In Museen haben Mumien, Moorleichen und Reliquien stets eine große Anziehungskraft, sie sind die Attraktion und oft drängen sich viele Besucher vor den Ausstellungsvitrinen. Unsere im wbg-Verlag veröffentlichte Publikation geht der Leitfrage nach, wie mit diesen menschlichen Überresten pietätvoll umgegangen werden kann. Unsere Autorinnen und Autoren diskutieren die ethischen, juristischen und praktischen Herausforderungen und zeigen unterschiedliche fachliche Positionen und Herangehensweisen auf.
Das Buch "Human Remains kann über die Website des Verlags bestellt werden.
Oliver Jörg, Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung
Die Hanns-Seidel-Stiftung, die selbst im Besitz einer Frauen-Mumie aus dem 4. Jahrhundert vor Christus ist und diese auch im Museum Kloster Banz zeigt, hinterfragt den eigenen Umgang mit diesen Human Remains regelmäßig. Bereits mehrere Male wurde das Ausstellungskonzept verändert, um den sich wandelnden Anforderungen Rechnung zu tragen. Denn auch das ist ein ganz wesentlicher Aspekt im Umgang mit Human Remains: Die Kontexte und Konditionen, unter denen menschliche Überreste gezeigt werden, sind einer ständigen gesellschaftlichen Veränderung unterworfen. (S. 11)
Dr. Stefanie Menke, Akademische Oberrätin an der Professur für Museologie der Universität Würzburg
privat
Obwohl (…) die Existenz menschlicher Überreste in musealen Sammlungen kulturellen Gepflogenheiten zuwiderläuft, wurde dieses Phänomen lange Zeit weitgehend unhinterfragt akzeptiert. Die damit verbundenen juristischen und ethischen Herausforderungen offenbarten sich, bezogen auf den deutschsprachigen Raum, in einem größeren Ausmaß erst um die Jahrtausendwende. Angestoßen wurde die Diskussion durch zwei entscheidende Impulse: das Aufkommen der besonders in den Anfangsjahren noch stark polarisierenden „Körperwelten“-Ausstellungen auf der einen und die vermehrt nun auch an deutsche Museen herangetragenen Forderungen zur Restitution indigener, meist aus kolonialen Kontexten stammender menschlicher Überreste durch die jeweiligen Herkunftsgesellschaften auf der anderen Seite. (S. 17)
Prof. Dr. Guido Fackler, Leiter der Professur für Museologie der Universität Würzburg;
Thomas Klotz, Dipl. sc. pol. Univ., Leiter des Referats Bildung, Hochschulen Kultur in der Hanns-Seidel-Stiftung
Federico Bossone; privat
Sensible Exponatpräsentationen sind dann gefragt, wenn Objekte prinzipiell gezeigt werden können, bei Besuchern jedoch eine schockierende oder gar traumatisierende Wirkung hervorrufen können. Dann werden Exponate, die durch sichthemmendes Displaymaterial oder eine andere Zugangshürde verdeckt sind, nur nach einer aktiven Entscheidung dem Blick der Besucher freigegeben. Beispielsweise gilt es, einen Vorhang beiseitezuschieben, in anderen Fällen erlauben getrübte Vitrinengläser nur in einem bestimmten Betrachtungswinkel die Sicht auf den Inhalt. Eine weitere Möglichkeit bilden explizite Triggerwarnungen (…). Dem Publikum wird dabei direkt oder indirekt die Möglichkeit geboten, sich bewusst gegen oder für das Anschauen sensibler Objekte zu entscheiden. (S. 349)
Claudia von Selle, Rechtsanwältin im Bereich Kunstrecht, Kulturgüterschutz;
Dirk von Selle, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe
privat
Die wenigsten menschlichen Überreste sind zu Lebzeiten dazu bestimmt worden, öffentlich ausgestellt zu werden. Als paradigmatisch dürfen altägyptische Mumien gelten. Die Mumifizierung und Grablegung dienten dem Dasein im Jenseits, nicht im Diesseits. Ein Grab für menschliche Überreste können Museen dagegen nicht sein; sie wollen das Kultur- und Naturerbe der Menschheit vermitteln. Damit sind die widerstreitenden Interessen benannt, die an den Körpern und Körperteilen verstorbener Menschen in öffentlichen Sammlungen und Ausstellungen bestehen. Zum Ausgleich dieser Interessen setzt das geltende Recht lediglich einige Rahmenbedingungen. Über diese Vorgaben hinaus ist zu überlegen, wie die verfassungsrechtlich gewährleistete Totenwürde im Umgang mit menschlichen Überresten gewahrt werden kann. (S. 71)
Prof. Dr. Mamoun Fansa, Leitender Museumsdirektor a.D. am Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg
privat
Im Zusammenhang mit der Präsentation der Moorleichen in der Dauerausstellung wurde ausführlich darüber diskutiert, ob es aus ethischen Gründen überhaupt vertretbar sei, diese auch manchmal als Moormumien bezeichneten Menschen im Rahmen einer Dauerausstellung zu zeigen. Es wurden Naturwissenschaftler, Mediziner, Pädagogen, Theologen und die Ausstellungsmacher zur einer Diskussionsrunde eingeladen. Alle waren der Meinung, dass die Moorleichen wichtige und ungewöhnliche Informationen zu Menschen aus verschiedenen Epochen geben können, über die Gestalt, das Aussehen, die Ernährung, Krankheiten und viele andere Erkenntnisse, die man nur anhand dieser Objekte gewinnen kann. Daher sollten sie auch als historische Quellen den Besuchern vorgestellt werden. (S. 143)
Elisabeth Vallazza, Direktorin des Südtiroler Archäologiemuseums in Bozen
Marion Lafogler; Südtiroler Archäologiemuseum
Am 19. September 1991 wurde auf einem Gletscher in Südtirol (Italien) eine Eismumie – in voller Bekleidung und Ausrüstung – entdeckt, die bald darauf weltweit für Furore sorgte. Als sich herausstellte, dass ihr Alter 5.300 Jahre beträgt, überschlugen sich die Medienberichte. Forschende aus verschiedensten Disziplinen untersuchten den „Mann aus dem Eis“ oder „Ötzi“, wie er bald genannt wurde. Zahlreiche neue Erkenntnisse über das Leben in der Kupferzeit konnten so gewonnen werden. 1998 eröffnete das Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen, in dessen Dauerausstellung der Fundkomplex „Mann aus dem Eis“ integriert wurde. Das Museum erfreute sich von Anfang an großer Beliebtheit und zog über die Jahrzehnte über fünf Millionen Besucher an. (S. 226)
Dr. Sylvia Schoske, Leitende Direktorin i.R. des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst in München
Marion Lafogler, Südtiroler Archäologiemuseum
All diesen Tabus (Mumien-, Sprach- und Bild-Tabus, Anm. d. Red.) gemeinsam sind zwei Aspekte: die strikte Respektierung privater Lebensbereiche und die Vermeidung und Negierung jeglicher existenziellen Bedrohung. Geburt und Sterben unterliegen diesem doppelten Tabu. Sie sind intime, persönliche Erfahrungen, und sie sind Momente des Übergangs mit hohem Gefährdungspotenzial. Jegliche Art der Darstellung wäre die Preisgabe eines Geheimnisses und würde die Überwindung der Gefährdung aufs Spiel setzen. Es gehört zu den Aufgaben der Ägyptologie, diese Grundeinstellung der alten Ägypter offenzulegen, bewusst zu machen und sie ernst zu nehmen. Die ägyptischen Museen tragen die Verantwortung, die Scheu der alten Ägypter vor dem toten Körper zu respektieren. (S. 239)
Prof. Dr. Regine Schulz, Direktorin des Roemer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim
privat
Der Umgang mit Verstorbenen ist in der Geschichte der Menschheit und ihren vielfältigen Kulturen mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen, Praktiken und Zielsetzungen verbunden. Dabei kann die Zurschaustellung der Toten sowohl positive Funktionen erfüllen wie Ehrerweisung, Abschied und Trauerbewältigung, als auch negative Absichten verfolgen wie Abschreckung, Bedrohung und Erniedrigung. Deshalb wurden zahlreiche religiöse und ethische Richtlinien entwickelt sowie besondere Verhaltensformen, welche den Umgang mit dem Tod und den Verstorbenen erleichtern und regeln sollen. (S. 250)