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Die kroatische Ratspräsidentschaft
Eine EU-Beitrittsperspektive für den Westbalkan?

Autor: Angela Ostlender

Das jüngste EU-Mitglied Kroatien übernimmt im ersten Halbjahr 2020 erstmals den EU-Ratsvorsitz und setzt ambitionierte Ziele für die Weiterentwicklung in Südosteuropa.

● Südosteuropa

● Westbalkangipfel im Mai 2020

● EU- Erweiterungsprozess

20 Jahre nach dem 1. EU-Westbalkan-Gipfel (damals EU15) sehen sich die westlichen Balkanstaaten immer noch mit politischer Instabilität, schwachen Institutionen und Korruption konfrontiert. Trotz der auf dem Spitzentreffen im Jahre 2003 in Thessaloniki ausdrücklich erklärten Beitrittsperspektive für alle westlichen Balkanländer wurden bisher nur Slowenien und Kroatien EU-Mitglieder. Und die Perspektive der anderen Staaten erschütterte jüngst das Nein einer Gruppe von EU-Mitgliedern um Frankreich. Es wird befürchtet, dass dieser Rückzug die wachsende Instabilität der Region verstärken könnte und politischen Kräften, deren Aktionen möglicherweise nicht im Einklang mit den Werten und Interessen der EU stehen, die Zusammenarbeit mit dem westlichen Balkan erleichtert.

Kroatien hat vom 1. Januar bis Ende Juni 2020 die EU-Ratspräsidentschaft inne. Im Jahre 2013 ist das Land der EU beigetreten und damit jüngstes Mitglied. Es sieht sich als Stabilitätsanker in der Region. Daher ist verständlich, dass die kroatische Regierung großen Wert auf die Annäherung des Westbalkans an die EU legt.
Jetzt stellte Kroatien sein Programm in Brüssel vor.

Ganz im Einklang mit den Prioritäten der „von der Leyen EU-Kommission“ will sich die kroatische Präsidentschaft besonders für vier Bereiche einsetzen:

  • Ein Europa, das sich entwickelt
  • Ein Europa, das verbindet
  • Ein Europa, das schützt
  • Ein Europa, das einflussreich ist

Kroatien will die sechs Monate seiner Ratspräsidentschaft auch intensiv dazu nutzen, das Wohlergehen und die Stabilität in seiner unmittelbaren Nachbarschaft in Südosteuropa zu fördern. Ein Westbalkangipfel, der im Mai 2020 in Zagreb stattfinden wird, wird daher auch ein Höhepunkt der kroatischen EU-Ratspräsidentschaft sein.

Expertentagung in Brüssel

Am 21. Januar 2020 fand in der Bayerischen Vertretung in Brüssel eine Kooperationsveranstaltung des Europa-Büros der Hanns-Seidel-Stiftung mit der EVP-Denkfabrik „Wilfried Martens Centre for European Studies“ statt. Das Thema lautete: „Kroatien vor dem Westbalkangipfel: Stabilität als Schlüsselfaktor für die Entwicklung der Region“.

Zu den Sprechern der Konferenz zählten Katrin Staffler, MdB, Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und Berichterstatterin der CDU/CSU-Fraktion für die EU-Erweiterungspolitik; Željana Zovko, MdEP Mitglied in der Delegation für die Beziehungen zu Bosnien und Herzegowina und dem Kosovo des Europäischen Parlaments; Pierre Benazet, Journalist, Radio France sowie Goran Šaravanja, Ökonom, Autor und Direktor des IMELUM Research Institute, Zagreb. Moderiert wurde die Diskussionsrunde durch Dr. Nikolaos Tzifakis, Leiter des Instituts für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen, Universität des Peloponnes und Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Martens Center Wilfried Martens Centre for European Studies (WMCES).

Katrin Staffler, MdB, argumentierte, dass wir aus Fehlern der Vergangenheit lernen und den Beitrittsprozess dynamischer gestalten müssten

Katrin Staffler, MdB, argumentierte, dass wir aus Fehlern der Vergangenheit lernen und den Beitrittsprozess dynamischer gestalten müssten

HSS Brüssel

Der Erweiterungsprozess als Motor für die Stabilisierung des westlichen Balkans - Schlussfolgerungen und Thesen der Fachkonferenz

Am Beispiel der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung Kroatiens werden die positiven Auswirkungen des EU-Beitritts auf die Stabilität und allgemeine Situation des Landes deutlich. Die Reformdynamik wurde verstärkt, in vielen Bereichen wirkte der Beitritt wie ein Katalysator. „Es geht nicht nur ums Geld, sondern um die vielfältige Wirkung, die sich dadurch in den verschiedensten Bereichen entfalten konnte“, argumentiert Goran Šaravanja, Leiter des IMELUM Research Institute, Zagreb. Der Institutsleiter belegt eindrücklich die positive wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Entwicklungsgeschichte Kroatiens seit seinem EU-Beitritt und setzt sich dafür ein, dass die Erfolgsgeschichte Kroatiens als Beispiel für die anderen Balkanstaaten dienen kann. 

Der Entschluss zur Nichteröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien kann sich dagegen nicht nur negativ auf die Entwicklung der beiden Staaten, sondern auch auf die Glaubwürdigkeit der EU auswirken. Besonders die Jugend hegt in der Region hohe Erwartungen an den EU-Beitritt. Ohne klare Perspektive für die Zukunft in der Heimat könnte auch die Auswanderungsmotivation weiter anwachsen.

Aufgrund seiner ethnischen Komplexität bildet Bosnien-Herzegowina einen Sonderfall. Zu Beginn der Verhandlungen sollte es einen einheitlichen Ansatz für alle Länder geben, erinnert die aus Bosnien-Herzegowina stammende kroatische Europaabgeordnete Željana Zovko. Doch ohne eine nachhaltige Lösung für Bosnien-Herzegowina, welche die Bedürfnisse und Interessen aller Gemeinschaften und Ethnien berücksichtigt, gebe es auch keine Perspektive für die anderen Länder. Das Land habe viel durchgemacht. Es könne nur eine europäische Lösung wirklich zur Stabilisierung der Region beitragen, so die ehemalige Botschafterin mit sowohl kroatischer als auch bosnisch-herzegowinischer Staatsbürgerschaft.  

Željana Zovko, MdEP, betonte: „Ohne europäische Lösung gibt es keine Lösung zur Sicherung der Stabilität in den westlichen Balkanstaaten.“

Željana Zovko, MdEP, betonte: „Ohne europäische Lösung gibt es keine Lösung zur Sicherung der Stabilität in den westlichen Balkanstaaten.“

HSS Brüssel

Bringt das Jahr 2020 den Durchbruch für den Beitrittsprozess der westlichen Balkanstaaten?

Der Radio-France Reporter Pierre Benazet sieht im französischen Veto vor allem die Bestrebung Frankreichs, die französischen Ideen im Hinblick auf die Reform der EU voranzutreiben und die französische Einflussnahme auf die Ergebnisse der Konferenz über die Zukunft der EU, die ebenfalls im Laufe des ersten Halbjahres 2020 beginnt, wirksam geltend zu machen. Frankreich habe sich in der Vergangenheit stets als Initiator einer positiven Entwicklung auf dem Balkan verstanden. Auch heute sieht Benazet keinerlei Anzeichen dafür, dass das französische Außenministerium seinen Blick vom westlichen Balkan abwendet. Das französische Ideenpapier zur Reform des EU-Erweiterungsprozesses habe auch eine positive Wirkung, indem es Schwachstellen deutlich benenne. Es bestehe daher die Hoffnung, dass wieder neuer Schwung in die Verhandlungen komme und sich im Laufe des Jahres alles zum Guten wende. Benazet bekräftigte, dass Frankreich zweifellos an der Stabilisierung der Region interessiert sei: „Dies ist die Region, in der Europa wirklich etwas bewirken kann und in der Europa erfolgreich sein muss!“

Auch für die Berichterstatterin der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag für die EU-Erweiterungspolitik, die Abgeordnete Katrin Staffler, ist durch die Blockade etwas in Gang gekommen. Ein Thema eine alle Mitgliedstaaten, so Staffler: „Wir müssen weiter am Aufnahmeprozess arbeiten und die aktuelle Diskussion nutzen, um weiterzukommen. Der Prozess muss unbedingt dynamischer werden“, sagt die Bundestagsabgeordnete aus Dachau. Für Deutschland sei vor allem die Frage wichtig, wie mit Nordmazedonien und Albanien umgegangen werde, unabhängig vom Gesamtprozess, damit die Unterschiede nicht wüchsen.   

Dennoch sind Anstrengungen und weitere Schritte erforderlich im Kampf gegen Korruption, bei der Errichtung eines funktionierenden Rechtsstaatssystems und bei der Schaffung eines unabhängigen Justizsystems.

Fazit

Auf dem EU-Westbalkan-Gipfel in Zagreb liegen große Hoffnungen. Die kroatische EU-Ratspräsidentschaft will diese Chance im Mai 2020 nutzen, um den Erweiterungsprozess als einen der wirksamsten politischen Instrumente der Europäischen Union zur Stabilisierung der westlichen Balkanstaaten neu zu beleben.

Leiter Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog

Dr. Wolf Krug
Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter