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„Religion Matters“ – die interreligiöse Interviewreihe mit Führungspersönlichkeiten der Weltreligionen
Teil VII: Wie zerbrechlich wir sind

Welche Antworten bietet der Glaube in schwierigen Zeiten? Im Interview mit hohen Religionsvertretern fragen wir, wie die verschiedenen Religionen und Konfessionen mit den Problemen der Gegenwart umgehen und was wir voneinander lernen können. Heute mit Moran Mor Ignatius Aphrem II., Patriarch von Antiochien und dem Ganzen Osten, dem Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche.

Männer und Frauen beim Gebet in einer Kirche

Syrische Christen beim gemeinsamen Gebet. Etwa die Hälfte der Christen des Landes sind in den letzten Jahren geflohen. Aphrem II. glaubt nicht daran, dass die meisten zurückkehren werden.

Aphrem II.

Die Corona-Pandemie hat die globalen Lebensadern und ihre Gesellschaften an ihrer Achillesverse getroffen. Sie stellt Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Religion und Gesellschaft in einem ohnehin schon bestehenden Zeitalter wachsender Unsicherheiten vor ungeahnte Herausforderungen.

Wir brauchen dringend Antworten und Orientierung, vor allem aber Zuversicht, um gestärkt aus dieser Krise herauszukommen. Die interreligiöse Interviewreihe „Religion Matters“ der Hanns-Seidel Stiftung lässt religiöse Führungspersönlichkeiten der großen Weltreligionen zu Wort kommen, um ihre Perspektiven auf die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen herauszuarbeiten. So kann sich der Zuschauer selbst ein Bild machen, wie unterschiedliche Religionen und Konfessionen die schwierigen Fragen unserer Gegenwart angehen. Über diese Interviewreihe will die Hanns-Seidel-Stiftung außerdem diese religiösen Führungspersönlichkeiten indirekt in ein Gepräch miteinander bringen, von dem der interreligiöse Dialog weltweit profitieren soll.

Im Mittelpunkt der einzelnen Interviews steht die Frage, inwieweit Glauben und Religion in Zeiten wachsender Komplexitäten und Unsicherheiten Antworten geben können. Wie kann religiöse Kompetenz die Politik aktuell in der Krisenbewältigung ergänzen? Wie steht es um die Religionsfreiheit weltweit und den interreligiösen Dialog? Welche Strategien braucht es, um die Polarisierung der Gesellschaft zu überwinden und Extremismus und Terrorismus zu bekämpfen?

Für „Religion Matters“  haben wir mit dem Sicherheitsexperten Oliver Rolofs unter anderem die Erzbischöfin der Schwedischen Kirche, Antje Jackelén, interviewt, außerdem den Präsidenten der Konferenz der Europäischen Rabbiner, Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, den Bischof von Arabien Paul Hinder, den Patriarchen der Syrisch-Orthodoxen Kirche, Moran Mor Ignatius Afrem II., und Sheikh Eşref Efendi vom ehrenwerten Sufi-Orden „Naqshbandiyya“.

Mann im Anzug, freundlich lächelnd

Oliver Rolofs

Oliver Rolofs ist Mitgründer und Managing Partner der Münchner Kommunikations- und Strategieberatung connecting trust. Er berät Wirtschaftsführer, politische Entscheidungsträger sowie religiöse Führer aus aller Welt in Fragen der strategischen Kommunikation, Public Affairs, Resilienz und Sicherheit sowie dem interreligiösen Dialog. Der ehemalige Kommunikationschef der Münchner Sicherheitskonferenz ist studierter Politikwissenschaftler, Völkerrechtler und Soziologe.

Aphrem II., ein freundlich blickender älterer Mann, lächelt in die Kamera.

Seine Heiligkeit "Mor Ignatius Aphrem II." ist der 123. "Patriarch von Antiochien und dem Ganzen Osten", das Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche.

©HSS

Interview mit Patriarch Mor Ignatius Aphrem II. – Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche

Das Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche, Mor Ignatius Aphrem II., betont im Gespräch mit der Hanns-Seidel Stiftung, dass die Corona-Pandemie gezeigt habe, wie zerbrechlich die Menschheit sei. Dass ein solches Virus Länder und Institutionen in die Knie zwinge, sei sehr besorgniserregend und beängstigend. Ein Teil der Menschheit habe das Gleichgewicht unserer eigenen Erde zerstört und diese Katastrophe verursacht, mit der wir heute konfrontiert seien, so Aphrem II. In dem Interview kritisiert er den Egoismus verschiedener Länder, sich Medikamente oder Impfungen für sich selbst zu beschaffen und es anderen Ländern zu verwehren.

Niemand sei immun, niemand habe ein Schutzschild gegen diese Art von Pandemien, deshalb müsse jeder etwas tun. Keine Gesellschaft könne es alleine tun. Deshalb müssten sie sich zusammenschließen, fordert das Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche.

Nach einem nunmehr zehnjährigen zermürbenden Krieg in Syrien ist Aphrem II. skeptisch, dass große Teile der syrischen Bevölkerung wieder in das Land zurückkehren. Er glaube nicht mehr an eine Rückkehr der vielen Millionen vor dem Krieg geflüchteten syrischen Bürger. Allein seine Gemeinde habe einen erheblichen Verlust zu beklagen, teilt Aphrem II. mit. So hätten inzwischen rund 50 Prozent der Christen Syrien verlassen, sodass die Zahl der Christen, die in Syrien geblieben sind, unter 800.000 liegen dürfte.

Mit Blick auf die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und einigen Golfstaaten hoffe Aphrem II. auf den Tag, an dem man frei durch den Nahen Osten reisen könne, um Beziehungen zu allen Menschen in der Region aufzubauen, mit ihnen zusammenzuarbeiten und ihre Lebensqualität zu verbessern. Der syrisch-orthodoxe Patriarch machte aber auch klar, dass die aktuellen Bemühungen auch dazu dienten, „einem anderen Feind entgegenzuwirken, der heute Iran genannt wird“.

Die Wahrung der Religionsfreiheit und Bekämpfung von religiösem Extremismus könne vor allem über Bildung erreicht werden, so Aphrem II. Man müsse überwachen, was in Schulen, insbesondere in westlichen Ländern, wo einige Privatschulen von islamischen Institutionen unterhalten werden, gelehrt werde.

Der 1965 im syrischen Qamishli als Sa’id Karim geborene Mor Ignatius Aphrem II. ist seit 2014 der 123. „Patriarch von Antiochien und dem Ganzen Osten“ und damit das Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche. Diese geht auf die christliche Gemeinde von Antiochien zurück, die zu den ältesten überhaupt gehört. Weltweit zählt sie etwa 3,5 Millionen Gläubige, davon 100.000 in Deutschland.

Der 1985 zum Mönch ordinierte Karim studierte Theologie in Aleppo und Kairo und diente von 1988-1989 als Sekretär des syrisch-orthodoxen Patriarchen Ignatius Zakka I. 1989 trat er in das St.-Patricks-Kollegium im irischen Maynooth ein, wo er 1991 ein Lizenziat in Theologie (Licentiate of Sacred Theology, S.T.L.) und 1994 seine Graduierung zum Doctor of Divinity erhielt.

Vor seiner Wahl zum Patriarchen war Karim Erzbischof für den Osten der Vereinigten Staaten von Amerika und in diesem Amt als Mor Cyril Aphrem Karim bekannt. In dieser Rolle gründete er elf neue Pfarreien, führte eine Reihe von neuen Programmen für die Jugend ein und arbeitete für die Einheit zwischen den Kirchen.

Im Juni 2016 entging der Patriarch knapp einem Mordanschlag. Ein Selbstmordattentäter hatte sich als Priester verkleidet und wollte während eines Gottesdienstes in Qamischli Aphrem II. mit in den Tod reißen. Sicherheitskräfte konnten den Mann kurz vor der Tat aufhalten.

Aphrem II. lebt und wirkt am Hauptsitz der Syrisch-Orthodoxen Kirche in Damaskus.

Im Teil VII unserer interreligiösen Interviewreihe spricht das Oberhaupt der Syrisch-Orthodoxen Kirche, Aphrem II., 123. "Patriarch von Antiochien und dem Ganzen Osten", über Christen im Nahen Osten, Lehren aus der Pandemie und was er sich für die Zukunft wünscht.

Der große interreligiöse Kalender vom "Sonntagsblatt" – Die wichtigsten Fest- und Feiertage von Katholiken, Protestanten, Orthodoxen, Aleviten, Juden und Muslimen, Buddhisten und Hindus auf einen Blick.