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Die kommunale Finanzwirtschaft Bayerns
Vorbild für die Provinz Buenos Aires?

135 "Partidos" bilden die Provinz Buenos Aires in Argentinien. Um für die 15 Millionen Einwohner auf einer Fläche, annähernd so groß wie Deutschland, staatliche Dienstleistungen garantieren zu können, sind argentinische Politiker sehr interessiert an Bayerischen Lösungen für die kommunale Finanzwirtschaft. Im Fokus dabei: die sogenannten "Schlüsselzuweisungen" für Kommunen.

Die Provinz Buenos Aires (Provincia de Buenos Aires) liegt im Osten Argentiniens inmitten der fruchtbaren Pampa-Ebene. Sie zählt etwas mehr als 15 Mio. Einwohner, verfügt jedoch über sage und schreibe ca. 85 Prozent der Fläche Deutschlands. Ihre Hauptstadt ist das im Ballungsraum Buenos Aires gelegene La Plata (740.000 Einwohner).

Die Delegierten:

Als Anführer der dreiköpfigen Delegation fungierte Minister Dr. Joaquín de la Torre. Bei den beiden anderen Delegationsmitgliedern handelte es sich um Dr. José Richards, Unterstaatssekretär für politische Belange der Provinz Buenos Aires und Mariano Chamorro, Leiter für Gemeindekoordinierung und Entwicklungsprogramme der Provinz.

Eleganter älterer Herr mit Helmut Kohls Statur und silbernem Bart. Links daneben Prof. Männle mit dekorativer Schärpe über die rechte Schulter geworfen. Beide lächeln vor HSS-Stellwand in die Kamera.

Regierungsminister der Provinz Buenos Aires Joaquín de la Torre und Vorsitzende der HSS, Ursula Männle

Witte; HSS

Administrativ ist die Provinz in 135 „Partidos“ gegliedert. Diese stellen die höchstrangigen Verwaltungseinheiten unterhalb der Provinzebene dar. Die „Partidos“ verfügen jeweils über einen Intendente (Exekutive) und einen Concejo (Legislative), der je nach Einwohnerzahl zwischen mindestens 6 und höchstens 24 Mitglieder (Concejales) zählt. Damit die „Partidos“ über ausreichende finanzielle Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügen, will man sich zukünftig an der kommunalen Finanzwirtschaft Bayerns orientieren.

Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer

Besonderes Interesse zeigten Dr. Joaquín de la Torre und seine beiden Begleiter an der Beteiligung der Kommunen an der Einkommensteuer. Den bayerischen Gemeinden ist seit 1970 ein Anteil am gesamtbayerischen Aufkommen an Einkommensteuer garantiert. Dieser Anteil beträgt 15 Prozent des Aufkommens an Lohn- und veranlagter Einkommensteuer sowie 12 Prozent des Aufkommens an Kapitalertragsteuer. Der Einkommensteueranteil wird entsprechend dem jeweiligen örtlichen Aufkommen auf die Gemeinden verteilt. Allerdings wird bei der Feststellung des Verteilverhältnisses zwischen den Gemeinden (der sogenannten Schlüsselzahl) das örtliche Aufkommen nur bis zu bestimmten Höchstbeträgen des zu versteuernden Einkommens berücksichtigt (seit 2012 35.000 Euro bei einzeln veranlagten Personen und 70.000 Euro bei Zusammenveranlagung). Mithin erhalten „einkommensteuerschwächere“ Gemeinden mehr und „einkommensteuerstärkere“ Gemeinden weniger Einkommensteuer als ihnen bei einer Verteilung rein nach dem örtlichen Aufkommen zustehen würde.

Langer Konferenztisch mit diskutierenden Menschen. Einer, ganz links, wohl der Jüngste, schreibt mit.

Besonders das Bayerische Modell der "Schlüsselzuweisungen für Kommunen" interessierte die argentinischen Gäste. Gemeinden, die besonders umfangreiche Aufgaben zu leisten haben, werden über die Zuweisung teilweise entschädigt. So sollen gleichwertige Entwicklungschancen garantiert werden.

HSS

Wichtige kommunale Einnahmequellen

Zudem konnten die Delegationsmitglieder ihren Kenntnisstand bezüglich Gebühren und Beiträgen, der Grund- und der Gewerbesteuer sowie der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern erweitern. Gebühren werden in Form von Benutzungs- und Verwaltungsgebühren erhoben. Benutzungsgebühren gelten den Aufwand für die tatsächliche Nutzung gemeindlicher Einrichtungen ab (z.B. Müllabfuhr, Straßenreinigung, öffentliche Bäder). Verwaltungsgebühren sind für die Inanspruchnahme einer Verwaltungshandlung zu entrichten, z.B. für die Erteilung einer Genehmigung. Beiträge dienen zur Deckung des Investitionsaufwands für kommunale Einrichtungen. Sie werden von denjenigen erhoben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme besondere Vorteile bietet, unabhängig davon, ob sie tatsächlich davon Gebrauch machen. Die Aufkommen an Grund- und Gewerbesteuer stehen den Gemeinden zu.

Steuergegenstand der Grundsteuer ist der Grundbesitz im Sinne des Bewertungsgesetzes; Besteuerungsgrundlage der Gewerbesteuer ist der Gewerbeertrag. Die Gemeinden können über die Hebesätze (= Steuersätze) die Höhe ihrer Grund- und Gewerbesteuereinnahmen beeinflussen. Bund und Länder sind seit 1970 am Gewerbesteueraufkommen durch eine Umlage beteiligt (Gewerbesteuerumlage). An örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern gab es in Bayern längere Zeit nur noch die Hundesteuer. 2004 wurde das Verbot der Erhebung einer Zweitwohnungsteuer aufgehoben. Seit diesem Zeitpunkt haben Gemeinden das Recht, eine örtliche Aufwandsteuer auf das Innehaben einer Zweitwohnung zu erheben.

Gruppenbild vor breiter Treppe mit rotem Teppich und viel Marmor

Im Maximilianeum, dem Bayerischen Landtag, wurden die Delegierten von der Landtagspräsidentin Barbara Stamm empfangen.

HSS

Schlüsselzuweisungen: Kernstück des kommunalen Finanzausgleichs

Auch die allgemeinen Schlüsselzuweisungen wurden unseren argentinischen Gästen ausführlich erklärt. Kernstück der Leistungen im kommunalen Finanzausgleich sind die allgemeinen Schlüsselzuweisungen an die Gemeinden und Landkreise. Die Mittel für die Schlüsselzuweisungen (Schlüsselmasse) werden dem Kommunalanteil des allgemeinen Steuerverbunds entnommen (12,75 Prozent der Einnahmen des Freistaats Bayern aus der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer, der Umsatzsteuer und der Gewerbesteuerumlage zuzüglich der Einnahmen oder abzüglich der Ausgaben im Länderfinanzausgleich). 64 Prozent der Schlüsselmasse erhalten die Gemeinden, 36 Prozent die Landkreise. Mittels der Schlüsselzuweisungen soll eine im Verhältnis zur jeweiligen Aufgabenbelastung zu schwache Einnahmesituation teilweise ausgeglichen werden. Der Gesetzgeber legt bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen einen fiktiven Finanzbedarf zugrunde (Finanzkraftmesszahl).

Gruppenbild mit acht Menschen hinter einem Runden Konferenztisch.

Die Informationsreise der drei Argentinier endete mit einem Besuch der Stadt Ebersberg. Dr. Joaquín de la Torre und seine beiden Begleiter wurden im dortigen Rathaus u.a. von Bürgermeister Walter Brilmayer (4.v.r.) empfangen. Der Kämmerer der Stadt Ebersberg, Wolfgang Napieralla (links), erläuterte den Zusammenhang zwischen dem finanziellen Aufwand einer Gemeinde und der Höhe der Kompensation, die sie vom Land erhalten kann.

Stadt Ebersberg; HSS

Bei der Feststellung der Einnahmesituation der Kommune wird ebenfalls nicht auf ihre tatsächlichen Einnahmen abgestellt, sondern auf ihre Einnahmemöglichkeiten (Ausgangsmesszahl). Ist bei einer Gemeinde ihr fiktiver Finanzbedarf größer als ihre Einnahmemöglichkeiten, erhält sie 55 Prozent des Unterschiedsbetrags als Schlüsselzuweisung. Gemeinden, deren Einnahmemöglichkeiten ihren Finanzbedarf übersteigen, gehen leer aus.

Die argentinischen Gäste zeigten sich von der Art und Weise, wie die bayerischen Kommunen ihre Aufgaben finanzieren, sehr angetan und wollen nun prüfen, inwieweit sich dieses Finanzierungssystem auf die Provinz Buenos Aires und ihre „Partidos“ übertragen lässt.

Beziehungen intensivieren

CSU-Abgeordnete des Bayerischen Landtags brachten Dr. Joaquín de la Torre und seinen beiden Begleitern gegenüber ihre Absicht zum Ausdruck, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Provinz Buenos Aires und dem Freistaat Bayern zu intensivieren. Die Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens zwischen der Provinz und Bayern sowie die Eröffnung eines argentinischen Konsulats in München sind angedacht. Die Hanns-Seidel-Stiftung soll hierbei behilflich sein.

Autor: Prof. Dr. Klaus Binder

Argentinien
Prof. Dr. Klaus Georg Binder
Projektleitung
Lateinamerika
Esther J. Stark
Leiterin
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