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Montenegro
Kleines Land, große Probleme

Ein halbes Jahr nach dem Amtsantritt der neuen Regierung lassen die angekündigten Reformen auf sich warten und das Expertenkabinett von Ministerpräsident Zdravko Krivokapić zeigt erste Schwächen. Die identitätsbezogene, national-ethnische Polarisierung spaltet weiter die Gesellschaft, die EU-Beitrittsverhandlungen stagnieren und zu all dem ist Montenegro hoch verschuldet, vor allem an China: Schnappt Pekings Schuldenfalle jetzt zu?

Im Juli dieses Jahres wird die erste Rückzahlungsrate eines chinesischen Milliardenkredits aus dem Jahre 2014 fällig, der fast ein Viertel der Gesamtschulden des Landes ausmacht. Ein Hilfeersuchen der Regierung in Podgorica an die Europäische Union, sich bei der Schuldentilgung zu beteiligen, wurde von Brüssel bisher abgelehnt. Auch hat die EU noch nicht darüber entschieden, eventuell alternative Unterstützungsmöglichkeiten anzubieten, um Montenegro aus seiner finanziellen Notsituation herauszuhelfen.  

Unsere Arbeit in Montenegro

Seit dem Jahr 2001 ist die Hanns-Seidel-Stiftung mit einem Projekt zur Förderung demokratischer Strukturen in Serbien vertreten und führt seit 2006 grenzüberschreitend und punktuell auch Seminare und Konferenzen in Montenegro durch. Die Hanns-Seidel-Stiftung unterstützt den gesellschaftspolitischen Reformprozess Montenegros zum Beispiel im zivilgesellschaftlichen und universitären Bereich oder im Verwaltungssektor. Darüber hinaus wird im Sinne der Intensivierung eines interregionalen Dialogs die grenzüberschreitende Kooperation mit allen Staaten des Westbalkans forciert, wobei in zunehmendem Maße Jugendorganisationen und wissenschaftlicher Nachwuchs innerhalb der WB-6 Länder als besonders förderungswürdige Zielgruppe im Fokus der HSS-Projektarbeit stehen.

Mittelalterliche Altstadt an einer Flussbiegung

Die Weltkulturerbestadt Kotor an der Adriaküsteküste Montenegros steht für die Geschichte und nationale Identität des Landes.

falco; ©0; Pixabay

In dem meist nur touristisch durch seine abenteuerlichen Gebirgszüge und pittoreske Küstenregion bekannten Land an der Adria, das wegen seiner Luxusklasse-Hotels im exklusiven Jachthafen von „Porto Montenegro“ auch als „Monte Carlo“ des Balkans bezeichnet wird, hatte im vergangenen Jahr vermeintlich eine neue politische Ära begonnen. Zum ersten Mal in der jüngsten Geschichte Montenegros hatten Wahlen einen Regierungswechsel bewirkt. Seit dem Amtsantritt des parteilosen Ministerpräsidenten Zdravko Krivokapić, am 4. Dezember 2020, wird Montenegro zum ersten Mal seit der Einführung eines Mehrparteiensystems vor drei Jahrzehnten von einer Regierung geführt, an der die „Demokratische Partei der Sozialisten“ (DPS) des Staatspräsidenten Milo Đukanović nicht beteiligt ist. Sie besteht allerdings, abgesehen von einer Ausnahme, aus parteilosen Fachexperten und ist daher politisch gänzlich unerfahren. Mit nur einer Stimme Mehrheit im Parlament wurde der  politische Seiteneinsteiger Krivokapić von einem breiten Wahlbündnis, bestehend aus den drei Koalitionen „Für die Zukunft Montenegros“, „Frieden ist unsere Nation“ und „Schwarz auf Weiß“, zum neuen Regierungschef des kleinsten Nachfolgestaats Jugoslawiens gewählt. Der ehemalige Maschinenbauprofessor gilt als integer aber wenig durchsetzungsfähig.

Die Amtszeit von Milo Đukanović als montenegrinischer Staatspräsident läuft zwar noch bis 2023, dennoch bedeuteten die Parlamentswahlen vom 30. August 2020 für ihn eine bittere Niederlage, auch wenn die DPS weiterhin die größte Parlamentsfraktion stellt. Milo Đukanović bestimmt als DPS-Parteivorsitzender seit 1991 ohne Unterbrechung die Geschicke des 620.000 Einwohner zählenden Landes, war viermal Ministerpräsident des Landes und fungiert zum zweiten Mal als Staatspräsident. Von internationaler Seite wurde immer wieder der Vorwurf erhoben, dass infolge permanenter Machtakkumulation von Đukanović und seiner Partei DPS Montenegro gleichsam als „Familienunternehmen“ und als „gekaperter Staat“ geführt werde und weite Teile des Staatsapparats und der Justiz unter dem Einfluss und der Kontrolle von Đukanović stünden. Fest steht: Staatspräsident Milo Đukanović ist DPS-Vorsitzender, obwohl er diese Funktion neben seinem Präsidialamt laut Verfassung eigentlich nicht innehaben darf. Dies sind auffällige Parallelen zu seinem serbischen Amtskollegen Aleksandar Vučić, der seit 2017 zugleich als Staatspräsident und Vorsitzender der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) fungiert.

Die jährlich erscheinenden Berichte der EU-Kommission kritisieren trotz ersichtlicher Reformansätze weiterhin Rechtsstaats- und Demokratie-Defizite in Montenegro. „Freedom House“ stuft Montenegro ebenso wie Serbien 2020/2021 nicht mehr als Demokratie, sondern als „hybrides Regime“ ein, in dem die Trennlinie zwischen Partei und Staat durch das „System Đukanović“ verwischt und die Institutionen zutiefst politisiert worden sind.

„Schwarze Berge“ und „rote Zahlen“ - Exorbitante Staatsverschuldung

Die EU-Erwartungen an die neue Regierung sind hoch, die Hoffnungen der Montenegriner ebenso. Das mit Reformeifer angetretene Experten-Kabinett ist allerdings auch ein Abbild einer äußerst instabilen „Koalition von Koalitionen“ mit unterschiedlichsten ideologischen und programmatischen Zielen in der Innen- und Außenpolitik. Im Wahlkampf waren die Oppositionskräfte lediglich in dem Wunsch vereint, die Vorherrschaft von Milo Đukanović und seiner DPS zu brechen. Dies ist gelungen. Jetzt muss die neue Regierung den Kampf gegen strukturelle Korruption und organisierte Kriminalität aufnehmen, die eklatanten Wirtschaftsprobleme lösen, die exorbitante Staatsverschuldung stoppen und den „Ausverkauf des Landes“ an Russland und China verhindern oder zumindest verringern.  Inwieweit sie dies leisten kann, ist ungewiss.

Laut Weltbank hat Montenegro eine Schuldenquote von über 90 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts. Das ist die höchste Staatsverschuldung in der gesamten Westbalkan-Region. Die neue Regierungskoalition sieht sich mit fehlenden Finanzmitteln in der Staatskasse in Höhe von 600 Millionen Euro und einer Gesamt-Staatsverschuldung in Höhe von 4 Milliarden Euro konfrontiert. Besonderen Anlass zur Sorge vor einer „chinesischen Schuldenfalle“ bereitet ein Milliardenkredit, den das Land 2014 von der chinesischen Exim-Bank für den Bau einer Autobahn erhaltenen hatte und der ein Viertel der montenegrinischen Gesamtschulden ausmacht. Im Juli dieses Jahres wird nun die erste Rückzahlungsrate dieses Kredites fällig. Ein Hilfeersuchen der Regierung in Podgorica an die EU, sich bei der Schuldentilgung zu beteiligen, wurde von Brüssel mit der Begründung abgelehnt, man bezahle keine Schulden, die das Land bei Dritten aufgenommen habe. Die Entscheidung der EU, eventuell durch alternative Finanzinstrumente Montenegro bei seiner Schuldentilgung zu helfen, ist im Moment noch offen.

Sollte Montenegro bei seinem chinesischen Kreditgeber in Zahlungsunfähigkeit oder Verzug geraten, droht ein Zugriff auf Land und Staatseigentum. Bei einem Schiedsverfahren wäre der Gerichtsstand Peking.  

Keine klare Linie der Regierung, Reformen bleiben aus, Parlamentsboykott

Ministerpräsident Zdravko Krivokapić und sein Minister-Kabinett verfügen über keinerlei politische Erfahrung. Die einzige Ausnahme ist der stellvertretende Regierungschef, Dritan Abazović, der Chef der kleinen Partei „Vereinigte Reformaktion“ (URA) ist.

Flagge Montenegros weht im Winde. Der doppelköpfige Adler hinter einem Schild mit einem Löwen.

Die EU-Kommission kritisiert trotz ersichtlicher Reformansätze weiterhin Rechtsstaats- und Demokratie-Defizite in Montenegro

jorono; ©0; Pixabay

Das erste halbe Jahr seit dem Antritt der neuen Regierung ist vorbei. Vieles wurde versprochen, viele Reformen wurden angekündigt. Die Bedingungen zu ihrer Umsetzung sind schwierig bis unmöglich. Dringend nötig wäre eine umfassende Justizreform zur De-Politisierung der gerichtlichen Institutionen des Landes – auch, um einen neuen Generalstaatsanwalt ernennen zu können. Bislang ist dazu eine parlamentarische Dreifünftel-Mehrheit notwendig, die angesichts der Mandatsverteilung im derzeitigen Parlament aber als ausgeschlossen gilt. Dies gilt umso mehr, als sich nun auch noch ein längerer Parlamentsboykott der größten Oppositionspartei DPS von Staatspräsident Đukanović abzeichnet, der die gesamte Legislative lahmlegen könnte. Im südlichen Nachbarland Albanien war dies bis zu den Parlamentswahlen vom April 2021 mehrere Jahre hindurch der Fall gewesen, mit sehr negativen Konsequenzen für das Land. Eine besondere Herausforderung für die Regierung ist außerdem die sogenannte „Kohabitation“, der Burgfriede mit dem bis 2023 gewählten Präsidenten Đukanović, der Gesetzesvorhaben vereiteln oder zumindest verzögern kann: Bei einem umstrittenen Religionsgesetz hat er das bereits gezeigt. Es musste zweimal im Parlament verabschiedet werden, bevor Đukanović es mit deutlichem Ausdruck des Missfallens schließlich doch unterschrieb.

Bislang ist eine transparente einheitliche Linie der neuen Regierung nicht erkennbar, dafür aber die fehlende Koordination der verschiedenen Ministerien untereinander. Die mangelnde Kommunikation mit der Öffentlichkeit und das Fehlen einer PR-Strategie zeigte sich insbesondere während der Corona-Krise bei der Beschaffung von Impfstoffen.

Aktuell hat die Regierung außerdem ihre erste Zerreisprobe zu bewältigen, denn Justizminister Vladimir Leposavić hatte jüngst sowohl den Völkermord im bosnischen Srebrenica als auch die Legitimität des Kriegsverbrechertribunals in den Haag in Frage gestellt. Heftige Reaktionen aus dem In- und Ausland waren die Folge. Der umgehend vom Regierungschef an seinen Justizminister gerichteten Aufforderung zum Rücktritt ist dieser bisher nicht nachgekommen. Also sollte das Parlament entscheiden. Das Problem: Für die Entlassung des Ministers fehlt die parlamentarische Mehrheit. Die DPS hätte zwar mit Teilen des Regierungslagers für einen Rücktritt von Justizminister Leposavić gestimmt, befindet sich aber nun im Parlamentsboykott.

Polarisierung und Dissens in der Gesellschaft

Die identitätsbezogene, ethnisch-nationale Polarisierung besteht weiterhin unvermindert fort. Die Bevölkerung Montenegros ist seit seiner Unabhängigkeit und der Auflösung der Staatengemeinschaft mit Serbien im Jahr 2006 tief gespalten. Die montenegrinischen Serben bestehen darauf, dass es keine montenegrinische Ethnie und damit auch keine montenegrinische Sprache und Religion gibt. Die ihrer Ansicht nach künstliche Schaffung einer montenegrinischen Identität, die Abspaltung von Serbien, die Anerkennung der Selbstständigkeit des Kosovos durch die Regierung unter Đukanović und der Beitritt  Montenegros zur NATO im Jahr 2017  - dies alles empfinden die ethnischen Serben als pure Provokationen.  Montenegro hat zudem seit 2006 die Doppelstaatsbürgerschaft abgeschafft. Serben müssen jetzt zwischen einem serbischen oder montenegrinischen Pass wählen.

Info:

1999 hatte die NATO das Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien während 78 Tagen bombardiert, um die jugoslawischen Sicherheitskräfte zum Abzug aus Kosovo zu bewegen und die gewaltsame Vertreibung der dortigen albanischen Bevölkerung zu stoppen. Serbien litt dadurch beträchtlich und aus diesem Grund gilt für die meisten Serben ein Beitritt der NATO als inakzeptabel. Das Parlament der Republik Serbien stimmte im Jahr 2007 über eine Resolution ab, die im Gegensatz zu Montenegro die   „militärische Neutralität Serbiens“ festlegt. Trotzdem kooperiert der serbische Staat mit der NATO in diversen Übungen.

Montenegro weiterhin auf EU-Kurs

 Montenegro führt seit Juni 2012 konkrete EU-Beitrittsverhandlungen und konnte bisher alle Verhandlungskapitel eröffnen. Damit ist das Land unter den sechs Westbalkan-EU-Beitrittsaspiranten noch vor Serbien „Front Runner“. Die Regierung unter Ministerpräsident Zdravko Krivokapić will den Kurs der früheren Regierung in Richtung EU-Integration fortsetzen und steht mehrheitlich auch zum NATO-Beitritt des Landes. Um das zu unterstreichen, führte der erste offizielle Besuch den neuen Ministerpräsidenten nach seinem Amtsantritt nach Brüssel. Die Geste soll als Botschaft außenpolitischer Kontinuität und pro-europäischer Orientierung der neuen Regierung verstanden werden. Es gibt aber auch Stimmen in der Regierung, die für eine Abkehr von der bisherigen NATO- und EU-Linie eintreten und für eine engere Anbindung an Serbien und Russland plädieren.

Ausblick

Montenegro steht vor immensen außen-, innen und wirtschaftspolitischen Aufgaben. Die neue Reform-Regierung von Ministerpräsident Zdravko Krivokapić, die nun ein halbes Jahr im Amt ist, bedarf dringend der weiteren Unterstützung durch die EU. Die Gefahr ihres Scheiterns ist nach wie vor groß. Montenegro ist ein kleines Land an der Adria. Instabile politische Verhältnisse könnten aber durchaus negative Auswirkungen auf die Nachbarländer und damit auf die gesamte Region des Westbalkans haben. Der Schaden wären dann umso größer. 

Autor: Dr. Klaus Fiesinger, HSS, Regionalleiter Südosteuropa

  • Hintergrund für den Regierungswechsel: „Koalition der Koalitionen“ gegen das „System Đukanović “ 
  • Mangelnde Koordination und Kontroversen in der Regierung
  • Polarisierung und Spannungen zwischen Montenegrinern und Serben
  • Stand und Ausrichtung Montenegros im EU-Beitrittsprozess
  • Desolate Wirtschaftslage, Lösungsversuch durch „Citizenship by Investment“, Kredite und Abhängigkeiten von China und Russland

Hintergrund für den Regierungswechsel: „Koalition der Koalitionen“ gegen das „System Đukanović “ 

Seit dem Zerfall Jugoslawiens 1990 waren es am 30. August 2020 die zehnten Wahlen, bei denen die Opposition versuchte, die regierende Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) unter der Führung von Milo Đukanović zu besiegen.  In einem Land, in dem eine Partei seit der Einrichtung des Mehrparteiensystems bei allen früheren Wahlen die Regierung bilden konnte, bezweifelten viele, dass jemals ein demokratischer Regierungswechsel stattfinden würde. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass es zum ersten Mal einem Wahlbündnis aus drei oppositionellen Koalitionen gelungen war, die DPS mit ihren traditionellen Partnern zu besiegen. Dies allerdings nur mit einer Mehrheit von nur einem Mandat. Gemeinsam gewannen die drei oppositionellen Koalitionsformationen „Für die Zukunft Montenegros“ unter Leitung der pro-serbischen „Demokratischen Front“ mit  32,55 Prozent, das Bündnis „Frieden ist unsere Nation“  mit 18,06 Prozent  sowie die Liste „Schwarz auf Weiß“ zusammen 41 der insgesamt 81 Sitze im Parlament. Die Wahlliste der DPS, in einer Koalition mit der „Liberalen Partei“, erhielt 35,05 Prozent der Stimmen und ist somit immer noch die stärkste Kraft im Parlament mit 30 Sitzen.

Die Koalition „Für die Zukunft Montenegros“ unter Führung der „Demokratische Front“ galt vor den Parlamentswahlen als pro-serbische und pro-russische Oppositionsgruppe mit ausgeprägtem Euroskeptizismus. Die beiden anderen Hauptblöcke der Opposition sind bürgerlich ausgerichtet. Die größere von beiden ist die Koalition „Frieden ist unsere Nation“ und versteht sich als moderat und proeuropäisch.  Die Koalition „Schwarz auf Weiß“ unter der Führung der Vereinigten Reformaktion (URA), einer bürgerlichen und progressiven Partei, fokussiert sich auf den Schwerpunkt grüner Politik. Ihr Anführer ist Dritan Abazović, Angehöriger der albanischen Minderheit in Montenegro, der plötzlich zur populärsten Persönlichkeit in der politischen Szene avancierte, da ohne seine Unterstützung eine Regierungs-Mehrheit nicht zustande gekommen wäre. Er hat als einziger in der neuen Regierung politische Erfahrung und fungiert als stellvertretender Ministerpräsident. Spitzenkandidat des gesamten, parteipolitisch äußerst heterogenen Wahlbündnis aller drei Koalitionen war Zdravko Krivokapić, Professor für Maschinenbau, der erst kurz vor den Wahlen in die Politik eingetreten war, keiner Partei angehört und nun seit 4. Dezember des vergangenen Jahres als Ministerpräsident eines Experten-Kabinetts für die Geschicke des Landes verantwortlich ist.

Dass die vormalige Opposition mit drei klar ideologisch unterscheidbaren Blöcken angetreten war, in denen sich Regierungsgegner außer in vereinter Absicht, das „System Đukanović“ zu beenden, mit ganz unterschiedlichen Positionen wiederfinden konnten, hatte sich rückblickend positiv ausgewirkt. Während das Bündnis „Für die Zukunft Montenegros“ in erster Linie mit den Stimmen der ethnischen Serben rechnen konnte, orientierte sich die Koalition „Frieden ist unsere Nation“ in ihrem Wahlkampf sowohl an Serben als auch an Montenegriner, also an beide großen Bevölkerungsgruppen. Die dritte oppositionelle Allianz sprach dagegen primär die Minderheiten an. Um die ideologischen und programmpolitischen Unterschiede zwischen diesen drei Blöcken zu überbrücken, zeichnete sich in dem tief in sich gespaltenen Land die Bildung einer Expertenregierung als einzig gangbarer Weg ab. Die bisher regierende DPS versuchte im Vorwahlkampf dagegen zu polarisieren und sich selbst zudem als Patriot und Bewahrer der Integrität des Landes mit Westbindung darzustellen. 

Politische Analysen stimmen weitgehend darin überein, dass eine so breit aufgestellte Koalition trotz ihrer Fragilität derzeit in Montenegros durchaus von Vorteil für das „checks und balances“ System sein dürfte und zukünftig dazu beitragen könnte, politisch einseitige Machtkonzentrationen zu verhindern. Dies könnte dann auch eine transformationspolitisch nachhaltige Grundlage für eine verstärkte Demokratisierung in Montenegro sein, die durch den personalisierten Machtanspruch nur einer Partei Montenegros in den letzten 30 Jahren behindert wurde.

Positiv zu vermerken ist, dass die Parlamentswahlen ein halbes Jahr später, am 15. März 2021, durch die Kommunalwahlen in Niksic in ihrem Ergebnis bestätigt wurden. Nikšić ist die zweitgrößte Stadt Montenegros und Heimat von Staatspräsident Đukanović. Anfang Mai fanden in der Küstenstadt Herceg Novi ebenfalls Kommunalwahlen statt - die zweiten in Montenegro seit dem Regierungswechsel vom August 2020. Auch hier bestätigten sich die Mehrheitsverhältnisse des montenegrinischen Parlaments.

Mangelnde Koordination und Kontroversen in der Regierung

Das erste halbe Jahr seit dem Antritt der neuen Regierung ist vorbei. Viele Reformvorhaben wurden angekündigt, vieles versprochen, die Umsetzungsmöglichkeiten hierzu sind schwierig bis unmöglich.  Dringend stünde eine umfassende Justizreform an zur De-Politisierung gerichtlicher Institutionen. Zur Ernennung eines neuen Generalstaatsanwalts wäre laut geltendem Gesetz eine parlamentarische Dreifünftel-Mehrheit notwendig, die angesichts der Mandatsverteilung im derzeitigen Parlament aber als ausgeschlossen gilt. Dies umso mehr, als sich nun auch noch ein längerer Parlamentsboykott der größten Oppositionspartei DPS von Staatspräsident Đukanović abzeichnet, der die gesamte Legislative lahmlegen kann. Im südlichen Nachbarland Albanien war dies bis zu den Parlamentswahlen vom April 2021 mehrere Jahre mit sehr negativen Konsequenzen für das Land der Fall.

Das montenegrinische Parlament hatte Mitte Mai mit den Stimmen des Regierungslagers eine Justiz-Teilreform in Bezug auf die Staatsanwaltschaft beschlossen. Die Opposition boykottierte dieses Votum. Ein neues Gesetz sieht zum Beispiel die personelle Neubesetzung des Führungsgremiums der Staatsanwaltschaft mit nur einfacher Parlamentsmehrheit vor. Als Reaktion auf die Abstimmung über dieses neue Gesetz kündigte die oppositionelle DPS dann auch einen generellen Boykott des Parlaments an. Eine besondere Herausforderung für die Regierung ist außerdem die sogenannte „Kohabitation“ mit dem bis 2023 gewählten Präsidenten Đukanović, der Gesetzesvorhaben vereiteln oder zumindest verzögern kann: So geschehen beim umstrittenen Religionsgesetz, das zweimal im Parlament verabschiedet werden musste, bevor Đukanović es mit deutlichem Ausdruck des Missfallens schließlich unterschrieb.

Bislang ist eine transparente einheitliche Linie der neuen Regierung nicht erkennbar, dafür aber eine fehlende Koordination der verschiedenen Ministerien untereinander. Als planlos und unüberlegt wurde die Aussetzung staatlicher Beihilfen an die nationale Fluggesellschaft „Montenegro Airlines“ und Gründung einer neuen Fluggesellschaft ohne zufriedenstellende Klärung der Finanzierbarkeit kritisiert. Zunächst kündigte der Finanzminister Milojko Spajić an, dass die neue Fluggesellschaft ohne Anfangskapital gegründet werden würde. Wenig später musste er sich korrigieren, dass das Anfangskapital des neuen Unternehmens 30 Millionen Euro betragen werde. Mangelnde Kommunikation und PR-Strategie mit der Öffentlichkeit zeigte sich insbesondere bei der Bewältigung der Corona-Krise und konkret bei der Beschaffung von Impfstoffen. Erst am 17. Februar erhielt Montenegro die erste Spende von 2.000 Impfstoffen aus Serbien, nachdem zuvor zwei größere Spenden abgelehnt worden waren. Dies, obwohl Montenegro in Bezug auf seine Inzidenzwerte als Hochrisikogebiet wochenlang an der Spitze Europas rangierte. 

Polarisierung und Spannungen zwischen Montenegrinern und Serben

Die Bevölkerung Montenegros ist seit seiner Unabhängigkeit und der damit verbundenen Auflösung der Staatengemeinschaft mit Serbien im Jahr 2006 tief in sich gespalten. Beim damaligen der Sezession vorausgehenden Volksentscheid über die Unabhängigkeit des Landes stimmten 55 Prozent für und 45 Prozent der Bürger gegen die Abspaltung von Serbien. Die Serben betrachten sich hinsichtlich ihres Anteils von mehr als einem Drittel an der Gesamtbevölkerung nicht als ethnische Minderheit, sondern als konstitutiver Bestandteil Montenegros. Serbien seinerseits versucht auch weiterhin, seine bestehenden Einflussmöglichkeiten in Montenegro aufrecht zu erhalten.

Dies entweder über die „Demokratische Front“, in der ein Parteiflügel der serbischen Fortschrittspartei SNS von Aleksandar Vučić nahesteht, oder über die serbisch-orthodoxe Kirche.  Ihr gehören die meisten Gläubigen in Montenegro an. Eigentlich hatte die Regierung in Podgorica seit Jahren versucht, die 1993 gegründete montenegrinische Orthodoxe Kirche zur offiziellen Mehrheitskirche zu machen, allerdings erfolglos. Sie ist innerhalb der orthodoxen Welt nicht anerkannt und hat nach inoffizieller Schätzung nur wenige Tausend Anhänger.

Die gesellschaftspolitische, identitätsbezogene und daher ethnisch-nationale Polarisierung besteht weiterhin unvermindert fort. Außerdem erlebte Montenegro im vergangenen Jahr massive Kirchenproteste. Die Protestierenden wurden von der Serbisch-Orthodoxen Kirche und von pro-serbischen Oppositionspolitikern mobilisiert, hauptsächlich von der „Demokratischen Front“. Auslöser dafür war ein Ende 2019 durch das montenegrinische Parlament verabschiedetes Religionsgesetz, von dem einige Bestimmungen für die serbische Orthodoxe Kirche in Montenegro besonders problematisch sind. Das Gesetz sieht nämlich vor, dass religiöse Objekte der Serbisch-Orthodoxen Kirche, die vor 1918 gebaut wurden, das heißt, bevor Montenegro in das Königreich Jugoslawien eingegliedert wurde, an den montenegrinischen Staat fallen, wenn von Seiten der Serbisch-Orthodoxen Kirche kein Eigentumsnachweis vorgelegt werden kann. Die Gegner des Gesetzes befürchten als Folge dessen massive Enteignungen von serbischen Klöstern, Kirchen und sonstigen Immobilien, die noch seit dem Mittelalter im Besitz der Serbisch-Orthodoxen Kirche sind. Die Problematik ist dadurch begründet, dass nicht immer schriftliche Nachweise vorhanden sind. Mit dem Gesetz goss Đukanović, so die Wertung von politischen Beobachtern und Analytikern, in den ohnehin seit 2006 - dem Jahr der staats- und völkerrechtlichen Sezession von Serbien - schwelenden Streit zwischen montenegrinischen Souveränitäts-Anhängern und proserbischen Unionisten „Öl ins Feuer“.

Vor dreißig Jahren hatten sich Serben und Montenegriner als ein Volk in zwei unterschiedlichen Staaten verstanden – gleiche Sprache, Kultur und Konfession verbanden zwei „Brüdervölker“. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die DPS unter Đukanović allerdings verstärkt daran gearbeitet, eine eigene montenegrinische nationale Identität zu entwickeln, die sich von der Serbischen evident distanzieren sollte. In diesem Sinne wurde von ihm aus machtpolitischen Gründen auch die Schaffung einer eigenen montenegrinischen Schriftsprache gefördert, obwohl de facto kaum ein Unterschied zum Serbischen besteht.

Die montenegrinischen Serben bestehen darauf, dass es keine montenegrinische Ethnie und damit auch keine montenegrinische Sprache und Religion gibt. Seit Jahren fühlen sie sich benachteiligt und finden so gut wie keinen Zugang zu staatlichen Institutionen. Die aus ihrer Sicht künstliche Schaffung einer montenegrinischen Identität, die Abspaltung von Serbien, die Anerkennung der Selbstständigkeit des Kosovos durch die Regierung unter Đukanović, der Beitritt von Montenegro zur NATO im Jahr 2017  - dies alles empfinden die ethnischen Serben als pure Provokationen.  Darüber hinaus ist in Montenegro seit 2006 die Doppelstaatsbürgerschaft für alle Einwohner, also auch für die ethnischen Serben im Lande, verboten.

Dem gegenüber sehen ethnische Montenegriner und Anhänger der ehemaligen Regierung unter Führung der DPS in einer solchen Politik die einzige Möglichkeit zur Rückkehr zu ihrer eigenen ursprünglich montenegrinischen Nationalität und Identität, die sich ihrer Meinung nach von der serbischen Identität unterscheidet.

Zu Konfrontation und Konflikten führte deshalb eine von Ministerpräsident Krivokapić gestartete Initiative zur Änderung des Gesetzes über einen gelockerten Erwerb der montenegrinischen Staatsbürgerschaft. Viele Montenegriner und vor allem die oppositionelle DPS sehen in dieser Initiative die Absicht der Regierung, durch taktische Manöver mit der erleichterten Einbürgerung, die sich primär auf Serben bezieht,  "tektonische ethnische Veränderungen" herbeiführen zu wollen. Wochenlang fanden deswegen Protest- und Blockade-Aktionen statt. Krivokapić hat inzwischen seine Initiative zurückgenommen.

Kein Wunder also, dass das bilaterale Nachbarschafts-Verhältnis zu Serbien, mit dem Montenegro seit 1918 staats- und völkerrechtlich zunächst als Teil des Königreichs Serbien verbunden, später nach 1945 in die föderative Republik Jugoslawien integriert, ab 1992 im „Bundesstaat Serbien und Montenegro“ und seit 2003 bis zur Unabhängigkeit 2006 in einem Staatenbund verknüpft war, belastet ist, auch wenn sich vermuten lässt, dass Đukanović und Vučić, die beiden Staatspräsidenten, sich persönlich gut verstehen.

Ein gutes halbes Jahr nach dem Amtsantritt der neuen Regierung ist leider klar erkennbar: Die Polarisierung in der Gesellschaft lässt nicht nach, eine populistische Rhetorik ist vielfach evident und beeinflusst allseits nationalistische Tendenzen. 

Stand und Ausrichtung Montenegros im EU-Beitrittsprozess

Seit 29. Juni 2012 führt Montenegro konkrete EU-Beitrittsverhandlungen, konnte bisher alle Verhandlungskapitel eröffnen und ist damit unter den 6 Westbalkan-EU-Beitrittsaspiranten noch vor Serbien „Front Runner“. Die Beitrittsverhandlungen gerieten allerdings mittlerweile wegen rechtstaatlicher Defizite ins Stocken. Die von der Europäischen Kommission 2020 implementierte neue Methodologie der Beitrittsverhandlungen für die Westbalkan-Staaten, die Umwandlung von 35 Kapiteln in 6 übergeordnete Cluster, die auch von Montenegro akzeptiert wurde, verlangt ein wesentlich größeres Engagement zu rechtsstaatlichen Reformen als bisher. 

Die sich aus den drei Wahlbündnissen zusammensetzende Regierung unter Ministerpräsident Zdravko Krivokapić will den Kurs der früheren Regierung in Richtung EU-Integration fortsetzen und steht mehrheitlich auch zum NATO-Beitritt des Landes. Vor dem Hintergrund großer innenpolitischer Auseinandersetzungen wurde Montenegro im Juni 2017 NATO-Mitglied. 

Andererseits tritt die neue Regierung aber auch für eine engere Anbindung an Serbien und Russland ein. Teilweise sind mitunter Stimmen zu hören, die für eine Abkehr der bisherigen NATO- und EU-Linie eintreten und ganz im Sinne Serbiens und Russlands auch für einen Abbruch der Beziehungen zum benachbarten Kosovo und Aberkennung von dessen völkerrechtlichen Souveränität plädieren. Solche Planspiele, die im Moment keine Realisierungschance haben,  wären  allerdings ein eklatanter Bruch dessen, was im EU-Jargon bezüglich   aller Staaten des Westbalkans  als „Stabilokratie“ bezeichnet wird: Innenpolitisch infolge der bisherigen Vernachlässigung rechtsstaatlicher Standards zwar mit dem Makel einer „defekten Demokratie“ behaftet, außenpolitisch aber bisher für die EU weitgehend berechenbar und  zuverlässig.

Der Tatsache einer nach wie vor vorhandenen EU-Orientierung in der Bevölkerungsmehrheit entsprechend wurde von Krivokapić in seiner Regierungserklärung betont: „Die neue Regierung wird alle internationalen Verpflichtungen einhalten. Außenpolitische Prioritäten bleiben der EU Beitritt des Landes und die Umsetzung aller aus der NATO Mitgliedschaft und in anderen internationalen Organisationen erwachsenden Verpflichtungen“. Um dies augenscheinlich unter Beweis zu stellen, führte der erste offizielle Besuch den neuen Ministerpräsidenten nach seinem Amtsantritt nach Brüssel. Dies sollte dort als wichtige Botschaft über außenpolitische Kontinuität pro-europäischer Orientierung der neuen Regierung verstanden werden.

Desolate Wirtschaftslage, „Citizenship by Investment“, Kredite von China und Russland

Das stark auf den Tourismus setzende Land steht vor immensen Schwierigkeiten, die infolge der Corona-Pandemie noch verstärkt wurden. Die Einnahmen aus der Tourismusindustrie machen 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Die wirtschaftliche Situation im Land ist besorgniserregend. Nach Angaben der Weltbank wird die Staatsverschuldung im Jahr 2021 infolge des hohen Haushaltsdefizites voraussichtlich auf 94 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ansteigen. Die neue Regierungskoalition sieht sich nach eigenen Angaben mit fehlenden Finanzmitteln in der Staatskasse von 600 Millionen Euro und einer Gesamt-Staatsverschuldung in Höhe von 4 Milliarden Euro konfrontiert.

Zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit des Landes und als notwendige und unumgängliche Maßnahme zur Rückzahlung von fälligen Krediten hatte der in der internationalen Finanzwelt gut vernetzte neue Finanzminister Milojko Spajić für das Land bei mehreren westlichen Banken einen Kredit mit siebenjähriger Laufzeit von über 750 Millionen Euro aufgenommen.  Finanzminister Milojko Spajić begründete dies damit, dass Montenegro zur Vermeidung von massiven Entlassungen, Lohn- und Rentenkürzungen Geld bereitstellen müsse, „um ungünstige alte Kredite zurückzuzahlen und in unser Wachstum und unsere Erholung zu investieren.“

Besonderer Anlass zur Sorge vor der „Chinesischen Schuldenfalle“ ergibt sich im Zusammenhang mit dem Bau der Autobahnstrecke vom montenegrinischen Adria-Hafen Bar über Podgorica durch das Gebirge zur serbischen Grenze nach Boljare und danach weiter nach Belgrad. Sie wird von der „China Road and Bridge Corporation“ (CRBC) gebaut mit einem Kilometerpreis von 20 Millionen Euro und ist laut Milojko Spajić die „weltweit teuerste Autobahn überhaupt“. Der noch unter Đukanović abgeschlossene Vertrag hatte in Brüssel von Anfang an für heftige Kritik gesorgt, weil er nicht den in der EU geltenden Vorgaben entspricht. Im Jahr 2014 hatte Montenegro von der chinesischen Exim Bank für die Fertigstellung des ersten Abschnitts dieser Autobahnverbindung einen Kredit in Höhe von 944 Mio. Dollar aufgenommen. Im Juli dieses Jahres wird nun die erste Rückzahlungsrate dieses chinesischen Kredits in Höhe von 67,5 Mio. Dollar fällig. Ein Hilfeersuchen der Regierung in Podgorica an die EU, sich bei der Schuldentilgung zu beteiligen, wurde von Brüssel mit der Begründung abgelehnt, man bezahle keine Schulden, die das Land bei Dritten aufgenommen habe. Die Entscheidung der EU, eventuell durch alternative Finanzinstrumente Montenegro bei seiner Schuldentilgung zu helfen, ist im Moment noch offen. Der Einfluss Chinas erstreckt sich derzeit zwar primär auf den wirtschaftlichen Sektor Montenegros, dennoch könnten angesichts der potenziellen ökonomischen Abhängigkeit an China auch politische Folgen entstehen.

Laut informierten Kreisen hat sich Montenegro verpflichtet, dem Kreditgeber bei Zahlungsunfähigkeit oder Verzug gegebenenfalls Zugriff und Nutzungsrechte an montenegrinischem Land und auf Staatseigentum zu gewähren. In der Öffentlichkeit kursiert das Gerücht, Chinas Interessen lägen gezielt auf dem Adriahafen Bar. Bei Konflikten werde ein Schiedsverfahren durchgeführt. Der Gerichtsstand hierfür ist Peking.  

Am 14. Oktober 2020 bekundete der IWF, dass Montenegro im Jahr 2020 den größten wirtschaftlichen Rückgang seit der Unabhängigkeit im Jahr 2006 von fast 12,4 Prozent verzeichnen würde. Den Angaben der IWF zufolge machen die Verpflichtungen gegenüber China ein Viertel der gesamten Staatsverschuldung aus. Dennoch erklärte Vice-Regierungschef Dritan Abazović, dass chinesische und andere ausländische Investitionen für Montenegro zur Ankurbelung der Wirtschaft wichtig seien und kündigte potenzielle neue Projekte an.

Ein Finanzierungsprojekt besonderer Exklusivität startete bereits 2019: das Programm „Citizenship-by-Investment“, der sogenannte „goldene Pass“, bei dem der Antragsteller bis zu 450.000 Euro in von der Regierung geplante Projekte investieren und einen Beitrag von 100.000 Euro leisten musste, um die montenegrinische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Das Programm wurde mit dem Ziel gerechtfertigt, ausländische Direktinvestitionen zu erhöhen und in die unterentwickelten Teile des Landes zu leiten. In weniger als zwei Jahren konnten 14 Projekte in die Liste „Citizenship-by-Investment“ aufgenommen werden.  Besonders markant war hierbei “Porto Montenegro“ nahe des ehemaligen kleinen Fischerstädtchens Tivat mit einem höchst exklusiven Yachthafen und zahlreichen Hotels und Eigentumswohnungen der absoluten Luxusklasse. Der Quadratmeterpreis für eine Immobilie dort beläuft sich auf 8000 Euro und mehr. Die neue Regierung hat dieses Modell nun modifiziert und angekündigt, dass durch die Änderung des Programms der wirtschaftlichen Staatsbürgerschaft auch hochqualifizierte Personen, insbesondere in den Bereichen Wissenschaft und Technologie, die montenegrinische Staatsbürgerschaft erhalten können. Ausländer sollen damit schneller einen Pass erhalten, auch Serben und Russen. Nach Angaben des Statistischen Amtes von Montenegro, MONSTAT, betrug die Steigerungsrate der in Montenegro tätigen ausländischen Unternehmen in den vergangenen Jahren fast 50 Prozent.2019 und 2020 war Russland erneut eine der Hauptquellen für ausländische Direktinvestitionen im Lande. Nach Angaben von MONSTAT sind 20 Prozent aller sich in ausländischem Besitz befindlichen Unternehmen in Montenegro in russischer Hand. Die politische Abkühlung gegenüber Russland infolge der Tatsache, dass sich Montenegro als NATO-Mitglied den EU-Sanktionen gegen Russland angeschlossen hatte, schließt die Pflege von guten Geschäftskontakten zur russischen Elite nicht aus.

Autor: Dr. Fiesinger, HSS

Südosteuropa
Armin Höller
Leiter
Montenegro
Dr. Klaus Fiesinger
Projektleitung