Die EU-Agrarpolitik erfährt derzeit besonders viel Aufmerksamkeit. Durch den nun faktisch bevorstehenden Brexit steht in Frage, ob dem EU-Haushalt auch nach 2018 noch rund 60 Milliarden Euro für den Bereich der Landwirtschaftspolitik zur Verfügung stehen werden. 10 Milliarden könnten fehlen. Um sich auf die Situation einzustellen, werden derzeit in Brüssel die landwirtschaftspolitischen Leitlinien überarbeitet, die 2013 festgelegt worden sind. Die Möglichkeit eines Ausscheidens Großbritanniens aus der Europäischen Union wäre damals wohl als paranoide Phantasie verworfen worden. Jetzt gilt es, den europäischen Agrarsektor fit für die Zeit ohne die Briten zu machen, die immerhin jahrelang Platz zwei unter den größten Nettozahlern der EU behauptet hatten.
Bis Mai 2017 haben demokratisch gewählte EU-Parlamentarier wie Albert Deß, Agrarpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion die Möglichkeit, der EU-Kommission ihre Ansichten darzulegen. Diese hat die Entscheidungsgewalt über alle Fragen des EU-Haushaltes. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) wollte sich bei Fragen der Delegation nach der Höhe des künftigen Agrar-Budgets nicht festlegen. Er deutete aber an, dass es eine Verschiebung der Prioritäten hin zu sicherheitspolitisch relevanten Aufgaben wie dem Grenzschutz geben werde und auch mehr Gelder für dringende Aufgaben wie die Bewältigung der Migrations- und Flüchtlingskrise benötigt würden. Oettinger versprach, er wolle den Agrarfonds dennoch so vollständig wie möglich erhalten. Gleichzeitig regte er an, dass die Landwirtschaft selbst Vorschläge zur Einsparung und Effiziensteigerung unterbreiten solle.
Deß räumte zwar gewisse Spielräume für die von Oettinger angemahnten Einsparungen ein, forderte im Gegenzug jedoch spürbare Vereinfachungen und weniger Bürokratie: „Die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) soll einfach und unbürokratisch abgewickelt werden“, sagte Deß. Einer zusätzlichen Belastung der Landwirte durch weitere Auflagen erteilte Deß eine klare Absage. „Eine unbürokratische Weiterentwicklung der GAP und die Überprüfung der Agrarreform sind die höchsten Prioritäten der EVP-Fraktion im Jahr 2017“. Angelika Schorer, Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft des Bayerischen Landtags unterstrich in ihrer Rede, dass der Freistaat Bayern seine klare Haltung für die bäuerliche Landwirtschaft beibehalten werde: „Bayern wird die bäuerliche Landwirtschaft weiterhin unterstützen!“, so Schorer. Wie wichtig für die kleinteilige Landwirtschaft Vereinfachungen sind, bekräftigte Martin Schöffel, MdL, in einem Gespräch mit Rudolf Mögele, dem stellvertretenden Generaldirektor für Agrarpolitik der EU-Kommission.Schöffel ging insbesondere auf die Vorschriften zur „Begrünung“ ein. Danach müssen Landwirte, die Flächenprämien aus Brüssel erhalten, 30% ihrer Flächen für unterschiedliche Pflanzen vorsehen. Andernfalls werden Fördergelder gestrichen. Schöffel verdeutlichte, dass diese komplexen Anforderungen von kleinen Höfen kaum zu erfüllen seien. So setzten sich diese der Gefahr aus, Fördergelder zurückzahlen zu müssen, was viele Betriebe ruinieren könnte. In die selbe Kerbe schlägt der Europäische Ausschuss der Regionen (AdR). Die bayerische Delegation war bei Jiři Buriánek, dem Generalsekretär des AdR, zu Gast, um sich über geplante Maßnahmen und die "Gemeinsame Agrarpolitik" (GAP) zu informieren. So habe der AdR bei der EU-Kommission auf eine Bewertung der Auswirkungen der EU-Politik auf die Konzentration von Landbesitz gedrungen. Die Kritik: durch die Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik würden explizit landwirtschaftliche Großbetriebe begünstigt und Kleinbauern an den Rand gedrängt. Dabei ist der Ausschuss der Auffassung, dass in erster Linie Familienbetriebe unterstützt werden sollten, zumal sie auch landschaftlichen und kulturellen Mehrwert sowie Arbeitsplätze schaffen würden.
Bei einem abschließenden Fachgespräch im Europäischen Parlament informierte die österreichische Abgeordnete Elisabeth Köstinger über den harten Preiskampf in der Lebensmittelbranche, der ruinös für kleine Landwirtschaftsbetriebe sei. Sie stellte heraus, dass die zwei größten Lebensmittelketten in ihrem Land mittlerweile in riesigen Treibhäusern selbst Obst und Gemüse produzierten. Das heißt, dass kleinere Betriebe, die zudem in vergleichsweise geringerem Maßstab von den EU-Subventionen profitieren, durch diese faktische Monopolstellung der nationalen Lebensmittelriesen in ihrer Existenz akut bedroht sind. Bei dem Besuch der bayerischen Delegation wurde klar, auf welchen Feldern der europäischen Landwirtschaftspolitik der größte Handlungsbedarf besteht: die kleinteilige, familiäre Basis der Lebensmittelproduktion in Europa scheint durch Bürokratie und einseitige Subventionsstrukturen zu Gunsten der industriellen Lebensmittelproduzenten in existentieller Gefahr zu sein. Auch der Brexit bedroht die Finanzierung weiter Teile auch der bayerischen Agrarlandschaft.