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Parlamentswahlen in Südkorea im Zeichen der Corona-Pandemie
Wahlsieg für die Regierungspartei

Autor: Dr. habil Bernhard Seliger

Bei den Wahlen zur 21. Nationalversammlung, dem Parlament Südkoreas, am 15. April 2020 hat die Regierungspartei, die linke Demokratische Partei von Präsident Moon Jae-In, einen deutlichen Wahlsieg erreicht. Zunächst hatte der Präsident im Wahlkampf wenig Zustimmung erhalten, doch seine Maßnahmen bei der Bekämpfung von Covid-19 brachten ihm Stimmen und Respekt. Nun verfügt er über eine parlamentarische Mehrheit.

  • Wahl- und Parteiensystem
  • Themen im Wahlkampf und die Corona-Krise
  • Politische Auswirkungen
  • Wahlen in Zeiten der Pandemie

Präsident Moon, der im Jahr 2017 bei einer Nachwahl wegen der Amtsenthebung seiner Vorgängerin, Park Geun-Hye, ins Amt gekommen war und zunächst ohne klare eigene parlamentarische Mehrheit regieren musste, hat nun für den Rest seiner Amtszeit auch eine Parlamentsmehrheit. Neben der traditionellen Hochburg der Demokratischen Partei im Südwesten des Landes gelang es der Partei insbesondere in Seoul (41 Sitze gegenüber 8 für die konservative Oppositionspartei, Vereinigte Zukunftspartei), der Gyeonggi-Provinz (51 zu 7 Sitzen) und Incheon (11 zu 1 Sitz) deutlich zu gewinnen. Zusammen bilden diese den Großraum Seoul, in dem ungefähr die Hälfte aller Südkoreaner wohnt. Die oppositionelle Vereinigte Zukunftspartei konnte dagegen in ihren Hochburgen im Osten des Landes punkten.

Insgesamt wurden 300 Sitze im Parlament vergeben, 257 davon nach dem Mehrheitswahlrecht in Wahlkreisen. Dort hat die Demokratische Partei mit 62 Prozent der Sitze (163) gegenüber 35 Prozent (84 Sitze) für die oppositionelle Vereinigte Zukunftspartei, fünf für unabhängige Kandidaten und einen für eine kleinere linke Partei deutlich gewonnen. Zusammen mit den über Listenplätze vergebenen Plätzen kommt die Demokratische Partei zusammen mit einer kleineren Satellitenpartei, der Bürger-zusammen-Partei, auf 179 Sitze, die konservative Vereinigte Zukunftspartei mit der Satellitenpartei Zukunft Koreas auf 101 Sitz. Die anderen Sitze gehen an zwei kleinere linke Parteien, die Gerechtigkeitspartei (5 Sitze) und die Freie Demokratische Partei (1 Sitz) sowie die zentristische Volkspartei (3 Sitze) und fünf unabhängige Kandidaten.

Wahl- und Parteiensystem 

Südkorea hat ein präsidiales System mit einem starken, direkt gewählten Präsidenten, der nur einmal für fünf Jahre amtieren kann. Die Nationalversammlung, für vier Jahre gewählt, besteht aus 300 Abgeordneten, von denen 257 in Einmann-Wahlkreisen direkt gewählt werden. Dadurch kommt es zu einem traditionellen Zwei-Parteien-System mit einer großen linken Partei (derzeit die regierende Demokratische Partei) und rechten Partei (derzeit die oppositionelle Vereinigte Zukunftspartei). Allerdings hat sich in den letzten Jahren das Parteiensystem mehr aufgesplittert. Auf der linken Seite gab es immer wieder Versuche, radikalere linke Parteien zu gründen. Am erfolgreichsten davon ist die Gerechtigkeitspartei gewesen. Die noch weiter links stehende Vereinigte Progressive Partei wurde 2015 vom Obersten Gerichtshof verboten wegen Verstoßes gegen das rigide Nationale Sicherheitsgesetz, das vor allem Kontakte mit Nordkorea und die Verbreitung der nordkoreanischen Ideologie unter Strafe stellt.

Auf der rechten Seite des Parteienspektrums gab es lange Zeit eine relativ stabile Situation, bis die Amtsenthebung von Präsidentin Park Geun-Hye zu einer Abspaltung moderat-konservativer Kräfte führte. Gleichzeitig zog der Parteiausschluss Park Geun-Hyes aus der konservativen (jetzt Oppositions-)Partei die Gründung zweier kleiner Loyalistenparteien (Unsere republikanische Partei und Neue Pro-Park Partei) nach sich. Dazu gab es noch eine zentristische Kraft unter dem ehemaligen Unternehmer Ahn Cheol-Soo, die sich in der Mitte des politischen Spektrums vergeblich zu etablieren versuchte.

Da Präsident Moon Jae-In zunächst mit einem Parlament ohne eigene Mehrheit regieren musste, war er auf die Stimmen der kleinen linken und zentristischen Parteien mit angewiesen. Er versuchte deshalb, die Stimmenvergabe für die repräsentativen Sitze (43 von 300) so zu verändern, dass diese besser vertreten in der 21. Nationalversammlung. Daraufhin gründeten zunächst die konservative Vereinigte Zukunftspartei und dann die linke Demokratische Partei "Satellitenparteien", die nur für die Wahl zu den repräsentativen Sitzen antraten, und damit auch erfolgreich waren. Das Ziel eines größeren Parteienspektrums war damit konterkariert. Letztlich zeigte sich schon bei der Re-Integration der meisten moderaten Konservativen in die Vereinigte Zukunftspartei, dass ein Mehrheitswahlrecht wie in Korea immer die Bildung zweier Großparteien begünstigt.  

Bei der Bekämpfung von Covid-19 fand Präsident Moon großen Zuspruch. Das entschied auch den Ausgang der Wahlen

Bei der Bekämpfung von Covid-19 fand Präsident Moon großen Zuspruch. Das entschied auch den Ausgang der Wahlen

©Bernhard Seliger

Wahlkampfthemen und die Corona-Krise

Der Vorwahlkampf hatte für Präsident Moon nicht unbedingt gut angefangen. Die zwei wichtigsten politischen Themen seiner Agenda waren die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit, sowie die Entspannungspolitik zu Nordkorea. Durch eine radikale Erhöhung der Mindestlöhne hat er jedoch das Gegenteil erreicht, nämlich deutlich höhere Arbeitslosenzahlen. Die Politik des konsumgestützten Aufschwungs durch höhere Löhne, vor der alle Ökonomen einhellig gewarnt hatten, versagte. Auch das zweite Prestigeprojekt Präsident Moons, die Entspannungspolitik zu Nordkorea, war ein Flop. Nach dem ersten Jubel über das Auftreten Nordkoreas bei der Winterolympiade und der Gipfeldiplomatie von 2018 bis Anfang 2019 wandelte sich Nordkoreas Verhalten zu einer immer deutlicheren Feindseligkeit, gepaart mit Herablassung auf den „Lakaienstaat“ Südkorea. Auch innenpolitisch gab es massive Probleme, nachdem der als liberaler Reformer hochgejubelte Justizminister Cho Guk nach nur wenigen Tagen sein Amt wieder abgeben musste wegen massiver Korruptionsvorwürfe.

Bald überlagerte die Corona-Pandemie alle anderen Wahlkampfthemen. Auch dort hatte Präsident Moon und die Demokratische Partei zunächst mit Gegenwind zu kämpfen. Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie in und um Daegu, verursacht im Wesentlichen durch Mitglieder einer protestantischen Sekte, die in Wuhan missioniert hatten, verlangten viele Südkoreaner eine radikalere Politik gegenüber China. Über eine Million Koreaner unterschrieben eine Petition zum Rücktritt des Präsidenten und seine Zustimmungswerte sanken immer tiefer.

Doch dann drehte sich der Wind. Die südkoreanischen Behörden konnten der Ausbreitung des Virus mit verschiedenen Maßnahmen, zusammengefasst als "Testing and Tracking", Einhalt gebieten. So wurden über 400.000 Covid-19-Tests durchgeführt, über deren Ergebnisse die Patienten per Textnachricht informiert wurden. Tägliche SMS von der Regierung informieren die Bürger über neue Erkrankte und deren Aufenthaltsorte, um weiteren Infektionen vorzubeugen. International gilt Südkorea mittlerweile als Vorbild im Covid-19-Krisenmanagement und erntet weltweit Anerkennung für die Erfolge im Kampf gegen das Virus. Insbesondere in den letzten zwei Wochen genoss Präsident Moon geradezu die internationale Aufmerksamkeit. Jeden Tag wurde in den Medien verbreitet, wie sehr die südkoreanische Strategie von anderen Ländern bewundert und kopiert wird, wie Meinungsführer – etwa der Rocksänger Bono –  Moon persönlich bewundern, wie Südkorea jetzt schon anderen Ländern in der Krise helfen kann. Die Opposition hatte dem nichts entgegenzusetzen und rechtzeitig zur Wahl waren die Zustimmungswerte für Präsident Moon so hoch wie in den vergangenen zwei Jahren nicht mehr – was dann zum jetzigen Wahlsieg führte.

Politische Auswirkungen

Präsident Moon wird in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit eine parlamentarische Mehrheit haben, was seine Regierungsarbeit vereinfachen wird. Zwar konnte er bisher schon durch die präsidiale Machtfülle viel durchsetzen, nun aber kann er mit Hilfe des Parlaments auch vorher dort blockierte Vorhaben einfacher durchführen. Ihm bleibt das Schicksal erspart, schon jetzt zur "lahmen Ente" zu werden, auch wenn wegen der fehlenden Möglichkeit der Wiederwahl das am Ende bisher noch jedem Präsidenten, unabhängig von der parlamentarischen Mehrheit, gedroht hat. Viele bisher nur per Verordnung gültigen Politiken, z.B. die weitreichende Panmunjeom-Erklärung mit Nordkorea, die nie ins Parlament gelangt ist, können jetzt höhere parlamentarische Weihen bekommen. Zudem hat die Demokratische Partei zusammen mit den kleineren linken Parteien eine 3/5-Mehrheit, mit der Gesetze beschleunigt verabschiedet werden können. In der Vergangenheit war es immer wieder zu monate- und teils jahrelangen Verzögerungen bei Gesetzesvorhaben gekommen durch Sperrminoritäten. Verfassungsänderungen kann diese Mehrheit aber nicht beschließen.

            Für die nächste Präsidentschaftswahl hat die Parlamentswahl natürlich auch wichtige Signalfunktionen. Lee Nak-Yeon, der frühere Ministerpräsident, der im wichtigsten Wahlkreis des Landes, Chongno in Seoul, den Parteiführer der oppositionellen, konservativen Vereinigten Zukunftspartei Hwang Kyo-Ahn deutlich geschlagen hat, ist jetzt erster Anwärter der linken Seite für die Präsidentschaftswahl in zwei Jahren. Hwang dagegen, der Verlierer, hat deutlich gezeigt, dass er es als früherer enger Mitarbeiter von Park Geun-Hye (er war Justizminister und dann Ministerpräsident unter Park) nicht geschafft hat, sich freizuschwimmen und die konservative Partei glaubhaft zu erneuern. Auch die in letzter Minute erfolgte Berufung des 87-jährigen Kim Chung-In zum Wahlkampfmanager, der in Deutschland studiert hat und schon rechte wie linke Parteien erfolgreich beraten hat, hatte keine Erfolgsaussichten mehr. Allerdings darf man nicht vergessen, dass jetzt allein das Mehrheitswahlrecht der Demokratischen Partei eine komfortable Mehrheit sichert. Der linke und rechte Block stehen sich relativ gleich groß gegenüber und schon kleinere Schwankungen können zu größeren Mehrheitsverschiebungen führen.

            Einen echten Erdrutschsieg hat die Demokratische Partei nicht erringen können, auch wenn das in Südkorea oft so kommentiert wurde wegen der deutlichen Mehrheit, der ersten linken Parlamentsmehrheit in sechzehn Jahren. Dies ist im Wesentlichen auf das Mehrheitswahlrecht zurückzuführen. Die Machtzentren (im Südwesten für die Demokratische Partei und im Osten für die Vereinigte Zukunftspartei) bestehen weiter und auch im Großraum Seoul sind beide Lager nicht sehr weit auseinander.

Dementsprechend sollte man sich davor hüten, zu weitreichende Schlussfolgerungen aus dieser Wahl für zukünftige Wahlen oder das Parteiensystem, das hier ohnehin extrem volatil ist, zu schließen. Insbesondere sollte man auch nicht den Einfluss der Wirtschaftslage auf künftige Wahlen vergessen. In der jetzigen Zeit der Krise hat die Regierung mit einer Politik des extrem leichten Geldes bisher eine stärkere Verwerfung vermieden. Die starke Exportabhängigkeit der Industrie führt schon jetzt zu Vorhersagen über eine Kontraktion der Wirtschaftsleistung Südkoreas. Bei der geringen Umsatzrentabilität vieler Unternehmen, die auf Wachstum angewiesen sind, kann das zu einer verschärften Lage auf dem Arbeitsmarkt führen und zu entsprechender Unzufriedenheit. Nicht zuletzt deshalb diskutieren ja sehr linksstehende Anhänger von Präsident Moon, wie der Gouverneur der Gyeonggi-Provinz, inzwischen das bedingungslose Grundeinkommen. Die wirtschaftlichen Probleme lassen sich so zwar nicht lösen, aber politisch kommt dieser Populismus derzeit gut an.

Covid-19 veränderte auch den Wahlkampf durch strenge Vorsichtsmaßnahmen

Covid-19 veränderte auch den Wahlkampf durch strenge Vorsichtsmaßnahmen

©Bernhard Seliger

Wahlen in Zeiten der Pandemie

Schon der Wahlkampf war, wegen des Verbots größerer Versammlungen, deutlich verschieden im Vergleich zu früheren. Die Mobilisierung von Wählern über direkte Ansprache bei Großveranstaltungen war gerade für konservative ältere Wähler wichtig gewesen. Dagegen konnte die hohe Affinität zu sozialen Medien besonders von der Regierungspartei gut genutzt werden, dazu natürlich auch die Konzentration auf die Exekutive in Zeiten der Krise.

Insgesamt waren am 15. April 2020 fast 44 Millionen Wähler zur Stimmabgabe aufgerufen in einem von 14.300 Wahlbüros. Die Regierung bereitete sich unter Auflage der Schutzmaßnahmen auf die Wahlen vor. Handdesinfektionsmittel und Schutzhandschuhe wurden bereitgestellt. Alle Wähler wurden dazu angehalten, Atemschutzmasken zu tragen und mussten vor Ort ihre Körpertemperatur messen lassen. Wer erhöhte Temperatur hatte oder ohne Maske erschien, musste in einer speziellen Wahlkabine außerhalb des eigentlichen Wahllokals abstimmen. 50.000 Menschen, die unter häuslicher Quarantäne stehen, durften erst nach 17.20 Uhr abstimmen, wenn für andere Wähler die Wahlbüros schon geschlossen waren. Zudem haben insgesamt haben mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten, 11,7 Millionen Menschen, die Briefwahl genutzt, fast doppelt so viele wie bei der vorherigen Wahl. Allerdings haben über 179.000 im Ausland ansässige Koreaner und Koreanerinnen ihre Stimme nicht abgeben können, da die Wahlabgabestellen durch die Pandemie in 40 Ländern weltweit geschlossen waren. Insgesamt verlief die Wahl ruhig und ohne Zwischenfälle.

Nordost- und Zentralasien
Veronika Eichinger
Leiterin
Dr. habil Bernhard Seliger
Repräsentant der Hanns-Seidel Stiftung in Korea