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Tschechien
Regional- und Senatswahlen

Babišs ANO bleibt stark trotz Verlusten – aber ohne Partner !

Starke bürgerliche Opposition – naht das Ende der Zersplitterung?

  • Wo und wer wurde gewählt?
  • Regionalwahlen
  • Voraussichtliche Hauptmänner
  • Senatswahlen
  • Bürgerliche Oppostion stark in der Zweiten Kammer
  • Ausblick auf die Parlamentswahlen 2021

Am 2. und 3. Oktober, also traditionell an zwei Tagen, waren die Bürgerinnen und Bürger Tschechiens zu den einzigen Wahlen im Jahr 2020 aufgerufen – selbstverständlich unter strengen Hygiene-Regeln; für Wahlberechtigte, die in Quarantäne sind, wurden „Drive-in-Wahllokale“ eingerichtet.

Die tschechische Flagge vor einem Torbogen

Schon vor den Senatswahlen war klar, dass sich an den Kräfteverhältnissen im Oberhaus kaum etwas ändern wird.

Konoplytska; ©HSS; IStock

Wo und wer wurde gewählt?

Gewählt wurden die Regionalparlamente in ganz Tschechien (außer Prag). Das Land ist nach der „Samtenen Revolution“ im Winter 1989 in 14 Regionen aufgeteilt worden. Die Hauptstadt Prag hat dabei sowohl kommunalen als auch regionalen Status, weshalb dort an diesem Wochenende nicht abgestimmt wurde. Die Regionalwahlen finden alle vier Jahre statt.  Der Chef der Regionalregierung, der „hejtman“ (Hauptmann) wird dabei nicht direkt gewählt, sondern von der Partei gestellt, die eine Mehrheit im Regionalparlament zustandebringt.

Darüber hinaus fanden Teilwahlen zum Senat, der oberen Kammer des Parlaments statt. In 27 von insgesamt 81 Senatswahlkreisen, also einem Drittel, wurden die Senatoren neu gewählt. Die Amtszeit eines Senators beträgt sechs Jahre und alle zwei Jahre wird ein Drittel der Senatssitze neu vergeben. Bei diesen direkten Wahlen muss ein Bewerber über 50% der Stimmen auf sich vereinen. Im ersten Wahlgang gelang dies nur einem Kandidaten, Zbyněk Linhart von der Bürgermeisterbewegung STAN, der mit 52,7% seinen Senatswahlkreis Děčín (Tetschen) in Nordböhmen verteidigte. In allen anderen Wahlkreisen fanden am 9. und 10. Oktober Stichwahlen statt. 

Der bisherige Senatsvorsitzende, nach der Verfassung das zweithöchste Amt im Staate, Miloš Vystricil (ODS), erlangte durch seine weltweit beachtete offizielle Reise nach Taiwan große Popularität in Tschechien, wenngleich ihn sowohl der tschechische Staatspräsident als auch China heftig dafür kritisierten. Schon vor den diesjährigen Senatswahlen war klar, dass sich an den Kräfteverhältnissen im Oberhaus kaum etwas ändern wird. Die linkspopulistische ANO-Partei von Premier Babiš hatte schon 2018 mit dem Direktwahlsystem und der Persönlichkeitswahl große Schwierigkeiten. Aus diesem Grund hat Babiš die Senatswahlen im Grunde schon mit der Listenaufstellung aufgegeben – in einem Drittel der Wahlkreise (!) stellte die Regierungspartei nicht einmal einen Kandidaten auf. Auch den schon länger schwächelnden Sozialdemokraten (ČSSD) wurden in den Senatswahlen kaum Chancen eingeräumt. Spannender war deshalb der Ausgang der Regionalwahlen, von denen man sich Tendenzen für die im nächsten Jahr stattfindende Wahl zum Abgeordnetenhaus erhoffte.

Regionalwahlen

Zu den Aufgaben der Regionen gehören besipielsweise das Gesundheitswesen (Bezirkskrankenhäuser) (in Zeiten von Covid-19 im Wahlkampf natürlich besonders wichtig), Infrastruktur und Verkehr (Bezirksstraßen und regionaler ÖPNV), Wirtschafts- und Regionalförderung oder auch die konkrete Verteilung der Gelder aus gesamtstaatlichen Förderprgrammen an die Städte und Gemeinden.

Bei den Regionalwahlen vor vier Jahren hatte Babišs ANO in neun von 13 Regionen die meisten Stimmen geholt, in den anderen vier wurden sie Zweiter. Nach den Koalitionsverhandlungen stellten sie aber in nur fünf Regionen den Hauptmann. Fünf Hauptmänner stellte die sozialdemokratische ČSSD, einen (in der Reichenberger Region) die „Bürgermeister für die Reichenberger Region“, einen (in ihrer südostmährischen Bastion, der Zliner Region) die christdemokratische KDU-ČSL und einen (in der nordböhmischen Aussiger Region) auch die Kommunisten (KSČM).

Die Wahlbeteiligung lag heuer bei 37,9%. Dies mag nach wenig klingen, doch zu den Regionalwahlen vor vier Jahren waren nur 34,7% der Wahlberechtigten gekommen. Angesichts der Corona-Pandemie, aufgrund derer einige ältere Menschen wohl lieber daheim blieben, überraschte diese relativ hohe Wahlbeteiligung.

Bei dieser Regionalwahl konnte ANO zwar prozentual in zehn Regionen den ersten Platz erreichen (wenn auch in drei Regionen mit einem sehr knappen Vorsprung). Auf das gesamte Land hochgerechnet blieb der Gesamtstimmenanteil aber nahezu gleich (21,8% zu 21% 2016). Erstaunlich ist dies, weil viele Beobachter mit einem stärkeren „Denkzettel“ für die Babiš-Regierung gerechnet haben angesichts des katastrophalen Corona-Managements. Im Frühjahr noch „Musterschüler“ des Anti-Covid-Kampfes und im Laufe des Septembers wurde Tschechien europaweit Hotspot der Pandemie. Am Montag vor den Wahlen tauschte Babiš noch schnell Gesundheitsminister Adam Vojtěch gegen den Hardliner Roman Prymula aus – wohl ein Signal an die Bürger, nun doch energischer gegen Covid vorgehen zu wollen.

Im Vergleich zum Ergebnis bei den Parlamentswahlen von 2017 (29,6%) und allen darauf folgenden Umfragen (häufig über 30%) fuhr ANO jedoch ein schlechtes Ergebnis ein.

Am schwersten wiegt jedoch, dass die ANO in einigen Region zwar die meisten Stimmen holte, jedoch kaum Koalitionspartner in Sicht sind, denn die bisherigen Partner auf gesamtstaatlicher Ebene, die koalierende ČSSD und die tolerierende KSČM, erlebten ein erneutes Wahldebakel.

Einen Erfolg feierte die Piratenpartei. Die schwer zu definierende Partei, die 2017 das erste Mal ins Abgeordnetenhaus einzog, hatte bei den letzten Regionalwahlen gerade einmal 5 Mandate in den Regionalparlamenten erreicht. Während die tschechische Piratenpartei in Brüssel mit den Grünen in der Fraktion zusammenarbeitet, gibt sich die Piratenpartei in der Tschechischen Republik viel bodenständiger und wenig ökologisch. Dieses Mal holten die Piraten insgesamt 99 Sitze. Hier zeigt sich, dass die die Piraten nicht nur ein Prager Phänomen geblieben sind, sondern auch landesweit als neue linke Oppostion gesehen wird.

Grund zum Feiern hatte die sogenannte „Bürgermeister-Bewegung“ STAN. Diese Gruppierung mit erfolgreichen Kommunalpoltikern ist auch als Oppostion im Parlament vertreten, sie ähneln frappierend den Freien Wählern in Bayern, zu denen sie bereits Kontakte geknüpft haben. In der Reichenberger Region gewannen sie zum dritten Mal in Folge mit ihrem beliebten Hauptmann Martin Půta. Sie erreichten 38,5%. Auch in den weiteren Regionen konnten sie in verschiedenen Wahlbündnissen gute Resultate erzielen und an Mandaten zulegen. In der Mittelböhmischen Region beispielsweise siegten sie (gemeinsam mit einigen Kandidaten der KDU-ČSL auf ihrer Liste) mit 22,2%. Die STAN-Listenführerin Petra Pecková wird voraussichztlich die von Affären verfolgte Hauptfrau Jaroslava Pokorná Jermanová (ANO) ablösen.

Die Christdemokraten (KDU-ČSL) sind nun in fast allen Regionen mit Mandaten vertreten. Jedoch verloren sie in ihrer Hochburg, der südostmährischen Zlíner Region den Platz eins an die ANO und damit ihren bekannten Hauptmann Jiří Čunek. Unter Čuneks Regierung hatte es dort in den letzten Jahren Streitigkeiten um das Großbauprojekt eines neuen Bezirkskrankenhauses gegeben. Stattdessen werden sie in der Südmährischen Region mit Jan Grolich einen neuen Hauptmann stellen.

Die Bürgerdemokraten der ODS arbeiteten bei diesen Regionalwahlen vor allem mit der TOP 09 zusammen. Gemeinsam kamen sie in der Pilsner Region auf 21,2% und landeten damit nur knapp hinter der ANO. Eine Koalition ohne ANO ist wohl ausgemacht. Platz eins mit einem Ergebnis von 23,5% erlangte die ODS im Wahlbündnis mit STAN in der Königgrätzer Region und hat auch dort beste Chancen auf den Hauptmannsposten.

Drei Parteivorsitzende prosten sich zu, während sie in die Kamera lächeln.

Hoffnung auf ein Ende der Zersplitterung des bürgerlichen Lagers: Bei den diesjährigen Regionalwahlen kandidierten die tschechischen Mitte-Rechts-Parteien in vielen Regionen mit gemeinsamen Wahlbündnissen - und erreichten starke Ergebnisse. Noch am Wahlabend trafen sich die Parteivorsitzenden Petr Fiala (Links im Bild, ODS), Markéta Pekarová Adamová (TOP 09) und Marián Jurečka (rechts im Bild, KDU-ČSL), um das weitere Vorgehen zu besprechen. Und tatsächlich unterschrieben sie am 27. Oktober 2020 ein Memorandum über den Willen der drei Parteien, bei den tschechischen Parlamentswahlen im Herbst 2021 gemeinsam zu kandidieren.

Top 09

Wie bereits erwähnt erlebten ČSSD und KSČM ein erneutes Wahldebakel. Den einzigen Erfolg feierte die ČSSD in der Pardubitzer Region mit dem Amtsinhaber Martin Netolický. Mit 14,7% wurden sie Zweiter hinter ANO, können sich aber erneut Hoffnungen auf das Amt des Hauptmanns machen. Dabei waren die Sozialdemokraten gemeinsam mit einem regionalen Subjekt „Für eine prosperierende Pardubitzer Region“ angetreten und hatten den Parteinamen ČSSD in der Wahlwerbung zur Sicherheit weggelassen.

Das interessanteste Phänomen bei diesen Regionalwahlen waren insgesamt gesehen die Wahlkoalitionen. Hier scheinen sich zwei Blöcke zu bilden: Ein bürgerlich-konservativer mit ODS, TOP 09 und KDU-ČSL sowie ein eher linksliberaler mit Piratenpartei und STAN. Letztere hatten bei diesen Wahlen in der Olmützer Region zum ersten Mal eine gemeinsame Liste gestellt und mit 19,5% den zweiten Platz geholt. Dabei war die STAN, am ehesten mit den Freien Wählern in Bayern zu vergleichen sind, lange eher zu den Mitte-Rechts-Parteien gezählt worden. Nun scheint es hier jedoch eine Absetzbewegung weg vom bürgerlichen Lager zu geben.

Voraussichtliche Hauptmänner:

Nach den Regionalwahlen fanden in den meisten der „kraje“ komplizierte Koalitionsverhandlungenstatt. Dadurch dass die Prager Parlamentsparteien in vielen Regionen in Form von gemeinsamen Listen mit kleineren regionalen Subjekten in die Wahlen gegangen sind, ergeben sich relativ bunte Koalitionen. Vierer- oder Fünferkoalitionen, wobei sich diese vier oder fünf Listen eben oft noch in mehrere Subjekte unterteilen, sind keine Seltenheit.

Dabei müssen die Parteien zunächst eine Koalition finden, die im Regionalparlament, der „Vertretung der Region“ (zastupitelstvo kraje), eine Mehrheit hat. Die stärkste Partei der Koalition stellt dabei natürlicherweise den Hauptmann. Innerhalb dieser Koalition müssen sich die Parteien darauf einigen, wie sich der „Rat der Region“ (Rada kraje) zusammensetzt. Ein „Regionalrat“ (radní kraje) ist wie ein Minister einer Landesregierung für einen bestimmten Bereich zuständig. (D.h. also, dass ein „Regionalrat/radní kraje“ eine höhere Position hat als der gleichlautende „Bezirksrat“ im Deutschen; einem „Bezirksrat“ entspricht ein „Vertreter der Region/zastupitel kraje“.)

Die Koalitionsverhandlungen sind zwar noch nicht überall abgeschlossen, es kann aber davon ausgegangen werden, dass die ODS die meisten Hauptmänner stellen wird. In den vier Regionen Pilsen, Südböhmen, Königgrätz und Vysočina werden die Bürgerdemokraten die Regionalregierung anführen. Die ANO scheint drei Hauptmänner sicher zu haben: In der Mährisch-Schlesischen Region wird Ivo Vondrák seinen Posten verteidigen, neue ANO-Hauptmänner wird es wohl in den Regionen Aussig und Zlín geben. STAN wird ebenfalls drei Hauptmannsposten erhalten, in den Regionen Reichenberg, Mittelböhmen und Olmütz.Die ČSSD wird nach ihrem miserablen Abschneiden in den Regionalwahlen statt fünf Hautmännern nur noch einen haben, in der Pardubitzer Region. Die KDU-ČSL verliert ihren Hauptmannsposten in der Zliner Region, gewinnt aber dafür den in der Südböhmischen Region. Neuer Hauptmann wird dort der 36-jährige studierte Rechtsanwalt Jan Grolich, der seit 2010 Bürgermeister der Gemeinde Velatice ist. Mit seinem jugendlich-dynamischen Auftreten konnte er viele Sympathien für die KDU-ČSL gewinnen. Ein wichtiges Anliegen ist ihm der Umweltschutz; im September war er auch Referent auf einer Veranstaltung zu nachhaltiger Entwicklung, die von den Jungen Volksparteilern und der Hanns-Seidel-Stiftung organisiert wurde.

In der an Oberfranken angrenzenden Karlsbader Region herrscht dagegen eine Pattsituation und es ist noch unklar, wer dort regieren wird.

Senatswahlen

Auch bei den Senatswahlen einigten sich in vielen Wahlbezirken mehrere Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten. Große Kritik mussten dabei die ODS und die TOP 09 über sich ergehen lassen, da sie in zwei Prager Senatswahlkreisen die bekannten Persönlichkeiten Miroslava Němcová und Michal Žantovský gegen die beliebten amtierenden Senatoren Václav Hampl und Václav Láska (beide von der KDU-ČSL unterstützt) aufstellten. Häufig wurde bei dieser Kritik die Frage gestellt, warum diese Bewerber mit hohem Bekanntheitsgrad nicht in einem Wahlkreis außerhalb Prags kandidierten. Láska konnte letztendlich sein Mandat verteidigen. Václav Hampl, ehemaliger Rektor der Karlsuniversität, wurde dagegen von Miroslava Němcová, ehemalige Parlamentspräsidentin und Grande Dame der ODS, aus dem Senat verdrängt.

Von 27 neu zu vergebenen Senatsposten holten ANO, ČSSD und die Tolerierungspartei KSČM nur einen einzigen! Ondřej Feber holte den Stimmkreis Karviná in der Mährisch-Schlesischen Region, in der die ANO bei den Regionalwahlen auch ihren Hauptmann verteidigte.

Bürgerliche Oppostion stark in der Zweiten Kammer

In 27 der 81 Senatswahlkreise wurden die Senatsmandate neu vergeben. Einen deutlichen Zugewinn feierte die Bewegung STAN (Bürgermeister und Unabhängige) mit zehn neuen Senatoren, vor allem in ländlichen Gegenden. Die bürgerlichen Parteien konnten bei diesen Senatswahlen erfreuliche Erfolge feiern: An zweiter Stelle ist die ODS mit fünf siegreichen Kandidaten, vier davon in Wahlkreisen in den Großstädten Pilsen (Lumír Aschenbrenner), Prag (Miroslava Němcová), Brünn (Roman Kraus) und Ostrau (Ondřej Šimetka) (außerdem Tomáš Fiala im westböhmischen Strakonice). Die KDU-ČSL holt drei Mandate, alle in Mähren, wo die Volkspartei traditionell stark verwurzelt ist: Josef Klement wurde Senator für Žďár nad Sázavou, für Přerov Jitka Seitlová und Josef Bazala für das südostmährische Uherské Hradiště. Dadurch gibt es für die KDU-ČSL in der Zlíner Region zumindest einen positiven Abschluss der diesjährigen Wahlen, nachdem sie dort am Wochenende zuvor in den Regionalwahlen den Hauptmannsposten Jiří Čuneks verloren hat. Die TOP 09 konnte die Anzahl ihrer Senatoren verdoppeln. Zu den bisherigen Senatsmitgliedern Tomáš Czernin und Herbertu Paverovi stoßen neu hinzu: Der Bürgermeister von Moravský Krumlov Tomáš Třetina für den südmährischen Stimmkreis Znojmo und Jan Grulich für das ostböhmische Rychnov nad Kněžnou. Diese Erfolge in ländlichen Gegenden überraschen, da die TOP 09 zumeist als eine Großstadtpartei angesehen wird.

Die Wahlbeteiligung ist bei der zweiten Runde der Senatswahlen traditionell sehr niedrig, aber mit 16,74% etwas höher als bei der letzten Senatswahl. Und wenn so wenige Menschen abstimmen, hat eine einzelne Stimme einen großen Wert, wie sich in zwei Wahlkreisen mit extrem knappen Ausgang zeigte: Im an Niederbayern angrenzenden Stimmbezirk Strakonice im Böhmerwald siegte Tomáš Fiala (ODS) mit nur 45 Stimmen Vorsprung vor Luboš Peterka, der für die KDU-ČSL kandidierte. Im mährischen Výškov hatte Karel Zitterbart (STAN) nur ganze 27 Stimmen mehr als sein Kontrahent Jaroslav Klaška von der KDU-ČSL (in Prozentzahlen: 50,08% vs. 49,92%). Ein sehr unglücklicher Ausgang für die Christdemokraten also, die beinahe um zwei Senatoren mehr gehabt hätten. Zu einer Neuauszählung der Wahlkreise soll es dabei nicht kommen.

Insgesamt hat sich nach der zweiten Runde der Senatswahlen die Erwartung bestätigt, dass die Oppositionsparteien aus dem Abgeordnetenhaus ihre Position in der oberen Kammer festigen und ausbauen. Die Regierungsparteien haben zusammen nur noch neun von den insgesamt 81 Senatoren. Sechs davon hat die ANO. Die ČSSD hatte bei diesen Senatswahlen 10 Stimmkreise zu verteidigen und diese allesamt verloren; unter anderem konnte Milan Štěch, der seit der Gründung des tschechischen Senats 1996 den Stimmkreis Pelhřimov vertrat und acht Jahre lang Senatspräsident war, nicht mehr in die obere Parlamentskammer einziehen. Mit nunmehr nur noch drei Mandaten haben die Sozialdemokraten sogar ihren Franktionsstatus im Senat eingebüßt. Die Kommunisten haben schon seit 2018 keinen Senator mehr.

Der tschechische Senat, der nun zu einem Drittel neu besetzt ist, wird sich bis Ende Oktober konstituieren. Die endgültige Zusammensetzung hängt davon ab, welchen Fraktionen sich unabhängige Kandidaten und Vertreter kleinerer Subjekte anschließen. Nach dem Ende der zweiten Runde schienen die Bürgerdemokraten der ODS ihre Rolle als stärkste Fraktion an STAN verlieren. Diese Rolle ist vor allem deshalb von Bedeutung, da die stärkste Fraktion traditionell den Senatspräsidenten stellt.

Letztendlich kann die ODS jedoch ihre führende Position behaupten. Denn die TOP 09 entschied sich, die Fraktionsgemeinschaft mit STAN zu verlassen und stattdessen mit den Bürgerdemokraten zusammen zu gehen. Für eine eigene Fraktion sind fünf Vertreter erforderlich, mit ihren vier Senatoren ist die TOP 09 dafür zu schwach. Der neue Parlamentsklub wird den Namen ODS-TOP 09 tragen. Fraktionsvorsitzender wird Zdeněk Nytra (ODS), Erster Stellvertreter Tomáš Czernin (TOP 09). Einschließlich eines weiteren Senators einer Kleinpartei (Jaroslav Chalupský für Svobodní -Freiheitliche-, der mit der Fraktion in Gesprächen steht, kann die ODS-TOP 09-Fraktion damit 25 - 26 Senatoren des 81 Mitglieder umfassenden Oberhauses auf sich vereinen. Die STAN-Fraktion kommt voraussichtlich auf 24 Senatoren.

STAN-Vorsitzender Vít Rakušan kommentierte den Abschied der TOP 09-Senatoren folgerndermaßen: „Die gesamtstaatliche Politik und neue Kooperationen führten sie in die Fraktion der ODS.“ Damit spielt er auf die Wahlkoalitionen für die Parlamentswahlen 2021 an, über die aktuell Gespräche geführt werden: Dabei scheint sich die TOP 09 (sowie die KDU-ČSL) mit der ODS zu einem konservativen Block zusammenzufinden; die STAN verhandelt dagegen über einen gemeinsame Liste mit den Piraten.

Außerdem versprach Rakušan, dass STAN den bisherigen Senatspräsidenten Miloš Vystrčil (ODS) bei seiner Wiederwahl unterstützen wird; auch die KDU-ČSL-Senatoren kündigten dies an. Damit ist für Vystrčil, der sich durch seine mutige Reise auf das von China bedrohte Taiwan Ende August großen Respekt erworben hat, der Weg zu einer weiteren Amtszeit frei.  

Die Senatsfraktion der KDU-ČSL verkleinert sich von 15 auf nun 12 Mitglieder; damit bleibt sie jedoch weiterhin drittstärkste Fraktion im Oberhaus des Parlaments.

Voraussichtliche Fraktionsstärken im tschechischen Senat 2020 – 2022 im Überblick (insg. 81 Senatoren):

  • ODS-TOP 09:    26
  • STAN:                 24
  • KDU-ČSL:         12
  • Senator 21:      8
  • ANO:                  6
  • ČSSD:                3
  • Piraten             2

Ausblick auf die Parlamentswahlen 2021

Die Regionalwahlen bieten sicherlich einige Fingerzeige auf die Wahlen zum Abgeordnetenhaus im kommenden Herbst. Doch sollte sich die Opposition trotz ihrer dieses Mal guten Ergebnisse nicht zu sicher sein. Denn bei Parlamentswahlen liegt die Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß um etwa 20 Prozent höher als bei Regionalwahlen (diesmal 37,9%). Und vor allem ältere Wähler blieben aus Angst vor der Corona-Pandemie heuer eher zu Hause (in Tschechien gibt es keine Briefwahl). Die Senioren zählen aber zur Hauptwählerschaft der ANO sowie auch von ČSSD und KSČM.

Hilfreich kann für Babiš jedoch sein, dass im nächsten Herbst weiterhin Miloš Zeman im Präsidentenamt sein wird. Zeman und Babiš haben, so tschechische Kommenatoren, einen „Machtpakt“ geschlossen und schützen und stützen sich gegenseitig. Wenn die ANO erwartungsgemäß nächstes Jahr erneut die meisten Stimmen holt, ist es möglich, dass Zeman den ANO-Vorsitzenden Babiš auch ohne Koalitionspartner zum Premier ernennt und ohne Mehrheit im Parlament regieren lässt. Diesen „Faktor Zeman“ gibt es bei den Koalitionsverhandlungen in den Regionen nicht. Falls sich die Oppositionsparteien also tatsächlich zu zwei Wahlbündnissen zusammenschließen, so wäre es, um Babiš als Premier abzulösen, von entscheidender Bedeutung, dass eines von ihnen auf Platz eins landet. Dann könnte auch Zeman nicht anders, als den Listenführer des Wahlsiegers mit der Regierungsbildung zu betrauen.

Andrej Babiš wiederum könnte, um sich an der Macht zu halten, bis zu den Wahlen in einem Jahr auf noch stärkeren Populismus setzen: So sind weitere soziale Geschenke an seine Wähler zu erwarten (verbunden mit weiterer Erhöhung der schon jetzt extrem hohen geplanten Neuverschuldung). Da er aber das linke Wählerpotenzial aus den Umfeld von ČSSD und KSČM schon fast ausgeschöpft hat, könnte er in Zukunft noch stärker versuchen, dem nationalistischen Lager (SPD-Partei Tomio Okamuras, Trikolora-Partei Václav Klaus´ jun.) Wähler abzujagen.

Autoren:  Martin Kastler MdEP a.D., Repräsentant der HSS in Tschechien und Christoph Mauerer, HSS, Tschechien

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