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Kirgisistan
Erneute Parlamentswahlen

Am 28. November 2021 fanden in Kirgisistan erneut Parlamentswahlen statt, nachdem die Wahlen vom Oktober 2020 annulliert worden waren. Dazu hatten die Massenproteste wegen angeblichen Wahlbetrugs geführt und es entstanden ernsthafte Zweifel an der zukünftigen politischen Stabilität des Landes. Aus eigener Kraft hat das zentralasiatische Land es jetzt geschafft, seine politische Krise mit dem entstandenen Machtvakuum zu überwinden.

Wie kam es zur erneuten Wahl?

Wohl niemandem in Kirgisistan mit seinen 6,5 Millionen Einwohnern wäre es vorher in den Sinn gekommen, dass sich in nur einem Jahr das politische System und die politische Führung des Landes vollkommen ändern würden.

Der Ärger großer Bevölkerungsschichten in Kirgisistan über das Ergebnis der umstrittenen Parlamentswahl vom 4. Oktober 2020 gipfelte in breiten Protesten am folgenden Tag. Nachdem die Zentrale Wahlkommission auch auf Druck der Straße hin die Wahl schließlich am 06. Oktober 2020 für ungültig erklärt hatte, entstand zunächst ein politisches Machtvakuum.

Schon am 15. Oktober 2020 trat der noch amtierende Präsident SooronbaiJeenbekov, dem vorgeworfen wurde, bei den Wahlen seine Neutralitätspflicht verletzt zu haben (Unterstützung der Partei seines Bruders), zurück. Bei den anschließenden notwendig gewordenen Präsidentschaftswahlen vom 10. Januar 2021 wurde Sadyr Japarov wie schon in den Wahlprognosen erwartet, mit 79,18 Prozent der Stimmen gewählt.

Sadyr Japarov als neuer Ministerpräsident bestätigt

Zuvor hatte das (jetzt ehemalige) Parlament nach langen Diskussionen Sadyr Japarov bereits als neuen Ministerpräsidenten bestätigt. Der 52jährige gilt als stark national orientierter kirgisischer Politiker. Noch in der Nacht der Unruhen nach den Parlamentswahlen war er von seinen Anhängern aus dem Gefängnis befreit worden, in dem er seit 2017 eine elfeinhalbjährige Haftstrafe verbüßte (Verurteilung wegen von ihm angeführter gewalttätiger Proteste gegen die kanadische Goldmine Kumtor im Jahre 2013).

Verfassungsreferenda und Übergang zur präsidialen Republik

Begleitet war die Wahl am 10. Januar 2021 auch von einem Verfassungsreferendum, in dem die Wähler gefragt wurden, ob sie ein präsidiales oder parlamentarisches Regierungssystem bevorzugten. Die erste Variante bekam von 83,29 Prozent der abgegebenen Stimmen Unterstützung.

Am 11. April 2021 folgte dann das eigentliche Verfassungsreferendum über die Umwandlung Kirgisistans von einer parlamentarischen in eine präsidiale Republik– mit starken Befugnissen des Präsidenten und schwindendem Einfluss des Parlaments.

Am 28. November fanden in Kirgisistan Parlamentswahlen statt. Der Eingang zu einem Wahllokal in Bischkek.

Am 28. November fanden in Kirgisistan Parlamentswahlen statt. Der Eingang zu einem Wahllokal in Bischkek.

HSS Zentralasien

Erneute Parlamentswahlen

Was noch ausstand, waren Parlamentswahlen. Diese wurden am 28. November 2021 abgehalten. Im Vorfeld hierzu hatte es zahlreiche verfassungsmäßige und gesetzgeberische Änderungen gegeben. So wurde die Zahl der nationalen Abgeordneten von 120 auf 90 reduziert. Das neue kirgisische Wahlrecht ist eine Verbindung von Wahlkreiswahl und Listenwahl. Die Wähler hatten zwei Stimmen, eine für einen Direktkandidaten in insgesamt 36 Wahlkreisen und eine für 54 Kandidaten über die landesweiten Listen der Parteien.

Die Teilnahme von 321 Kandidaten für ein Einzelmandat und 21 kirgisischen politischen Parteien wurden von der Zentralen Kommission für Wahlen und Referenda der Kirgisischen Republik bestätigt. Der einmonatige Wahlkampf konnte beginnen. Dieser muss im Vergleich zu früheren Wahlen als verhalten beurteilt werden, wobei eine starke Nutzung von sozialen Medien zu verzeichnen war. Gesetzliche Verstöße, wie der Versuch von Stimmenkauf, wurden registriert, blieben aber auf Ausnahmen beschränkt.

Auffällig war, dass bei den an der Wahl teilnehmenden politischen Parteien die in den vergangenen 30 Jahren dominierenden Gruppierungen fast gänzlich fehlten (Sozialdemokratische Partei Kirgisistans, Ata-Zhurt – Heimatland, Respublika – Republik, Kyrgyzstan – Kirgisistan). Hier war es zu einer echten Zäsur gekommen. Dem Wähler teilweise noch wenig bekannte neue politische Parteien traten nun in den Vordergrund.

Die Wahl selbst war auch nach Ansicht der über 700 internationalen Wahlbeobachter professionell und transparent organisiert. Jedoch lag die Wahlbeteiligung bei nur knapp 35 Prozent.

Sechs Parteien gelang bei den Wahlen der Sprung über die landesweite Fünf-Prozent-Hürde: Ata Zhurt Kyrgyzstan (16,44 Prozent der Wählerstimmen), Ishenim (13,2 Prozent), Yntymak (10,65 Prozent), Alliance (8,07 Prozent), Bütün Kyrgyzstan (6,58 Prozent) und Yiman Nuru (5,95 Prozent). Die vier Erstplatzierten sind neue politische Gruppierungen, über die außer den Namen von einigen wenigen bereits früher politisch aktiven Gründungsmitgliedern wenig bekannt ist. Lediglich Bütün Kyrgyzstan ist eine der älteren Parteien des Landes mit dem Wählerpotential vor allem im Süden des Landes. Yiman Nuru ist von religiösen Gruppen dominiert und nutzte auch die Moscheen für ihren Wahlkampf. Welche parlamentarischen Mehrheitskoalitionen sich hier nun ergeben werden, darüber kann heute nur spekuliert werden. Wichtig hierbei wird auch die Position der teils parteilosen 36 einzeln gewählten neuen Parlamentarier sein.

Internationale Wahlbeobachter bei den Parlamentswahlen, unter ihnen auch Dr. Max Georg Meier, Projektleiter der HSS in Zentralasien.

Internationale Wahlbeobachter bei den Parlamentswahlen, unter ihnen auch Dr. Max Georg Meier, Projektleiter der HSS in Zentralasien.

HSS Zentralasien

Schlussfolgerungen

  • Der Trend, dass immer weniger kirgisische Wähler zu Wahlen gehen, hat sich auch dieses Mal fortgesetzt. Waren es bei den später annullierten Parlamentswahlen vom 4. Oktober 2020 noch 56,2 Prozent der Wahlberechtigten, fiel die Wahlbeteiligung bei den neuerlichen Parlamentswahlen vom 28. November 2021 auf unter 35 Prozent. Dies sollte die politische Führung des Landes alarmieren, da sie nichts anderes als ein Ausdruck von Unzufriedenheit des Bürgers mit dem Wirken der politischen Elite im Lande ist. Deutlich wird dies auch in den 36 Einzelwahlkreisen, in denen die Wählerinnen und Wähler auch die Möglichkeit hatten, die Rubrik „Gegen alle Kandidaten!“ anzukreuzen. Diese erhielt hohen Zuspruch, ja erhielt sogar in zwei Wahlkreisen den höchsten Stimmanteil.
  • Der Frauenanteil im neuen kirgisischen Parlament wird leider fallen, da sich in den Einzel-Wahlkreisen keine einzige Frau als Siegerin durchsetzen konnte. Lediglich von den Parteienlisten werden, wie früher, auch vom neuen Wahlgesetz garantiert 30 Prozent weibliche Abgeordnete ihre Arbeit aufnehmen können.
  • Es ist zu hoffen, dass sich mit der Etablierung des neuen Parlaments auch wieder eine aktive konstruktive politische Opposition im Lande ergeben wird. Die kirgisische Demokratie braucht dieses Korrektur-Instrument dringend, da der Präsident in den vergangenen Monaten ohne großen politischen Widerstand mehr oder weniger durchregieren konnte, was auch des Öfteren zu umstrittenen Entscheidungen in der Gesetzgebung oder bei der Reorganisation der landesweiten öffentlichen und kommunalen Verwaltung führte.
  • Parteienfinanzierung ist weiterhin ein „Grau-Bereich“, der in Kirgisistan gesetzlich nicht ausreichend geregelt ist. Politische Parteien erhalten keinerlei staatliche Unterstützung und sind dadurch auf (leider nur geringe) Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen. Dies führte auch bei dieser Wahl dazu, dass vor allem im Süden des Landes bekannte alteingesessene Familien mit ihren breiten finanziellen Möglichkeiten ihren Kandidaten zum Sieg verhelfen konnten.     

Autor: Dr. Max Georg Meier, Hanns-Seidel-Stiftung, Projektleiter Zentralasien.Der Autor nahm an den Parlamentswahlen als internationaler Wahlbeobachter teil. 

Nordost- und Zentralasien
Veronika Eichinger
Leiterin
Kirgisistan
Dr. Max Georg Meier
Projektleiter Zentralasien