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Kommentar
Neue Krise am Persischen Golf

Mit einer drastischen und überraschenden Isolationspolitik gegenüber seinem kleinen und einflussreichen Nachbaremirat Katar tritt Saudi-Arabien die Flucht nach vorne an: Die Ordnung in der Region soll von dem Land weitgehend allein bestimmt werden.

 

Mit einer drastischen und überraschenden Isolationspolitik gegenüber seinem kleinen und einflussreichen Nachbaremirat Katar tritt Saudi-Arabien die Flucht nach vorne an: Die Ordnung in der Region soll von dem Land weitgehend allein bestimmt werden.

Wie werden sich die Regionalmächte entwickeln?

Wie werden sich die Regionalmächte entwickeln?

HSS

Seit 2011 befindet sich die arabische Welt in einem schmerzhaften Umbruch. Die anhaltenden blutigen Konflikte haben Kernländer des Nahen Ostens wie Syrien, den Irak und den Jemen zu gescheiterten und konturlosen Staaten gemacht. Hinzu kommt das fragmentierte Libyen in Nordafrika.
Ausnahmslos alle Krisenherde in der Region sind längst zum Austragungsort eines Stellvertreterkonflikts zwischen den beiden Regionalmächten Saudi-Arabien und dem Iran geworden. Dabei wird nicht nur um politische und wirtschaftliche Macht gerungen, sondern auch um religiöse Deutungshoheit und Führungsanspruch. Während Saudi-Arabien mit den Heiligen Stätten Mekka und Medina die ideologische Führungsrolle für die etwa 90 Prozent sunnitischen Muslime beansprucht, beharren die schiitischen Gelehrten des Iran bei ihrer Auslegung der religiösen Texte auf einem dogmatisch verankerten Herrschaftsanspruch (velayat-e faqih).
Mehr Konfliktpotenzial ist indessen kaum mehr vorstellbar am Persischen Golf.

Die arabische Welt befindet sich in einem schmerzhaften Umbruch

Die arabische Welt befindet sich in einem schmerzhaften Umbruch

HSS

Ringen um die regionale Vorherrschaft

So unterstützt das Regime in Teheran nicht nur durch Brigaden am Boden und die ihm nahe stehende schiitische Hisbollah im Libanon die syrischen Regierungstruppen des alawitischen Assad-Regimes, sondern auch die Houthi-Rebellen im Jemen.

Für Saudi-Arabien war dies der Anlass, mit einem Bündnis sunnitischer Staaten das Land im Süden der arabischen Halbinsel in einen weiteren schweren Konflikt zu ziehen. Nun hat die bisher stabilste Allianz in der arabischen Welt, der Golf-Kooperationsrat, bestehend aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait, Katar, Oman und Bahrain, einen überraschenden Riss erlitten. Die unter Führung Saudi-Arabiens getroffene Entscheidung, Katar diplomatisch und wirtschaftlich zu isolieren, ist ein weiteres unheilvolles Signal aus der Region und zeigt einmal mehr, wie sehr sich der Konflikt um regionale Vorherrschaft zwischen Saudi-Arabien und dem Iran weiter zuspitzt.

Saudi-Arabiens Entschluss, dem auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten zustimmten, Katar auf äußerst empfindliche und beispiellose Art und Weise abzustrafen, mag vielerlei Gründe haben: Lange schon ist den Saudis neben den Ägyptern der Schmusekurs des kleinen und außenpolitisch umtriebigen Emirats Katar mit den Muslimbrüdern ein Dorn im Auge. Zudem hat sich der äußerst einflussreiche Nachrichtensender Al Jazeera mit Sitz in Katar nicht nur zum wichtigsten panarabischen Medium, sondern auch zu einem Sprachrohr für Islamisten unterschiedlicher Prägung gewandelt. Darüber hinaus trugen die guten Beziehungen Katars und der Muslimbrüder zum schiitischen Erzrivalen Iran ebenfalls nicht zur Harmonisierung innerhalb der Golfstaaten bei. Dass Katar zusammen mit dem Iran zudem politische und auch militante Islamisten wie die Hamas im Gazastreifen mit großzügigen Finanzhilfen versieht, wollte das autokratische und salafistisch-puritanische Saudi-Arabien nicht länger hinnehmen.

Mit der jüngsten Entscheidung verdeutlicht das Land nachdrücklich, wer die außenpolitische Agenda der Golfstaaten und der gesamten Region vorzugeben hat. Die Abweichungen Katars, das bekräftigte der saudische Außenminister Al Dschubair unmissverständlich vor kurzem in Berlin, wolle und werde man nicht länger tolerieren.

Das Königshaus in Riad unterstreicht mit dem Schritt darüber hinaus, dass es nicht gewillt ist, Akteure des parteipolitischen wie auch militanten Spektrums des Islam in der Region zu tolerieren. Brisant ist in diesem Zusammenhang, dass man gerade dem puritanisch geprägten Saudi-Arabien die Globalisierung des Salafismus und Extremismus zur Last legt. Auch wurde das Land selbst in der Vergangenheit mehrfach der Unterstützung dschihadistischer Gruppierungen bezichtigt. Ausgerechnet von saudischer Seite ereilt Katar nunmehr der gleiche schwerwiegende Vorwurf.

Der Wolkenkratzer Burj Khalifa in Dubai

Der Wolkenkratzer Burj Khalifa in Dubai

HSS

Wie wird sich die Region entwickeln?

Mit den jüngsten Anschlägen durch IS-Sympathisanten im Iran wird das Land auf der anderen Seite des Persischen Golfs erstmals im Rahmen dieser regionalen Auseinandersetzung in seinem Inneren schwer getroffen. Damit ist der iranisch-saudische Regionalkonflikt in eine weitere kritische Phase eingetreten.

Zieht man die immensen Bodenschätze beider Länder in Betracht sowie die Tatsache, dass mit Mekka und Medina die wichtigsten Stätten der islamischen Welt in Saudi-Arabien liegen, lässt sich eine weitere Eskalation des Konflikts nicht ausmalen.

Zur ernüchternden Erkenntnis westlicher Beobachter dürfte in diesen Tagen allerdings auch gehören, dass das reiche Saudi-Arabien, das trotz des Ölpreisverfalls immer noch über mehr als 500 Milliarden US-Dollar Reserven verfügt, gerade aufgrund seiner puritanischen und wirkungsmächtigen Auslegung des Islam, deren ideologisch-militante Ausgeburt die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ ist, als enger Verbündeter im Kampf gegen Gewalt und Terror in der Region nicht wegzudenken ist. Voraussetzung dafür muss sein, dass es die Saudis ernst meinen und sich genötigt sehen, ihre konservativ-puritanische Lehre schrittweise zu mäßigen und geschmeidiger zu gestalten.

Bitter ist auch die Erkenntnis, dass das Schicksal der Region einmal mehr vom Ausgang des brisanten saudisch-iranischen Machtkampfes abhängen wird. Wie so vieles in der Region ist nichts vorhersehbar. Das vehemente Vorgehen Saudi-Arabiens gegen das im eigentlichen Sinne sunnitische „Bruderemirat“ Katar zeigt, wie unberechenbar die Region geworden ist.

Es bleibt einzig das Prinzip Hoffnung, dass sich die großen Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran doch noch an einen Tisch setzen und die Instrumentalisierung der sunnitisch-schiitischen Spannungen im Zuge der Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Region entschärfen. Sicher ist, dass nur beide muslimischen Supermächte gemeinsam die Region befrieden können. Der Graben war allerdings nie so tief wie heute.

Dr. Jochen Lobah
Regionalbeauftragter der Hanns-Seidel-Stiftung für Marokko und Mauretanien mit Sitz in Rabat

Naher Osten, Nordafrika
Claudia Fackler
Leiterin