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Artikel Europa

Geostrategische Schwerpunkte der russischen Außenpolitik
Teil III: Das Verhältnis Russlands zur NATO

Russland ist wieder ein Faktor der internationalen Politik. Oft ist aber nicht deutlich, welche Ziele man im Kreml verfolgt. Das erklärt hier unser Russland-Experte Jan Dresel Punkt für Punkt: von der Ukraine bis zum Verhältnis zur NATO und zu China.

Russland hat seit dem vermeintlichen „Ende der Geschichte“ nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder globale politische Relevanz gewonnen. In Moskau leitet Jan Dresel seit 2016 das Auslandsbüro der Hanns-Seidel-Stiftung. Er sieht fünf Themen im Zentrum der aktuellen russischen Außenpolitik: Der Krieg in der Ostukraine auf der einen und das Verhältnis zur EU und der NATO auf der anderen Seite, die russische Rolle in Syrien sowie die Beziehungen zu China. In einem Vortrag vor Experten für internationale Politik und Medienvertretern in München erklärte er, wie diese fünf Themen zusammenhängen. Wir präsentieren Ihnen hier den kompletten Vortrag.

Im kalten Krieg stand sich die Welt in zwei Blöcken gegenüber: NATO und Warschauer Pakt

Julian Oster; ©3.0; Wikimedia Commons

Das Verhältnis Russland - NATO

Es ist kein Geheimnis, dass das Verhältnis Russlands zur NATO besser sein könnte und auch schon deutlich besser war als es heute ist. Im Jahr 1954, ein Jahr nach dem Tod Josip Stalins, meldete die Sowjetunion den Wunsch an, der NATO beizutreten - wenn auch unter einigen Bedingungen. Doch Bedenken des Westens, die Sowjetunion könnte das Bündnis aus dem Inneren heraus kompromittieren, führten zur Ablehnung des Beitrittswunsches der Sowjets.

Europa heute: SPanien ist der NATO beigetreten. Die Ukraine und Georgien sind interessiert.

Russland wurde für die Osterweiterung der NATO durch die sogenannte "NATO-Russland-Grundakte" 1997 sozusagen kompensiert, in der sich Russland und die NATO Friedfertigkeit versichern.

Patrickneil; ©0; Wikimedia Commons

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begannen die Russische Föderation und die NATO, eine Partnerschaft aufzubauen, um die gegenseitige Bedrohung und das allgegenwärtige Misstrauen zu überwinden. Im Jahr 1997 wurde schließlich die NATO-Russland-Grundakte ratifiziert, die Russland in gewisser Weise für die Osterweiterung der NATO kompensieren sollte. Darin verzichteten beide Vertragspartner auf die Androhung und Anwendung von Gewalt sowohl gegeneinander als auch gegen jeden anderen Staat. Zur Durchsetzung dieser Ziele wurde im Jahr 2002 der NATO-Russland-Rat gegründet, der besonders in Krisenzeiten als Forum zum Austausch und zur Konfliktlösung dienen sollte; allerdings wurde er nie zu einem beschlussfähigen Organ.

Und schon kurze Zeit nach der Gründung des NATO-Russland-Rates begann es zwischen Russland und der NATO zu kriseln. Die erste ernste Krisensituation entstand dann im Jahr 2008, als sich Russland und Georgien im Fünf-Tage-Krieg bekämpften. Die russische Regierung war unter anderem deshalb besorgt, weil Georgien der NATO beitreten wollte und vertrat ihre Interessen letztlich mit militärischen Mitteln. Das Kalkül könnte unter anderem gewesen sein, dass ungelöste Territorialkonflikte für die NATO ausreichen, um möglichen neuen Mitgliedern die Aufnahme in das Militärbündnis aus formalen Gründen zu verweigern. Nach einer kurzen Tauwetterperiode, in der Russland unter Präsident Dmitrij Medwedew ab 2010 zwischenzeitlich auf die NATO zuging, folgte im Jahr 2014 die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland. Auch hier könnte die Strategie der kontrollierten Destabilisierung dazu eingesetzt worden sein, einen ungelösten Territorialkonflikt zu schaffen, so dass der Ukraine allein schon aus formalen Gründen die Aufnahme in die NATO verweigert werden müsste.

Ein freundlich blickender Mann an einem Schreibtisch mit dem Füller in der Hand. An der Wand hinter ihm eine große Weltkarte, auf der Russland hervorgehoben ist.

Jan Dresel, Russlandexperte und Leiter des HSS-Auslandsbüros in Moskau.

HSS

Jan Dresel leitet seit Ende 2016 das Auslandsbüro Moskau der Hanns-Seidel-Stiftung. Davor war er 13 Jahre Jahre lang für privatwirtschaftliche Unternehmen insbesondere auf den europäischen Märkten und in Russland tätig. Neben anderen Führungsaufgaben in Vertrieb und Marketing war er dafür verantwortlich, weltweite Netze von Handelsvertretern und Distributoren aufzubauen und Vertragsverhandlungen mit Kunden und Lieferanten erfolgreich abzuschließen. Nach zehn Jahren in Italien traf er 2014 die Entscheidung, seine umfassende internationale Erfahrung in Moskau zu nutzen, wo er von Anfang 2015 bis Ende 2016 das German Desk einer russischen Wirtschaftskanzlei leitete. Als Vertreter der Hanns-Seidel-Stiftung in der Russischen Föderation setzt er heute alles daran, einer weiteren Entfremdung zwischen Deutschland und Russland entgegenzuwirken und trotz der schwierigen politischen Lage hochrangige Politiker, Wissenschaftler und Nachwuchskräfte aus beiden Ländern miteinander ins Gespräch zu bringen.

Seit einigen Jahren finden inzwischen wieder Treffen zwischen Vertretern Russlands und der NATO statt, doch außer gegenseitigen Beschuldigungen gibt es dabei kaum Ergebnisse. Die russische Seite missbilligt die Osterweiterung der NATO und deren Verhalten im ehemaligen Jugoslawien, in Irak und in Libyen. Seitens der NATO wird auf Georgien, die Krim und den Fall Skripal hingewiesen. Um in der derzeitigen Situation die Voraussetzungen für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen NATO und Russland zu schaffen, hat die Bundesregierung in den letzten Jahren mehrfach die Einberufung des NATO-Russland-Rates beantragt. Doch im eigenen Land pflegt und kultiviert die russische Regierung das Narrativ, Russland sei von der NATO eingekreist und müsse sich dagegen verteidigen. Und auch die NATO ist derzeit nicht bereit, einen wirklich bedeutsamen Schritt auf Russland zuzugehen, der über das übliche Spiel der gegenseitigen Beschuldigungen hinausgeht. Ein solcher Schritt einer der beiden Seiten wäre aber nötig, um die derzeitige Sprachlosigkeit zwischen Russland und der NATO zu beenden.

Das bringt mich zum nächsten Punkt meiner Betrachtungen, nämlich zur Rolle Russlands in Syrien.

In Kürze setzen wir die Reihe an dieser Stelle fort.

 

Autor: Jan Dresel, Leiter des Auslandsbüros der HSS in Moskau

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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