere Zivilcourage – damit es ein Ort der menschlichen und menschenwürdigen Begegnung bleiben kann“, appelliert sie.

Autorin: Dr. Sarah Schmid, HSS

Info

Wie reagiere ich richtig, wenn ich als Gemeinderat oder Bürgermeisterin im Netz angefeindet werde?

Bürgermeisterin Kathrin Alte und Krisenkommunikationsexpertin Eva Werner geben Tipps zum richtigen Umgang mit Krisen in der Online-Kommunikation:

  • Eine schnelle Reaktion ist wichtig, aber: Nehmen Sie sich trotzdem die Zeit, Ihr weiteres Vorgehen abzuwägen, bevor Sie handeln
  • Springen Sie nicht über jedes Stöckchen: Prüfen Sie, ob der betreffende Online-Beitrag bei den Bürgerinnen und Bürgern überhaupt auf Resonanz stößt.
  • Vermeiden Sie emotionale Schnellschussreaktionen, auch wenn Sie persönlich verletzt sind. Stimmen Sie sich mit vertrauten Menschen ab, die Ihnen eine wertvolle Außenperspektive mitgeben können.
  • Wenn Sie glauben, dass es sich um eine strafbare Äußerungen handeln könnte oder Sie oder Ihre Familie bedroht werden: Wenden Sie sich an die Polizei!

Die Diskussion in voller Länge

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Extern
Dr. Sarah Schmid
Leiterin