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Kommunal- und Provinzratswahlen in Belgien
Polarisierung zwischen Wallonien und Flandern

Autor: Angela Ostlender

Die Ergebnisse der Kommunal- und Provinzialratswahlen vom 14. Oktober bestätigen den Trend: Flandern rückt weiter nach rechts, Wallonien weiter nach links. Was bedeutet das für den Zusammenhalt Belgiens?

Gemäß einem Sechs-Jahres-Turnus fanden in Belgien am 14. Oktober 2018 Gemeinderats- und Provinzialratswahlen statt. Sie gelten auch als Test für den „Superwahlsonntag“ am 26. Mai 2019, an dem nicht nur Parlaments- sondern auch Regional- und Europawahlen stattfinden. Die Ergebnisse der diesjährigen Kommunal- und Provinzialratswahlen bestätigen den Trend der letzten Jahre: Flandern rückt weiter nach rechts, Wallonien weiter nach links. So wird das Regieren auf föderaler Ebene nicht einfacher werden.

Zwei Pfeile, die in unterschiedliche Richtungen zeigen

In Belgien öffnet sich die politische Schere zwischen dem nördlichen Flandern und dem wallonischen Süden weiter.

Flandern rückt weiter nach rechts, Wallonien nach links

Die Wahlergebnisse haben gezeigt, dass sich die politische Schere zwischen den zwei großen Regionen des Landes weiter öffnet. Im nördlichen Flandern verteidigt die christdemokratische Partei „Christen-Democratisch en Vlaams“ (CD&V) trotz Verlusten mit 120 gewonnenen Gemeinden und Städten ihre Vormachtstellung in den ländlichen Gebieten. Als landesweit stärkste Partei konnte die flämisch-nationalistische Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) ihre Position lediglich in den Städten und Gemeinden festigen, in denen sie ohnehin schon stark gewesen war. Zu den Gewinnern zählt in Flandern vor allem die rechtsextreme und separatistische Vlaams Belang, die sich wieder auf das Niveau vergangener Erfolge zubewegt. Die für eine Abspaltung Flanderns werbende Partei konnte viele Stimmen von der flämisch-nationalistischen N-VA zurückholen. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob dies eine Konsequenz der Zugeständnisse ist, die die N-VA im Jahre 2014 zugunsten ihrer Regierungsbeteiligung machen musste. So verzichtet sie in der laufenden Legislaturperiode auf weitere Forderungen zur Übertragung von Kompetenzen auf die Region Flandern und auf eine weitere Staatsreform. Das Augenmerk der Öffentlichkeit richtet sich jetzt besonders auf die möglichen Strategien der N-VA, um die nach rechts verlorenen Wählerstimmen zurückzuholen.

Übersicht der Ergebnisse der Kommunalwahlen in Belgien vom 15.10.2018: Flandern rückt weiter nach rechts, Wallonien weiter nach links. Könnte das Königreich Belgien unregierbar werden, wenn sich dieser Trend fortsetzt?

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Im wallonischen Süden hatte man mit einer Abstrafung der Parti socialiste (PS) gerechnet, die dort traditionell stark vertreten ist. Im vergangenen Jahr machten zahlreiche PS-Politiker mit Skandalen von sich reden, da sie in ihren Aufsichtsratsfunktionen in interkommunalen Unternehmen zu hohe und ungerechtfertigte Sitzungsgelder kassiert hatten (Als Interkommunale, frz. u. ndl. Intercommunale, wird in Belgien ein Unternehmen bezeichnet, dass ganz oder teilweise im Besitz der Öffentlichen Hand ist). Trotz stellenweiser zweistelliger Verluste liegt der Gesamtverlust der PS aber bei lediglich ca. 7%. In den wallonischen Provinzen Luxemburg, Hennegau und Lüttich punkteten vor allem lokale Listen. Bemerkenswert ist der allgemein wachsende Zuspruch für die kommunistische Arbeiterpartei Parti du Travail de Belgique (PTB), deren Stimmzuwachs seit 2006 permanent anhält. Sie konnte vor allem in den ehemaligen Gebieten des Kohleabbaus und der Stahlindustrie an Stimmen zulegen und wurde in Charleroi sogar zweitstärkste Kraft. In einigen wallonischen Gemeinden beraten Mitglieder von PS und grüner Ecolo aktuell über mögliche Koalitionen mit der PTB. Auch in der Brüsseler Gemeinde Molenbeek könnten PTB-Mitglieder zukünftig im Gemeinderat sitzen.

Grüne in Brüssel im Aufwind

Große Erfolge verbuchten die „Grünen“ in den 19 Brüsseler Gemeinden, in denen sie mit einer gemeinsamen Liste des französischsprachigen „Ecolo“ und dem niederländischsprachigen „Groen“ antraten. Hier konnten sie voraussichtlich drei Bürgermeistersitze erobern und in vielen Gemeinden zweistellige Ergebnisse vorweisen. Verluste verzeichnete vor allem der französischsprachige liberale Mouvement Réformateur (MR), der nur noch zwei von vormals sechs Bürgermeisterposten halten kann. Einige Tageszeitungen vermuten darin eine Retourkutsche für die Beteiligung der MR als einziger französischsprachiger Partei an der aktuellen asymmetrischen Regierungskoalition. Andere sehen in der Person der liberalen belgischen Energie- und Umweltministerin Marie-Christine Marghem (MR) und ihrer unbeholfenen Kommunikation im Rahmen der andauernden AKW-Krise und der daraus folgenden drohenden Stromknappheit einen möglichen Auslöser für den Vertrauensverlust in die französischsprachige liberale Partei.

Das berühmte Brüsseler "Atom". Standbild aus silbernen Kugeln, die durch dicke, silberne Rohre 3-dimiensional miteinander verbunden sind und ein Atom darstellen sollen.

Große Erfolge verbuchten die „Grünen“ in den 19 Brüsseler Gemeinden.

dimitrisvetsikas1969; CC0; Pixabay

Signale für das „Superwahljahr“ 2019

Das belgische Sozialpolitische Forschungs- und Informationszentrum CRISP hat untersucht, welche Auswirkungen die Wahlergebnisse vom 14. Oktober 2018 auf die zukünftige Zusammensetzung der Regionalparlamente und der nationalen Abgeordnetenkammer haben könnten. Die aktuellen Wahlergebnisse verweisen deutlich auf den Veränderungswunsch der Wähler und sind ein Warnzeichen für eine fortschreitende Zersplitterung der belgischen Parteienlandschaft, da alle großen Regierungsparteien N-VA, CD&V, Open VLD und MR mehr oder weniger große Verluste hinnehmen mussten.

Aus Sicht des CRISP wäre eine wallonische Regierungskoalition aus PS, PTB und Ecolo möglich aber unwahrscheinlich, da nicht davon ausgegangen wird, dass sich die PTB als „kleinster“ Partner daran beteiligen würde.

Im Sommer 2017 forcierte das Centre Démocrate Humaniste (CDH) eine Regierungsumbildung, bei der die PS auf der Oppositionsbank landete. Es ist daher ebenfalls nicht davon auszugehen, dass letztere in eine Koalition mit dem CDH einwilligen würde. In Wallonien bestünden daher nur zwei gangbare Alternativen: 

  1. Eine Zweier-Koalition aus MR und PS oder

  2. Eine Dreier-Koalition aus MR, CDH und Ecolo.

In jedem Falle wären die wallonischen Liberalen (MR) trotz voraussichtlich kräftiger Einbußen für die künftige wallonische Regierungskoalition unverzichtbar.

In Flandern scheint sich zu bestätigen, dass der Vlaams Belang auf Kosten der N-VA wieder zu einer starken Macht im flämischen Parlament werden könnte. Die derzeitige Mehrheit von N-VA, CD&V und der liberalen OpenVLD wäre zwar geschwächt, aber rechnerisch trotzdem knapp überlegen.

Auf nationaler Ebene könnte jedoch eine an die Ergebnisse der Gemeinde- und Provinzialratswahlen angelehnte Stimmverteilung das „Aus“ für die Regierung unter Charles Michel bedeuten. Einzig eine Beteiligung des CDH könnte die fehlenden Stimmen beibringen, zuvor müssten jedoch die enormen Differenzen zwischen CDH und N-VA ausgeräumt werden. So sieht man im CRISP am ehesten die Rückkehr zu einer Minderheitenregierung −mit zwei fehlenden Sitzen−, die sich aus den jeweiligen niederländisch- und französischsprachigen Partnerparteien SP.A/PS, CD&V/CDH und Open VLD/MR zusammensetzt. Jedoch würde einer solchen Lösung voraussichtlich wieder eine sehr lange Sondierungsphase vorausgehen. Nach der letzten Parlamentswahl im Jahre 2014 vergingen 541 Tage bis zur Regierungsbildung. Der jetzigen Koalition unter Ministerpräsident Charles Michel (MR) gehören neben einer einzigen französischsprachigen Partei (MR) drei niederländisch-sprachige Parteien (N-VA, CD&V und Open VLD) an.

Fazit

Der Trend zur Fragmentierung der politischen Landschaft schreitet voran, nicht nur in Belgien. Auch in anderen Ländern und Regionen Europas wird deutlich, dass der Wählerzuspruch für die traditionellen Volksparteien links und rechts von der Mitte abnimmt. In Belgien haben diese nun vor den Wahlen in 2019 eine letzte Chance, ihre Wähler zu überzeugen und zu mobilisieren. Falls sich Wallonien und Flandern jedoch weiter politisch voneinander entfernen, droht dem Königreich Belgien eine extrem schwierige Regierungsbildung.

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter
Europäischer Dialog
Angela Ostlender
Programm Managerin