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Die neue EU-Kommission – Themen und Köpfe
Teil I: Der Europäische Grüne Deal

Hier stellen wir die Themenbereiche vor, die Ursula Von der Leyen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit als Kommissionspräsidentin stellt und die Kommissare, die sie mit der Umsetzung betraut. Heute: „Der Europäische Grüne Deal“ mit Frans Timmermans und Virginius Sinkevicius.

Die Amtszeit der neuen EU-Kommission begann am 1. Dezember 2019. An der Spitze steht die Deutsche Ursula von der Leyen. Ihr Kommissar-Kollegium umfasst daneben 26 weitere Mitglieder. Großbritannien wollte seinen Stuhl nicht neu besetzen.

Ein Blick in einen Wald: weit auseinanderstehende Bäume mit zarten Blättern und sanftem Unterwuchs

Die vier Säulen des Grünen Deals: Ein Investitionsplan für mehr Nachhaltigkeit, der "Gerechte Übergang-Fond" etwa für den regionalen Umstieg auf erneuerbare Energieträger, die Industriepolitik und Klima- und Umweltpolitik.

Valiphotos; ©0; Pixabay

Die Präsidentin bestimmte sechs thematische Arbeitsbereiche. An der Spitze von fünf dieser Politfelder steht jeweils ein Vizepräsident. Weitere, „einfache“ Kommissare arbeiten mit den Vizepräsidenten zusammen. Das sechste Themenfeld wird im Unterschied dazu von drei Vizepräsidenten gemeinsam verantwortet, die sich nur ihrem Thema „Ein neuer Anstoß für die Europäische Demokratie“ widmen.

Die fünf Themenbereiche sind:

  • „Eine Wirtschaft, die für die Menschen arbeitet“. Geschäftsführender Vizepräsident: Valdis Dombrowskis
  • „Europäischer Grüner Deal“. Geschäftsführender Vizepräsident: Frans Timmermans. Zu diesem Themenbereich gehört zum Beispiel Virginius Sinkevicius (Ressort: „Umwelt, Ozeane und Fischerei“).
  • „Europa fit für das digitale Zeitalter“. Geschäftsführender Vizepräsident: Margrethe Vestager. Zu diesem Themenbereich gehört zum Beispiel Thierry Breton (Ressort: „Binnenmarkt“).
  • „Ein stärkeres Europa in der Welt“. Vizepräsident Josep Borrell, Hoher Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik. Zu diesem Themenbereich gehören zum Beispiel Jutta Urpilainen (Ressort: „Internationale Partnerschaften“) und Olivér Varhélyi („Nachbarschaft und Erweiterung“).
  • „Förderung unserer europäischen Lebensweise“. Vizepräsident Margaritis Schinas.

Eine der drei Kommissare, die sich dem sechsten Themenfeld „Ein neuer Anstoß für die Europäische Demokratie“ widmen, ist Vizepräsidentin Dubravka Suica. Haushaltskommissar Johannes Hahn gehört keinem dieser sechs Themenfelder an. Er berichtet direkt an die Präsidentin.

Den drei „geschäftsführenden Vizepräsidenten“ ist eine eigene Generaldirektion unterstellt. Außerdem werden sie vom Generalsekretariat der Kommission unterstützt. Sie haben die Befugnis, strategische Ziele festzulegen, anders als die weiteren Vizepräsidenten. Dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der den Themenbereich „ein stärkeres Europa in der Welt“ verantwortet, ist der Europäische Auswärtige Dienst mit seiner Zentrale und den europäischen Botschaften weltweit unterstellt. Das neue Kommissars-Kollegium setzt sich aus zwölf Frauen und 15 Männern zusammen.

Info zur Arbeitsweise:

Die EU-Verträge sehen ein hierarchisches Verhältnis zwischen den Vizepräsidenten und „einfachen“ Kommissaren nicht vor. Im schriftlichen Amtsauftrag der Präsidentin von der Leyen an Binnenmarktskommissar Thierry Breton, der den Themenbereich „Europa fit für das digitale Zeitalter“ zusammen mit Margrethe Vestager bearbeitet, heißt es: „Sie (Breton) arbeiten unter der Anleitung von Frau Vestager.“ Voraussichtlich wird die Zusammenarbeit von den jeweiligen Persönlichkeiten abhängen und sich einspielen müssen. Frans Timmermanns leitet im Übrigen die Sitzung der Kommissare, sollte von der Leyen abwesend sein. Haushaltskommissar Johannes Hahn gehört keinem dieser sechs Themenfelder an. Er berichtet direkt an die Präsidentin.

Mann mit grauem Drei-Tage Bart und randloser Brille.

Der Niederländer Frans Timmermans ist in der EU-Kommission für den "Europäischen Grünen Deal" zuständig.

Olaf Kosinsky; CC-4.0; Wikimedia Commons

Frans Timmermans: Europäischer Grüner Deal

Als geschäftsführender Vizepräsident der EU-Kommission gestaltet Frans Timmermans den „Europäischen Grünen Deal“. Der 58-jährige Niederländer wuchs als Sohn eines Diplomaten auf und bewegt sich deshalb seit Kindesbeinen im fremdsprachlichen Umfeld. Mit seinen fundierten Kenntnissen der deutschen, niederländischen, englischen, spanischen, französischen und italienischen Sprache ragt Timmermans unter den Kommissaren heraus. Zusätzlich, selbst als Diplomat im Einsatz, arbeitete er an der Botschaft der Niederlande in Moskau auf Russisch. Der Sozialdemokrat war von 2012 bis 2014 Außenminister, anschließend wechselte er nach Brüssel als EU-Kommissar für Bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen und Rechtsstaatlichkeit (2014 bis 2019).

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte das Ziel, als EU bis 2050 klimaneutral zu werden, zur Chefsache. Auch das Zwischenziel formulierte sie ambitioniert: Bis 2030 gilt bei der Reduktion von Emissionen nicht mehr die bisherige Marke von -40% auf der Basis von 1990, sondern jetzt sogar -50%. Die Präsidentin stellt den „Grünen Deal“ auf vier Säulen: erstens  den Investitionsplan für Nachhaltigkeit, zweitens den „Gerechter-Übergang-Fonds“, drittens die Industriepolitik und viertens die klassische Klima- und Umweltpolitik. Ausschließlich für diese vierte Säule ist der geschäftsführende Vizepräsident Timmermans allein verantwortlich, wobei ihm sechs Kommissare mit ihren eigenen Ressorts unterstellt sind. Direkten Zugriff hat der Niederländer auf die Generaldirektion „Klima“.

In seiner Anhörung vor dem Umweltausschuss des Europäischen Parlaments verneinte der Niederländer die Zukunft der Kohle als Rohstoff zur Stromerzeugung. Mit Blick auf besonders betroffene Länder betonte er die wichtige Rolle des „Gerechter-Übergang-Fonds. Im Transportbereich möchte er sich für emissionsfreie Autos stark machen und für umweltfreundliche öffentliche Verkehrsmittel einsetzen. Ebenso forderte er die Reduzierung von Emissionen in der Luft- und Schifffahrt. Timmermanns kündigte eine „Biodiversitäts-Strategie 2030“ an. Priorität hat für ihn darüber hinaus die nachhaltige Erzeugung von Lebensmittel. Dies gehe nicht ohne die Landwirte. Der Niederländer betonte auch die Notwendigkeit eines CO2-Zolls bei Importen in die Europäische Union, wenn der exportierende Staat die EU-Klimastandards missachtet. Auf die Frage von HSS-Vorstandsmitglied Prof. Angelika Niebler, wie Timmermans eine Deindustrialisierung verhindern wolle, sprach er sich für eine möglichst zügige Transformation aus. Die Gefahr einer Deindustrialisierung sieht er nicht, sondern vielmehr sogar Chancen für zusätzliches Wirtschaftswachstum.

Timmermans Machtfülle basiert auf der Kompetenz zur Regulierung, das heißt, er legt dem Parlament und dem Ministerrat Gesetzesinitiativen vor (ausgearbeitet von der Klima-Generaldirektion), die zum Beispiel Emissions-Grenzwerte bestimmen, aber auch Vorgaben zur Energieeffizienz machen oder den Rahmen für den Strom- und Gasmarkt festlegen. Daneben hängt vieles von seinem Geschick ab, wie er das Verhältnis mit den sechs ihm unterstellten Kommissaren gestaltet. Eine Schlüsselrolle kommt seinem Kabinettschef Diederik Samson zu. Er war selbst Politiker in Spitzenpositionen, so zum Beispiel Parteivorsitzender der niederländischen Sozialdemokraten. Samson, Atomphysiker und ehemaliger Greenpeace-Kampagnenchef, gilt als durchsetzungsstark und fachlich kompetent. Im vergangenen Jahr hatte er bei den sog. „Klimatischen“ in den Niederlanden eine zentrale Rolle. Mit ihm an der Seite hat Timmermans einen immens starken Partner. Samson wird ihn dabei unterstützen, auf der Grundlage von Zielvorgaben großen Einfluss auf die Arbeit der ihm als geschäftsführenden Vizepräsidenten sechs zugeordneten Kommissare zu nehmen. Auf den Investitionsplan für Nachhaltigkeit, den „Gerechter-Übergang-Fonds“ und die Industriepolitik hat der Niederländer nur begrenzten Einfluss. Aber auch diesen wird er ausüben, wiederum nicht zuletzt mit Unterstützung des international exzellent vernetzten Samson.

Autor: Dr. Markus Ehm

Der Litauer Virginijus Sinkevicius, EU-Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei.

Der Litauer Virginijus Sinkevicius, EU-Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei.

Europäisches Parlament; ©2.0; Wikimedia Commons

Virginijus Sinkevicius: Umwelt, die Meere und Fischerei

Der Litauer Virginijus Sinkevicius führt das Portfolio für Umwelt, Ozeane und Fischerei. Mit seinen 29 Jahren ist der bisher jüngste EU-Kommissar aller Zeiten. Sinkevicius ist Mitglied der litauischen Partei „Bund der Bauern und Grünen Litauens", welche den Schutz der Umwelt aber auch die Unterstützung für den heimischen Agrarsektor vereint, jedoch auch Mitglied der europäischen Grünen ist. Er hat in Großbritannien sowie auch in den Niederlanden studiert und blickt für sein Alter als ehemaliger Wirtschaftsminister von November 2017 bis November 2019 seines Heimatlandes Litauen und als Parlamentsabgeordneter von November 2016 bis November 2019, auf eine beachtliche Karriere.

Gemäß des „Arbeitsauftrags“, welchen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit auf den Weg gab, liegen die Schwerpunkte seiner politischen Aufgaben in folgenden Bereichen: dem Entwurf einer Strategie für Biodiversität für 2030, einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton, einem wegweisenden Beitrag Europas im Hinblick auf die Klimaneutralität 2050, einem Plan für nachhaltige Ressourcennutzung und zuletzt auch auf dem Ziel kunststofffreier Ozeane. In thematischer Hinsicht wurde dahingehend zusätzlich den folgenden Schlagbegriffen große Aufmerksamkeit zu Teil: „Der europäische grüne Deal“, „Kampf gegen die Waldrodung und für die Kreislaufwirtschaft“.

Im Rahmen seiner Anhörung vor sowohl dem Umwelt- als auch dem Fischereiausschuss erlebten die Abgeordneten einen sehr motivierten und kooperativen Anwärter für das Kommissionskollegium erleben, weshalb sich die allgemeine Grundstimmung generell auch als sehr freundlich und konstruktiv beschreiben lässt. Sinkevicius ging mehrere Male darauf ein, dass es ihm ein großes Anliegen sei, eng mit dem Europäischen Parlament zusammenarbeiten zu wollen. Er beantwortete die Fragen, auf welche er sich im Vorhinein bereits hatte vorbereiten können, stets sehr ausführlich, bedacht und sachlich. Beispielhaft hierfür ist auch sein Vorhaben, die Klima-Ziele, welche die Automobilindustrie betreffen, in enger und unterstützender Zusammenarbeit mit dieser angehen zu wollen. Das Portfolio wurde auf Druck des Parlaments umbenannt in Umwelt, Ozeane und Fischerei. Damit wurde einer Forderung nachgegeben, die von einem Teil der Abgeordneten während der Anhörung schon laut wurde: Diese wollten das Wort Fischerei im Titel des Portfolios sehen, was zuerst nicht so vorgesehen war.

Als Vertreter der Millennials sieht es Sinkevicius als seinen eigenen zusätzlichen Auftrag an, das Thema Umwelt, welches zugleich eines der bedeutendsten Themen der jungen Generation ist, zukünftig im Rahmen jeglicher wegweisenden Entscheidungen der Europäischen Kommission stets ausreichend zu berücksichtigen. In seiner Arbeit unter der Leitung des Exekutiven Vizepräsidenten Frans Timmermans wird seine politische Agenda im Allgemeinen unter dem großen Leitthema des „Europäischen grünen Deals“ geprägt sein. Virginijus Sinkevicius wird sich in den kommenden fünf Jahren also einem in viele andere Politikfelder hineinreichenden Portfolio widmen können, das im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. In diesem Sinne wird die COP15-Klimakonferenz in China ein erster Höhepunkt im kommenden Jahr sein, um als EU-Kommission beim internationalen Klimaschutz voranzugehen. Seine Nominierung kann des Weiteren als ein Zeichen für die Einbindung der jüngeren Generation interpretiert werden: Man nimmt sie ernst und überträgt ihr Verantwortung Es bleibt jedoch abzuwarten wie viel eigene Akzente Sinkevicius unter dem „starken“ Vizepräsidenten Timmermans überhaupt setzen kann. Dieser bekam ja die Führung für die Schaffung eines „Europäischen grünen Deals“ übertragen, was die Leitung und Koordinierung für alle Klima- und Umweltthemen einschließt.

Autor: Matthias Stöger

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter